Foto: Televisor Troika / Real Fiction Can and Me

Irmin Schmidt zu der Zeit von Can.   Foto: Televisor Troika / Real Fiction

 

Ein großes Glück, dass er beruflich nicht das wurde, was sich sein Vater so sehr gewünscht hat: Architekt. Mit Konstruktion und Form hat Irmin Schmidt dennoch lebenslang zu tun – als Musiker, Komponist, als umtriebiger Experimentierer, unter anderem als Gründer einer Band, die Musikgeschichte schrieb und auch im Ausland gefeiert wurde und wird: Can. Die Doku „Can and me“ widmet sich Schmidt, der im Film einen Satz sagt, der wie ein Lebensmotto klingt: „Kategorien interessieren mich nicht so doll.“ Hätten sie das getan, hätte er den flirrenden Can-Krautrock, Symphonisches, Elektroklänge und Filmmusik nicht derart mühelos unter einen (ziemlich großen) Hut bekommen. Mit Bildern eines Can-Konzerts in den 1970ern beginnt der Film: mit dampfenden Haschpfeifchen im Publikum, wallenden Haaren, Koteletten bis zum Schlüsselbein vor und auf der Bühne, mit hypnotisierenden Rhythmen. Dann ein harter Schnitt: Wir sind in der Provence, wo Schmidt, mittlerweile 85, in einem abgelegenen Haus lebt – die Lavendelbüsche rauschen im Wind, und Schmidt genießt das, was er morgens braucht, bevor er im Heimstudio an Klängen und Musik werkelt: Stille. „Für mich das wichtigste Geräusch.“

„Ich wollte es verstehen“

Mit Erzählungen Schmidts, Fotos und Archivaufnahmen blättert Filmemacher Michael P.  Aust das Leben des Musikers auf – beginnend mit Erinnerungen an Bombenangriffe (Schmidt ist Jahrgang 1937), an die Stimme Mussolinis im „Volksempfänger“ und die „Wunde meines Lebens“: Schmidts Vater ist zuhause ein „gütiger Mensch“, zugleich „Antisemit und Nazi“. Mit 14 verkauft Schmidt seine Spielzeugeisenbahn und schafft sich zwei Schallplatten an, von denen eine prägend wird für sein Leben: Strawinskys „Sacre de Printemps“, eine Komposition, die ihm Rätsel aufgibt: „Ich wollte es verstehen.“ Schmidts damaliger Berufswunsch: „Ein Dirigent, weltberühmt.“ Er studiert unter anderem bei Karlheinz Stockhausen, dessen Komposition „Gesang der Jünglinge“ ihn ebenso begeistert wie erschreckt.

Irmin Schmidt heute, mit Mitte 80. Foto. televisor Troika / Real Fiction

Irmin Schmidt heute, mit Mitte 80. Foto: Televisor Troika / Real Fiction

In dieser Zeit lernt er seine spätere Frau Hildegard kennen, die er ebenso als Feingeist beeindruckt wie durch Beweglichkeit – mit einem Flic Flac. Mittlerweile sind die beiden über 60 Jahre zusammen – und nebenbei ist „Can and Me“ auch ein berührender Film über die Langzeit-Liebe. Schmidts Karriere als Neuer-Musik-Feingeist im Rollkragenpulli scheint vorgezeichnet; doch bei einem Dirigierwettbewerb 1966 in New York findet er alles interessanter als den Wettbewerb selbst – zum Beispiel ein Treffen mit Komponist Steve Reich. In Schmidt brodelt es, „und aus diesem Brodeln entstand Can“.

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Über zehn Jahre ist der Band-Nukleus um Schmidt, Jaki Liebezeit, Holger Czukay und Michael Karoli zusammen, der Film zeigt Konzertmitschnitte und Interviews, auch aus den Filmarbeiten – darunter 1971 das Titelthema zum Krimi-Dreiteiler „Das Messer“, dessen Regisseur Rolf von Sydow die Musik nicht im Film haben will; die Rettung ist der Neunkircher Günter Rohrbach, damals ARD-Fernsehspielchef. Der entscheidet sich, so erinnert sich Schmidt: „Das bleibt.“

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Man hört ihm gerne zu

Die Single wird ein Hit, aber langsam „verbraucht sich die Spannung, die es für so eine Gruppe braucht“, gibt Schmidt zu. Can driftet auseinander, Schmidt wendet sich mehr der Filmmusik zu, schreibt für „Tatorte“ und Wim Wenders, komponiert eine Oper, unter anderem, weil seine Heilerin, die ihn von Kopfschmerzen erlöst, ihm das rät. „Gormenghast“ ist laut Schmidt ein Publikumserfolg, „aber die Kritiker fanden es Scheiße“. Nicht nur hier erweist sich Schmidt als Freund des Unverblümten und des Unprätentiösen – ein großes Pfund für diese Doku. Diesem Herrn mit der Ausstrahlung eines lässigen Onkels oder Großvaters, hört man sehr gerne zu – ebenso wie seiner Frau, die sich bei Can um Organisation und Finanzen kümmerte, jetzt in der Provence das Unternehmen leitet – zum Beispiel, wenn es darum geht, alte Can-Aufnahmen durch Remix-Veröffentlichungen, etwa von Westbam oder Brian Eno, einem neuen Publikum nahezubringen. Melancholisch stimmt dabei, dass Schmidt der einzige noch lebende Can-Gründer ist; seine alten Kollegen sieht man im Film noch in Interviews, aber sie sind schon einige Jahre tot. Schmidt ist quicklebendig und bastelt in der Provence weiter an Klängen: In den letzten Bildern von „Can and Me“ durchsucht er Schubladen in seinem Studio – und klemmt dann Schrauben zwischen die Saiten seines Flügels.