Film und dieses & jenes

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„Tod in Venedig“ und das Leben danach: Doku „The most beautiful boy in the world“

 

the most beautiful boy in the world

Björn Andresen bei den Dreharbeiten zu „Der Tod in Venedig“.     Foto: Mario Tursi / MissingFilms

Für seinen Film „Der Tod in Venedig“ suchte Regisseur Luchino Visconti das Sinnbild unschuldiger Schönheit. Er fand es beim damals 15-jährigen Björn Andresen – doch für ihn war die Erfahrung hässlich. Eine Doku erzählt Andresens Geschichte.

„Und jetzt den Oberkörper!“ Der 15-Jährige zieht den Pulli aus. Später auch die Hose, lässt sich in Badehose ausgiebig mustern. Regisseur Luchino Visconti und sein Team schauen genau hin, denn sie suchen das Abbild lupenreiner Schönheit und androgyner, unschuldiger Makellosigkeit – für die Verfilmung von Thomas Manns „Der Tod in Venedig“. Wir sehen alte Aufnahmen von 1970, aus Stockholm – einer der vielen Städte in Europa, in denen Visconti damals den Darsteller seines Tadzio sucht, jenes Knaben, dessen Schönheit der fiktive Schriftsteller Gustav von Aschenbach verfällt (im Film gespielt von Dirk Bogarde). Visconti findet seinen Tadzio: Es ist Björn Andresen, jener 15-Jährige, dem man in den Dokumentaraufnahmen ansieht, wie unangenehm ihm die Casting-Prozedur ist, nicht zuletzt das Posieren in Badehose. Warum war er überhaupt da? Und inwieweit hat der Film das Leben des Jungen beeinflusst und verfinstert?

Diese Fragen stellt der Dokumentarfilm „The most beautiful boy in the world“ – so betitelt Visconti den Jungen damals, es wird Andresens Beiname in fast jedem Zeitungsartikel, als sich „Der Tod in Venedig“ als großer Kino-Erfolg erweist. Der Film zeigt historische Aufnahmen von der glanzvollen Premiere damals in London in Anwesenheit der Queen – und im Kontrast den Andresen von heute: einen Mann Ende 60 mit weißem Haar und Zottelbart über den eingefallenen Wangen. Fast verliert er seine kleine Wohnung, weil er immer wieder vergisst, seinen Gasherd abzustellen. Was ist zwischen damals und heute geschehen?

„Rote Pillen“, um durchzuhalten

Das blättert der Film langsam auf, mit faszinierenden Archivaufnahmen (darunter Super-8-Bildern von den „Venedig“-Dreharbeiten) und in sehr persönlichen Momenten; erst einmal scheint es, als sähen die Filmemacher Kristina Lindström und Kristian Petri vor allem in der Behandlung Andresens durch Visconti und die Kulturszene den Grund eines schwierigen Lebens. Die Bilder vom Festival in Cannes, wo Andresen bei der Pressekonferenz wie ein Maskottchen mitgeschleppt wird und Visconti über ihn spricht, als sei er gar nicht anwesend, sind beklemmend. Der homosexuelle Visconti nimmt den 16-Jährigen in einen Schwulenclub mit, erzählt Andresen viele Jahre später; die Blicke der Männer hätten ihn eingeschüchtert, er habe sich bis zur Besinnungslosigkeit betrunken, um sie auszublenden. Wo sind da Eltern? Familie? Betreuer?

 

Björn Andresen heute.     Foto: Mantaray Film

Andresen hat damals nur noch eine Großmutter, die einen „Star als Enkel haben wollte“, wie er heute sagt. Den bekommt sie. In Japan wird der Junge mit den goldenen Locken zu einem Teenie-Idol, nimmt süßliche Schlager auf, sein Antlitz wird in der Hauptfigur eines Comics verewigt. Viele Termine, Stress. Kreischende Fans – um durchzuhalten, gibt man ihm „rote Pillen“, wobei das „man“ etwas diffus bleibt. Insgesamt bleibt der Film da vage, wo man sich mehr Fakten gewünscht hätte. Was genau hat es bedeutet, dass Andresen bei Visconti einen Drei-Jahres-Vertrag unterzeichnet hatte? Der Film erklärt da wenig, lässt aber gerne bedrohlich klingende Musik über die Bilder fließen. Hatte Visconti da mit seinem Kurzzeit-Schützling überhaupt noch etwas zu tun?

