Film und dieses & jenes

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„Im Wasser der Seine“ bei Netflix – Streaming-Fischfutter?

Das Plakatmotiv zu "Im Wasser der Seine". Foto: Netflix

Das Plakatmotiv zu „Im Wasser der Seine“. Foto: Netflix

 

Peinlich ist das schon. Da geißelt der Film – völlig zurecht – in seinen ersten Minuten die Vermüllung der Meere, zeigt die türkisblaue Ex-Schönheit des Nordpazifiks, entstellt von quallengleich dahinschwebenden Kunststofftüten – und dann lässt der Film seine Heldin dramaturgisch unmotiviert gleich zweimal aus der schnöden Plastiktüte eines bekannten Süßwarenherstellers naschen. Nun ist Schleichwerbung ja nichts Neues; aber wenn ein Film einen Naschwerk-Plastiktüten-Riesen an der Öko-Botschaft knabbern lässt, landet die Glaubwürdigkeit in der gelben Tonne – zumal Regisseur Xavier Gens seinen Film vollmundig als „ökologische Parabel“ bezeichnet hat.​

Simpel, aber effektiv​

Andererseits – Schwamm drüber. Denn die französische Netflix-Produktion „Das Wasser der Seine“ will vor allem ein Thriller sein und fußt dabei auf einer simplen, aber effektiven Prämisse: ein hungriger Hai in Paris. Parbleu! Lilith heißt das Tier, so benannt von der Biologin Sophia (Bérénice Bejo). Sie studiert den Makohai zu Beginn des Films im Pazifik, wo er a) unerwartet schnell wächst und b) in einem Anfall von Heißhunger unter anderem den Ehemann der Forscherin frisst. Der Film lässt da nicht zimperlich einen abgetrennten Arm mit Finger mit Ehering durchs Wasser schweben. Nach einem Zeitsprung von drei Jahren treffen wir Sophia in Paris wieder; mit aktiver Meeresforschung will sie nichts mehr zu tun haben, sondern unterrichtet auf festem Boden über den angeschlagenen Zustand der Meere.​

Aktivisten im Altbau​

Doch junge Öko-Aktivistinnen und -Aktivisten vom Geheimclub „SOS“ treten an sie heran und führen sie in ihr Hauptquartier, einen Raum, der jede Wohnungsnot in Paris vergessen macht: ein geräumiger Altbau mit reihenweise PCs und einem Beamer, der Szenen aus den Ozeanen an die Wand projiziert. Die Aktivisten wissen, da ihre IT-Expertin (stets mit Wollmütze) am PC es beweist, dass Lilith nicht mehr im Pazifik schwimmt, sondern in der Seine. Warum auch nicht? Sophia ist schnell überzeugt, nicht aber die Wasserbrigade der Polizei und vor allem nicht die Oberbürgermeisterin (wunderbar ölig gespielt von Anne Marivin) – sie will sich einen Massen-Triathlon in der für viel Geld gesäuberten Seine und den damit einhergehenden Image-Gewinn nicht verderben lassen. Denn „Paris ist ein Fest“ verkündet sie. Wenn auch letztendlich, das befürchtet man als Zuschauer, eher für den hungrigen Fisch als für die Schwimmer.​

Ein Bild von der Dreharbeiten vor Green Screen.. "das Wasser der Seine".

Ein Bild von der Dreharbeiten vor Green Screen. Foto: Netflix

 

Netflix-Produktion „Atlas“

Netflix-Produktion „Leave the world behind“

Wie der Hai es vom Pazifik nach Paris geschafft hat oder wie er mit Süßwasser zurande kommt, ist dem Film nicht so wichtig; ein Darwin-Zitat zu Beginn über die Macht der Anpassung muss reichen;  evolutionär setzt das Hai-Weibchen noch einen drauf – Lilith braucht gar keinen männlichen Fisch mehr zur Fortpflanzung. Das Matriarchat mit Flosse also? Jedenfalls muss die wackere Forscherin gleich mehrmals im Film „c’est pas possible“ raunen; überhaupt muss man Bérénice Bejo zu Gute halten, dass vor allem ihre souverän nüchterne Darstellung dem Film hilft, nicht allzu früh zu absurd zu wirken – dem Drehbuch und auch manchen zweitklassigen Computertricks zum Trotze.​ (Es gibt auch viele gute).

