Film und dieses & jenes

Schlagwort: Tanz

Vater, Tochter, Cowboystiefel – „Die Rumba-Therapie“ von Franck Dubosc

Nachbarin Fanny (Marie-Philomène Nga) bringt Tony (Franck Dubosc) ein wenig Rumba bei – sonst landet er nicht in dem Tanzkurs, den seine Tochter leitet, die ihn noch nie gesehen hat. ​ Foto: Neue Visionen

Der französische Film „Die Rumba-Therapie“ erzählt von einer ersten späten Begegnung zwischen Vater und Tochter – und noch vom Tanzen und einem Wettbewerb. Zu viel des Guten?​

Armer Tony. Vom großen Lebenstraum Amerika sind nur ein Tattoo auf dem Arm und ein Paar Cowboystiefel geblieben, die an ihm rührend und ein bisschen lächerlich aussehen. Statt auf dem Motorrad die Route 66 entlang zu brummen, tuckert der Mittfünfziger morgens mit dem Schulbus irgendwo bei Paris herum. Immerhin: Die Kinder mögen ihren brummigen Fahrer, der ihnen amerikanische Flüche beibringt. Zu Hause flucht er im Unterhemd über das Fernsehprogramm (zu wenig Kriegsfilme, zu viel Eiskunstlauf) und tröstet sich mit der Kombination aus fettem Abendessen, Flaschenbier und Nikotin. Da kommt ein Herzanfall auf der Toilette im Busdepot wenig überraschend. Mit dem knapp verpassten Tod im Hinterkopf fasst Tony einen Plan: Er will seine heute erwachsene Tochter kennenlernen, die er damals im Stich ließ und die er noch nie gesehen hat.​

Man kann es sich denken – die Komödie „Die Rumba-Therapie“ erzählt die Geschichte einer Läuterung und lässt den unterkühlten Brummbär Tony mit Herzenswärme auftauen; doch Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller Franck Dubosc, ein in seiner Heimat ziemlich populärer Franzose, verbindet das Ganze noch mit dem Genre des Tanzfilms: Am Ende geht es nicht nur um eine Vater-Tochter-Zusammenführung, sondern auch um einen Wettbewerb der schwingenden Tanzbeine.​

Michel Houellebecq als „Doktor Mory“​

Genau die stehen dem Film in seinem letzten Drittel manchmal im Weg – doch bis dahin ist „Die Rumba-Therapie“ (im Original heißt er etwas weniger medizinisch „Rumba la vie“) immer wieder hinreißend, nicht zuletzt wegen Duboscs Dialogen und angeschrägten Figuren. Wenn Tony im Krankenbett den einsamen Wolf gibt und Sätze verkündet wie „Keine Familie, keine Freunde – an meinem Grab soll niemand weinen“, antwortet ihm sein Arzt „Aber das Grab muss ja jemand in Auftrag geben“ – die kernig männliche Einsamkeit hat ihre praktischen Grenzen. Den Mediziner spielt Schriftsteller Michel Houellebecq mit schlurfigem Charme, quer über die Halbglatze drapierten Haaren und hinterlistigen Sätzen wie „Sie haben das Herz eines jungen Mannes – das eines kranken jungen Mannes.“​

„Das liegt Euch doch im Blut“​

Tonys Tochter Maria (Louna Espinosa) leitet einen Rumba-Kurs, in den er sich einschleichen will (unter dem schön-schrecklichen Namen Kevin Sardou), um seine Offenbarung als Vater vorzubereiten. Doch Maria nimmt im Kurs keine Anfänger auf, und so kreuzt Tony erstmal bei seiner schwarzen Nachbarin auf, um sich Rumba erklären zu lassen, „denn das liegt Euch doch im Blut“. Pseudo-wohlmeinender Rassismus bleibt Rassismus, auch das wird Tony noch lernen. Die Nachbarin revanchiert sich: „Können wir uns duzen? Deine Vorfahren haben ja meine Vorfahren ausgepeitscht.“​