„Enorme Naivität“

Man hätte Andresen jedenfalls das gewünscht, was man gerne ein „stabiles Umfeld“ nennt, aber er hatte es nicht, wie der Film erzählt: Wer sein Vater ist, weiß Andresen bis heute nicht, seine Mutter nimmt sich das Leben, als er elf Jahre alt ist, über sie wird fortan in der Familie nicht mehr gesprochen. Als der Trubel um „Tod in Venedig“ abebbt und weitere Filmprojekte nicht zustande kommen, verbringt Andresen ein Jahr in Paris – in einer Wohnung, die ihm ein Produzent bezahlt, ohne dass überhaupt ein Film gedreht wird. Was in der Wohnung geschieht, lässt der Film im Dunkeln, Andresen spricht zumindest von eigener „enormer Naivität“. Man kann nur spekulieren, die Filmemacher fragen nicht nach.

Fünf Jahre lang haben Kristina Lindström und Kristian Petri Andresen immer wieder getroffen, mit ihm in Stockholm, Kopenhagen, Paris, Budapest, Venedig und Tokio gefilmt – dabei auch im Gespräch mit seiner deutlich jüngeren Lebensgefährtin, die manchmal wie eine Betreuerin wirkt, mit seiner Halbschwester und mit seiner Tochter. Da offenbart sich eine Lebensgeschichte, die ganz unabhängig von den „Tod in Venedig“-Nachwirkungen voller Tragik ist – durch den Freitod der Mutter und durch den plötzlichen Kindstod seines Sohnes. Die Diagnose Andresens, der sich als Vater überfordert fühlte, Vaterschaft „beängstigend“ nennt, ist eine andere: „Zu wenig Liebe“. Das sind Szenen und Sätze, die erschüttern können, in all ihrer Ruhe: „Das Verrückte ist“, sagt Andresen, „dass man sich daran gewöhnt. Man erwartet einfach weniger vom Leben.“

Manchmal filmisch aufdringlich

Der Film entscheidet sich gegen eine klassische Doku-Bildgestaltung; bisweilen inszeniert er Andresen wie einen Schauspieler – was er ja auch ist: Während der im Film leider wenig erklärten späteren Lebensjahrzehnte hat er immer wieder Serien und Filme gedreht, zuletzt etwa in der Gruselmär „Midsomar“. In der Doku wandelt er in Zeitlupe durch die jetzt bröckelnden Korridore des Hotels in „Tod in Venedig“ und auch am Lagunenstrand entlang. Das hat filmische Kraft, hat aber auch seine aufdringlichen Momente: Muss man Szenen, in denen er als älterer Mann zum ersten Mal die Polizeiakte über den Freitod der Mutter liest, mit melancholischen Klavierklängen unterlegen, damit man als Zuschauer weiß, wie tragisch das alles ist? Wohl kaum.

Das nimmt diesem Film letztlich nicht viel von seiner berührenden Wirkung. Ausgehend von Viscontis „Tod in Venedig“ erzählt er von Vermarktung einer Person, von Familie, Verlust und einem Leben, zu dem ein Satz Andresens wohl besonders gut passt: „Ich wollte woanders sein – und jemand anderes sein.“

Christoph Hochhäusler über Max Ophüls, Dirk Bogarde, James Mason und „Toni Erdmann“

Christoph HochhäuslerRegisseur Christoph Hochhäusler.        Foto: Goethe-Institut/Foto Caroline Lessire

Christoph Hochhäusler, Regisseur von „Falscher Bekenner“, „Unter dir die Stadt“ und „Die Lügen der Sieger“, stellt beim Max-Ophüls-Festival einen seiner Lieblingsfilme des Festival-Namensgebers vor: „Madame de…“, am Samstag um 15 Uhr im Cinestar. Ein Gespräch vorab über Max und Marcel Opüls, Dirk Bogarde, James Mason und „Toni Erdmann“.

 

Wie kommt es zu Ihrem Besuch?

Oliver Baumgarten vom Festival hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, eine Brücke zu bauen zu Max Ophüls für ein jüngeres Publikum. Ich liebe Max Ophüls, da habe ich gerne zugesagt.

In Paris haben Sie vor einiger Zeit einen anderen Ophüls-Film vorgestellt.

Ja, das war „Der Reigen. Man könnte eigentlich jeden Ophüls-Film zeigen, die sind ja alle großartig. Aber „Madame de…“ ist schon ein besonderer Lieblingsfilm von mir.

Wieso?

Ophüls verbindet da eine höchste Meisterschaft der Form mit einem großen Thema, das hier so brutal zu Tage tritt wie in fast keinem anderen Werk der Filmgeschichte. Es geht letztlich um Besitz im Zusammenhang mit Gefühlen und darum, inwieweit etwa eine Ehe eine Form von Besitzgemeinschaft ist. Es ist ganz unerhört, wie der Film so kalt wirkt, beim Zuschauer aber induktiv große Gefühle erweckt. Wir sehen viel gesellschaftliche Konventionen, Fesseln, niemand schreit seine Gefühle heraus. Aber wir erfahren durch Ophüls’ Präzision in der Bildsprache genau, was die Figuren fühlen – und über diesen Gegensatz erfährt man die Gefühle noch einmal stärker.