Viel Fischfutter​

Langweilig ist der Film dabei nicht, wenn auch weit entfernt von der Schreckensspannung der Fisch-Horror-Urmutter „Der weiße Hai“, auf die als Hommage ein paar Mal angespielt wird. Aber Regisseur Xavier Gens, der 2007 mit dem ruppigen Horrorfilm „Frontière(s)“ bekannt wurde, gelingt eine famose Sequenz klaustrophoben Horrors, wenn er Polizisten und Aktivisten in eine Pariser Katakombe führt und sie dort an einem Becken positioniert, das sich als flüssiges Nest des Hais entpuppt. Beim ausbrechenden Chaos ist es mit der Achtsamkeit und Solidarität der Aktivistinnen und Aktivisten auf der Flucht schnell vorbei – da wird getreten und ins Wasser geschubst, dass es zumindest für den hungrigen Hai eine Freude ist. Überhaupt ist die Haltung des Films zu den Öko-Aktivistinnen und -Aktivistinnen mindestens ambivalent. Sie wollen den Hai lebend ins Meer zurückleiten – doch dafür gehen die Radikalen unter ihnen gerne das Risiko ein, dass Menschen dabei sterben. Keine sympathische Perspektive des Drehbuchs, das uns mit einer gewissen Stammtisch-Perspektive nahelegen will: Die Politik (Bürgermeisterin) ist verlogen; die Aktivisten sind fanatisch; und am Ende muss es die Polizei richten, zusammen mit einer Biologin, die mittlerweile von „Ausrottung“ spricht.​ „Der Fisch muss weg!“

 

Begegnung im Pazifik der Plastiktüten. Foto: Netflix

Ideologisch könnte einem das beim Zuschauen nun aufstoßen wie ein altgewordener Heringssalat – aber der Film lenkt im Finale mit einiger Rasanz ab, wobei am Ende Logik und Physik sozusagen ins Wasser fallen. Man mag sich da herzhaft am Kopf kratzen, aber spektakulär sehen die Schlussbilder schon aus. Und um mehr geht es diesem filmischen FishMac wohl auch nicht.​

Aktuell bei Netflix.

„The Innocents“: Schrecken und Freiheit der Kindheit

The Innocents capelight

Ida (Rakel Lenora Flotta) entwickelt ungeahnte Kräfte. Foto: Capelight / Mer Film

Wie kommen wir auf die Welt? Wie ein unbeschriebenes Blatt, moralisch gesehen? Ohne Empathie und Moral, die wir noch erlernen müssen? Oder wie ein Engel – mit reinem Herzen, das im Laufe des Lebens nicht mehr so rein bleibt? Diese Fragen stellt sich der außergewöhnliche norwegische Film „The Innocents“, der vom Schrecken und der Freiheit der Kindheit erzählt.

Glasscherben in den Schuhen

Die junge Ida zieht mit ihrer Familie um, in einen gepflegten Hochhauswohnblock am Waldrand. Ihre ältere Schwester Anna leidet an Autismus; vor Jahren hat sie sich fast ganz in sich zurückgezogen, die Kommunikation mit der Familie ist minimal. Die Eltern kümmern sich vor allem um sie und vernachlässigen dabei Ida, die dadurch eine gewisse Härte entwickelt hat – manchmal kneift sie Anna mit aller Gewalt, ohne dass die den Schmerz nach außen tragen kann. Einmal steckt sie sogar Glasscherben in die Schuhe der Schwester.

Beiläufige Brutalität

Es ist mutig von Regisseur und Autor Eskil Vogt, dass er uns solch eine Hauptfigur an die Hand gibt – und höchst gekonnt, wie er sie als Mensch auslotet, deren Handlungen anfangs einige Male grausam sind und doch noch im Bereich einer kindlichen Unschuld beziehungsweise Unwissenheit bleiben. Ida lernt den jungen Ben kennen, der auf dem Fußballplatz gehänselt wird und im Wald Ida Außergewöhnliches zeigt: Mit der Kraft seiner Gedanken kann er Gegenstände bewegen. Ben und Ida, die eine ähnliche Begabung bei sich entdeckt, beginnen einige Experimente, wobei der Film in einer Szene mit einer Katze mit ungeheurer, zugleich beiläufiger Brutalität verstört.

