Film und dieses & jenes

Schlagwort: Der weiße Hai

„Im Wasser der Seine“ bei Netflix – Streaming-Fischfutter?

Das Plakatmotiv zu "Im Wasser der Seine". Foto: Netflix

Das Plakatmotiv zu „Im Wasser der Seine“. Foto: Netflix

 

Peinlich ist das schon. Da geißelt der Film – völlig zurecht – in seinen ersten Minuten die Vermüllung der Meere, zeigt die türkisblaue Ex-Schönheit des Nordpazifiks, entstellt von quallengleich dahinschwebenden Kunststofftüten – und dann lässt der Film seine Heldin dramaturgisch unmotiviert gleich zweimal aus der schnöden Plastiktüte eines bekannten Süßwarenherstellers naschen. Nun ist Schleichwerbung ja nichts Neues; aber wenn ein Film einen Naschwerk-Plastiktüten-Riesen an der Öko-Botschaft knabbern lässt, landet die Glaubwürdigkeit in der gelben Tonne – zumal Regisseur Xavier Gens seinen Film vollmundig als „ökologische Parabel“ bezeichnet hat.​

Simpel, aber effektiv​

Andererseits – Schwamm drüber. Denn die französische Netflix-Produktion „Das Wasser der Seine“ will vor allem ein Thriller sein und fußt dabei auf einer simplen, aber effektiven Prämisse: ein hungriger Hai in Paris. Parbleu! Lilith heißt das Tier, so benannt von der Biologin Sophia (Bérénice Bejo). Sie studiert den Makohai zu Beginn des Films im Pazifik, wo er a) unerwartet schnell wächst und b) in einem Anfall von Heißhunger unter anderem den Ehemann der Forscherin frisst. Der Film lässt da nicht zimperlich einen abgetrennten Arm mit Finger mit Ehering durchs Wasser schweben. Nach einem Zeitsprung von drei Jahren treffen wir Sophia in Paris wieder; mit aktiver Meeresforschung will sie nichts mehr zu tun haben, sondern unterrichtet auf festem Boden über den angeschlagenen Zustand der Meere.​

Aktivisten im Altbau​

Doch junge Öko-Aktivistinnen und -Aktivisten vom Geheimclub „SOS“ treten an sie heran und führen sie in ihr Hauptquartier, einen Raum, der jede Wohnungsnot in Paris vergessen macht: ein geräumiger Altbau mit reihenweise PCs und einem Beamer, der Szenen aus den Ozeanen an die Wand projiziert. Die Aktivisten wissen, da ihre IT-Expertin (stets mit Wollmütze) am PC es beweist, dass Lilith nicht mehr im Pazifik schwimmt, sondern in der Seine. Warum auch nicht? Sophia ist schnell überzeugt, nicht aber die Wasserbrigade der Polizei und vor allem nicht die Oberbürgermeisterin (wunderbar ölig gespielt von Anne Marivin) – sie will sich einen Massen-Triathlon in der für viel Geld gesäuberten Seine und den damit einhergehenden Image-Gewinn nicht verderben lassen. Denn „Paris ist ein Fest“ verkündet sie. Wenn auch letztendlich, das befürchtet man als Zuschauer, eher für den hungrigen Fisch als für die Schwimmer.​

Ein Bild von der Dreharbeiten vor Green Screen.. "das Wasser der Seine".

Ein Bild von der Dreharbeiten vor Green Screen. Foto: Netflix

 

Netflix-Produktion „Atlas“

Netflix-Produktion „Leave the world behind“

Wie der Hai es vom Pazifik nach Paris geschafft hat oder wie er mit Süßwasser zurande kommt, ist dem Film nicht so wichtig; ein Darwin-Zitat zu Beginn über die Macht der Anpassung muss reichen;  evolutionär setzt das Hai-Weibchen noch einen drauf – Lilith braucht gar keinen männlichen Fisch mehr zur Fortpflanzung. Das Matriarchat mit Flosse also? Jedenfalls muss die wackere Forscherin gleich mehrmals im Film „c’est pas possible“ raunen; überhaupt muss man Bérénice Bejo zu Gute halten, dass vor allem ihre souverän nüchterne Darstellung dem Film hilft, nicht allzu früh zu absurd zu wirken – dem Drehbuch und auch manchen zweitklassigen Computertricks zum Trotze.​ (Es gibt auch viele gute).

