Film und dieses & jenes

Schlagwort: Stanley Kubrick

Interview mit Katharina Kubrick

Katharina Kubrick im Filmhaus Saarbrücken, wo die Retrospektive "Kubrick Komplett" am 26. Juli, dem Geburtstag ihres Vaters, eröffnet wurde. Das Foto über ihr zeigt den in Saarbrücken geborenen Regisseur Wolfgang Staudte (1906-1984); er hat, auf Kubricks Wunsch, die deutschen Synchronfassungen von drei Filmen betreut: "Uhrwerk Orange", "Barry Lyndon" und "Shining". Foto: tok

Katharina Kubrick im Filmhaus Saarbrücken, wo die Retrospektive „Kubrick Komplett“ am 26. Juli, dem Geburtstag ihres Vaters, eröffnet wurde. Das Foto über ihr zeigt den in Saarbrücken geborenen Regisseur Wolfgang Staudte (1906-1984); er hat, auf Kubricks Wunsch, die deutschen Synchronfassungen von drei Filmen betreut: „Uhrwerk Orange“, „Barry Lyndon“ und „Shining“. Foto: tok

Eine ambitionierte Filmreihe: „Kubrick komplett“ im Filmhaus Saarbrücken widmet sich dem US-Filmemacher Stanley Kubrick (1928-1999). Die komplette Retrospektive läuft 13 Wochen, beginnt am 26. Juli mit Kubricks letzter Produktion „Eyes Wide Shut“ von 1999 und bewegt sich dann chronologisch rückwärts. Jede Woche ist ein Film zu sehen, ebenso im Original wie in synchronisierter Fassung. Im Oktober endet die Reihe mit Kubricks Spielfilmdebüt „Fear and Desire“ und selten gezeigten Kurzfilmen. Zur Eröffnung ist Kubricks Tochter Katharina Kubrick (70) aus London angereist – sie hat an Filmen ihres Vaters mitgearbeitet, aber auch in verschiedenen Funktionen an Produktionen wie „Moonraker“, „Der Spion, der mich liebte“ und „Der dunkle Kristall“.

In seinem Film „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ hat Ihr Vater ein Bild der US- und Weltpolitik am Rande des Wahnsinns gezeichnet, beziehungsweise mittendrin. Mit einem US-General namens Jack D. Ripper, der aus Verfolgungswahn Atombomber losschickt, unter anderem, weil er politische Feinde für seine Impotenz verantwortlich macht. Das war 1964. Heute, in der Ära der „alternativen Fakten“, würde man sich über diese Figur vielleicht weniger wundern als damals – was würde Ihr Vater wohl heute denken?​

KUBRICK Ich fürchte, angesichts des aktuellen Zustands der US-Politik wäre er deprimiert und schockiert. Ich bin mir sicher, dass es damals im Militär tatsächliche Jack D. Rippers gab – und dass es sie heute gibt. Die beiden Figuren Jack D. Ripper und General Turgidson aus dem Film basieren auf der realen Person Curtis E. LeMay vom „Kommando für strategische Langstreckeneinsätze“. Ihm wird unter anderem dieses Zitat zugeschrieben: „Wenn man genug Feinde umbringt, dann hören die auch auf zu kämpfen.“​

Das oft überlieferte Bild Ihres Vaters ist das eines kühlen, distanzierten Einsiedlers, der sich auf seine Festung im Grünen nahe London zurückgezogen hatte, hinter elektrischen Zäunen. Wie weit entfernt von der Wahrheit ist das?​

KUBRICK Weiter entfernt könnte es nicht sein. Und das Wort „Festung“ stimmt schon gar nicht. Das Landhaus Childwickbury war ein ideales Zuhause für ihn, mit vielen Zimmern, viel Garten, viel Platz für die ganze Familie, die Katzen, Hunde – und die Esel. Meine Mutter hat dort bis heute ein großes Atelier und Gewächshäuser.​

Hat Ihren Vater dieses oft kolportierte Bild des Sonderlings und Eremiten gestört?​

KUBRICK Klar, das hat meinen Vater natürlich geärgert, und nun kann er sich nicht mehr wehren. Mich ärgert es bis heute, dass jemand schnell für seltsam oder gar verrückt gehalten wird, bloß weil er in Ruhe und mit genug Platz an einem friedlichen Ort arbeiten will.​

