Film und dieses & jenes

Schlagwort: Dario Argento

Die unbarmherzigen Schwestern: „Medusa“ von Anita Rocha da Silveira

"Medusa"

Trällern für Jesus und das Patriarchat: „Michele and the Treasures of the Lord“.  Foto: Drop-Out Cinema

Diese jungen Frauen wirken, als könne kein Wässerchen sie trüben. Doch wehe, wenn es Nacht wird und sie ihren Unschuldsblick hinter weißen Masken begraben. Da gehen die Damen, die sonst in der Band „Michele and the Treasures of the Lord“ zuckersüßen Pop zu Ehren Gottes trällern, auf die Jagd: auf Frauen, die nach ihrer Auffassung, sündigen – etwa durch Sex vor der Ehe. Da treten die unbarmherzigen Schwestern zu, filmen die erpresste Beichte und zählen dann die Likes im Internet. Bei einem Überfall aber gerät Bandenmitglied Mariana an ein überraschendes Opfer – es wehrt sich mit einem Messer, Mariana trägt eine Narbe auf der Wange davon, was sie in ihrem Umfeld nahezu zur Aussätzigen macht: Den Job im Schönheitssalon verliert sie, da man dort nur glatte Haut sehen mag; bei den Freundinnen, für die Schönheit das elfte Gebot ist, muss sie die Narbe mit ihren Haaren bedecken.

Um sich in der Bande wieder zu etablieren, plant sie einen Coup: Einst wurde eine allzu lebenslustige und allzu schöne Schauspielerin von einer Banden-Glaubensschwester mit Benzin in Brand gesteckt. Sie überlebte, hat sich aber wegen ihrer Entstellung zurückgezogen. Gelänge von ihr ein Foto, wäre das eine mediale Sensation. So macht sich Mariana auf die Suche – zuerst in einer Klinik für Komapatienten.

Grüße von Argento und Carpenter

„Medusa“ ist der zweite Spielfilm der Brasilianerin Anita Rocha da Silveira. Inspiriert – und beunruhigt – von wachsender Gewalt in ihrer Heimat durch ultraorthodoxe Gläubige gegen Andersdenkende und -lebende, hat sie eine bunte Groteske geschrieben: zwischen schwarzer Komödie und Horror, zwischen Satire und zorniger Anklage. Mit wundersamen Bildern im Breitwandformat (Kamera: João Atala) erschafft sie eine stilisierte Welt der Bonbon- und Neonfarben für die Jesus-Barbies; bei den nächtlichen Streifzügen pulsieren sämige Synthesizer-Klänge – da sind Dario Argento für die Optik und John Carpenter für die Musik durchaus Referenzen.

Als Mariana eine andere, liebevollere Welt entdeckt, sieht sie (und das Publikum) andere Farben – erdig, näher an der Wirklichkeit, da wird ein Wald zur Gegenwelt des ultrakonservativen Milieus, in dem Frauen engelsrein sein sollen, in dem Männer sich paramilitärisch kleiden und ihre Körper stählen – eine Wehrsportgruppe Christi? Um Glaubenskritik geht es der Filmemacherin nicht, betont sie, sondern um Religions- und Unterdrückungsstrukturen. Die betrachtet sie weniger analytisch denn manchmal plakativ, so dass der Sog der Bilder, gerade bei der Rebellion Marinas, besser gelingt als Erklärung und Erkenntnis. Aber das nimmt dem Film nur wenig von seiner Kraft.

„Ennio Morricone – Der Maestro“ von Giuseppe Tornatore

Ennio Morricone

Ennio Morricone beim Dirigieren imaginärer Musik in seinem Arbeitszimmer.     Foto: Plaion Pictures

 

Erstaunlich ist einiges an diesem Film über Ennio Morricone: Zum Beispiel, dass dieses Porträt eines so unkonventionellen Künstlers formal so  überraschend konventionell gemacht ist; erstaunlich ist aber zugleich, dass der Film seine elefantöse Länge von zweieinhalb Stunden nicht spüren lässt – zu mitreißend ist der Film, zu berührend. Und erstaunlich ist ebenso, dass man den Maestro, eher ein Mann der Zurückhaltung und Diskretion, bei der Morgengymnastik auf seinem römischen Wohnzimmerteppich sehen kann.​

