Über Film und dieses & jenes, von Tobias Keßler

Schlagwort: Nostalgie

Serie „Die Journalistin“ mit Marianne Koch: „Frauen im Beruf sind unnötig ehrgeizig“

Die Journalistin Marianne Koch Horst Frank Pidax

Marianne Koch in „Die Journalistin“. Foto: Pidax

 

„Eigene Gedanken? Wenn ich das schon höre – die Leute wollen Popos und Busen sehen.“ So rustikal argumentiert ein wohl ziemlich desillusionierter Journalist  bei einer Redaktions-Konferenz in der Serie „Die Journalistin“. Der 13-Teiler, auf DVD nun von der Riegelsberger Firma Pidax herausgebracht, ist schon 41 Jahre alt – die Diskussion, was Leserin und Leserin wirklich wollen, wird aber heute aber ebenso intensiv geführt wie 1970. Die Titelfigur der Serie glaubt jedenfalls an ein Interesse der Leserschaft jenseits von Sex & Crime – Renate Albrecht (gespielt von Marianne Koch) arbeitet beim fiktiven Hamburger Magazin „Prisma“, ihre Reportagen sind Thema der 13 Episoden, die Georg Tressler („Die Halbstarken“, „Tatort“) inszeniert hat.

Frühe Minirolle von Westernhagen

Um einen alten Herren geht es etwa, der zu Unrecht, aber ohne es zu wissen, jahrelang zu viel Rente bezogen hat und nun 13 000 Mark zurückzahlen soll – mit einer Rente von 350 Mark im Monat. Eine andere Reportage führt die Schreiberin nach Amsterdam, wo ein Popsänger im Blümchenhemd und mit maskulinen Kräusel-Koteletten in tiefer Sinnkrise versinkt; selbst im Urlaub hat die Journalistin keine Freizeit, kommt sie unter südlicher Sonne doch zwei Trickbetrügern auf die Spur. Weniger glamourös ist es in Wanne-Eickel, wo die Schreiberin – in einer der originellsten Folgen – den Auswirkungen eines Lottogewinns nachspürt: Angesichts von 240 000 Mark und des damit verbundenen Neids bröckeln Familienbeziehungen und Freundschaften. In einer Nebenrolle als gitarrespielenden Ruhrpottler mit buschigem Haarschopf kann man einen sehr jungen Marius Müller-Westernhagen sehen.

 

Die Journalistin Pidax Siegfried Rauch Nürburgring

Mit Siegfried Rauch auf dem Nürburgring. Foto: Pidax

Nicht jede Episode, musikalisch umschmeichelt von einem wohligen Titelthema von Martin Böttcher („Winnetou“), spannt einen großen Spannungsbogen – reizvoll aber sind selbst die gemächlicheren Folgen, weil die Serie viel nostalgische Atmosphäre versprüht: Keine tut dies mehr als „Der erste Sonntag im August“, die beim Rennen auf dem Nürburgring spielt. Dort will die Journalistin etwas über einen schneidigen Nachwuchsrennfahrer schreiben; einen straffen Plot besitzt diese Folge nicht, dafür aber eine nahezu dokumentarische Anmutung: Es scheint, das Filmteam hat sich mit den Darstellern (darunter Siegfried Rauch, der kurz darauf auch im Steve-McQueen-Film „Le Mans“ als Rennfahrer auftrat) einfach in den Rennställen niedergelassen und dort die Kamera laufen lassen. Das Ergebnis ist ein interessantes Zeitdokument.