Capelight

Ben (Sam Ashraf) überschreitet mit seinen Kräften Grenzen. Foto: Capelight / Mer Film

Ben ist nicht der einzig übernatürlich Begabte in dieser sommerlichen Hochhaussiedlung: Die junge Aisha kann die Gedanken der Bewohner „hören“ und entwickelt eine besondere Beziehung zu der autistischen Anna, deren abgeschottete Innenwelt sie erspüren kann. Die Vier bilden ein übernatürliches Quartett, wobei sich für sie die Frage stellt – wie geht man mit dieser Macht um? Ben ist der Einsamste und Gekränkteste der Gruppe und lebt das am stärksten aus. Seine desinteressierte Mutter (mit Kippe und Dauer-Handy etwas grobschlächtig charakterisiert) lernt seine Macht in der Küche kennen, unter anderem in Form einer gusseisernen Pfanne und eines Topfs mit kochendem Wasser. Später entdeckt Ben die Fähigkeit, Menschen zum Instrument seiner Rache-Fantasien zu machen.

German Grusel: „Die Schlangengrube und das Pendel“

So beklemmend und erschreckend der Film in diesen Szenen auch ist – es ist kein üblicher Horror, der vor allem auf den Schock-Effekt setzt und eindimensional ist. „The Innocents“ blickt in das Innenleben seiner Figuren, in denen es angesichts ihrer Kräfte brodelt. Als Bens Aktionen immer grausiger werden, widersetzen sich die drei anderen Mädchen. Es kommt zu Gewissensentscheidungen und zum großen Konflikt, den man aber nicht simpel „Gut gegen Böse“ nennen kann – es ist vor allem die Abkehr von einer kindlichen Unschuld, die bewusste Entscheidung, notgedrungen Schuld auf sich zu laden. Mord, um weitere Morde zu verhindern.

Der Film „Hagazussa“ und seine Regisseur Lukas Heigelfeld

„The Innocents“ baut seinen Schrecken subtil und langsam auf, Kameramann Sturla Brandt Grovlen setzt den Wohnblock nicht vordergründig als Burg des Horrors in Szene, sondern als sonnenbeschienene Siedlung, in der doch der Grusel lauert. Sei es in den hohen und anonymen Treppenhäusern oder in den endlosen Kellergängen, die die Kamera suggestiv durchschwebt. Der Film konstruiert dabei meisterlich  eine hermetisch geschlossene Welt der Kinder – die Erwachsene sind Randfiguren, verstehen vieles falsch, vieles gar nicht. Wir sind ganz bei diesem Quartett, deren junge Darsteller durchweg fantastisch sind. Die hat Regisseur Vogt anderthalb Jahre lang gesucht und vor den Dreharbeiten lange mit ihnen gearbeitet – da ist kein unglaubwürdiger Moment dabei in diesem Film, der gleichermaßen ans Herz wie an die Nerven geht.

Auf DVD von Capelight. , aktuell auch in der Mediathek von 3sat.

„Im Nachtlicht“ von Misha L. Kreuz: der Horror im Untergeschoss

Im Nachtlicht Diana Maria Frank

Diana Maria Frank als geplagte Minthe Hellheim. Foto: RealFiction

 

Gruselfilm, phantastischer Film, Horrorfilm. Wie immer man das Genre auch nennen mag – deutsche Produktionen haben es im Kino schwer, sind selten und werden oft unabhängig auf den Weg gebracht, mangels Interesse großer Produktionsfirmen oder Verleihe. „Im Nachtlicht“ ist nun einer dieser seltenen neuen deutschen Horrorfilme. Geschrieben und inszeniert von Kino-Debütant Misha L. Kreuz, erzählt der Film eine düstere Geschichte: Eine junge Frau (Diana Maria Frank), angeschlagen von Depressionen, verliert am selben Tag Aushilfsjob und Aushilfswohnung. Rettung in der Not ergibt sich bei einem Gespräch in der Arbeitsagentur. In ihrer Heimatstadt Hellheim, die genau so heißt wie die junge Frau, soll sie, dank ihrer Kenntnisse der Schreinerei und der Architektur, eine historische Mühle restaurieren.

Deutscher Grusel-Oldie: „Die Schlangengrube und das Pendel“

Minthe Hellheim bricht in die alte Heimat auf, mit der sie einige Traumata verbindet, und richtet sich in dem Gebäude ein, das im Wald liegt, aber nicht menschenleer ist. Eine Frau mit dem sinnig sprechenden Namen Goost wuselt um die Mühle herum und geht immer wieder in den dortigen Keller, in dem sich etwas Schreckliches verbirgt: Nicht jeder Besucher kommt aus dem Gemäuer zurück. Zugleich gibt es im Ort einen Mord per Armbrust. Was geht vor in dem Ort, dessen Name Hellheim mehr oder weniger subtil auch eine Spur in Richtung Hölle legt?