Übermotivierter Beginn

Damit beginnt die Dokumentation „Ennio Morricone – Der Maestro“ von Giuseppe Tornatore. Für dessen Film „Cinema Paradiso“ hatte Morricone 1988 die Musik geschrieben – der Beginn einer langen Arbeitsbeziehung plus Freundschaft. Basis des Films sind Interviews, die Tornatore mit Morricone (1928-2020) führte, dazu viele Filmausschnitte, Sätze von Kolleginnen und Kollegen, Filmemachern. Zum Einstieg von „Ennio“ prasseln deren lobende Mini-Zitate etwas hektisch herab, als müsse man die Bedeutung des Musikers nochmal betonen; dann aber findet der Film schnell zu einem ruhigen Rhythmus und zeichnet Morricones Leben nach, das der Maestro aus seinem Wohnzimmersessel heraus kommentiert.​

Die Karriere beginnt ungewöhnlich und konträr zu anderen Musikerbiografien: Der junge Ennio möchte Arzt werden, aber der Vater will, dass er Trompeter wird – wie er selbst. Morricone fügt sich, findet Gefallen am Instrument, studiert Trompete und Chormusik am Konservatorium von Santa Cecilia unter dem Komponisten Goffredo Petrassi. Der interessiert sich erstmal wenig für den jungen Musiker;  der wiederum empfindet das Konservatorium als „elitär“, wie er im Film sagt.​

„Schuldgefühl“ wegen Filmmusik?​

Schon damals ist Morricone ein Mann der Avantgarde, besucht die „Internationalen Ferienkurse für Neue Musik“ in Darmstadt (der Film zeigt einen wundersamen Auftritt von Neutöner John Cage) – zugleich ist er aber Pragmatiker, der seine Miete zahlen muss: Als Arrangeur arbeitet er, durchaus mit ungewöhnlichen Ideen, fürs italienische Fernsehen, für Pop-Produktionen, schreibt erste Filmmusiken. Damit etabliert sich bei Morricone ein merkwürdiger Schuldkomplex: Eigentlich empfindet er die Filmmusik als Kompositionsarbeit zweiter Klasse. Er ist sich auch nur zu bewusst, dass die ehemaligen Kollegen am Konservatorium und vor allem sein früherer Lehrer Petrassi das auch so sehen. Das gibt dem Film neben dem Musikalischen und Filmhistorischen auch eine bittersüße biografische Note mit. Dieser Komplex habe ihn bei der Arbeit angetrieben, sagt Morricone, „ich wollte siegen – gegen das Schuldgefühl“.​

 

Mit der Musik zu Sergio Leones Western „Für eine Handvoll Dollar“ beginnt 1964 die große Karriere – Morricone operiert mit verzerrter E-Gitarre, lässt pfeifen, lässt Chöre Kojoten imitieren; fortan werden ihn viele vor allem als Italowestern-Komponisten sehen, auch wenn er bloß um die 30 Filme dieses Genres untermalt hat (und um die 470 andere Produktionen). Allein im Jahr 1969 ist er an 21 Filmen beteiligt, „er schreibt Musik so schnell, wie andere einen Brief schreiben“, sagt eine Kollegin im Film. Das Verhältnis zur eigenen Arbeit scheint bisweilen zwiespältig: Morricone bekennt, dass er sich jeweils 1970, 1980, 1990 (und so weiter) vornahm, nach zehn Jahren mit den Filmen aufzuhören, um danach wieder ganz seriös zu komponieren. Bei dem Vorsatz blieb es dann.​

Machen Experimente arbeitslos?​

Parallel zu konventionelleren Arbeiten wagt er sich gerne an Experimente: Einige Ausschnitte aus Elio Petris Film „Das verfluchte Haus“ von 1968 mit Franco Nero zeigen, wie Morricone mit Geräuschen und Klangeffekten operiert, die Grenzen zwischen Musik und Sounddesign auflöst. Auch römische Krimis wie „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ untermalt er experimentell – mit dem Ergebnis, dass ihm Kollegen ankündigen: „Wenn Du so weitermachst, bist Du bald arbeitslos“. Das wird er dann doch nicht.​

