Über Film und dieses & jenes

Schlagwort: Ingmar Bergman

Doku „Heimat Saarland – Unsere Kinogeschichten“

Preziosen aus der saarländischen Kinogeschichte - Autogrammkarten von Stars, die hier mal vorbei schauten. Foto: WP Films

Preziosen aus der saarländischen Kinogeschichte – Autogrammkarten von Stars, die hier mal vorbei schauten. Foto: WP Films

 

Wie klingen 100 Kinoklappstühle, die zugleich hochknallen – verbunden mit ein paar Schreckensschreien? Es muss ziemlich laut gewesen sein. Joseph Feilen kann sich noch bestens erinnern. Vor fast 50 Jahren war das, als der „Weiße Hai“ sich durch die deutschen Kinos fraß und das Publikum kollektiv aus den Sitzen springen ließ. „Das gibt es nur im Kino“, sagt der Filmfan in der Doku „Heimat Saarland – Unsere Kinogeschichten“.

Magie des Kinos beschwören

Der Homburger Regisseur Thomas Scherer („Unter Tannen“) und Klaus Ebert wollen mit ihrem halbstündigen Film zweierlei: einmal die Magie des Kinos beschwören und zugleich einen Blick werfen auf die Kinogeschichte des Saarlandes. 2022 hatten sie eine Doku über die Historie der Lichtspiele Wadern gedreht („Heimat Kino“) und da sozusagen die cineastische Spur aufgenommen. Scherer startete vor einem Jahr einen saarlandweiten Aufruf nach Erinnerungen an Kino-Erlebnisse. Groß war die Resonanz, die Saarland-Medien sagte Förderung zu, an acht Drehtagen führte er Interviews mit Experten, Kinofans und -betreibern, filmte in Kinos des Saarlandes.

So war es beim Günter Rohrbach Filmpreis in Neunkirchen

Eingebettet sind die Erinnerungen in eine Rahmenhandlung: Ein Klempner (Klaus Ebert) stolpert beim Saubermachen im Hinterzimmer eines Kinos über eine Filmrolle. Die ist unbeschriftet und so mysteriös wie eine aus dem Nichts auftauchende Dame (Katrin Larissa Kasper), die ihn auf die Suche schickt nach einem Projektor für die 35-Millimeter-Rolle. Erste Stationen sind das Union-Theater in Illingen und das Saarbrücker Kino Achteinhalb, in dem man einigen Zeitzeugen lauschen kann – nicht zuletzt einer Veteranin, um nicht zu sagen der großen alten Dame des saarländischen Kinos: Inge Theis, die mit ihrem Mann Günter Theis Filmtheater in Völklingen und in Saarbrücken betrieb, darunter die selige Camera an der Berliner Promenade. Im Film erinnert sie sich unter anderem an „das Geschäft ihres Lebens“, weder mit „Star Wars“ noch James Bond, sondern mit Ingmar Bergmans Drama „Das Schweigen“ von 1963. Dessen Erfolg führt Kinofan Feilen – da müssen Anhänger des schwedischen Meisterregisseurs stark sein – vor allem darauf zurück, „dass da jemand nackig zu sehen war“.

Erste Vorführungen ab 1896

Paul Burgard vom Saarländischen Landesarchiv und Kulturhistoriker Clemens Zimmermann erklären, wie schnell die Kinolandschaft im Saarland wuchs, schon ab Oktober 1896 flimmerten hier Filme, wenn auch nicht in Kinos, sondern in Gastwirtschaften, mit mobilen „Kinematografen“. In den Jahrzehnten danach folgten viele Kinobauten, die vor allem 1943/44 zerstört wurden. Nach dem Krieg hat sich die Filmtheaterlandschaft schnell wieder erholt, für Burgard „fast ein Husarenstück“; Kulturwissenschaftlerin Aline Maldener erwähnt die Praxis der französischen Nachkriegsverwaltung, viel gallische Filmware in den Kinos unterzubringen.

Eine Filmrolle ist „25 Kilo Glück“

In die Vorführpraxis geht es mit Kameramann und Regisseur Klaus Peter Weber, der in seinem gemütlichen Saarbrücker Eigenbau-Kellerkino im Keller von der Zeit erzählt, als er im Saarbrücker UT-Kino als junger Vorführer mit den komplexen Projektoren hantierte. Eine Filmrolle bedeute zwar „25 Kilo Glück“, sagt Weber, damals sei das Material aber noch buchstäblich brandgefährlich gewesen.