Potenzial wird vergeben

Eine altes Gemäuer, mysteriöse Vorgänge, ein Panoptikum der bizarren Charaktere und etwas Monströses im Keller – „Im Nachtlicht“ hat Material genug für gediegenen Grusel. Doch der Film vergibt einiges Potenzial, da er bisweilen handwerklich unbeholfen ist: Etwa wenn die Biografie der Hauptfigur (unbekannte Eltern, Heimaufenthalte, Depressionen) in einer Szene beim Arbeitsamt wenig elegant transportiert wird. Auch die Besetzung der Nebenrollen ist nicht immer gelungen, da wirkt manches laienhaft – wobei die Profis, darunter Diana Maria Frank als geplagte Minthe und David Rott (Ophüls-Nachwuchspreisträger 2003 für „Ganz und gar“) als öliger Bankdirektor, sehenswert sind.

Die Doku „The Frankenstein Complex“

Gelungen ist die Atmosphäre, vor allem im Ort Hellheim selbst – hier steht die Luft in der Provinz, und das Böse dominiert. Dieses Böse ist durchweg männlich, in Form eines finsteren Anwalts, des öligen Bankers, eines homophoben Polizisten und eines Mannes, dessen erste Szene aus dem Würgen einer Frau und dem Satz „Du Scheißhure, ich bring Dich um“ besteht. Einzige Lichtgestalt abseits dieser düsteren Männerwelt ist ein sensibler Polizist mit eigenen Problemen, der aus dem Film allerdings mit einer recht abenteuerlichen Drehbuchkonstruktion herauskatapultiert wird. Subtil will „Im Nachtlicht“ da wohl nicht sein, eher satirisch zugespitzt. Doch die Übergänge zwischen Horror-Ernst und etwas Genre-Satire sind oft abrupt, es holpert in der Dramaturgie. Ob einem das nun die Freude an einem ambitionierten, unabhängig produzierten deutschen Grusel-Versuch vergällt oder nicht, wird Geschmackssache sein.

Zu sehen als VOD.

„German Grusel“-Nostalgie: „Die Schlangengrube und das Pendel“

 

Ist es ein „sehr guter“ Film im strengen Sinne? Wohl nicht – aber ein auf seine eigene Weise faszinierender. 1967 soll „Die Schlangengrube und das Pendel“, das ist der Plan, eine abgerissene Tradition in Deutschland wiederbeleben: die des fantastischen Films, des Gruselkinos, des Horrors – Jahrzehnte nach Filmen wie „Nosferatu“, „Der Golem“ oder „Das Kabinett des Dr. Caligari“. Die Idee lag Mitte der 1960er auf der Hand: In den USA füllt Günstig-Filmer Roger Corman mit seinen kunstnebelumflorten Edgar-Allan-Poe-Adaptionen wie „Lebendig begraben“ die Kinos; in Italien dreht Mario Bava mit kleinem Budget und großen Ideen prächtige Schauerfilme wie „Die drei Gesichter der Furcht“. Und in England produziert die Firma Hammer bunte und sehr stilvolle Gruselwerke wie „Dracula“, „Frankensteins Fluch“ oder „Der Hund von Baskerville“ – gerne mit Christopher Lee und Peter Cushing.

Und In Deutschland? Da wabert zumindest ein wenig Grusel durch die Edgar-Wallace-Verfilmungen von Produzent Horst Wendlandt (und durch die „Dr. Mabuse“-Filme von Wendlandts früherem Chef und ewigem Konkurrenten Artur „Atze“ Brauner). Wendland wird Anfang 1967 vom Misserfolg seines Films „Winnetou und sein Freund Old Firehand“ überrascht – seinen Karl-May-Filmen scheint die Luft auszugehen. Wendlandt plant um – warum nicht eine neue Welle lostreten mit veritablen Gruselfilmen, mit Seitenblick auf Corman, Bava und Hammer? Und mit bewährten Mimen, mit denen Wendlandt ohnehin noch einen Vertrag für einen hastig abgesagten May-Film hat: Lex Barker, unvergesslich als Old Shatterhand, und Karin Dor, die gerade ihre Rolle als mörderische Helga Brandt im James-Bond-Film „Man lebt nur zweimal“ abgedreht hat. Christopher Lee, damals der amtierende Dracula der „Hammer“-Studios, ist dann sozusagen die Kirsche auf dem Gruselkuchen.