Guter Oldie „Polizeiaktion Dynamit“

Den roten Faden durch die Episoden knüpft das Verhältnis der Journalistin zu einem Star-Fotografen, der ihr mehr oder weniger aufgezwungen wird. Den spielt der raubeinige Horst Frank als harten Hund mit weicher Seite, der netter ist, als seine Großspurigkeit vermuten lässt. Erst knirscht es laut zwischen den beiden, sind sie im Blick auf die Emanzipation doch nicht ganz auf Augenhöhe. „Frauen im Beruf sind unnötig ehrgeizig“, stellt der Fotograf fest und ist mit seiner Sicht nicht allein. Der Chefredakteur etwa stellt seine Sekretärin so vor: „Gisela, meine rechte Hand. Hochempfindlich, aber zuverlässig wie eine Dampfwalze.“ Charmant. Und der Verleger rät dem Fotografen: „Sagen Sie bloß nicht, Sie arbeiten nicht mit Frauen – sie ist als Journalistin nämlich so gut, wie sie hübsch ist.“ Beides wird dem Fotografen im Laufe der Serie immer klarer, und auch die Journalistin blickt irgendwann hinter die glatte Macho-Fassade. Wie die Annäherung ausgeht, kann man sich ausmalen, ohne zu viel Fantasie zu bemühen. Doch vor dem Glück steht noch ein finaler Streit um Rebellion und Bürgerlichkeit – die Journalistin will vom Fotografen mit Bohemien-Gestus nicht spießig genannt werden, „nur weil ich nicht Mao schreie und Hasch rauche“. Verständlich.

Erschienen bei Pidax.
13 dreiviertelstündige Folgen auf 4 DVDs.
www.pidax-film.de

 

„Flying Clipper“: Fernweh in 70 Millimeter

Fernweh in 70 Millimeter: Der alte Reisefilm "Flying Clipper"

 

Was für ein Zeitdokument – und was für Farben! Das Blau des Meeres leuchtet, das Weiß des Segelschiffs strahlt, und angesichts des knalligen Rots eines Rennwagens in Monaco möchte man zur Sonnenbrille greifen. „Flying Clipper“ ist ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 1962, der auch mit 55 Jahren noch spektakulär ist: Zwei Regisseure und vier Kameramänner haben mit eigens konstruierten 70-Millimeter-Kameras die Reise eines schwedischen Schulschiffs begleitet, von der Nordsee bis zum Nil.

Besuch bei der Firma Pidax – Nostalgie als Programm

Zweieinhalb Stunden dauert dieser Film (mit Ouvertüre und Pausenmusik!), der jetzt fürs Heimkino erscheint und eine Entdeckung ist: Weil die Bilder durch das hochauflösende Filmformat kristallklar wirken, aber vor allem durch den Zeitgeist, der den Film durchweht. Der Massentourismus lag in weiter Ferne, Erzähler Hans Clarin beschwört weihevoll „die Sehnsucht nach dem Süden“, nach Rhodos, Capri und den Pyramiden, „aber für viele Menschen wird diese Sehnsucht lebenslang ein Traum bleiben“. Es gab eben noch keine Billigflieger.

„Beirut, das Paris des nahen Ostens“

Keine Darsteller im strengen Sinne gibt es, man verfolgt die Arbeit der Matrosen und des Kapitäns, sie „segeln hart am Wind“, wie Clarin intoniert, und gemeinsam erreicht man unter anderem Nazaré, Barcelona, „Beirut, das Paris des nahen Ostens“, „den Libanon mit seinen Zedern“ und auch Afrika, „den schwarzen Erdteil“. Da fühlt man sich als Zuschauer bisweilen wie ein Entdecker, der als erster den Fuß auf fremde Kontinente setzt. Manchmal hat der Film seine Längen, aber immer wieder gelingen fantastische Bilder: etwa die Starts von Maschinen auf einem US-Flugzeugträger und die Aufnahmen vom Straßenrennen in Monaco. Am Ende, im Heimathafen, wird Erzähler Clarin melancholisch; die Welt sei so hektisch geworden, dass solche Segelschiffe wie die „Flying Clipper“ von gestern seien. Da will man sich seinem finalen weihevollen Wunsch vollen Herzens anschließen: „Möge sie bestehen bleiben, die edle Seefahrt unter weißen Segeln.“

Bonus:

Interviews mit Jürgen Brückner, Kameramann und Verleiher (30 Min.), Herbert Born, Inhaber des Schauburg-Kinos in Karlsruhe (11 Minuten) und Marcus Vetter, Theaterleiter und Vorführer in der Schauburg (14 Minuten).