Viel Fischfutter​

Langweilig ist der Film dabei nicht, wenn auch weit entfernt von der Schreckensspannung der Fisch-Horror-Urmutter „Der weiße Hai“, auf die als Hommage ein paar Mal angespielt wird. Aber Regisseur Xavier Gens, der 2007 mit dem ruppigen Horrorfilm „Frontière(s)“ bekannt wurde, gelingt eine famose Sequenz klaustrophoben Horrors, wenn er Polizisten und Aktivisten in eine Pariser Katakombe führt und sie dort an einem Becken positioniert, das sich als flüssiges Nest des Hais entpuppt. Beim ausbrechenden Chaos ist es mit der Achtsamkeit und Solidarität der Aktivistinnen und Aktivisten auf der Flucht schnell vorbei – da wird getreten und ins Wasser geschubst, dass es zumindest für den hungrigen Hai eine Freude ist. Überhaupt ist die Haltung des Films zu den Öko-Aktivistinnen und -Aktivistinnen mindestens ambivalent. Sie wollen den Hai lebend ins Meer zurückleiten – doch dafür gehen die Radikalen unter ihnen gerne das Risiko ein, dass Menschen dabei sterben. Keine sympathische Perspektive des Drehbuchs, das uns mit einer gewissen Stammtisch-Perspektive nahelegen will: Die Politik (Bürgermeisterin) ist verlogen; die Aktivisten sind fanatisch; und am Ende muss es die Polizei richten, zusammen mit einer Biologin, die mittlerweile von „Ausrottung“ spricht.​ „Der Fisch muss weg!“

 

Begegnung im Pazifik der Plastiktüten. Foto: Netflix

Ideologisch könnte einem das beim Zuschauen nun aufstoßen wie ein altgewordener Heringssalat – aber der Film lenkt im Finale mit einiger Rasanz ab, wobei am Ende Logik und Physik sozusagen ins Wasser fallen. Man mag sich da herzhaft am Kopf kratzen, aber spektakulär sehen die Schlussbilder schon aus. Und um mehr geht es diesem filmischen FishMac wohl auch nicht.​

Aktuell bei Netflix.

Doku „Heimat Saarland – Unsere Kinogeschichten“

Preziosen aus der saarländischen Kinogeschichte - Autogrammkarten von Stars, die hier mal vorbei schauten. Foto: WP Films

Preziosen aus der saarländischen Kinogeschichte – Autogrammkarten von Stars, die hier mal vorbei schauten. Foto: WP Films

 

Wie klingen 100 Kinoklappstühle, die zugleich hochknallen – verbunden mit ein paar Schreckensschreien? Es muss ziemlich laut gewesen sein. Joseph Feilen kann sich noch bestens erinnern. Vor fast 50 Jahren war das, als der „Weiße Hai“ sich durch die deutschen Kinos fraß und das Publikum kollektiv aus den Sitzen springen ließ. „Das gibt es nur im Kino“, sagt der Filmfan in der Doku „Heimat Saarland – Unsere Kinogeschichten“.

Magie des Kinos beschwören

Der Homburger Regisseur Thomas Scherer („Unter Tannen“) und Klaus Ebert wollen mit ihrem halbstündigen Film zweierlei: einmal die Magie des Kinos beschwören und zugleich einen Blick werfen auf die Kinogeschichte des Saarlandes. 2022 hatten sie eine Doku über die Historie der Lichtspiele Wadern gedreht („Heimat Kino“) und da sozusagen die cineastische Spur aufgenommen. Scherer startete vor einem Jahr einen saarlandweiten Aufruf nach Erinnerungen an Kino-Erlebnisse. Groß war die Resonanz, die Saarland-Medien sagte Förderung zu, an acht Drehtagen führte er Interviews mit Experten, Kinofans und -betreibern, filmte in Kinos des Saarlandes.

So war es beim Günter Rohrbach Filmpreis in Neunkirchen

Eingebettet sind die Erinnerungen in eine Rahmenhandlung: Ein Klempner (Klaus Ebert) stolpert beim Saubermachen im Hinterzimmer eines Kinos über eine Filmrolle. Die ist unbeschriftet und so mysteriös wie eine aus dem Nichts auftauchende Dame (Katrin Larissa Kasper), die ihn auf die Suche schickt nach einem Projektor für die 35-Millimeter-Rolle. Erste Stationen sind das Union-Theater in Illingen und das Saarbrücker Kino Achteinhalb, in dem man einigen Zeitzeugen lauschen kann – nicht zuletzt einer Veteranin, um nicht zu sagen der großen alten Dame des saarländischen Kinos: Inge Theis, die mit ihrem Mann Günter Theis Filmtheater in Völklingen und in Saarbrücken betrieb, darunter die selige Camera an der Berliner Promenade. Im Film erinnert sie sich unter anderem an „das Geschäft ihres Lebens“, weder mit „Star Wars“ noch James Bond, sondern mit Ingmar Bergmans Drama „Das Schweigen“ von 1963. Dessen Erfolg führt Kinofan Feilen – da müssen Anhänger des schwedischen Meisterregisseurs stark sein – vor allem darauf zurück, „dass da jemand nackig zu sehen war“.

