Film und dieses & jenes

Monat: Dezember 2016 (Seite 3 von 3)

Er meint es ja nur gut – „Nichts passiert“ mit Devid Striesow

Devid Striesow

 

Kein Wunder, dass der Film in der Gesprächstherapie beginnt. „Ein normaler, netter Mann“ sei er, sagt der Familienvater Thomas Engel zu seiner Psychologin. Dabei klimpert er unschuldig mit den blauen Augen von Devid Striesow, der ihn spielt und seiner Galerie vielschichtiger Figuren eine neue hinzufügt.

Konflikte umlächelt Thomas weiträumig; man kann ja, das scheint seine Lebensthese zu sein, über alles reden, alles klären und aus der Welt schaffen. Universell biegsam ist sein Rückgrat, was seine Gattin (Maren Eggert) zunehmend anödet. Einen gemeinsamen Winter-Urlaub tritt das Paar dementsprechend schmallippig an, viel zu sagen hätte man sich (tut es aber nicht); Thomas kümmert sich lieber um seine pubertierende Tochter und die Tochter seines Chefs, die er mit in die Schweiz genommen hat, wo seine Nettigkeit allerdings an ihre Grenzen stößt: Die Tochter des Chefs wird vom Sohn des Ferienhaus-Vermieters vergewaltigt, Thomas kümmert sich um das Mädchen und versucht gar, damit alles geregelt ist, eine Versöhnung zwischen Opfer und Täter anzubahnen: „Und jetzt gebt Euch die Hände.“ Doch seine Strategie des ewigen Glattbügelns scheitert dramatisch.

Der Film „Nichts passiert“ vom Schweizer Micha Lewinsky (Buch/Regie) spielt mit ruhiger Konsequenz und vor trügerisch heimeliger Schneekulisse durch, wie sich die Hauptfigur beim Vertuschen und Glattbügeln in Widersprüche verstrickt, immer neue Lügen auftischen muss, bis sich der aufgestaute Druck entlädt – dies auch im Ehebett, in einer hintersinnigen Szene.

Der Film dreht sich ganz um Striesow, der in nahezu jeder Szene zu sehen ist mit seiner Gabe, Alltags-Jedermänner mit unerwarteten Abgründen zu spielen. So sehr man anfangs Thomas‘ konfliktscheue Lebensstrategie verstehen kann, so brutal wirkt sie, wenn er angesichts einer Vergewaltigung rät, man müsse „das Problem von beiden Seiten sehen“, und das Opfer subtil unter Druck setzt, sich den Gang zur Polizei noch einmal zu überlegen. Da gruselt man sich vor diesem Jedermann, verliert aber nie ganz das Verständnis für ihn, was den Film immer wieder beklemmend macht. Denn seine Ruhe haben zu wollen und dafür einiges zu tun, dessen man sich schämen muss, ist allzu menschlich.

Erschienen auf DVD bei Lighthouse Entertainment.

Filmsynchronisation – ein gutes Buch zum Thema

filmsynchronisation

Als werkgetreu und quasi gottgegeben nehmen die meisten Kinogänger die Synchronisation eines Films hin. Aber vergleicht man Originalton mit deutscher Fassung, muss man immer wieder staunen: schlechtestenfalls über anders klingende Stimmen, über Verfälschungen, ob nun aus Unvermögen, Schludrigkeit, kommerziellen Gründen oder gar politischen. Es überrascht, dass das Thema in der hiesigen Kino-Publizistik bisher keine große Rolle spielt; der Saarbrücker Filmwissenschaftler Nils Daniel Peiler legt mit dem Kollegen Thomas Bräutigam den ersten wissenschaftlichen Sammelband über Synchronisierung vor. Sein Titel „Film im Transferprozess“ klingt etwas sperrig, das Buch ist aber eine gelungene Sammlung von Aufsätzen, die verschiedene Facetten beleuchten: etwa die grundlegende Frage, warum Filme bei uns fast nur synchronisiert zu sehen sind – anders als in anderen europäischen Ländern. Der Grund liegt in der deutschen Nachkriegsgeschichte, wie Bräutigam erläutert: Die Siegermächte setzten bei der „Reeducation“ vor allem auf das Medium Film und synchronisierten durchweg, weil diese Fassung für das avisierte Publikum die leichtestverdauliche war. Die Russen waren dabei die schnellsten, im Juni 1945 erhielt der erste russische Film eine deutsche Fassung, „Iwan, der Schreckliche“ – unter der Leitung übrigens des Saarbrücker Regisseurs Wolfgang Staudte. Dass prägnante Stimmen in dieser Zeit mehr zählten als die politische Vergangenheit, zeigt sich am Beispiel von Harry Giese, der schnarrenden Stimme der Nazi-„Wochenschau“; nun avancierte er im Ost-Sektor zum gesuchten Sprecher für sowjetische Filme.