Filmmagazin „Revolver“

Das ist vielleicht eine steile These – aber findet sich diese Dreieckskonstruktion und die Frage nach Besitz so auch in Ihrem Film „Unter dir die Stadt“ wieder?

Nicht im entferntesten bewusst, aber man hat ja immer tolle Filme im Kopf und denkt daran, wie filmische Meister bestimmte Dinge gelöst haben. Aber die reine Konstellation des Films, die hat ja auch Ophüls nicht erfunden, die ist ja immer schon da gewesen. Kritiker haben ihm ja oft vorgeworfen, Ophüls hielte sich mit Äußerlichkeiten auf, alles gehe nur darum, dass das Dekor schön ist, ich finde diesen Vorwurf aber völlig verfehlt. Es gibt kaum andere Regisseure, die so sehr wissen, was sie eigentlich erzählen. Ophüls’ formale Meisterschaft kann einen blenden, aber dahinter steht eine Lebensweisheit. Er war jemand, der die Menschen kennt und ihnen nichts vergibt – aber er war dennoch nicht bitter. Ophüls war einer der großen Menschenkenner des Kinos, einer der größten deutschen Regisseure, zusammen mit Lubitsch, Murnau, Lang. Viel mehr als die Filme dieser Vier braucht man nicht.

Sie wollen eine Brücke schlagen von Ophüls zum jungen Publikum. Haben Sie das Gefühl, er ist bei dem vergessen?

Ja, schon. Ich glaube, dass die meisten jungen Leute keine Ahnung haben, wer der Namensgeber des Festivals ist und welche Filme der gemacht hat. Das ist nur noch so ein Hörensagen. Seine Filme sind in Deutschland relativ selten zu sehen. Das hat auch mit seiner verflixt zersplitterten Karriere zu tun, mit der Flucht aus dem „Dritten Reich“. Es gibt ja kaum jemanden, der in so vielen unterschiedlichen Systemen Filme gemacht hat. Als Schauspieler hat er in Deutschland begonnen, dann hat er Theater- und Radioregie gemacht, kam darüber zum Film und musste nach seinen ersten vier Filmen schon wieder gehen. Dann hat er in Holland, Frankreich und Italien gearbeitet, ist nach Hollywood, wo er lange nicht Fuß gefasst hat. Dort hat er einige seiner besten Filme gedreht, kam wieder zurück nach Frankreich, am Ende auch wieder nach Deutschland – wobei der Flop von „Lola Montez“ seine Karriere eigentlich beendet hat. Dann ist er früh gestorben. Eine verrückte Karriere voller Hindernisse. Seinen Filmen sind die Widrigkeiten nicht anzusehen. Sie trotzen der Schwerkraft sozusagen.

Ist Ophüls’ Nachruhm in Frankreich größer?

In jedem Fall. Das liegt natürlich auch daran, dass er viele seiner Meisterwerke in Frankreich gedreht hat, mit französischen Stars wie Danielle Darrieux oder Charles Boyer. Die Franzosen verehren ihn als einen der Ihren. Er ist da schon angekommen, auch wenn er durchaus Sehnsucht nach der deutschen Sprache hatte und nach dem Krieg in Deutschland auch an Projekten gearbeitet hat, aus denen dann aber leider keine Filme wurden. „Berta Garlan” zum Beispiel, eine Schnitzler-Bearbeitung, die er dann „nur” als Hörspiel verwirklichen konnte.

Werden Sie Marcel Ophüls beim Festival treffen?Ich hoffe es sehr, vielleicht wird es ein Gespräch geben, das würde ich gerne machen, ich bin ein Verehrer seiner Filme. Er ist auch so jemand, der zwischen Kulturen hin- und hergerissen wurde. Zwangsläufig gewissermaßen, als Ophüls’ Sohn. Das ist an Bitterkeit kaum zu übertreffen, wenn man etwa an seinen Film „Das Haus nebenan – Chronik einer französischen Stadt im Kriege“ denkt, der in Frankreich zunächst verboten wurde und wirklich sehr lange nicht gezeigt wurde. Das ist schon ein schwieriger Weg gewesen.

Sie nehmen regelmäßig an Filmdiskussionen teil, schreiben über Film, auch in der Zeitschrift „Revolver“, die Sie mitherausgeben – wie wichtig ist Ihnen diese Sekundärbeschäftigung mit Film?

Sehr. Als wir die Zeitschrift „Revolver“ gegründet haben, vor 19 Jahren, waren wir alle noch Studenten. Da hatten wir das Gefühl, wir müssten das eigene Lernen irgendwie selbst organisieren. Die Neugier darauf, wie das andere machen, wie andere mit den gleichen Problemen umgehen, ist bis heute geblieben. Ich glaube auch, dass es dafür ein Publikum gibt, eine cinephile Szene, die hungrig ist nach solchen Formaten.

