Film und dieses & jenes

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Doku „Speer goes to Hollywood“ von Vanessa Lapa: ein Winter bei Adolf Hitlers größtem Blender

Speer goes to Hollywood

Albert Speer und Adolf Hitler. Foto: Salzgeber

Eben noch sind wir zu Hause bei Albert Speer im gemütlichen Heidelberger Wohnzimmer, der Bernhardiner nimmt einen Keks vom Tisch – und einige Filmbilder später sind wir in einem Konzentrationslager, mit dem „Arbeit macht frei“-Schild, mit gequälten Menschen, mit Tod. „Speer goes to Hollywood“ ist ein Film der herben Kontraste: zwischen Vergangenheit und Gegenwart, vor allem aber zwischen Dichtung und Wahrheit.

„Die Geschichte der Kriegsberichterstattung“ von Marcel Ophüls

Die Basis der Dokumentation ist eine Idee Hollywoods. Anfang der 1970er will das Paramount-Studio aus dem ersten Erinnerungsband Albert Speers (1905-1981) einen Kinofilm machen. Speer, als Reichsminister für Bewaffnung und Munition Mitglied der NS-Elite, wurde als einer der wenigen Nazi-Größen in Nürnberg nicht zum Tode verurteilt, sondern zu 20 Jahren Gefängnis. Nach seiner Entlassung 1966 wurde er zum Medienstar. Seine Erinnerungsbände verkauften sich millionenfach, er gab sich in internationalen Interviews reumütig, sprach von „Jahren voller Irrtümer“ und schaffte das Unglaubliche: Obwohl einst einer der mächtigsten Nationalsozialisten, verbreitete er das Bild eines Mannes, der verblendet war und irgendwie die Treppe der Macht hinaufgefallen ist – und vom Holocaust wollte er nichts gewusst haben.

Ein Spielfilm wie ein Van Gogh?

Diese Biografie will Hollywood 1972 verfilmen und schickt den jungen Autor Andrew Birkin (später schrieb er das Skript zu „Der Name der Rose“) zu Speer nach Heidelberg. Dort verbringt Birkin den Winter 1971/72, spricht lange mit Speer, es entstehen über 40 Stunden Tonaufnahmen. Diese sind die Basis für „Speer goes to Hollywood“. Regisseurin Vanessa Lapa illustriert die Tonspur mit historischen Bildern und Szenen, vom Berlin der 1930er über Momente der Nürnberger Prozesse bis zu späten TV-Auftritten Speers. Das Ergebnis ist eine packende Dokumentation. Auf eine Ebene verfolgt man die Gespräche zwischen Birkin und Speer, bei denen der Befragte ebenso Charme zeigt wie eine gewisse Überheblichkeit: Der geplante Spielfilm solle, sagt er, weniger einer Fotografie ähneln denn einem Gemälde, einem Van Gogh – mindestens.

Speer goes to Hollywood

Die Regisseurin Vanessa Lapa

Auf einer zweiten Ebene zeichnet die Doku Speers Karriere chronologisch nach. Als Elite-Nazi und dann, bei den Prozessen in Nürnberg, als begnadeter Jongleur mit Halbwahrheiten. Da gibt er einiges zu, ist sogar stolz darauf, dass er zeitweise 14 Millionen Zwangsarbeiter für die Kriegsindustrie benutzen konnte; von deren Leiden und Sterben will er aber wenig bis nichts gewusst haben. Beim Prozess mit der Brutalität unter anderem in den Kruppschen Stahlwerken konfrontiert, sagt Speer, das halte er „für ziemlich übertrieben“. Und er sei doch für „jede Arbeitskraft dankbar gewesen“.

„Er erscheint einfach wie ein Träumer, der gerne Dinge baut. Sei vorsichtig!“

Die Gespräche zwischen Speer und Birkin sind auch ein Kräftemessen – auf der einen Seite ein Mann, der sein meisterlich geschaffenes Bild des geläuterten, oft unwissenden Mitläufers nicht von einem vielleicht zu kritischen Film beschädigt sehen will; auf der anderen Seite ein Autor, der spürbare Zweifel hat an manchen von Speers Aussagen, aber auch einen zugkräftigen Film schreiben soll. Sein Wunsch: Das Publikum solle sich sofort mit Speer identifizieren. Doch inwieweit muss er dann himmelschreiende Passagen Speers außen vor lassen wie etwa über seine Abneigung gegen „neureiche Juden“? Da habe Speer immer „Ekel“ verspürt – aber der sei „nicht antisemitisch“ gewesen. Die Reaktion auf Birkins ersten Drehbuchentwurf ist ein Desaster: Am Telefon wirft ihm Regisseur Carol Reed („Der dritte Mann“), dem Birkin den Entwurf geschickt hat, vor, das alles sei verzerrt und beschönigend. „Er erscheint einfach wie ein Träumer, der gerne Dinge baut. Sei vorsichtig!“.