Und so beginnen am 16. Mai 1967 die Dreharbeiten zu „Die Schlangengrube und das Pendel“ (unter den Arbeitstiteln „Die Wassergrube und das Pendel“ und „Schloss Schreckenstein“, was ein bisschen wie ein Kinderbuch klingt). Regie führt Harald Reinl, Heimatfilm-, Wallace- und May-erfahren beziehungsweise „ein deutscher Spitzenregisseur“, wie der Sprecher des alten Filmtrailers im Bonusmaterial wunderbar ehrfürchtig intoniert (wobei Reinl Österreicher ist). Gedreht wird bei Detmold im Teutoburger Wald, im Isartal und in Rothenburg ob der Tauber. Im Oktober kommt der Film mit vielen Kopien ins Kino, doch der Erfolg ist überschaubar – „die neue Welle“, von der mehrere zeitgenössische TV-Berichte im Bonusmaterial sprechen, hat schon beim ersten Film ausgeplätschert. Ein Jammer. Was hätte aus diesem seriellen Teutonen-Grusel werden können?

 

 

„Die Schlangengrube und das Pendel“ erzählt von einem schreckenerregenden Grafen namens Regula, dem im Prolog des Films, der 1806 spielt, der Garaus gemacht wird. Kein Wunder. Da in seinem Schloss 12 Jungfrauen grausig zu Tode gekommen sind, hält die Justiz eine Enthauptung für zu milde, so dass er auf dem Markplatz gevierteilt wird. 35 Jahre später erhalten ein Anwalt (Lex Barker) und eine junge Baronesse (Karin Dor) mysteriöse briefliche Einladungen, das Schloss des Grafen im „Sandertal im Mittelland“ zu besuchen. Schon die Kutschenreise dorthin ist ein Abenteuer, mit nebelverhangenen Wegen, Leichen, die von Bäumen baumeln, und einem verständlicherweise entnervten Kutscher, gespielt von Dieter Eppler, der übrigens später, zwischen 1970 und 1973, Saarbrücker „Tatort“-Kommissar war.

Angekommen im Schloss – sehr atmosphärische Studiobauten mit leibhaftigen Skorpionen, Spinnen und auch Geiern – erleben sie dann gar Schreckliches. Der tote Graf Regula feiert kurzfristige Auferstehung, ausgerechnet am Karfreitag, denn er steht vor einem wissenschaftlichen Durchbruch: Aus dem Blut der 12 hat er einst eine Essenz des ewigen Lebens destilliert, wie genau, das lässt er im Dunkeln, er erklärt nur lapidar: „Ich will nicht ins Detail gehen“ (man hätte es ja gerne erfahren). Die Essenz wirkt aber erst wirklich, wenn er auch Jungfrau Nummer 13 verarbeitet hat – die Baronesse. Aber das kann und will ihr schneidiger Begleiter in Gestalt Lex Barkers nicht zulassen.

Dass der Film damals die Kinokassen nicht erbeben ließ – man kann es nachvollziehen. Der erste Teil, sieht man von der Vierteilung ab, die der Film geschmackvoll (und der FSK 12-Freigabe geschuldet) als Zeichnung eines Bänkelsängers darstellt, ist sehr gemächlich, bevor es im Schloss (gedreht in den Ateliers der Münchner Bavaria) dann sehr atmosphärisch und auch spannend wird: mit blubbernden Labor-Töpfchen, einem gläsernen Sarkophag und einem Gang, der mit hunderten von Totenköpfen bestückt ist. Insgesamt ist das Ganze weniger strammer Horror denn wohlige Schauerromantik, auf die man sich einlassen muss. Es fallen ehrfürchtig deklamierte Sätze wie „In mondlosen Nächten feiert der Teufel dort Feste“ (gemeint ist das Schloss des Grafen), über die man kichern kann oder die man gruselnd auf sich wirken lassen kann. Eine gewisse ernste Naivität besitzt der Film, wie auch die Winnetou-Filme von Regisseur Reinl. Man kann nur darüber spekulieren, wie der Film geworden wäre, hätte etwa Alfred Vohrer den Film inszeniert, neben Reinl der zweite Stammregisseur der Edgar-Wallace-Filme und eher ein Mann des extremen Effekts und des schwarzen Humors als Reinl.