Erste Vorführungen ab 1896

Paul Burgard vom Saarländischen Landesarchiv und Kulturhistoriker Clemens Zimmermann erklären, wie schnell die Kinolandschaft im Saarland wuchs, schon ab Oktober 1896 flimmerten hier Filme, wenn auch nicht in Kinos, sondern in Gastwirtschaften, mit mobilen „Kinematografen“. In den Jahrzehnten danach folgten viele Kinobauten, die vor allem 1943/44 zerstört wurden. Nach dem Krieg hat sich die Filmtheaterlandschaft schnell wieder erholt, für Burgard „fast ein Husarenstück“; Kulturwissenschaftlerin Aline Maldener erwähnt die Praxis der französischen Nachkriegsverwaltung, viel gallische Filmware in den Kinos unterzubringen.

Eine Filmrolle ist „25 Kilo Glück“

In die Vorführpraxis geht es mit Kameramann und Regisseur Klaus Peter Weber, der in seinem gemütlichen Saarbrücker Eigenbau-Kellerkino im Keller von der Zeit erzählt, als er im Saarbrücker UT-Kino als junger Vorführer mit den komplexen Projektoren hantierte. Eine Filmrolle bedeute zwar „25 Kilo Glück“, sagt Weber, damals sei das Material aber noch buchstäblich brandgefährlich gewesen.

Der spätere Kameramann Klaus Peter Weber, damals 17 Jahre alt, vor seinem Streichholzmodell der „Brücke am Kwai“, das zum Filmstart im Saarbrücker Union-Theater ausgestellt wurde.

Auch eine Kinogeschichte: Der spätere Kameramann Klaus Peter Weber, damals 17 Jahre alt, vor seinem Streichholzmodell der „Brücke am Kwai“, das zum Filmstart im Saarbrücker Union-Theater ausgestellt wurde.​ Das Foto findet sich auch im famosen Buch „Filmrausch – Das Kinowunder im Saarland“. Foto: Klaus Peter Weber

 

Auch Kinobetreiber erzählen – Claudia Ziegler und Robert Haas von den Haas Filmtheater-Betrieben, Ingrid Kraus und Waldemar Spallek vom Kino Achteinhalb, das einst als Nebenraum in der Alten Feuerwache begann, Michael Krane und Anne Reitze von der Camera Zwo; sie alle machen deutlich, wie schön der Beruf sein kann – und wie schwierig. Zwei Kinos auf dem Land, die sich kommerziell nicht mehr trugen, wurden von rührigen Filmfans gerettet, die sie in Vereinsform weiterführen: die Lichtspiele Wadern und die Lichtspiele Losheim.

Hans Albers war zu Besuch

Das Saarbrücker Filmfestival Max Ophüls Festival wird thematisch angeschnitten, auch der Neunkircher Günter Rohrbach Filmpreis; in der Kürze der Laufzeit kann es da nicht in die Tiefe gehen, aber man erfährt viel über das Kino im Saarland – auch durch das illustrierende Fotomaterial, das teilweise aus dem Buch „Filmrausch – Das Kinowunder im Saarland“ stammt, herausgegeben von Gabi Hartmann, Burgard und Weber, die im Film dabei sein. Die betagten Bilder beschwören eine Zeit herauf, in dem die Filmtheaterdichte hier deutlich höher war, wo Stars wie Hans Albers, Marianne Koch oder Gustav Knuth zu Premierenbesuch kamen, und wo ein erotisch unterfütterter Klamauk wie „Frau Wirtin hat auch einen Grafen“ 1968 seine Welturaufführung in Saarbrücken erlebte.

Diese halbe Stunde Film ist sehr schnell vorbei, am Ende wird auch das Rätsel der Filmrolle gelöst; man kann sich problemlos eine doppelte Laufzeit ohne Längen vorstellen – vielleicht kann man auf eine erweiterte Version hoffen, genug Material ist bei den Interviews sicherlich angefallen. Regisseur Scherer hofft derweil, dass „Heimat Saarland – Unsere Kinogeschichten“ der Auftakt sein könnte zu Dokus über weitere Themenschwerpunkte – der Filmemacher will „mit Zeitzeugen sprechen und saarländische Schätze festhalten, bevor niemand mehr da ist, um diese Geschichten zu erzählen“.

Infos unter www.wp-films.de

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