Aushangfotos

Trailer

Erschienen bei Busch Media Group.

 

Wenn das Kino der Kindheit vor sich hin bröckelt

Kino der der Kindheit Nostalgie St. Wendel Central-Theater

Das erste Kino – man vergisst es nie. Da mögen die späteren Filmtheater größer sein, mit perfekter Technik und Leinwand in Fußballplatzgröße protzen, doch nichts kommt mehr heran an die ersten Besuche im Filmtheater – in meinem Fall das Central Theater in der St. Wendeler Brühlstraße, an der Blies gelegen. Schon zu meinen ersten Besuchen, Mitte der 70er, versprühte das Kino den Charme von gestern, schließlich war es ein Kind der Nachkriegszeit, 1946 eröffnet. Sessel würde man die hölzerne Bestuhlung wohl heute nicht mehr nennen – allzu herzhaft schepperten die Sitze per Feder beim Aufstehen nach hinten. Aber es waren magische Momente im Central Theater, meist im Parkett. Denn der so genannte „Sperrsitz“ im hinteren Drittel kostete eine Mark mehr, und der Balkon wurde gemieden, um Taschengeld zu sparen. Ein laut tönender Gong kündigte Filme wie das „Dschungelbuch“ an, mit Louis dem Affenkönig und dem tot geglaubten Bär Balu, der regungslos im Dschungelregen lag. Immer sonntags um 16 Uhr liefen bunte Kinderfilme, die sich vor allem aus der japanischen „Godzilla“-Schmiede rekrutierten. Und im Sommer war das Kinoglück perfekt: Ein gelbrotes Plakat kündete vom „Sommer-Filmfestival“: Jeden Tag lief ein anderer Klassiker, ein buntes Programm zwischen „Papillon“ und dem „Weißen Hai“, der einem den Besuch im St. Wendeler Freibad für einige Tage vergällen konnte. Und nicht zuletzt die Bond-Filme kamen dazu.

Freundlich waren die Kinobetreiber. Wenn man sich die Zeiten in den Schaukästen nicht gründlich ansah und deshalb in den falschen Film marschierte – „Godzilla“ mit Gummimonstern statt „Jeder Kopf hat seinen Preis“ mit Steve McQueen – und das erst 20 Minuten nach Filmbeginn bemerkt hatte, konnte man die Kinokarte später nocheinmal für Herrn McQueens Abenteuer verwenden. Im Freundeskreis sagenumwoben war die Herrentoilette, rechts neben der Leinwand die Treppe hinunter. Von dort aus, so munkelten wir, gäbe es einen direkten Zugang zur Blies, mit besonderem Mut könne man sich also kostenlos ins Kino schleichen. Ausprobiert hat das von uns aber niemand. Und heute geht das nicht mehr – 1998, ein halbes Jahrhundert nach der Eröffnung, hat das Central-Theater geschlossen. Die alten Schaukästen sind noch da, aber alles andere bröckelt.

 

Kino der der Kindheit Nostalgie St. Wendel Central-Theater

 

Kino der der Kindheit Nostalgie St. Wendel Central-Theater

Kino der der Kindheit Nostalgie St. Wendel Central-Theater

Kino der der Kindheit Nostalgie St. Wendel Central-Theater

Kino der der Kindheit Nostalgie St. Wendel Central-Theater

 

Nett und neu auf Blu-ray: „Der scharlachrote Pirat“

 

Robert Shaw

 