Ein großer Trumpf des Films ist die Musik von Peter Thomas, nicht so grell wie manche seiner Wallace-Kompositionen, sehr atmosphärisch, teilweise mit Orgelklängen – und im Finale, wenn das Pendel über Lex Barkers Heldenbrust hin und her schwingt, hat das fast etwas von Minimal Music. Thomas‘ Musik ist auf CD beim Deluxe Mediabook enthalten, soll außerdem auf Vinyl und digital erscheinen – es lohnt sich.

Trotz mancher Macken: Der Film ist ein sympathisches Kuriosum des deutschen Kinos, ein „Was hätte daraus werden können“ mit viel Charme und Atmosphäre. Wie gut, dass der Film, der vor 15 Jahren erstmals erschien (bei e-m-s), nun hervorragend restauriert vorliegt, mit viel Bonusmaterial.

Die beiden Editionen, erschienen bei UCM.ONE:

 

MEDIABOOK

1 DVD mit dem Film und eine Blu-ray mit dem Film, plus Audiokommentar (Gerd Naumann, Christopher Klaese, Matthias Künnecke). Außerdem: Der Trailer von einst, 3.20 Minuten. Zitate des dramatischen Sprechers: „Eine romantische Gruselgeschichte“. „Aus dem Reich der Schatten greifen blutgierige Dämonen nach den Lebenden.“ „Das neue Meisterwerk eines deutschen Spitzenregisseurs.“ „Dieser Film gibt ihnen ein ganz neues Gruselgefühl.“

Neuer Teaser, 1.10 Minuten

Slideshow der Film-Rekonstruktion mit Beispiel-Bildern und -Szenen, 8.22 Minuten.

DELUXE MEDIABOOK

Wie das Mediabook, dazu CD mit der Musik von Peter Thomas auf CD und einer weiteren Bonus DVD:

„Ein Grusical wird gedreht.“ WDR-Bericht von 1967, 2.48 Minuten, schwarzweiß. Sehr flott zu Peter-Thomas-Musik montiert. „Der erste deutsche Horrorfilm der neuen Welle.“ (…) „unter der Regie von Dr. Harald Reinl“.

„Neues vom Film“, ZDF 1967 4.02 Minuten, schwarzweiß. „Harald Reinl legt den Grundstein zu einer neuen Kinowelle“, heißt es hoffungsvoll im Film. Reinl sagt, er hab die Poe-Vorlage „bereichert“. Dor erklärt, in Krimis ist man als Figur aktiver, im Horrorfilm eher passiv.

Ufa Wochenschau 1967, 1.28 Minuten. „Erstmals nach dem Kriege versucht ein deutsches Team Anschluss an die Horrorwelle zu finden. Dazu Interviewsätze identisch zu „Neues vom Film“.

Ein Interview mit Karin Dor aus der „Drehscheibe“ des ZDF von 1970. 4.01 Minuten. Interessantes Interview, Dor spricht vom Rollenmangel für sie in Deutschland. „Es gibt für mich hier nichts zu tun. Die Rollen sind einfach nicht vorhanden.“ Und: „Man hat zu 90 Prozent im deutschen Film nichts mehr verloren, wenn man nicht mehr 12 ist und nicht bereit ist, nackt über die Leinwand zu hüpfen.“ In den USA sei man noch „unberührt von der Nacktwelle.“ Und: „Ich kann es mir nicht leisten, TV-Filme zu drehen. Dann muss ich schon einen Film drehen.“

Vergleich der Drehorte damals und heute in Rothenburg ob der Tauber, 7.40 Minuten, von Markus Wolf. Sehr schön gemacht und überblendet.

Super 8-Fassung namens „Das Todespendel – die Burg des Grauens“, 16 Minuten.

Super 8-Fassung 2: „Die Schlangengrube des Dr. Dracula“, 15.22 Minuten, fast quadratisches Bild. Ganz anders geschnitten als die andere Fassung. Ohne den Prolog, und nach drei Minuten ist man schon im Gruselschloss.

Audio Interview mit Karin Dor (39.55 Minuten), vom ersten Berufswunsch (Innenarchitektin), über die Dreharbeiten zu „Man lebt nur zweimal“ zur „Schlangengrube“ (sie fand Christopher Lee, oft als arrogant verschrieb, sehr nett). Man erfährt auch, dass Fred Astaire „ein Schatz“ war und dass sie ihren Film „Haie an Bord“ ziemlich schlimm fand. Die Audio-Qualität ist bescheiden, man muss schon sehr genau hinhören.

Internationale Artwork-Galerie (4.42 Minuten), 48 Motive.

Bilder von den Dreharbeiten, (3.24 Minuten), 35 Motive fast alle in Schwarzweiß.

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