Kubrick wollte Morricone

Im Film erfährt man manch Überraschendes: Etwa, dass Stanley Kubrick Morricone für seinen Film „Uhrwerk Orange“ engagieren wollte, was aber wohl Regisseur Sergio Leone intrigant und mit etwas Wahrheitsbeugung verhinderte – möglicherweise wollte er nicht, dass sein liebster Komponist (und Klassenkamerad) nicht für einen anderen Kinogiganten schreibt. Morricone lästert im Film ein wenig über Regisseur Brian DePalma, für den er 1987 „The Untouchables“ komponierte; er habe immer gewusst, welche seiner Ideen den Filmemacher am meisten begeistern würden – jene, die er selbst am schwächsten fand. Die Doku illustriert das mit einem Ausschnitt aus dem Kevin-Costner-Mafiakrimi, der zeigt, dass Morricone manchmal durchaus Edelkitsch und Pathos produzierte.​

Ein paar „talking heads“ zu viel

„Ennio Morricone – Der Maestro“ erzählt konventionell: Der Komponist spricht, man sieht Filmausschnitte, hört Musik und Statements von Wegbegleitern und prominenten Fans. Die sind manchmal so kurz und nichtssagend, wirken so, als sollten sie vor allem demonstrieren, wen man alles vor die Kameras bekommen hat: Hans Zimmer, John Williams, Bruce Springsteen, Joan Baez, James Hetfield von Metallica sind dabei, sagen aber kaum mehr, als dass sie Morricone bewundern. Selbst Clint Eastwood, den wegen seiner Italowestern-Phase einiges mit Morricone verbindet, ist bloß mit einem nichtssagenden Satz vertreten. Aber geschenkt: Der Film lässt auf ein ungemein fruchtbares Künstlerleben blicken (das Private bleibt außen vor), führt durch ein großes Stück Filmgeschichte – und lässt in wunderbarer Musik schwelgen.  ​

Auf DVD und Bluray bei Plaion Pictures.

Das Leben und die Krankheit: „Vortex“ von Gaspar Noé

Vortex Francoise Lebrun und Dario Argento

Francoise Lebrun und Dario Argento.  Foto: REM

 

„Bring mich heim – ich will nach Hause.“ „Du bist doch Zuhause.“ Viele solcher Dialoge und  Momente in „Vortex“ sind schmerzhaft, es ist ein Film, den man überstehen muss. Von einem alten Paar erzählt er, beide um die 80. Auf dem Balkon ihrer Pariser Wohnung prosten sich die beiden mit Weißwein zu, man spürt eine tiefe Verbundenheit durch ein gemeinsames Leben.

Doch die wird immer wieder zerrissen durch die Demenzkrankheit der Frau. Während der Mann seinem Tagewerk nachgeht – er arbeitet an einem Buch über das Verhältnis von Traum und Kino –, zieht sie unruhig und getrieben ihre Kreise durch die Wohnung;  die wirkt mit den bis an die Decke gestapelten Büchern zugleich anheimelnd wie muffig, beengt und labyrinthisch. Als Betrachter verliert man da so schnell die Orientierung wie die erkrankte Frau. Sie schlurft auf die Straße, weiß nicht mehr genau, wo sie ist, sucht in einem Geschäft nach Spielzeug. Vielleicht für den Enkel, dessen Namen sie sich nicht mehr merken kann?

Der französische Regisseur Gaspar Noé, Jahrgang 1963, hat mit Filmen wie „Menschenfeind“ und „Irreversible“ die Grenzen des auf der Leinwand gerade noch Ertragbaren ausgelotet – in „Irreversible“ mit einer neunminütigen Vergewaltigungsszene. Seitdem wird er gerne mit den Attributen „enfant terrible“ und „Skandalregisseur“ belegt.

