Film und dieses & jenes

Schlagwort: Buch

„Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“ von Claudia Müller


Elfriede Jelinek in einer alten TV-Sendung, ein Ausschnitt ist auch im Film zusehen. Foto: Plan C

Egal, ob es nun ein Ziel dieser Dokumentation ist oder nicht: Hat man den Film gesehen, möchte man im nächsten Buchladen nach Werken der Schriftstellerin schauen. „ Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“ ist ein packendes, dichtes Porträt – literarisch, biografisch und politisch, voller Texte und Sprachlust, voller klug montierter Bilder und Szenen. Man ist sofort mittendrin im Thema Jelinek, wenn der Film einen alten TV-Mitschnitt zeigt, in dem die Schriftstellerin die wenige Zeit in einer Literatursendung für Autorinnen kritisiert (50 Minuten für Männer contra zehn für Frauen), dann die Verkündung des Literaturnobelpreises 2004 gezeigt wird und Jelinek aus dem Off kommentiert: „Ich kann da nicht hinfahren“, wegen einer Angststörung. „Rausgehen, das kann ich nicht mehr.“ Darüber, wie weit diese Angststörung, an der sie seit ihrer Jugend leidet, auch weiter befeuert wird vom Hass, der Jelinek in ihrer österreichischen Heimat entgegenschlägt, spekuliert der Film nicht. Das kann man selbst tun. Der Film will nicht psychologisieren.

„Mutters einziges Kind, das in der Spur bleiben soll“

Mit Zitaten und Archivaufnahmen zeichnet Regisseurin Claudia Müller die Jugend Jelineks nach, Jahrgang 1946, ein „Nichtlebendürfen“ – der Vater ist laut Jelinek „verrückt geworden“, die Mutter fördert und überfordert die Tochter in allerlei musischen Disziplinen. Sie dominiert die Tochter, die sie im Film als manchmal „gefährliches Tier“ bezeichnet, durch die sie das Lügen gelernt habe, um sie zu besänftigen, als „Mutters einziges Kind, das in der Spur bleiben soll“.

Elfriede Jelinek in einer Archivszene des Films. Foto. Plan C

Elfriede Jelinek in einer Archivszene des Films. Foto: Plan C

Die junge Jelinek „rettet sich in die Sprache“, wie sie sagt, weil das der einzige Bereich gewesen sei, in dem die Mutter sie nicht zur Leistung antrieb. Früh erhält sie Preise, begreift sich als Autorin, die etwas bewegen will, die eine „größere Effektivität im politischen Sinne“ erreichen will – feministisch und als Kritikerin politischer Zustände in ihrer Heimat Österreich, an denen sie leidet. Exemplarisch für sie ist etwa die Schauspielerin Paula Wessely (1907-2000); im NS-Kino war sie ein Star, ab den 1950ern war sie ein Star am Wiener Burgtheater – der Film zeigt einen grausigen Auftritt Wesselys im perfiden Propagandawerk „Heimkehr“ aus dem Jahr 1941.

„Wut und Hass“

Jelineks Kritik unter anderem an Wessely im Stück „Burgtheater“ (1985 nicht in Wien, sondern im fernen Bonn uraufgeführt) ist ein Wendepunkt in der Rezeption der Schriftstellerin, sagt Jelinek selbst. Seitdem habe sie „polarisiert“, das sei, vielleicht meint sie das etwas ironisch, „der Beginn meines Abstiegs“ – in jedem Fall spätestens der Beginn der Anfeindungen gegen sie: als „Nestbeschmutzerin“. Jelinek wird (und bleibt) Hassfigur vieler Konservativer, vor allem männlicher, wegen ihres kritischen Blicks auf Österreich und auf männlich geprägte Strukturen. Ein Ausschnitt zeigt auch eine Szene des seligen „Literarischen Quartetts“ zur Zeit von Marcel Reich-Ranicki. Der wundert sich über so viel „Wut und Hass“ und darüber, dass bei Jelinek „das Sexuelle demontiert“ wird – fast wirkt es, als sorge er sich um das Seelenheil der Autorin.