Zwei weitere der insgesamt 13 Aufsätze beschäftigen sich mit den Grundlagen der Synchron-Historie und -Arbeit, die vieles gleichzeitig lösen muss: Der Übersetzungstext muss sprachlich nah am Original sein, zudem sollen die Worte zu den Lippenbewegungen der Schauspieler passen. Die anderen Texte schwärmen in die verschiedenen Nischen aus: Da geht es um den Disney-Verleih, der einige seiner Filme, vor allem „Schneewittchen“, einige Male hat neusynchronisieren lassen, um sie dem jeweiligen Zeitgeist besser anzupassen. Um die schwierige Übertragung von Wortwitzen und-neuschöpfungen bei den „Simpsons“ geht es ebenso wie um bewusste Verfälschungen – etwa in einer „Columbo“-Folge, in der ein Mann (in der US-Fassung) mit seiner Vergangenheit als SS-Mann erpresst wird – in der deutschen Fassung als Bankräuber (!).
Politische Befindlichkeiten, kommerzielle Erwägungen, Kostendruck, das Problem einer adäquaten Übersetzung – die Synchronisation ist eine schwierige Kunst, die weitgehend im Verborgenen entsteht. Gut, dass dieser Band zu ihrer bisher stiefmütterlichen Erforschung beiträgt.

Thomas Bräutigam/Nils Daniel Peiler (Hrsg.): Film im Transferprozess. Schüren, 300 Seiten, 24,90 Euro.

 

Pariser Terrorzelle: der Krimi „Made in France“

 

Terror Made in France

 

In Paris gründet sich eine Terrorzelle und plant einen Anschlag aufs Herz der Stadt. Der französische Film „Made in France“, gedreht vor den Anschlägen in Paris, erscheint bei uns auf DVD.

Zwei Mal hat das reale Morden diesen Film über islamistischen Terror eingeholt: 2014 gedreht, sollte „Made in France“ im Januar 2015 in Frankreich starten, wurde dann aber angesichts der Morde in der Redaktion von „Charlie Hebdo“ verschoben – auf den November. Da geschahen die Anschläge von Paris, der Start des Films wurde auf unbekannt verschoben, ins Kino der Nachbarn kam der Film dann gar nicht mehr und erschien nur auf DVD, so wie jetzt bei uns.

Der Film von Nicolas Boukhrief, dem 2004 mit „Cash Truck“ ein finsterer Krimi gelang, ist eine merkwürdige Seh-Erfahrung: Vor dem Hintergrund des realen Terrors ist er beklemmend, als Film schnörkellos inszeniert, als Unterhaltung enorm spannend – und doch bleibt er letztlich unbefriedigend. Der investigative Journalist Sam (Malik Zidi), ein Mann mit muslimischen Wurzeln, arbeitet an einer Reportage und lebt sich in einer islamistischen Gruppe in einem Pariser Vorort ein; er besucht die Moschee, in der gegen westliche Dekadenz gepredigt wird und der dehnbare Satz fällt: „Mord ist verboten – es sei denn, er dient einem gerechten Zweck“. Sam freundet sich mit einigen Jugendlichen an, die die Rückkehr eines der ihren sehnsüchtig erwarten: „Hassan ist wieder da“. Der heißt bürgerlich eigentlich Pelletier, erzählt von seiner Ausbildung in Pakistan und davon, dass er hier in Paris eine Terrorzelle errichten soll. Mit heiligem Ernst sind die Jugendlichen dabei, auch zum Schein der Journalist. Hassan, die charismatische Führerfigur, weiht die Gruppe beim Waffenkauf in die Kunst des Mordens ein – es gibt die ersten Tote. Als der Journalist sich der Polizei anvertraut und aussteigen will, zwingt die ihn, weiter in der Gruppe zu bleiben, da sie unbedingt an die Befehlsgeber der Terrorzelle herankommen will. Sam bleibt dabei, in ständiger Angst, während Hassan das Ziel eines Bombenanschlags verkündet: die Champs-Élysées, an einem Samstag, wenn der Boulevard besonders überlaufen ist.