Sind das eher junge Leute?

Nicht nur. Zu unseren Veranstaltungen in Berlin kommen Leute so zwischen 20 und 50 Jahren, das ist gut durchgemischt.

Was bedeutet der Erfolg von „Toni Erdmann“ insgesamt für deutsche Filmemacher wie Sie, die man nicht dem Kommerz zurechnet?

Ich habe keine Ahnung. Ich finde, man sollte die Filme in Schutz nehmen vor solchen Erwartungen. Mich freut ihr Erfolg. Maren Ade hat nicht ahnen können, dass der Film ein so überwältigendes Echo finden würde. Und ob wir, alle anderen sozusagen, davon etwas haben werden – das ist wirklich zweitrangig. Diese Heilserwartungen an den deutschen Film sind etwas lästig. Es ist einfach ein Film – und im Übrigen muss der deutsche Film auch nicht gerettet werden.

Wenn einem Film der zehnte, der elfte Preis verliehen wird, kann das einen Film ja auch erschlagen, oder?

Hypes sind zwiespältig. Man hat natürlich etwas von ihnen – „Toni Erdmann“ hätte sonst nicht diese enormen Zuschauerzahlen. Eine Drei-Stunden-Dramödie, die in Rumänien spielt – der Erfolg war ja wirklich unwahrscheinlich. Aber manchmal verstellen sie eben auch den Blick.

In Ihrem Blog nennen Sie Dirk Bogarde einen der besten Schauspieler des 20. Jahrhunderts. Was schätzen Sie so an ihm?

Das ist ein Schauspieler, den Ophüls gut hätte gebrauchen können. Er hätte gut zu ihm gepasst. Ich mag das generell sehr, wenn es da ein Spiel im Spiel gibt: Ich bin ein Skeptiker des Naturalistischen und habe bei Bogarde das Gefühl, dass man bei ihm immer zwei Schichten hat: ein extrem virtuoses Außen, aber es wird immer auch klar, dass das nicht alles ist –– da bleibt ein Geheimnis, gleichzeitig wird nicht verschwiegen, dass das gemacht ist. Es gibt nicht, sozusagen, die Prätention des Prätentionslosen.

Sie erwähnen in dem Zusammenhang auch James Mason.

Ja, mit dem hat Ophüls den wunderbaren Film „Gefangen“ gedreht. Ich mag die Schauspieler vor dieser „Method“-Revolution am liebsten, da hat das Spiel noch stärker etwas Allegorisches. Anton Wohlbrück etwa im „Reigen“ hat so etwas Künstliches, was eine Innerlichkeit aber nicht ausschließt, das ist großartig. Ähnlich wie Vittorio De Sica in „Madame De…“ – das ist kein psychologisches Spiel, wo alles in irgendwelche Backstorys aufgeht, es ist viel komplexer als das. „Method“ mit Brando und Co. hat viel Schaden angerichtet, auch wenn es da tolle Schauspieler gibt. Aber es fehlt dieses archaische Moment. Andererseits: Brando ist eine Naturgewalt – und für die Folgen seiner Kunst darf man ihn nicht verantwortlich machen.

Christoph Hochhäuslers Notizbuch:
http://parallelfilm.blogspot.de

 

„Sie sind verdammt“ von Joseph Losey

Joseph Losey

Kaum jemand sezierte im Kino die britische Klassengesellschaft (und die Gesellschaft im Allgemeinen) so schmerzhaft genau wie ausgerechnet der amerikanische Regisseur Joseph Losey (1909-1984). Seine bekanntesten Filme „Der Diener“ (1963) und „Accident – Zwischenfall in Oxford“ (1967), beide mit Dirk Bogarde in der Hauptrolle, sind finstere Filme über Lug, Trug und gesellschaftliche Hierarchien.

Nun erscheint ein weniger bekannter Film Loseys aus dem Jahr 1963 erstmals bei uns auf DVD. „Sie sind verdammt“  führt an die britische Südküste, wo ein Urlauber in der Nähe einer Militärbasis merkwürdige Höhlen entdeckt – bevölkert von Kindern, die rund um die Uhr vom Militär überwacht werden und eine eisige Körpertemperatur besitzen. Die Auflösung soll nicht verraten werden, aber voller Pessimismus denkt der Film über eine Gesellschaft nach, die sich schon einmal rüstet für das Leben nach dem Atomkrieg. Ein beunruhigender Film, der damals für die knallige Gruselfirma „Hammer“ entstand, seinen Schrecken – und sein Anliegen – aber subtil transportiert.

Anbieter: Explosive Media

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