Volker Schlöndorff über Alain Delon

Die Annäherung zwischen Vater und Tochter ist durchaus anrührend und bringt Überraschungen mit sich – erst glaubt die junge Frau, der angegraute Tony stelle ihr amourös nach; und dann, als sie die Situation längst durchblickt, gibt sie sich ahnungslos und tut, als wüsste sie nicht, wer er ist, und habe sich in ihn verliebt, was ihn Höllenqualen leiden lässt – vielleicht eine minimale Rache dafür, dass er sie als Vater einst im Stich ließ.​

Es geht nach Blackpool​

Das Trauma eines verlassenen Kindes will der Film sicherlich nicht ausloten, Dubosc hat Wohlfühl-Kino im Auge. Das gelingt ihm – bis zur Offenbarung der Vaterschaft ist der Film eine flotte, charmante, bittersüße Mischung aus persönlicher Geschichte, ein wenig Tanz und Lebenslektionen wie „Lass Dein Herz sprechen“. Das aber verschiebt sich im letzten Drittel – ins britische Blackpool geht es, wo eine internationale Tanzmeisterschaft ansteht, wohin die Tochter den Vater als Partner mitnimmt. Was dort geschieht, wird nicht verraten – aber es ist jene Art von Kino-Situation, die sich ganz anders und weniger kompliziert entwickeln würde, wenn die Hauptfiguren darüber einfach mal ein, zwei Sätze miteinander redeten. Da scheint Drehbuchautor Dubosc etwas die Luft ausgegangen zu sein.​

Eine schreckliche Komödie: „Das Nonnenrennen“

Dennoch bleibt man im Kino gerne mit diesen Figuren zusammen, die der warmherzige Film in seiner famosen ersten Stunde so berührend in Szene gesetzt hat – auch abseits der Hauptrollen. Ausgerechnet der von Houllebecq gespielte Mediziner mit dem schönen Namen Mory, was an „mourir“ gemahnt („Sie rauchen? Sehr schön, dann sehen wir uns bald wieder“), sagt den Satz, der die Botschaft des Films gut zusammenfasst: „Allein sind wir nichts.“​

„Das Leben ein Tanz“ von Cédric Klapisch – gibt es ein Leben nach dem Tutu?

Élise (Marion Barbeau) vor dem letzten Auftritt als Ballerina. Foto: Studiocanal  

Élise (Marion Barbeau) vor dem letzten Auftritt als Ballerina. Foto: Studiocanal  

Das schmerzhaft laute Krachen im Knöchel ist ein Schock – nach so viel Wohlklang, nach so viel Anmut, nach so viel wallenden Tutus. Erst einmal nimmt uns der Film, was man sich trauen muss, eine knappe Viertelstunde lang dialogfrei mit zu einer klassischen Tanzaufführung von „La Bayadère“. Die fließende Bewegung der Kamera führt hinter und auf die Bühne, zeigt die junge Elise beim Tanzen, beim Warten auf den nächsten Einsatz, beim Nachschminken der Garderobe.

„Entweder das – oder Sie tanzen nie wieder“

So mitreißend beginnt „Das Leben ein Tanz“, als Zelebrierung von Bewegung und Körperkunst – bis zu jenem falschen Auftreten von Elise nach einem großen Sprung. Die Knöchelverletzung verändert das Leben der Künstlerin auf einen Schlag; zugleich ist ihr Freund, ebenfalls beim Ballett, gerade aus ihrem Leben getänzelt, konnte sie ihn doch hinter der Bühne turteln sehen – just vor ihrem fatalen Sprung. Eine lange Tanzpause soll Elise nun einlegen, sagt ihre Ärztin, „entweder das – oder Sie tanzen nie wieder“. Für das hoffnungsvolle Talent ist der lange gehegte Lebenstraum erst einmal vorbei. Für die Erschütterte ist ihr Vater nicht die stabilste Stütze, hatte er ihr doch immer ein Jurastudium statt einer Tanzkarriere nahegelegt. Er ist ein Mann der vielleicht liebevollen Distanz, aber eben doch der Distanz. Und die Mutter, die Elise einst zu den Ballettstunden brachte, ist schon vor einigen Jahren gestorben.