Interview mit Buchpreisträger Tonio Schachinger

Interview mit Iris Wolff

Der Film lässt viel Raum für die Texte Jelineks mit ihrer kunstvollen Sprache und oft einem sehr dunklen Humor. Mal werden die von ihr in alten Mitschnitten gelesen, vor allem aber von Sophie Rois, Martin Wuttke, Maren Kroymann und Sandra Hüller. Das alleine ist schon eine Wonne, während der Film das nicht brav inhaltlich, sondern eher assoziativ illustriert – mit Bildern aus Österreich, ebenso mit prächtigen Bergpanoramen wie mit hässlichen Après-Ski-Momentaufnahmen und Super-8-Aufnahmen aus den 1950ern (Montage: Mechthild Barth).

Nach dem Nobelpreis hat sich Jelinek noch weiter zurückgezogen, auch wenn sie für diesen Film mit der Regisseurin viel Kontakt hatte und ihr 2021 ein Interview gab, das im Film zum Teil verwendet wird. Aber erklären will sie ihre Werke nicht mehr, es sei alles gesagt. Gut, dass es dennoch diesen Film gibt.

 

Termin: 13.5., 22.15, Arte und ab dann in der Mediathek.
DVD bei Farbfilm Verleih.
„Die Klavierspielerin“ nach Jelinek ist ebenfalls in der Mediathek.

 

Alter Schwede: Buch über Regisseur Victor Sjöström

 

Victor Sjöström

 

Ingmar Bergman? Sicher, der fällt einem ein, denkt man an schwedische Regisseure. Dann womöglich Carl Theodor Dreyer – bevor man merkt, dass der kein Schwede, sondern Däne war. Aber Victor Sjöström? Der wird wohl nur noch reiferen Cineasten oder Stummfilmkennern bekannt sein; der schwedische Regisseur und Schauspieler (1879-1960) ist heute weitgehend vergessen.

Dem will der Filmwissenschaftler Jens Dehn mit dem ersten deutschsprachigen Band über Sjöström entgegenwirken; der ist zugleich die erste Buchveröffentlichung des rührigen Saarbrücker 35-Millimeter-Verlags, der sich seit einigen Jahren mit dem Magazin „35 Millimeter“ der Frühzeit des Kinos widmet: dessen ersten 70 Jahren.
Im Buch „Victor Sjöström – Film can be Art“ zeichnet Dehn eine oft bewegte Biografie nach: Geboren wird Sjöström im schwedischen Hinterland, zieht als Kleinkind mit in die USA, die Mutter stirbt früh; nach Spannungen mit seiner Stiefmutter wird er zurück nach Schweden geschickt, schließt sich einer übers Land fahrenden Theatertruppe an, findet so zum jungen Kino und zur Filmregie. Mit kraftvollen Naturbildern, die das Innenleben der Figuren widerspiegeln, etwa im Film „Der Fuhrmann des Todes“ (1921), wird er zu einem prägenden Regisseur. Hollywood ruft, wo Sjöström – unter dem Namen Victor Seastrom – einige Filme dreht, darunter 1926 „Der scharlachrote Buchstabe“. Die Kritiker sind meist begeistert, die Kinos aber nicht immer gut gefüllt, 1930 geht Sjöström zurück nach Schweden, finanziell durch US-Gagen abgesichert, verunsichert aber durch den Tonfilm – fortan arbeitet er lieber als Produzent und als Schauspieler. Den großen Abschied vom Kino nimmt er mit einer Altersrolle 1957 im Film „Wilde Erdbeeren“ von Ingmar Bergman, der Sjöström stets einen großen Einfluss nannte.

Victor Sjöström

Von diesem reichen Künstlerleben und den Filmen (viele von ihnen sind mittlerweile verloren gegangen) erzählt Dehn klar und schnörkellos; er findet eine gute Balance aus Biografie, Filmbeschreibung und Interpretation. Dass der Käuferkreis dieses Buchs begrenzt ist, wissen Autor und Verlag gleichermaßen: Dehm spricht von Sjöström als „Nische einer Nische“. Umso verdienstvoller ist diese gelungene Veröffentlichung, deren Auflage auf 250 Exemplare limitiert ist. Das Buch ist nur über den Verlag erhältlich: www.35mm-retrofilmmagazin.de

Jens Dehn: Victor Sjöström – Film can be Art.
35 Millimeter Verlag, 148 S., 16, 95 €.

 

Victor Sjöström

© 2024 KINOBLOG

Theme von Anders NorénHoch ↑