Vielleicht hing ihm dieses Image der Kälte und der Distanz auch an, weil seine Sicht auf die Welt und die Menschen in seinen Film so pessimistisch und finster war. Aber ein Menschenfeind war er nicht?​

KUBRICK Überhaupt nicht. Er war einfach ein sehr genauer Beobachter der menschlichen Existenz. Und die Bücher, von denen er sich hat inspirieren lassen, erzählten Geschichten über das Menschsein – und der Mensch selbst ist ja oft der Grund für sein persönliches Elend.​

Sie sind auch an Drehorten aufgewachsen und bei Dreharbeiten – das klingt schon sehr interessant.​

KUBRICK Das war es auch – in jedem Fall war es keine übliche Kindheit. Wir sind sehr viel gereist, ich habe insgesamt 13 Schulen besucht, wir haben sieben Mal den Atlantik überquert, in Schiffen wie der „Queen Mary“. Das war natürlich sehr schön. Anders als andere „Showbiz-Kinder“ wurden wir nie ins Internat geschickt. Meine Eltern wollten die Familie immer beieinander haben.​

Ab dem Film „Barry Lyndon“ 1975 haben Sie an den Filmen Ihres Vaters mitgearbeitet, so wie Ihre Schwestern Vivian und Anya.​

KUBRICK Ganz stimmt das nicht – meine inzwischen verstorbene Schwester Anya hat nie an einem seiner Filme gearbeitet, sie war Musikerin und Opernsängerin, Filmemachen war nicht ihr Ding. Aber mein Vater hat es geliebt, die Familie so viel wie möglich mit einzubeziehen. Mein Onkel Jan Harlan, der Bruder meiner Mutter Christiane, wurde sein Produzent, mein Cousin Manuel Harlan hat als Fotograf bei den Filmen meines Vaters angefangen und ist jetzt ein sehr respektierter Fotograf an Londoner Theatern und Opernhäusern. Dominic Harlan, ein weiterer Cousin, ist Pianist, hat bei der Musik für „Eyes Wide Shut“ mitgearbeitet und dafür ein Motiv von Ligeti eingespielt.​

Wie sah Ihre Arbeit an seinen Filmen aus? Sie haben nebenbei ja auch Kurzauftritte in „Uhrwerk Orange“ und „Eyes Wide Shut“.​

KUBRICK Ich habe für einige seiner Filme Drehorte gesucht und war für Requisiten verantwortlich. Ich habe das zwischen den Arbeiten an anderen Filmen gemacht, es war mir aber wichtig, mich in der Branche unabhängig von ihm zu etablieren.​

Die Filme Ihres Vaters müssen für Sie eine Art Tagebuch oder Lebensbegleiter sein. Ragt da einer besonders heraus?​

KUBRICK Ganz sicher „Barry Lyndon“, denn da war ich von Anfang an beteiligt, am ganzen Prozess des Films. Und als ich da mit Ken Adam (legendärer Film-Architekt und Ausstatter, Anmerkung der Redaktion) im Art Department gearbeitet hat, wurde mir klar, dass ich genau das machen und als Set-Designerin arbeiten will.​

Die Retrospektive in Saarbrücken beginnt mit dem letzten Film Ihres Vaters, „Eyes Wide Shut“. Ein durchaus passender Abschied. Mit Tom Cruise und Nicole Kidman auf der Höhe ihres Ruhms besetzt, aber kein Star-Vehikel, sondern eine sehr melancholische, bittere Geschichte um Ehe, Eifersucht und die Zerbrechlichkeit von Vertrauen. Einen solchen Film hätte damals außer Ihrem Vater wohl niemand finanziert bekommen.​

KUBRICK Darüber, diesen Film zu machen, hat er 30 Jahre lang nachgedacht. Als er abgeschlossen war, sagte er mir, dass er ihn für seine wichtigste Arbeit hält. Er war sehr stolz auf den Film. Ich finde, dass das Warner-Studio, das den Film in die Kinos brachte, „Eyes Wide Shut“ sehr schlecht vermarktet hat – das Publikum musste wegen der Werbekampagne eine anzügliche Bettgeschichte mit Tom und Nicole erwarten – bekam aber einen ernsten, seelenzerreißenden Blick auf Eifersucht und menschliche Schwächen. Es hatte schon seinen Grund, dass mein Vater so lange gewartet hat, bis er sich bereit fühlte, diesen Film über Situationen zu drehen, bei dem jeder und jede im Publikum eigene Erfahrungen hat. Meine Erfahrung ist, dass ältere Menschen den Film viel besser verstehen als jüngere.​