Das langsame Entgleiten

„Vortex“ ist nun sein stillster, äußerlich ruhigster Film – und möglicherweise sein erschütterndster. In aller Ruhe beobachtet er das Leben dieses Paares, das sich langsam, trotzt aller Gegenwehr, langsam entgleitet. Die Frau driftet in ihre eigene Welt, hält ihren Ehemann manchmal für einen Fremden, der ihr in der Wohnung nachspioniert; der Mann kommt an seine körperlichen wie seelischen Grenzen und will eben nicht lediglich Pfleger und Kümmerer sein, sondern auch an seinem alten Leben festhalten: Die Arbeit an seinem Buch wirkt wie eine verständliche Kurzzeitflucht und wie das Symbol einer Existenz, die er nicht aufgeben will.

 

Francoise Lebrun und Dario Argento Vortex

Francoise Lebrun und Dario Argento.  Foto: REM

Noé hat mit zwei Kameras gefilmt, teilt die Leinwand in Hälften. So kann er das Leben der beiden gleichzeitig zeigen, wenn sie sich voneinander entfernen, wenn der Mann etwa – eine Szene mit einer gewissen Komik – badet und sie, wie sie sagt, seinen Schreibtisch aufräumt: nämlich Notizen von ihm in der Toilette hinunterspült. Die Darsteller, die auf Basis von Noés Drehbuch-Entwurf viel improvisiert haben, sind grandios: Dario Argento, 81, von Haus aus Regisseur des manchmal drastischen Grusels („Suspiria“) spielt den Mann, dem alles über den Kopf wächst. Françoise Lebrun, 77, ist sensationell. Sie macht Verwirrung und   Verunsicherung spürbar, ihre Ängste und ihre Trauer, wenn ihr in wachen Momenten bewusst wird, was ihr diese Krankheit unwiederbringlich entreißt.

Diese 135 manchmal brutalen Minuten gehen ans Herz, auch an die Nerven, sie schmerzen oft. Ein meisterlicher Film ohne Sentimentalität, aber voller Dankbarkeit dafür, am Leben zu sein.

Soundtrack „Suspiria“ von Thom Yorke: Fließen, Brummen, Pulsieren

Thom Yorke Radiohead Suspiria Dario Argento Giallo Horror

Thom Yorke, fotografiert von Gregg Williams.

 

Eigentlich ist es ja eine gute Idee, Filmmusik zu hören, ohne den Film schon gesehen zu haben. So sind Musik, Bilder und Handlung noch nicht ineinander geflossen, die Assoziationen noch ungebunden. Und gerade die Musik zu „Suspiria“ weckt nahezu endlose Assoziationen, sie ist ein Füllhorn an Atmosphäre, Stimmungen, Klängen zwischen harmonisch und dissonant, recht selten warm einhüllend, öfter beunruhigend.

1977 drehte Regisseur Dario Argento „Suspiria“ über Morde in einer Tanzschule im beschaulichen Freiburg im Breisgau – heute ein Klassiker des fantastischen Films. Argentos Kollege Luca Guadagnino hat den Stoff nun neu verfilmt beziehungswiese neu interpretiert; sein Film lief 2018  beim Filmfestival in Venedig, erhielt überwiegend gute Kritiken und ist nun auch in Deutschland zu sehen, wenn auch in einer überschaubaren Zahl von Kinos – aus der Saarbrücker Camera Zwo hat er sich gerade verabschiedet.

 

 

Die Musik zum Film hat Thom Yorke aufgenommen, Sänger und Komponist der britischen Band Radiohead. Anfangs recht konventionelle Alternative Rocker, mittlerweile lustvolle und trickreiche Klangfummler. Yorke, gerne auch solo und mit Kollegen abseits seiner Band im Studio, legt mit „Suspiria“ nun seine erste Spielfilmmusik vor – und die geht in die Vollen, was die Länge angeht (80 Minuten) und den Inhalt: „Suspiria“ schlägt einen weiten Bogen von merkwürdig entrücktem Pop bis zu Neuer Musik, vom psychedelischen Krautrock der 1970er zu Chorälen. Das könnte nun Kraut und Rüben sein – aber alles fließt organisch ineinander, Kontraste gibt es zuhauf, aber keine Brüche.