Die Angst des Eingeschleusten vor der Enttarnung, die knapp werdende Zeit – diese klassischen Elemente des Spannungskinos werden souverän genutzt. Und doch hätte der Film mit seinen kompakten 89 Minuten gerne eine halbe Stunde länger dauern und sich seinen Figuren stärker widmen dürfen. Die sind recht grob skizziert – ein Boxer aus der Vorstadt, ein offenbar gelangweiltes Bürgersöhnchen, ein Mitläufer, der erkennt, dass das Kämpfen nichts für ihn ist. Was den Anführer der Terrorzelle antreibt, was er im Gefängnis und in Pakistan erlebt hat, bleibt im Halbdunkeln. Dennoch wird immer wieder deutlich, wie fadenscheinig die religiöse Unterfütterung dieses pseudo-heiligen Krieges ist, wenn der Führer auf Fragen wie „Will Allah, dass wir Frauen und Kinder töten“ immer nur „Wir sind im Krieg“ antwortet. Neben ihrer Brutalität offenbart die Gruppe auch enorme Banalität, wenn sie lange darüber grübelt, welchen Namen sie sich geben soll, der medial besonders griffig klingt. Als der Bürgersohn vom „Krieg „für unsere Kinder in Palästina“ spricht, fragt ihn ein Mit-Terrorist: „Aber Du bist doch Bretone?“ Da hätte der Film sich mehr Zeit gönnen müssen, um tiefer in diese Gruppe der Verblendeten und Verirrten einzudringen. So zumindest bleibt ein politisch aktueller, sehr spannender Thriller, dessen Schlusspointe, die hier nicht verraten werden soll, ein Rätsel aufgibt: ein abgenutztes Klischee? Oder der Verweis auf die Macht des Glaubens abseits allen Terrors?

Erschienen auf DVD und Blu-ray bei Universum Film.

„Das alte Gewehr“ mit Romy Schneider und Philippe Noiret

Das alte Gewehr Romy Schneider

 

In Frankreich gilt der Film als Klassiker, bei uns ist er weniger bekannt. „Das alte Gewehr“ mit Romy Schneider von 1975 erscheint jetzt fürs Heimkino mit zwei deutschen Synchronfassungen – aus der DDR und aus dem Westen.

Vielleicht wird er nicht mit den ganz großen Regisseuren des französischen Kinos in einem Atemzug genannt – dennoch hat es Robert Enrico (1931-2001) einige fulminante Werke zu verdanken. Mit „Die Abenteurer“ (1966, mit Alain Delon und Lino Ventura) drehte er einen der schönsten Filme über Freundschaft und die Sehnsucht nach einem freien Leben; „Das Netz der tausend Augen“ (1974, mit Jean-Louis Trintignant) ist ein Meisterstück über Paranoia und die Macht des Staates.

1975 drehte Enrico einen Film, der in Frankreich einer seiner größten Erfolge ist, bei uns aber vergleichsweise unbekannt – umso willkommener ist jetzt die Veröffentlichung auf Blu-ray und DVD. „Das alte Gewehr“ ist ein verstörender Film, der vage Bezug nimmt auf das Massaker von Oradour 1944, als die Waffen-SS in einem französisches Dorf 642 Menschen ermordete. Philippe Noiret spielt einen Arzt, der seine Frau und Tochter während der letzten Kriegsmonate ins Hinterland auf den alten Landsitz seiner Familie bringt, um sie zu vor den deutschen Soldaten zu schützen – ein tragischer Fehler, denn dort wütet eine SS-Einheit. Deren Taten und die Rache des Arztes schildert der Film in erschütternden Bildern – zugleich zeigt er in Rückblenden immer wieder die Geschichte des Ehepaares, das Kennenlernen, ihre große Liebe, ihr Familienleben. Noiret und Schneider als Paar sind herzergreifend, der Kontrast zwischen den glücklichen Erinnerungen und der unmenschlichen Gegenwart macht den Film beklemmend. Anders als in üblichen Filmen, die sich um Rache drehen, bleibt ein Gefühl der Läuterung oder Genugtuung aus – wie könnte es sich auch einstellen bei diesem persönlichen Untergang?

Vielsagend ist der Umgang mit dem Film in Deutschland 1975. Die deutsch-französische Ko-Produktion wurde im Westen um einige Gewaltszenen gekürzt und in der Synchronisierung und durch eine zusätzliche Szene etwas entschärft: Dort beklagen die deutschen Soldaten – wie oft im Kriegsfilm – die bösen Befehle von oben; die Synchronisation durch die Defa in der damaligen DDR ist textgetreuer, zumal lief der Film dort ungekürzt. DVD und Blu-ray bieten nun beide deutschen Tonspuren – ein interessanter Vergleich bietet sich an.

Erschienen bei Studio Hamburg.