 

 

Der Film basiert auf der „Traumnovelle“, einem Werk von Arthur Schnitzler – von ihm stammt auch die Vorlage zum Film „Der Reigen“ des in Saarbrücken geborenen Regisseurs Max Ophüls. Ihr Vater galt als Bewunderer von Ophüls.​

KUBRICK Ja, er hat oft über seine Filme gesprochen und nannte ihn einen großartigen Regisseur. Ich muss aber zugeben, und es ist mir ein wenig peinlich, dass ich noch nie einen Ophüls-Film gesehen habe.​

Ihr Vater starb im Alter von 70 Jahren überraschend, wenige Tage nach der Fertigstellung von „Eyes Wide Shut“. Wie sehr vermissen Sie ihn?​

KUBRICK Sehr und jeden Tag – sein Wissen, seine Ermutigungen, sein Lösen von Problemen und sein Lachen. Ich bin traurig darüber, dass meine drei Söhne ohne ihn aufgewachsen sind und dass er zwei Urenkelinnen hat, die er nie sehen wird.​

Sie sprechen regelmäßig über das Werk Ihres Vaters, begleiten Ausstellungen und Filmvorführungen. Hilft das auch, eine gewisse Verbindung aufrechtzuerhalten, als eine Art Trauerarbeit?​

KUBRICK Ja, das hilft eine ganz Menge. „Trauerarbeit“ ist ein gutes Wort – aber es ist mehr als das. Es ist eine Art Mission für mich, falsche Vorstellungen, die sich viele von ihm machen, zurecht zu rücken. Eines Tages wird niemand mehr da sein, der ihn erlebt und gekannt hat – und es gibt immer Leute, die ihm etwas andichten. Das kann ich hoffentlich korrigieren.​

Termin: „Eyes Wide Shut“ eröffnet die „Kubrick Komplett“-Retrospektive im Saarbrücker Filmhaus am Freitag, 26. Juli. Ab 18 Uhr gibt es ein ausführliches Gespräch mit Katharina Kubrick, Kubricks Nachlass-Archivar Richard Daniels und Filmhaus-Leiter Nils Daniel Peiler. Danach läuft der Film in der englischen Originalfassung.

Das gesamte Programm der Retrospektive:  https://filmhaus.saarbruecken.de
Die Seite von Katharina Kubrick: https://www.kubrickart.com/

„Kubrick komplett“ – große Retrospektive zu Stanley Kubrick im Filmhaus Saarbrücken

 

 

Wie schön! Ein famoses Plakat abseits des Üblichen und Erwartbaren. Kein „2001“-Monolith, kein Jack Nicholson mit der Axt, sondern mal mehr, mal weniger offensichtliche Hinweise auf die Filme von Stanley Kubrick. (Ich habe nicht alles enträtselt).

Sarah Noack hat das hintersinnige Plakat gestaltet.

Die große Retrospektive über Stanley Kubrick im Filmhaus in Saarbrücken  beginnt am 26. Juli mit dessen letztem Film „Eyes wide shut“. Aus London kommt Kubricks Tochter Katharina Kubrick zu einem Filmgespräch; sie spielt in „Eyes wide shut“ mit.

Danach geht es 13 Wochen lang chronologisch zurück bis zu Kubricks Debüt „Fear and Desire“ von 1953, von dem er später nichts mehr wissen wollte.

Alle Termine der Retrospektive

„Der regelmäßige Gang ins Kino muss wieder gelernt werden.“ Interview mit Nils Daniel Peiler, dem neuen Leiter des Filmhaus Saarbrücken

Nils Daniel Peiler an seinem neuen Arbeitsplatz, dem Saarbrücker Filmhaus. 1988 in Saarbrücken geboren, hat Peiler Germanistik und Bildwissenschaften der Künste in Saarbrücken sowie Film- und Medienwissenschaften in Frankfurt, Paris und Amsterdam studiert. Promoviert hat er über die Rezeptionsgeschichte von Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“. Foto: Oliver Dietze

Nils Daniel Peiler an seinem neuen Arbeitsplatz, dem Saarbrücker Filmhaus. 1988 in Saarbrücken geboren, hat Peiler Germanistik und Bildwissenschaften der Künste in Saarbrücken sowie Film- und Medienwissenschaften in Frankfurt, Paris und Amsterdam studiert. Promoviert hat er über die Rezeptionsgeschichte von Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“.     Foto: Oliver Dietze

 

Nils Daniel Peiler ist neuer Leiter des Saarbrücker Filmhauses. Der Filmwissenschaftler aus Saarbrücken, der zuletzt einige Jahre Kurator für die Kinemathek Hamburg und deren Metropolis Kino war, ist in der hiesigen Szene gut bekannt – im Kino Achteinhalb war er für einige denkwürdige Reihen und Veranstaltungen verantwortlich. Was hat er im Filmhaus vor?

