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„Dunkirk“ auf DVD – aber nicht der Film von Christopher Nolan

Dunkirk Christopher Nolan BBC Benedict Cumberbatch

Nunja, über die Werbezeile „Hot from UK“ auf der DVD kann man streiten: Ein „the“ vor dem „UK“ hätte nicht geschadet, und der Film stammt aus dem Jahr 2004, „Dunkirk“ ist also nicht mehr ganz so „hot“. Interessant ist er aber doch – und außerdem ein sinniger Begleiter zu Christopher Nolans gleichnamigem Kinofilm. In drei einstündigen Episoden erzählt die BBC-Produktion von der Einkesselung und der Evakuierung tausender britischer Soldaten an der nordfranzösischen Küste Ende Mai/Anfang Juni 1940. Britische und französische Truppen stehen mit dem Rücken zum Meer, während die deutsche Armee sich in Richtung Küste kämpft, immer wieder aufgehalten von Soldaten des britischen Expeditionskorps, die den feindlichen Durchmarsch zur Küste zumindest zu bremsen versucht.

Es ist dieselbe historische Geschichte wie in Nolans Kinofilm, aber ganz anders erzählt, was einen Vergleich reizvoll macht. Während Nolan sich fast komplett auf den Schauplatz Küste/Meer beschränkt und ganz auf Augenhöhe seiner Figuren bleibt, bemüht sich der BBC-Dreiteiler um eine weiter gefasste Perspektive – mit animierten Landkarten zeigt er die Lage der eingeschlossenen Soldaten, er verbindet historische Aufnahmen mit Spielszenen, er wechselt regelmäßig von Schauplätzen zwischen der Küste, dem umkämpften Inland und zigarrenrauchumflorten Besprechungszimmern in London; Dort gibt Premierminister Winston Churchill mit kalter Logik Anweisungen für die Evakuierung: Unversehrte Soldaten haben Vorrang, denn die sind a) im Krieg wertvoller und b) brauchen weniger Platz in einem Schiff als Männer auf Krankenbahren.

 

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An die Ästhetik des BBC-Films muss man sich erst einmal gewöhnen – er müht sich um einen hochtourigen Dokumentarstil, die Kamera kommt den Darstellern in den Spielszenen sehr nahe und wackelt auffällig, wohl um Hektik und Nervosität der Situation widerzuspiegeln. Aber es wirkt, zumindest anfangs, sehr plakativ. Dennoch packt dieser Dreiteiler; anders als Nolans Film, der diese blutige Geschichte eher sauber und unblutig erzählt, kommt der BBC-Film, der sich auf Augenzeugenberichte und Memoiren stützt, der grausigen Realität der Geschichte näher. In einer Szene schießt ein britischer Soldat aus Versehen einen Kameraden an, allerorten herrschen Chaos und Todesangst, derer die Briten durch drakonische Maßnahmen Herr werden wollen: Ein Soldat, der befehlswidrig in Richtung Küste fliehen will, wird von Offizieren erschossen. Einen von ihnen spielt der damals noch wenig bekannte Benedict Cumberbatch – erst sechs Jahre wurde er der „Sherlock“ im englischen Fernsehen.

Die erschütterndste Sequenz ist die Ermordung britischer Kriegsgefangener durch Soldaten der Leibstandarte SS Adolf Hitler – durch Erschießen und durch Handgranaten, die sie mitten unter die Gefangenen in einer Scheune werfen: das sogenannte Massaker von Wormhout. Christopher Nolan hatte da mit seinem „Dunkirk“ einen ganz anderen Weg gewählt – dort sieht man den allgegenwärtigen Feind fast gar nicht, am Ende bestenfalls schemenhaft.

Synchronisiert wurde der BBC-Film nicht, eine deutsche Fassung hätte dem Originalton nicht das Wasser reichen können – denn Timothy Dalton, Bond-Darsteller der 1980er Jahre, spricht die erklärenden Texte mit dramatischem Nachhall, und die Akzente der Darsteller spiegeln die englische  Klassengesellschaft wieder: Upper-Class-Diktion bei den Politiker und Offizieren, Arbeiter-Akzent bei den niederen Dienstgraden.

