Mads Mikkelsen Helden der Wahrscheinlichkeit

Die Rache-Gang von links: Otto (Nikolaj Lie Kaas), Emmenthaler (Nicolas Bro), Lennart (Lars Brygmann) und Markus (Mads Mikkelsen). Foto: Weltkino

Obacht – vom Trailer sollte man sich nicht täuschen lassen. Der lässt einen bleihaltigen Rachefeldzug vermuten, als wolle Mads Mikkelsen den Karriereweg von Liam Neeson beschreiten und zum grimmigen Actionhelden mittleren Alters mutieren. Doch „Helden der Wahrscheinlichkeit“ ist dann doch ein ganz anderer Film: Um Trauer und Traumata geht es, um Familie und gegenseitige Hilfe, um nichts weniger als den Sinn des Lebens – filmisch verpackt in ein Werk, das von einem auf den anderen Augenblick umschlagen kann: von düsterem Drama zum knochenharten Actionfilm, von schwarzer Komödie zu einer philosophischen Betrachtung des Menschseins. Wie der dänische Autor und Regisseur Anders Thomas Jensen das zusammenbringt (und schlüssig zusammenhält), ist schon eine große Kunst.

„Sie hat einfach aufgehört, zu existieren“

Bei einem Zugunglück stirbt die Frau des dänischen Soldaten Markus (Mikkelsen) und Mutter der jungen Mathilde. In ihrer gemeinsamen Trauer ist der Vater keine Hilfe für die Tochter, die er ohnehin – wohl durch seine oftmalige Abwesenheit – nicht wirklich kennt. Psychologische Hilfe lehnt er ab, denn „Fremde stören nur“; mehr als die Tochter zum Joggen zu bewegen, damit sie nicht pummelig wird, fällt ihm auch nicht ein. In einer intensiven Dialogszene macht er ihr seine Weltsicht recht barsch klar: Die Mutter sei jetzt in keiner besseren Welt, sondern „sie hat einfach aufgehört, zu existieren“. Und es gebe weder Gott noch irgendeine Bestimmung oder einen tieferen Grund für den Tod der Ehefrau; alles sei letztlich zufällig und ohne Sinn. Für Markus sind das schon viele Worte, denn am ehesten drückt er sich durch Aktion und Gewalt aus, die Teil seines Berufs ist  – den Freund der Tochter schlägt er im Affekt, sein Versuch der Entschuldigung ist vielsagend ignorant: „Ich hätte nicht so hart zuschlagen sollen.“

Rache ist grausig

Zwei Besucher brechen Markus‘ Trauerstarre zumindest ein wenig auf. Die verhuscht wirkenden Wissenschaftler Otto und Lennart, fasziniert von Statistiken und beseelt von der Idee, das Leben mit Zahlen irgendwie berechenbar zu machen, haben eine Theorie: Das Zugunglück war kein Unfall, sondern herbeigeführt – im Zug saß der Abtrünnige eines kriminellen Rocker-Clans mit dem ironischen Namen „Riders of Justice“ (so heißt der Film auch international), der gegen die Bande in einem Prozess aussagen wollte. Also ein Anschlag der Rockerbande? Die Idee erhärten Otto und Lennart mit ein paar mehr oder weniger stichhaltigen Indizien, und Markus tut, was er am besten kann – Gewalt ausüben. Umgehend ist der erste Rocker tot, die Bande schlägt zurück. Das Spiel der Gewalt ist eröffnet und beschert dem Film einige kurze, aber drastische Actionszenen, wobei sich nicht das Gefühl der Genugtuung wie in anderen Filmen mit Rache-Thematik einstellen will. Markus` Rache ist nicht süß, sondern grausig.

Schicksals-WG der verwundeten Seelen

Zugleich geschieht etwas anderes: In Markus‘ Haus wächst langsam eine Art Schicksals-WG der verwundeten Seelen zusammen. Die beiden Wissenschaftler, zusammen mit einem übergewichtigen und extrem cholerischen Kollegen, werden so etwas wie notwendige Ersatzväter für die trauernde Tochter. Mit im Bunde ist auch ein eher zufällig aus den Fängen der Bande befreiter Strichjunge, der sich nun als eine Art Au-Pair-Hilfe betätigt. Da kehrt so etwas wie Frieden ein in dem Haus, wo sich vorher wortlose Trauer breitmachte. Herzerwärmend ist das, aber Autor/Regisseur Jensen überzieht es nicht ins Gefühlige. Seine allesamt vom Schicksal gebeutelten Figuren, einige von ihnen in ihrer sozialen Inkompetenz dann doch eher mögens- denn liebenswert, finden nicht das große Glück, aber zumindest wieder halbwegs zurück ins Leben. Das ist aus der Sicht des Films eine ganze Menge, auch aus der Sicht von Markus, der sich am schwersten tut mit dieser neuen Familie der Angeschlagenen. Er muss sich ohnehin um die Rocker kümmern, die den neuen Frieden stören wollen.

„Arctic“ mit Mads Mikkelsen

Folgt das Leben einer bestimmten Ordnung? Oder ist alles nur Zufall, mal glücklich, mal tragisch? Und falls ja – macht das das Leben an sich sinnlos? Darum geht es letztlich in diesem exzellent gespielten Film, der nicht vorgibt, die letzten Antworten zu kennen. Nur eines im Leben ist eine Gewissheit: Mads Mikkelsen trägt im Finale den bizarrsten Skandinavier-Pulli der Filmgeschichte.

TV-Termin: In der Nacht von 19. auf 20. Januar, 0.15 Uhr, bei Bayern 3. Aktuell in der Mediathek der ARD.
DVD und Bluray bei Splendid Film.