Im Filmhaus haben Sie sich als Kind und Jugendlicher viele Filme angeschaut, jetzt sind Sie der Leiter des Kinos – ein merkwürdiges Gefühl?​

PEILER Ein sehr schönes. Wenn ich durch die Räume gehe oder in den Kinosaal, fallen mir die vielen Filme ein, die ich hier gesehen habe.​

Was war der erste im Filmhaus?​

PEILER Disneys „Alice im Wunderland“, da war ich sechs oder sieben Jahre alt. Meine Mutter nahm mich mit ins Kino, wofür ich ihr auf ewig dankbar bin. Eigentlich sollte „Bambi“ laufen, dann wurde das Programm geändert, „Alice im Wunderland“ lief – und bescherte mir nachhaltige Albträume. Das hat mich aber nicht davon abgehalten, weiter ins Kino zu gehen. Als Jugendlicher und junger Erwachsener bin ich weiter viel ins Filmhaus, habe jede Menge gesehen. Unvergessen ist zum Beispiel „Wie im Himmel“, der größte Erfolg im Filmhaus, der hier über zwei Jahre lang ununterbrochen lief. Das ist auch der Film, über den ich meinen ersten Kinotext geschrieben habe. „Wie im Himmel“ wird hier bald nochmal laufen, viele Kinogängerinnen und Kinogänger haben den Titel in das Filmwunschbuch geschrieben, das jetzt an der Kasse ausliegt.​

Wie es dem Kino Achteinhalb geht

Wie kamen Sie auf die Idee des Wunschbuchs?​

PEILER Die habe ich mir vom „Prince Charles Cinema“ in London abgeschaut. Dort gibt es im Kinofoyer eine große Tafel, auf die das Publikum mit Kreide seine Wünsche schreibt. Jetzt haben wir im Filmhaus auch eine Tafel und ein Buch im Foyer, die bieten eine schöne Interaktion mit dem Publikum – es wird eine neue Sektion mit Publikumswünschen geben.​

Zuletzt waren Sie Kurator bei der Kinemathek Hamburg – haben Sie lange überlegt, sich auf die Stelle in Saarbrücken zu bewerben?​

PEILER Überhaupt nicht. Und nach dem Vorstellungsgespräch ging alles sehr schnell. Meine Vorgängerin Christel Drawer hat mich eingearbeitet und noch einige Renovierungsarbeiten angestoßen, unter anderem die der Schaukästen, da bin ich ihr sehr dankbar. Im Vorstellungsgespräch war schnell klargeworden, dass es eine große Schnittmenge gibt zwischen dem, was die Stadt sich vorstellt, wie das Haus noch mal neu aufgestellt werden kann, und dem, was ich an Ideen mitbringe.​

Welche sind das – was wird sich ändern im Filmhaus?​

PEILER Es wird mehr Veranstaltungen mit Gästen geben, mehr Diskussionen, Einführungen, Podiumsgespräche. Wenn eine Regisseurin, ein Regisseur kommt, gibt es immer viel Zuspruch. Ich wünsche mir eine filmische Vielfalt für ein breites Publikum, das sich im Filmhaus einbringen soll. Ich begrüße das Publikum ja gerne persönlich, um den Leuten zu sagen, dass ich mich freue, dass sie da sind – das ist aufrichtig gemeint und keine hohle Phrase. Ich bin froh, wenn ich angesprochen werde, wenn Anrufe oder Mails kommen mit Wünschen und mit Rückmeldungen. Externe Ideen sind wichtig, nur dann kann das Programm bunt und vielfältig werden. Ich will es ja nicht alleine bestimmen.​