Flirren und Brummen: Das Filmmusikalbum „The Childhood of a leader“ von Scott Walker

Scott Walker

Einst war Scott Walker als Stimme der Walker Brothers ein Teeniestar, dann begann er eine Solo-Karriere, die ihn vom melancholischen Edelpop zur Avantgarde führte. Sein jüngstes Album ist Filmmusik, die den Hörer herausfordert.

Verlässlich unberechenbar bleibt er. Musste man früher manchmal eine Dekade warten auf ein neues Album von Scott Walker, so ist der Amerikaner (der seit Jahrzehnten in London lebt) heute so produktiv wie seit den 60er Jahren nicht mehr: Damals legte er, nachdem er mit den Walker Brothers kurzfristig zum Teeniestar geworden war („The sun ain’t gonna shine anymore“), rasch seine melancholischen Solo-Meisterstücke „Scott“ bis „Scott 4“ (1967-1969) vor – Edelpop mit Orchester, bittersüßen Texten und Walkers göttlichem Bariton. Wem da nicht heute noch das Wasser in die Augen steigt, der muss gefühlskalt sein.

50 Jahre später klingt Walker (73 inzwischen) ganz anders, den Pop hat er lange hinter sich gelassen, seine Musik hat sich verfinstert; auf nachtschwarzen Alben wie „Tilt“ oder „The Drift“ singt er abstrakte Texte zu avantgardistischen Streicher- und Percussion-Klängen – letztere schon mal durch Schläge auf rohes Fleisch erzeugt. Dass er zuletzt mit der US-Düsterrockband Sunn O))) ein Album aufnahm („Soused“), war nur eine milde Überraschung; denn Walker ist alles zuzutrauen – außer dem, was sich manche alten Fans wünschen: ein spontan zugängliches Album.

Ein solches ist „The childhood of a leader“ auch nicht geworden: 18 rein instrumentale Stücke, manche kürzer als eine Minute, begleiten den gleichnamigen Film von Brady Corbet. Bei uns ist das Werk, das vom Faschismus des 20. Jahrhunderts erzählt, noch nicht gelaufen; die Musik ist nicht mit Bildern verbunden, steht für sich selbst – und verlangt ein offenes Ohr. Selten erklingt ein Schlagzeug oder ein Tasteninstrument, Walker lotet die Möglichkeiten der Streicher aus: Die lässt er manchmal in höchsten Tönen fast flirren und rauschen, perkussiv donnern, dann wieder in tiefsten Tönen brummen und dröhnen. Manchmal schält sich überraschend ein keckes Motiv heraus, manchmal ist es ein Soundtrack der Verzweiflung. Keine Musik für nebenher ist das, es bieten sich Kopfhörer und ein dunkler Raum zum Hören an. Im letzten Stück, „New Dawn“, klart sich die Düsternis dann doch noch auf, mit der freundlichsten Melodie dieses Albums, das einen fordert und letztlich doch belohnt.

Scott Walker: The childhood of a leader (4AD/XL).
Das Foto stammt von David Evans / 4AD.

„Petrocelli“ auf DVD – „Einspruch, Euer Ehren“

PetrocelliPetrocelli

Ist sein Haus eigenlich jemals fertig geworden? Am Feierabend (beziehungsweise am Ende einer TV-Episode) fuhr Anwalt Tony Petrocelli gerne mit dem verbeulten Pick-Up zur staubigen Baustelle und verknaupte am Eigenheim „täglich zwölf Steine – Minimum!“

Die Serie „Petrocelli“ ist ein kleiner TV-Klassiker. 45 Folgen entstanden zwischen 1974 und 1976 – ab jenem Jahr liefen sie auch im ZDF; nun erscheint Serie in zwei Staffelboxen auf DVD und bietet einen Blick zurück auf eine etwas ruhigere TV-Zeit – vielleicht zu ruhig für jüngere Zuschauer, die am aktuell schnelleren Serienstil geschult sind, aber durchaus interessant: Die Fälle sind oft trickreich, und die Gerichtsszenen („Einspruch, Euer Ehren!“ – „Stattgegeben!“) packend. Vor allem ist Anwalt Petrocelli eine plastische Figur, ein Schlitzohr und Idealist zugleich. Barry Newman gibt diesem lässigen Anwalt viel Präsenz; schade, dass ihm danach keine große Karriere vergönnt war.

In Nebenrollen sieht man alte Bekannte – ob nun Stephanie Powers aus „Hart aber herzlich“ in der Pilotfolge, William Shatner ohne Captain-Kirk-Uniform und auch Harrison Ford, der hier, ein paar Jahre vor „Star Wars“, noch ein TV-Hinterbänkler war. Insgesamt eine sehr willkommene Wiederbegegnung.

Erscheinen bei Winkler Film. Zwei Mal sieben DVDs.

 

Petrocelli

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