„Can and Me“ über Irmin Schmidt

Da gesellen sich, nach einer flirrenden, schabenden Streicherdissonanz zum Auftakt (aufgenommen mit dem London Contemporary Orchestra and Choir), minimalistische Klaviermotive zu orchestraler Wucht, breit ausgewalzte Keyboard-Klänge mit Spätsiebziger-Aroma zu Klangmalerei: „The unevitable pull“ brummt und dröhnt so unheilvoll, dass man es nicht alleine in einem dunklen Zimmer hören sollte. Vergleichsweise sonnig ist dann „Suspirium“, eines der wenigen Stücke, auf denen Yorke singt, hier in einem anrührenden, zerbrechlichen Falsett. Zu hören ist er auch auf „Has ended“, das mantrahaft hypnotisch und psychedelisch vor sich hin pulsiert und orgelt, von einem Bass angetrieben – da sind die deutschen Krautrocker Can gedanklich nicht weit weg. „Unmade“ dagegen ist eine zarte Balladenschönheit, einer der wenigen Momente, bei denen man sich beruhigt und warm eingehüllt zurücklehnen kann, wie auch beim kurzen Choral „Sabbath Incantation“. Aber man muss eben auf der Hut sein und weiß nie genau, was einen erwartet auf diesem ambitionierten, aufregenden Album.

Thom Yorke:  Suspiria
(Beggars/XL Recordings).

Die Doku „Dark Glamour“ über die Geschichte von Hammer Films

Hammer Films Dark Glamour Christopher Lee Peter Cushing

Christopher Lee 1957 in „Frankensteins Fluch“. Foto: Hammer Films

 

 

Vampirzähne in Nahaufnahme, wogende Busen in engen Korsetten – und Blut, das so rot leuchtet wie frisch gekochte Erdbeermarmelade. Das waren die Insignien der britischen Produktionsfirma Hammer, die vor allem in den 1950ern und -60ern eine Marke für sich waren: Mit ihren Schauermärchen, so liebevoll ausgestattet wie mit drastischen Effekten garniert, waren sie eine Zeitlang ein großer Fisch im filmischen Karpfenteich, amerikanische Verleihe nahmen die Hammer-Filme nur zu gern in ihr Programm.

Die schön betitelte Dokumentation „Dark Glamour“ von Jerome Korkikian zeichnet die Geschichte der Firma nun nach: flott montiert, bunt mit Filmausschnitten illustriert und mit interessanten Gesprächspartnern (wenn auch mit meist sehr kurzen Statements).  Mit der Krönung von Elisabeth II. 1953 beginnt es, die britische Nation sitzt kollektiv vor dem Fernseher, der sich als neues Massenmedium durchzusetzen beginnt. Die Kinos, Studios und Produktionsfirmen schauen in die Röhre. Unter ihnen eine kleine Firma namens Hammer, die sich seit den 30er Jahren auf dem Markt behauptet. Doch die Geschäfte laufen immer schlechter, und so setzt die Firma ihre letzte Hoffnung 1955 auf einen kleinen Gruselfilm in Schwarzweiß: „Schock“ („The Quatermass Experiment“), der von einem Astronauten erzählt, der aus dem All zurückkehrt und sich zu etwas verwandelt, das man durchaus als „shocking“ bezeichnen kann.

Cushing und Lee bringen Klasse und Würde

Der Film füllt mehr oder weniger überraschend die Kinos, Hammer gibt sich ganz dem Grusel hin und holt klassische Figuren des „Gothic Horror“ aus der Gruft:  Dracula und seinen Gegenspieler Van Helsing, außerdem den chirurgisch hochbegabten, wenn auch ethisch unterentwickelten Baron Frankenstein und die Kreatur, die er aus Leichenteilen zusammenschraubt und -näht. Diese Paare werden gespielt von Peter Cushing und Christopher Lee, den prägenden Darstellern Hammers. Sie geben den Filmen viel Würde und Klasse, die ansonsten wenig zimperlich sind in Sachen Blut  und Erotik. „Das Studio ignorierte den guten Geschmack“, heißt es in der Doku. Filmhistoriker und Hammer-Kenner Marcus Hearn fasst den Aufschwung der Firma so zusammen: Mit „Schock“ kam der Horror, mit „Frankenstein“ die Farbe, mit „Dracula“ die schwüle Erotik. Für Regisseur John Carpenter, der die Hammer-Filme liebt und „Die Mumie“ als ihren optisch schönsten schätzt,  kam als Amerikaner noch eine britische Komponente hinzu: „Mit englischem Akzent klang das Ganze viel seriöser und ernster.“