Das Saarbrücker Kinomagazin „35 Millimeter“

Aber Etabliertes wird bleiben?​

PEILER Natürlich, unsere Reihe „Filmreif“ zum Beispiel: Alle zwei Wochen gibt es am Montagnachmittag ab 15 Uhr einen Film, dazu Kaffee und Kuchen, für insgesamt fünf Euro. Zwischen 80 und 120 Personen kommen da regelmäßig zu uns, sie verabreden sich Wochen vorher, sitzen zusammen, reden und reservieren schon mal fürs nächste Mal. Das wird auf jeden Fall weitergehen.​

Wird es thematische Reihen geben, auch Retrospektiven?​

PEILER Ja – Stanley Kubricks Tod jährt sich 2024 zum 25. Mal, an seinem Geburtstag am 26. Juli beginnen wir eine vollständige Retrospektive mit allen Kubrick-Filmen. Wir starten mit seinem letzten Film „Eyes Wide Shut“ von 1999, dann geht es Woche für Woche mit 13 Produktionen zurück bis hin zu seinen frühen Kurzfilmen. Wir werden die Werke sowohl im Original, mit und ohne Untertitel, als auch synchronisiert zeigen. Und zur Eröffnung beehrt uns Tochter Katharina Kubrick aus London persönlich.​

Nils Daniel Peiler im Kino des Filmhauses. Über die Schulter schauen ihm die in Saarbrücken geborenen Regisseure Max Ophüls (1902-1957, links) und Wolfgang Staudte (1906-1984). ⇥Foto: Oliver Dietze

Über die Schulter schauen ihm die in Saarbrücken geborenen Regisseure Max Ophüls (1902-1957, links) und Wolfgang Staudte (1906-1984).    Foto: Oliver Dietze

Sie haben über Kubricks „2001“ promoviert und im Kino Achteinhalb mal eine Vorführung mit durchgehendem Live-Kommentar gemacht. Wird es im Filmhaus Ähnliches geben?​

PEILER Ich gebe zu jedem Film der Kubrick-Retro eine kurze Einführung. So eine ausladende Retrospektive im Filmhaus ist für uns natürlich ein Experiment, von dem ich hoffe, dass das Publikum es annimmt. Vielleicht interessieren sich auch Menschen in der Großregion dafür und kommen mal nach Saarbrücken. Abgesehen von Kubrick wird es eine Reihe zum 40. Todestag des in Saarbrücken geborenen Regisseurs Wolfgang Staudte geben, in Zusammenarbeit mit der Saarbrücker Staudte-Gesellschaft. Auch mit dem Filmfestival Max Ophüls Preis wird es mehr Zusammenarbeit geben.​

Hoffen Sie auch auf mehr junges Publikum?​

PEILER Ja, da gibt es noch Luft nach oben. Ich würde das Filmhaus gerne öffnen für alternative Formate, etwa für mehr Kurz- oder Hochschul-Abschlussfilme. Vor drei Wochen habe ich ganz zufällig den Filmemacher Axel Ranisch vor dem Filmhaus getroffen, der gerade Gastdozent ist an der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK). Im Sommer, wenn er das nächste Mal wieder mit seiner Filmklasse hier in Saarbrücken beschäftigt ist, machen wir zusammen eine Werkschau und zeigen in seiner Anwesenheit seinen persönlichen Lieblingsfilm. Wir wollen auch verschiedene Gewerke und Berufswege filmisch vorstellen – Regie, Schnitt, Produktion und so weiter. Generell versuche ich, ein neues Publikum zu gewinnen – aber auch Menschen zurück zu gewinnen, die möglicherweise lange nicht mehr im Kino waren.​

Der Plakatflohmarkt am Filmhaus

Vielleicht auch durch Repertoire-Pflege und verdiente Klassiker?​

PEILER Die haben im Haus ja eine gute Tradition, auch wenn das in letzter Zeit zurückgegangen ist. Ich werde sie noch mal zurückbringen – darin haben mich auch viele Rückmeldungen im Wunschbuch und auf der Wunschtafel bestärkt. Stummfilme mit Live-Begleitung sind möglich, wir haben ja auch ein Klavier hier.​

Wie groß ist das Team des Filmhauses?​

PEILER Klein. Wir sind aktuell nur zu dritt, aber sehr engagiert. Die beiden Festangestellten Herr Chelly und Herr Seidel sind seit über 20 Jahren am Haus, haben eine Passion fürs Kino und kennen auch das Saarbrücker Publikum, was für unsere Arbeit sehr wichtig ist.​