Der spätere Kameramann Klaus Peter Weber, damals 17 Jahre alt, vor seinem Streichholzmodell der „Brücke am Kwai“, das zum Filmstart im Saarbrücker Union-Theater ausgestellt wurde.

Auch eine Kinogeschichte: Der spätere Kameramann Klaus Peter Weber, damals 17 Jahre alt, vor seinem Streichholzmodell der „Brücke am Kwai“, das zum Filmstart im Saarbrücker Union-Theater ausgestellt wurde.​ Das Foto findet sich auch im famosen Buch „Filmrausch – Das Kinowunder im Saarland“. Foto: Klaus Peter Weber

 

Auch Kinobetreiber erzählen – Claudia Ziegler und Robert Haas von den Haas Filmtheater-Betrieben, Ingrid Kraus und Waldemar Spallek vom Kino Achteinhalb, das einst als Nebenraum in der Alten Feuerwache begann, Michael Krane und Anne Reitze von der Camera Zwo; sie alle machen deutlich, wie schön der Beruf sein kann – und wie schwierig. Zwei Kinos auf dem Land, die sich kommerziell nicht mehr trugen, wurden von rührigen Filmfans gerettet, die sie in Vereinsform weiterführen: die Lichtspiele Wadern und die Lichtspiele Losheim.

Hans Albers war zu Besuch

Das Saarbrücker Filmfestival Max Ophüls Festival wird thematisch angeschnitten, auch der Neunkircher Günter Rohrbach Filmpreis; in der Kürze der Laufzeit kann es da nicht in die Tiefe gehen, aber man erfährt viel über das Kino im Saarland – auch durch das illustrierende Fotomaterial, das teilweise aus dem Buch „Filmrausch – Das Kinowunder im Saarland“ stammt, herausgegeben von Gabi Hartmann, Burgard und Weber, die im Film dabei sein. Die betagten Bilder beschwören eine Zeit herauf, in dem die Filmtheaterdichte hier deutlich höher war, wo Stars wie Hans Albers, Marianne Koch oder Gustav Knuth zu Premierenbesuch kamen, und wo ein erotisch unterfütterter Klamauk wie „Frau Wirtin hat auch einen Grafen“ 1968 seine Welturaufführung in Saarbrücken erlebte.

Diese halbe Stunde Film ist sehr schnell vorbei, am Ende wird auch das Rätsel der Filmrolle gelöst; man kann sich problemlos eine doppelte Laufzeit ohne Längen vorstellen – vielleicht kann man auf eine erweiterte Version hoffen, genug Material ist bei den Interviews sicherlich angefallen. Regisseur Scherer hofft derweil, dass „Heimat Saarland – Unsere Kinogeschichten“ der Auftakt sein könnte zu Dokus über weitere Themenschwerpunkte – der Filmemacher will „mit Zeitzeugen sprechen und saarländische Schätze festhalten, bevor niemand mehr da ist, um diese Geschichten zu erzählen“.

Infos unter www.wp-films.de

Farö, bittersüß: „Bergman Island“ von Mia Hansen-Løve

Vicky Krieps als Chris, Tim Roth als Tony. Weltkino Bergman Island

Vicky Krieps als Chris, Tim Roth als Tony. Foto: Weltkino

Man kann das Beziehungs-Schicksal auch herausfordern. Will man wirklich seinen Sommerurlaub auf der Insel Farö in jenem Haus verbringen, wo Ingmar Bergman Teile seines Films „Szenen einer Ehe“ drehte? Ein Werk, das Millionen Paare dazu brachte, sich scheiden zu lassen, wie es im Film „Bergman Island“ heißt? Das Künstlerpaar Chris und Tony (Vicky Krieps und Tim Roth) lässt sich nicht abschrecken. Im Gegenteil: Hier wollen sie einen Sommer lang leben und arbeiten – sie ist Drehbuchautorin, er Drehbuchautor und Regisseur. Er will etwas schreiben über jenes „Unsichtbare“, was zwischen Liebenden zirkuliert, und kommt mit der Arbeit gut voran. Sie dagegen quält sich mit ihrer Geschichte, in der es auch um Liebe geht. Zudem sei die „Ruhe und Perfektion hier bedrückend“.