 

Hammer Films Dark Glamour Christopher Lee Peter Cushing

Christopher Lee 1958 im Meisterstück „Dracula“. Foto: Hammer Films

 

Eine Zeitlang geht alles gut: Die Firma arbeitet in den familiären Bray-Studios vor sich hin, in liebevollen, auf alt getrimmten Bauten, bis ausgerechnet ein Engländer in Amerika den Horrorfilm revolutioniert: Alfred Hitchcock mit „Psycho“. Die Angst lauert jetzt in der Gegenwart (und in der Dusche). Hammers Schauermärchen wirken auf einmal etwas altmodisch – die Firma steuert mit ein paar in der Gegenwart spielenden Psychothrillern gegen, aber das ist nicht ganz ihr Terrain. Auch mit der Steinzeit versuchen sie es. „Eine Million Jahre vor unserer Zeit“ konfrontiert knapp bekleidete Urzeitmenschen mit Stop-Motion-Riesenechsen. Carpenter ist heute noch begeistert: „Raquel Welch im Bikini und dazu Plastikdinosaurier – was wollen Sie denn sonst noch?“

 

Hammer Films Dark Glamour Christopher Lee Peter Cushing

Raquel Welch 1966 in „Eine Million Jahre vor unserer Zeit“. Foto: Hammer Films

Von der Produktion „Captain Kronos – Vampirjäger“ erhofft man sich den Auftakt einer ganzen Reihe, wie Hauptdarsteller Horst Janson („Der Bastian“) erzählt, aber dazu kommt es nicht, der Film kommt zu schlecht an. Auch die Kreuzung von Blutsaugerei und dem gerade erfolgreichen Karate-Kino in „Die sieben goldenen Vampire“ bleibt ohne Nachhall. Der größte Nagel aber wird 1973 in Hammers Sarg geklopft: „Der Exorzist“ schockiert mit Tabubrüchen, wird ein enormer Hit – und ist eine Produktion des US-Studios Warner Brothers, das bisher die Hammer-Filme mitfinanzierte. Jetzt weiß Warner selbst, wie es geht und dreht den in Richtung Britannien führenden Geldhahn ab. Oder wie Carpenter es sagt: „Hammer waren bei vielem die Ersten. Und dann hörten sie irgendwann auf, die Ersten zu sein.“ Das Studio müht sich noch ein paar Jahre ab, 1979 entsteht der letzte Film. 2007 aber exhumieren neue Investoren die Idee, kaufen die Marke (und das lukrative Filmarchiv); auch einige Filme wie „The Woman in Black“ entstehen, die weniger auf Schocks setzen denn auf guten alten Schauer.

Die Doku „The Frankenstein Complex“

Der Doku „Dark Glamour“, so vergnüglich sie auch ist,  hätte man gerne mehr Laufzeit gewünscht als seine schnell vergänglichen 55 Minuten. Wenn schon Regisseure wie Dario Argento, Darstellerin Caroline Munro und der stets trockenhumorig unterhaltsame John Carpenter dabei sind, will man etwas mehr von ihnen hören; auch von Horst Janson hätte man gerne mehr erfahren – nicht zuletzt, wie er als deutscher Darsteller überhaupt zum Star einer Hammer-Produktion wurde. Immerhin: Man wird Zeuge, wie gut Christopher Lee in einer gallischen TV-Sendung Französisch spricht.

Der Neuanfang der Marke Hammer wird am Ende zwar erwähnt und mit ein paar Filmausschnitten bebildert, aber da hätte man gerne mehr erfahren. Eine Fortsetzung des Themas oder auch eine 90-Minuten-Fassung auf DVD wäre sehr willkommen.

http://www.hammerfilms.com/

 

© 2024 KINOBLOG

Theme von Anders NorénHoch ↑