Wie ist Ihr Verhältnis zu den anderen Kinos in Saarbrücken, vor allem zur Camera Zwo und dem Kino Achteinhalb, mit denen es die meisten filmischen Berührungspunkte geben dürfte – und auch mögliche Überschneidungen?​

PEILER Mir ist ganz wichtig: Das Filmhaus soll keine Konkurrenz sein, ich will eine gute Zusammenarbeit, Austausch und Kooperation. Wir haben uns auch schon getroffen und miteinander geredet. Wir haben ein mögliches Publikum, dass wir teilen. Aber jedes Haus besitzt sein eigenes Profil. Das des Filmhauses will ich jetzt aktualisieren. Wir werden zwar Klassiker und Reihen bieten, wollen aber in jedem Fall ein Startkino bleiben, in dem Filme zu ihrem Bundesstart anlaufen. Natürlich gehe ich davon aus, dass die Camera Zwo weiterhin die großen Arthouse-Kinostarts macht. Aber es gibt auch mittlere bis kleinere Verleihe, die mit ihren Filmen bislang gar keinen Start in Saarbrücken bekommen haben. Da sehe ich für uns im Filmhaus einiges Potenzial. Verleiher haben natürlich ein großes Interesse, ihre Titel auch in Saarbrücken zu starten. Mehr Vielfalt also! Wir haben mit 125 Plätzen einen relativ großen Saal – wenn wir auch leider nicht mehr regelmäßig den früheren zweiten Saal bespielen, den „Schauplatz“, wo wir den Film dann weiter zeigen könnten, während im großen Saal ein neuer Film startet.​

Was wünscht sich die Stadt von Ihnen kommerziell? Gibt es Vorgaben und Zahlen?​

PEILER Ich habe keine konkrete Vorgabe bekommen, was die Auslastung betrifft oder welche Marge ich erwirtschaften soll. Ich bin sehr froh, dass die Stadt mich erstmal ankommen und ausprobieren lässt. Es ist natürlich eine komfortable Situation, dass Saarbrücken sich so ein tolles Haus leistet, ein kommunales Kino in städtischer Trägerschaft. Ich habe in den ersten Wochen hier schon sehr viel Aufbruchsstimmung gespürt – auch hier direkt in der Nachbarschaft in der Mainzer Straße.​

Aber auf die Zuschauerzahlen müssen Sie schon schauen, oder?​

PEILER Natürlich – ich will ja auch kein Kino in einem fast leeren Saal zeigen. Aber grundsätzlich freue ich mich, dass ich hier eine Grundfinanzierung habe, mit der ich arbeiten kann. Das sind andere Voraussetzungen, als wenn wir ein kommerzieller Spielbetrieb wären. Mein Ansatz als freier Kurator war über die Jahre eine Art Mischkalkulation: Kleinere, vielleicht weniger populäre, aber wichtige Programme sollen von populäreren refinanziert werden.​

Nostalgie: Kino-Anzeigen von 1977

Wird sich an den Eintrittspreisen etwas ändern?​

PEILER Nein. Die Eintrittspreise sind mit 7,50 Euro, plus Aufschlag bei Überlänge, moderat und werden das auch bleiben. Montags und dienstags kostet es für alle sechs Euro. „Filmreif“ kostet wie gesagt fünf Euro mit Kaffee und Kuchen, durch die Unterstützung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Die niedrigen Preise sind wichtig, denn wir sind ja kein kommerzielles Kino, sondern ein öffentlicher Ort, an dem Menschen zusammenkommen und miteinander in Kontakt kommen sollen. Das ist unsere Aufgabe als städtische Einrichtung. Da müssen wir sozialverträglich und finanziell niederschwellig sein. Wir werden immer auch Veranstaltungen bei freiem Eintritt anbieten, wie Anfang April etwa den Abend mit den Kurzfilmen des in Saarbrücken geborenen und oscarprämierten Animationsfilmers Frédéric Back. In der aktuellen wirtschaftlichen Situation denken viele Menschen schon zwei- oder dreimal darüber nach, ob sie ins Kino gehen. Vielleicht zeigt da auch die Pandemie ihre Wirkung. Früher war der regelmäßige Gang ins Kino eine Selbstverständlichkeit. Das muss wieder gelernt werden – auch das ist Teil unserer Aufgabe.​

Neuer Leiter des Saarbrücker Filmhauses: Nils Daniel Peiler

Nils Daniel Peiler, 1988 in Saarbrücken geboren, ist ab 1. März Leiter des Saarbrücker Filmhauses. Foto:  Jessica Rhodes