Zu Beginn ist „Bergman Island“ ein trügerisch leichter Film. Chris und Tony leben sich schnell ein in diesem malerischen Flecken in der Ostsee. Während der Wind zart durch die Bäume streicht, schreibt er im Haus, sie in der Mühle nebenan, bei der Arbeit können sie sich zuwinken, abends können sie sich austauschen. Doch die Künstler- und Ehe-Idylle ist nicht ganz so stabil, wie es den Anschein hat, auch wenn das nicht ausgesprochen wird – es sind die kleinen Blicke und Gesten, die eine gewisse Spannung unter der Oberfläche verraten. Hat diese Ehe ihre erste romantische Sturm-und-Drang-Phase hinter sich und steuert nun ruhigere Gewässer an – wobei Chris dafür im Gegensatz zu ihrem Jahrzehnte älteren Lebenspartner etwas zu jung wirkt? Und welche Wirkung hat der Umstand, dass Tony im Filmgeschäft deutlich etablierter ist als seine Frau?

Das Alles lässt die französische Autorin und Regisseurin Mia Hansen-Love behutsam anklingen, formuliert es filmisch aber nicht überdeutlich aus. Vieles bleibt ungesagt, ist aber spürbar. Wunderbar ist es, wie die Luxemburger Schauspielerin Vicky Krieps ihre Figur zwischen jugendlicher Stärke und einer gewissen Unsicherheit anlegt, während Tim Roth seinen Autor in einer Grauzone zwischen gesetzter Selbstsicherheit und  leichter Arroganz platziert.

Film-Im-Film

Diesem Tony fehlt das letzte Fünkchen wortwörtliches Mitgefühl, als Christine ihm von ihren Schreibqualen angesichts ihres Drehbuchs erzählt – worin es darin geht, erzählt „Bergman Island“ in einer überraschenden Film-im-Film-Konstruktion. Plötzlich geht es, ebenfalls auf Farö, um eine andere Liebesgeschichte: Da trifft die Filmemacherin Amy (Mia Wasikowska) ihre alte, aber verflossene Liebe Joseph (Anders Danielsen Lie) bei einer geplanten Hochzeit auf der Insel. Die alten Gefühle köcheln schnell wieder, es folgt das Absehbare: Annäherung, Liebesschwüre, eine gemeinsame Nacht, dann prompt Zweifel, Schuldgefühle, Verlassenwerden, Tränen.

Mia Wasikowska und Anders Danielsen Lie in "Bergman Island".

Mia Wasikowska und Anders Danielsen Lie im Film-im-Film. Foto: Weltkino

Diese Liebesgeschichte ist trotz aller Liebesglut weniger interessant als die Hauptgeschichte: Diese beiden (Amy und Joseph) möchte man bei ihrer wortreichen, aber etwas banalen Liebes- und Sinnsuche („Warum sie, warum nicht ich.“ – „Ich weiß es nicht. So ist das Leben.“) mal an den Schultern packen, ordentlich durchrütteln und ihnen raten, sich klarzumachen, was sie eigentlich wollen, und dementsprechend zu handeln. Da verliert „Bergman Island“ vorübergehend etwas von seiner Kraft, schlägt aber einen eleganten (und überraschenden) Bogen zurück zu Tony und Chris – und bleibt dabei weiter reizvoll zurückhaltend.

Und Ingmar Bergman, der große Schwede, der auf Farö lebte, arbeitete, starb und sein Haus plus Heimkino einer Stiftung überließ? Dem huldigt der Film in gewisser Weise – sein Werk mit einem gnadenlosen Blick auf die menschliche Natur und die Liebe strahlt durchaus ab, aber es geht auch um die Rolle der Kunst in einer Familie. Bergman, fünfmal verheiratet, hatte neun Kinder mit sechs Frauen, eine Tochter erfuhr erst spät, wer ihr Vater ist; ein Familienleben interessierte ihn weniger als Filmemachen. „Kann man nicht gleichzeitig ein großes Werk schaffen und sich trotzdem um seine Familie kümmern?“, fragt Autorin Chris im Film – beantwortet von kollektivem Achselzucken und dem Hinweis, wenn man Film und Theater macht, könne man eben keine Windeln wechseln. Ob man das bei einer Regisseurin auch so gesehen hätte? „Bergman war im Leben so grausam wie in seinen Filmen“, heißt es im Film.