Gänzlich abgesoffen ist er ja nicht, der gute alte Piratenfilm – aber gäbe es Johnny Depp und die „Fluch der Karibik“-Reihe nicht, würde kein Freibeuter mehr über die Leinwand segeln. Nach den goldenen Zeiten von Errol Flynn oder dem „Roten Korsar“ versuchten Studios immer wieder, das Genre wiederzubeleben – fast immer vergeblich, manchmal spektakulär scheiternd: 1996 etwa versenkte „Die Piratenbraut“, satte 100 Millionen Dollar teuer, nur eines: ihr Filmstudio Carolco.
Einen vergeblichen, dennoch sehenswerten Wiederbelebungsversuch unternahm Hollywood 1976 mit „Der scharlachrote Pirat“, als DVD lange vergriffen und nun erstmals in brillantem HD auf Blu-ray zu sehen. Der Film ist ein Vehikel für den 70er-Jahre-Star Robert Shaw („Der Clou“, „Der weiße Hai“). Die Geschichte ist dünn: Ein Pirat (Shaw) fechtet einen sadistischen Südsee-Tyrannen ins Jenseits. Die Ausführung aber ist prächtig: Breitwandformat und bunte Bilder, die die tiefblaue See und den roten Einteiler des Piraten geradezu erstrahlen lassen.

Robert Shaw

 

Auffällig müht sich der Film, den naiven Abenteuergeist der alten Filme neu zu entfachen. Fast jeder Satz wird mit Impetus geschmettert, begleitet von mannhaftem „hahahaaa!“ und den Zusätzen „mein verrückter Freund“ oder „Du Schurke!“. Ein bunter Spaß von gestern, dessen Nostalgie sich sogar noch steigern lässt: Die Blu-ray enthält auch eine gekürzte Schmalfilmversion aus den 80ern, als Super-8 noch die Krönung der Heimkinotechnik war.

Erschienen bei Koch Media.

 

Robert Shaw

 

Robert Shaw

„Bier und Spiele“ auf DVD – ein goldener Serien-Oldie

Bier und Spiele

Regisseur Michael Verhoeven, Ehrengast des gerade zu Ende gegangenen Ophüls-Festivals, ist vor allem für Politisches bekannt: „Die weiße Rose“, „Mutters Courage“, „Das schreckliche Mädchen“ oder auch „Der unbekannte Soldat“. Da werden Folgen vom „Kommissar“ oder „Tatort“ rückblickend oft übersehen; jetzt erscheint Verhoevens 1977er TV-Serie „Bier und Spiele“ auf DVD, die in den Mikrokosmos eines Handballvereins namens SV Wallbach führt. Der hat gerade den Aufstieg in die erste Liga geschafft (dank der Bestechung des Gegners) und muss sich in dieser neuen Welt erstmal zurechtfinden – sind alle Spieler noch gut genug? Muss der in die Jahre gekommene Masseur gehen? (Hauptsache, der unfähige Neffe des Sponsors bleibt!).

„OSS 117 – Liebesgrüße aus Afrika“ mit Jean Dujardin

Manche 70er-Jahre-Serien erfreuen ja mit Zeitgeist-Optik von einst und ruhigem Erzählrhythmus; „Bier und Spiele“ bietet zwar auch Schnauzbärte, Schlaghosen und bizarre Tapeten zuhauf – der Rhythmus der 14 Episoden à 25 Minuten ist aber ausgesprochen flott. Schon in der ersten Minute ist klar, dass der bierbrauende Sponsor („Sei schlauer, trink Schauer!“) gottgleich über dem Verein thront; der Manager (Friedrich von Thun) lenkt geschickt, man möchte ihn nicht zum Feind haben, aber unbedingt zum Freund, denn „solange ich hier bin, haben alle ihre Schäfchen im Trockenen“. Die verräucherten Hinterzimmer, muffigen Umkleidekabinen und abgewohnten Vereinskneipen, fast dokumentarisch abgebildet, werden zur Bühne von kleinen und großen Sorgen, Konflikten und immer wieder Mauscheleien – sehr sehenswert.

Erschienen bei Polar Film.

 

Bier und Spiele

 

Bier und Spiele

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