Aktuelle Kritik seitens Autor Andrew Birkin

„Speer goes to Hollywood“ ist als Blick auf einen Wahrheitsverdreher, Relativierer und Herausreder faszinierend, filmisch aber nicht ganz ohne Macken. Dass die zu hörenden Gespräche nicht die Originale sind, sondern von Schauspielern neu aufgenommen wurden, ist nicht ideal, die Regisseurin verweist aber auf die schlechte technische Qualität der 50 Jahre alten Aufnahmen. Autor Andrew Birkin, heute 76, hat jüngst allerdings  Ungenauigkeiten kritisiert: Die antisemitische „Neureichen“-Passage stamme aus einem anderen Interview Speers, ihm gegenüber habe er das nie gesagt, sonst hätte Birkin darauf reagiert.

 

Speer goes to Hollywood

Albert Speer 1966 nach 20 Jahren Haft. Foto: Salzgeber

Auch sei der Film nach seinem Drehbuch letztlich nicht gedreht worden, nicht weil Paramount das Interesse verloren habe, wie „Speer goes to Hollywood“ nahelegt, sondern weil Speers Verleger Wolf Siedler sich an einer Passage gestört und deshalb die Option auf die Verfilmungsrechte nicht verlängerte habe: Der Film wollte Speer als Augenzeuge bei Heinrich Himmlers berüchtigter „Posener Rede“ im Oktober 1943 zeigen, in der der SS-Reichsführer vom geplanten Massenmord am jüdischen Volk gesprochen hatte. Speer habe laut Birkin stets betont, bei der Rede nicht dabei gewesen zu sein – es ihm überraschenderweise aber überlassen, die Szene dennoch so im Drehbuch zu belassen.

Eine DVD und eine digitale Fassung soll demnächst bei Salzgeber erscheinen. 

Die Doku „Kurzzeitschwester“ von Philipp Lippert – in der Mediathek der ARD

Kurzzeitschwester NDR

Vanessa und Philipp bei einem Urlaub am Meer.        Foto: Philipp Lippert / Drive beta GmbH

In seiner bewegenden, manchmal erschütternden Doku „Kurzzeitschwester“ spürt der saarländische Filmemacher Philipp Lippert dem Trauma seiner Familie nach.

Und plötzlich, wie über Nacht, ist die kleine Schwester nicht mehr da. Und dem Bruder, gerade mal sechs Jahre alt, wird nichts erklärt. Kein Wohin, kein Warum. Es bleibt ein kollektives Familientrauma, dem der kleine Junge von einst nun nachspürt, 18 Jahre, nachdem er seine Schwester Vanessa zum letzten Mal gesehen hat. „Kurzzeitschwester“ heißt die Dokumentation des saarländischen Filmemachers Philipp Lippert, die er am Samstag an zwei Terminen im Saarbrücker Kino Achteinhalb vorstellt und diskutiert. Lipperts Film ist ein berührender, manchmal auf ganz ruhige Weise tief erschütternder Film über Familienstrukturen, über enttäuschte Erwartungen, lebenslange Kränkungen, Selbstvorwürfe – und generell darüber, dass manches Geschehen zu komplex ist, als dass man rasch urteilen könnte. Einfache Antworten kann es hier nicht geben.

Regisseur Lippert, 24, setzt mit seinem Film an der grundlegenden Frage an: Warum haben seine Eltern die Schwester, die ein Pflegekind war, wieder abgegeben? Die Eltern in Köllerbach und die Eltern seiner Mutter befragt er vor der Kamera. Diese intensiven, entwaffnend offenen Gespräche versuchen, das Geschehen zu rekonstruieren und zu erklären. Da ist Lipperts Mutter, die nach dessen Geburt drei Fehlgeburten erleidet; in einer schmerzhaften Szene des Films zeigt sie eine Seite in einem Erinnerungsalbum, auf der neben drei Ultraschallbildern eines Kindes dessen Todesanzeige eingeklebt ist.