Los geht’s auf „Bergman-Safari“

Im Werk von Bergman, der posthum auf der Insel ein Hochkulturtourismus-Magnet mit einer jährlichen „Bergman-Safari“ ist, muss man sich dennoch nicht auskennen, um „Bergman Island“ zu schätzen. Vielleicht macht sich die Regisseurin ja auch ein bisschen lustig über die oft tränenschweren Werke des Schweden, wenn das Verlieren bei einem Brettspiel zu Sätzen führt wie „Du magst es eben nicht, wenn Dir die Dinge entgleiten“. Auch muss man nicht zwingend wissen, dass dieser bittersüße Film starke autobiografische Bezüge zur Regisseurin/Autorin  Mia Hansen-Love und ihrer Beziehung zum Kollegen Oliver Assayas („Die Wolken von Sils Maria“) besitzt. Die Geschichte von Chris und Tony trägt auch so – bis zum letzten Moment, einem vielsagenden Blick.

Alter Schwede: Buch über Regisseur Victor Sjöström

 

Victor Sjöström

 

Ingmar Bergman? Sicher, der fällt einem ein, denkt man an schwedische Regisseure. Dann womöglich Carl Theodor Dreyer – bevor man merkt, dass der kein Schwede, sondern Däne war. Aber Victor Sjöström? Der wird wohl nur noch reiferen Cineasten oder Stummfilmkennern bekannt sein; der schwedische Regisseur und Schauspieler (1879-1960) ist heute weitgehend vergessen.

Dem will der Filmwissenschaftler Jens Dehn mit dem ersten deutschsprachigen Band über Sjöström entgegenwirken; der ist zugleich die erste Buchveröffentlichung des rührigen Saarbrücker 35-Millimeter-Verlags, der sich seit einigen Jahren mit dem Magazin „35 Millimeter“ der Frühzeit des Kinos widmet: dessen ersten 70 Jahren.
Im Buch „Victor Sjöström – Film can be Art“ zeichnet Dehn eine oft bewegte Biografie nach: Geboren wird Sjöström im schwedischen Hinterland, zieht als Kleinkind mit in die USA, die Mutter stirbt früh; nach Spannungen mit seiner Stiefmutter wird er zurück nach Schweden geschickt, schließt sich einer übers Land fahrenden Theatertruppe an, findet so zum jungen Kino und zur Filmregie. Mit kraftvollen Naturbildern, die das Innenleben der Figuren widerspiegeln, etwa im Film „Der Fuhrmann des Todes“ (1921), wird er zu einem prägenden Regisseur. Hollywood ruft, wo Sjöström – unter dem Namen Victor Seastrom – einige Filme dreht, darunter 1926 „Der scharlachrote Buchstabe“. Die Kritiker sind meist begeistert, die Kinos aber nicht immer gut gefüllt, 1930 geht Sjöström zurück nach Schweden, finanziell durch US-Gagen abgesichert, verunsichert aber durch den Tonfilm – fortan arbeitet er lieber als Produzent und als Schauspieler. Den großen Abschied vom Kino nimmt er mit einer Altersrolle 1957 im Film „Wilde Erdbeeren“ von Ingmar Bergman, der Sjöström stets einen großen Einfluss nannte.

Victor Sjöström

Von diesem reichen Künstlerleben und den Filmen (viele von ihnen sind mittlerweile verloren gegangen) erzählt Dehn klar und schnörkellos; er findet eine gute Balance aus Biografie, Filmbeschreibung und Interpretation. Dass der Käuferkreis dieses Buchs begrenzt ist, wissen Autor und Verlag gleichermaßen: Dehm spricht von Sjöström als „Nische einer Nische“. Umso verdienstvoller ist diese gelungene Veröffentlichung, deren Auflage auf 250 Exemplare limitiert ist. Das Buch ist nur über den Verlag erhältlich: www.35mm-retrofilmmagazin.de

Jens Dehn: Victor Sjöström – Film can be Art.
35 Millimeter Verlag, 148 S., 16, 95 €.

 

Victor Sjöström

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