Es geht in die Bretagne

Was tun – wenn man nicht mehr das tun kann, was man liebt? Elise verlässt Paris, um zur Ruhe zu kommen, und arbeitet bei einem Foodtruck einer alten Ballettkollegin: In der Bretagne schält sie Gemüse für eine Compagnie, die in einer Mischung aus Schlösschen und ländlichem Kulturzentrum zeitgenössischen Tanz probt. Leicht ist es nicht für sie, den Kolleginnen und Kollegen zuzuschauen, ohne selber tanzen zu können; doch sie findet Freundinnen, Freunde, eine neue Liebe – und möglicherweise einen Weg aus ihrer Krise.“

„Die Rumba-Therapie“ von Frank Dubosc

„Das Leben ein Tanz“ ist ein sehenswerter Film, denn die exzellente Machart triumphiert über den simplen Plot. Problemlos könnte man die Geschichte der gestrauchelten Tänzerin, die sich wieder hochrappelt und das Glück findet, nach Hollywood transportieren – als hochkommerzielles Tanz-Selbstfindungs-Melodram mit aufbauenden „Lebe Deinen Traum“-Dialogen. Der große Reiz von „Das Leben ein Tanz“ liegt nun darin, dass Regisseur Cédric Klapisch („L’Auberge Espagnole“, „So ist Paris“) eine potenziell kitschige Geschichte nahezu unkitschig auf die Leinwand bringt. Nicht zuletzt dank seiner jungen Hauptdarstellerin Marion Barbeau, Jahrgang 1991, seit 2018 Erste Tänzerin des Balletts der Pariser Oper. In ihrer ersten Filmrolle zeigt sie eine frische Natürlichkeit und trägt den Film mit ihrer Darstellung – und eben mit ihrer Tanzkunst. Anders als in vergleichbaren Filmen muss der Regisseur für die Bühnenszenen kein Double einsetzen, ein großer Gewinn.

Die zeitgenössische Tanzcompagnie im Film ist eine reale – die des Choreografen und Komponisten Hofesh Shechter, was dem Film eine gewisse Authentizität mitgibt, auch wenn Regisseur und Co-Autor Klapisch, der es seinem Publikum nicht unnötig schwer machen will, Begleiterscheinungen von Bühnenarbeit ausblendet: Hier gibt es keine Rivalität, keine geblähten Egos, keine Eifersüchteleien. Die Künstlerinnen und Künstler lieben vor allem den Tanz, genau wie der Regisseur, der ihn in einigen mitreißenden Szenen einfängt. Zwischendurch diskutiert die Truppe, ob das klassische Ballett nicht von gestern sei, ob man Tutus endgültig einmotten sollte. Die Antwort darauf ist die wundersame Szene eines klassischen Tanzes in der Küche, zwischen dem Herd und frisch geschältem Gemüse.

Manche Gefühlswirren wirken dramaturgisch etwas unterentwickelt, etwa wenn Elise umgehend und nahezu dialogfrei eine neue Liebe findet; oder wenn sie das etwas distanzierte Verhältnis zum Vater angeht, der ihr, wie sie ihm vorwirft, nie gesagt habe, dass er sie liebt. Das wäre blanker Arthouse-Kitsch, wäre es von Marion Barbeau und Dénis Podalydès nicht so gut gespielt. Der Vater wird aller Distanz zum Trotz noch eine Träne vergießen, wenn der Film mit einer grandiosen Ausdruckstanz-Sequenz endet. „Das Leben ein Tanz“ ist ein Liebesbrief an den Tanz, egal ob klassisch und modern – und zugleich ein Wohlfühlfilm, der einem die Gefühligkeit nicht aufdrängt.

DVD bei Studiocanal.

© 2024 KINOBLOG

Theme von Anders NorénHoch ↑