Kurzzeitschwester NDR

Regisseur Philipp Lippert und seine Mutter. Foto: Philipp Lippert / Drive beta GmbH

Das Ehepaar entscheidet sich, ein Pflegekind aufzunehmen: Vanessa, einige Monate jünger als Philipp. Der schließt sie ins Herz, doch kollektive Harmonie stellt sich nicht ein. Die Mutter scheint zu streng zu Vanessa, das zumindest finden die Großeltern. Zugleich fühlt sich die Mutter bei der Erziehung alleine gelassen, weil der Vater, wie er im Film zugibt, „nie der Übervater“ sein wollte – und, das darf man mutmaßen, er das Gefühl hatte, bei der Erziehung mit seiner Meinung gegen die seiner Frau, die ausgebildete Erzieherin ist, nicht anzukommen. „Ich weiß ja, wie alles geht“, sagt die Mutter im Film mit einer gewissen bitteren Ironie, „das ist das Problem“.

„Ich wurde ernährt“

Des Vaters Rückzug hat noch einen anderen Hintergrund – er blieb einst als 15-Jähriger in seinem Elternhaus wohnen, um noch die Schule abzuschließen, während seine Eltern 100 Kilometer weit weg zogen. Sein Aufwachsen beschreibt er so: „Ich wurde ernährt und meine Hausaufgaben wurden kontrolliert – das war‘s dann“. Das präge einen, sagt er.

„Warum wird in dieser Familie mehr geschwiegen als geredet?“

Es ist die große Stärke von „Kurzzeitschwester“, dass der Film mit sensiblen und offenen Gesprächen, Erinnerungsfotos und alten Familienvideos die Verästelungen persönlicher Erfahrungen aufzeigt, die Entscheidungen bedingen (und nachvollziehbar machen) – hier hat jeder sein Päckchen zu tragen und Gründe für sein Handeln. Ein grundlegendes Thema ist auch die Kommunikation in der Familie oder der Mangel davon – das Schwierige, das Misslungene wird nicht ausgesprochen. Ein kurzer Dialog steht beispielhaft für so vieles: „Warum wird in dieser Familie mehr geschwiegen als geredet?“, fragt der Sohn seinen Vater. Der antwortet: „Gute Frage.“ Und dann schweigt er.

Umso verblüffender ist, wie offen sich die Eltern dann doch im Film äußern, auch über das, was sie in ihrer Verzweiflung getan haben: Als sich der Druck in der Familie ins Unerträgliche steigert, richtet sich der Blick auf Vanessa – wäre vieles leichter, wenn sie nicht mehr da wäre? Das glauben die Eltern – oder reden sich es ein, wie sie heute sagen. Der Vater packt Vanessas Sachen, bringt sie nach Bayern in ein Kinderheim zu ihrer Schwester. Zuhause ist Vanessa nun kein Thema mehr. Aber die Probleme in der Familie schwelen weiter.

Ende gut, alles gut?

„Kurzzeitschwester“, ein von den Saarland Medien gefördertes Projekt, ist in drei Teile à 25 Minuten gegliedert – der letzte Teil steht im Zeichen des Wiedersehens: Lippert macht Vanessas Adresse in Bayern ausfindig, nimmt vorsichtigen Kontakt auf; es kommt zu einem ersten Treffen – und zu einem Besuch im Saarland, mit dem „Kurzzeitschwester“ schließt. Die Floskel „Ende gut, alles gut“ ginge an der Wirklichkeit vorbei, zu viele Wunden wurden da geschlagen. Und doch hat der Film das bewirkt, was Lippert eben auch im Sinn hatte – das große Schweigen, das die Mutter einmal treffend „Familienkultur“ nennt, zu brechen. Dass „Kurzzeitschwester“ dennoch keine Nabelschau oder künstlerisch verbrämte Familientherapie ist, sondern ein sehr berührender, allgemeingültiger Film über fragile Familienstrukturen, macht ihn besonders sehenswert.

Mehr Informationen auf der Seite von Philipp Lippert.

Zu sehen in der Mediathek der ARD.

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