Erschienen bei Polyband,

„Baron Noir“ mit Kad Merad – vom Tricksen im Polit-Dschungel

Baron Noir Kad Merad

 

 

„Wir sind alle keine Chorknaben. Aber das Gefängnis haben wir nicht verdient“, sagt einer der Polit-Strippenzieher in „Baron Noir“. Uneingeschränkt zustimmen mag man der zweiten Satzhälfte nicht – angesichts dieses Tableaus an Machenschaften, Tricksereien und Betrug, die diese französische TV-Serie, die bei uns jetzt auf DVD erscheint, höchst kunstvoll ausbreitet. Es herrscht Wahlkampf, der sozialistische Präsidentschaftskandidat Laugier (Niels Arestrup) steht kurz vor seinem großen Ziel – unterstützt wird er von seinem Berater und langjährigen Freund Rickwaert (Kad Merad), dem Bürgermeister von Dünkirchen. Der Weg in den Élyseé Palast scheint gut geebnet zu sein, bis Finanztricksereien der Sozialisten aufzufliegen drohen. Rickwaert rettet, was zu retten ist, doch Laugier lässt ihn fallen – und wird Präsident. Der Geschasste und tief Getroffene beginnt einen Rachefeldzug, der ihn vom Dünkirchener Flachland nach Paris bringen soll.

 

Baron Noir Kad Merad

Da sind sie noch Freunde, im weitesten Sinn:  Kad Merad (l.) als Philippe Rickwaert, Niels Arestrup als Francis Laugier, der auf dem Weg in den Élysée Palast ist. Foto: Studiocanal

 

Ist dies eine gallische Version der US-Serie „House of Cards“? Zwar verbindet der Schauplatz des politischen Dschungels die Reihen, „Baron Noir“ stellt aber eine besonders vielschichtige Figur ins Zentrum. Rickwaert ist  nicht zynisch und diabolisch wie der TV-Kollege Frank Underwood aus „House of Cards“; er ist ein Getriebener, er ist Täter wie Opfer, ein Pragmatiker, Opportunist und dabei auch eine tragische Figur, weder wirklich sympathisch noch verabscheuungswürdig. Ein Glücksgriff ist die Besetzung mit Kad Merad, bei uns vor allem als Postbeamter mit Nordfrankreich-Kulturschock in „Willkommen bei den Sch’tis“ bekannt – wie er seinen vertrauenerweckend onkeligen Charme einsetzt, um Menschen auf seine Seite zu ziehen, wie er steigenden Druck ausübt, sobald der Charme nicht ganz verfängt, ist famos anzusehen.

Autor der Serie ist der ehemalige Polit-Berater Eric Benzekri, der die Mechanismen von Wahl- und Machtkampf hier en detail herunterbricht: Mit einer TV-Debatte in einem gelackten Studio in Paris beginnt es, doch nach dem Bruch der Parteifreunde wird der Wahlkampf in Dünkirchen kleinteilig: Rickwaert lässt Konkurrenzplakate überkleben und   Tausende Flugblätter der Gegenseite aus den Briefkästen angeln, während er selbst Strippen zieht, Allianzen schmiedet und sich mit Notlügen durchwurschtelt – oder ein Wahllokal von seinen Getreuen bepöbeln lässt, um das den Rechten in die Stiefel zu schieben. Das alles geschieht mit viel Tempo, Wendungen,  geschliffenen Dialogen und plastischen, vielschichtigen Figuren – ein Vergnügen und zugleich ein großes menschliches Drama.

Die erste Staffel ist bei Studiocanal erschienen (acht Episoden à 50 Minuten auf 3 DVDs). Die  zweite Staffel wird zurzeit produziert.

 

 

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