Seine Wahl könnte durchaus ein Glücksgriff sein. Ab diesem Freitag ist Nils Daniel Peiler neuer Leiter des Saarbrücker Filmhauses und damit Nachfolger von Christel Drawer, ehemals Leiterin des Ophüls-Festivals, die das Kino zuletzt leitete und jetzt in Ruhestand geht. Der promovierte Filmwissenschaftler Peiler kommt nach einigen Jahren als Kurator der Kinemathek Hamburg jetzt in seine Geburtsstadt Saarbrücken zurück – und ins Filmhaus, „wo ich als Kind, Jugendlicher und junger Erwachsener regelmäßig Zuschauer war“, wie er sagt. „Für mich schließt sich gewissermaßen ein Kreis.“​ Saarbrückens Kulturdezernentin Sabine Dengel zeigt sich „sehr froh darüber, dass wir aus einer Vielzahl qualifizierter Bewerbungen jemanden mit großer Expertise auswählen konnten, der darüber hinaus bestens mit der Kinolandschaft Saarbrückens vertraut ist“.​

Promotion über Kubricks „2001“​

Beides ist nicht übertrieben. Peiler studierte Germanistik und Bildwissenschaften der Künste an der Universität Saarbrücken sowie Film- und Medienwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt, der Sorbonne Nouvelle in Paris und der Universität Amsterdam. Promoviert hat er mit einer Arbeit über die Rezeptionsgeschichte von Stanley Kubricks Science-Fiction-Klassiker „2001: Odyssee im Weltraum“ – Peiler war auch einer Kuratoren der exzellenten 2018er-Ausstellung über Kubrick und „2001“ im Deutschen Filmmuseum Frankfurt.​

Ohne cineastische Scheuklappen​

In Saarbrücken hat Peiler, der auch als Lehrbeauftragter gearbeitet hat, Vorträge über Kino hält und journalistisch über Film schreibt, einige denkwürdige Veranstaltungen und Reihen im Kino Achteinhalb organisiert, die ihn als Person ohne cineastische Scheuklappen ausweisen. 2013 organisierte er eine Werkschau über Regisseur Stanley Donen („Singing in the Rain“) und eine viel beachtete komplette Retrospektive zu Filmemacher Wes Anderson („Grand Budapest Hotel“). 2014 zeigte er eine Reihe mit Filmen mit Louis de Funès, 2017 das Gesamtwerk von Jacques Tati – alles begleitet mit Einführungen und Diskussionen. 2018 wagte er im Achteinhalb ein gelungenes Experiment: Er zeigte Kubricks „2001“, kommentierte und erklärte den Film dabei. Im selben Jahr kam er zurück ins Achteinhalb und brachte den Komponisten Christian Bruhn mit, der dort am Klavier unter anderem seine Melodien zu „Wickie“ und „Timm Thaler“ spielte.​

Arbeit im Metropol Kino​

Zu dieser Zeit arbeitete Peiler schon für die Kinemathek Hamburg und deren Metropolis Kino – dort kuratierte er jüngst eine Horst-Buchholz-Reihe, auch gab es zuletzt Veranstaltungen mit Armin Mueller-Stahl und dem Musiker Irmin Schmidt (Can). Von Peiler kann man nun im Filmhaus  einiges erwarten. In diesem „attraktiven Ort mit herausragender Geschichte“ sieht er „großes Potential“.
(Interview folgt)

„Herzschlagkino“ von Andreas Pflüger – „77 Filme fürs Leben“

Andreas Pflüger (66) ist in Saarbrücken aufgewachsen. Nach dem Abbruch eines Theologie- und Philosophiestudiums arbeitete er als Taxifahrer, Möbelverkäufer und Koch, schrieb Hörspiele und viele Drehbücher, darunter 27 „Tatorte“. Sein jüngster Roman ist "Wie Sterben geht". Foto: Stefan Klüter
Andreas Pflüger (66) ist in Saarbrücken aufgewachsen. Nach dem Abbruch eines Theologie- und Philosophiestudiums arbeitete er als Taxifahrer, Möbelverkäufer und Koch, schrieb Hörspiele und viele Drehbücher, darunter 27 „Tatorte“. Sein jüngster Roman ist „Wie Sterben geht“. Foto: Stefan Klüter

 

Der saarländische Autor Andreas Pflüger schreibt über seine 77 liebsten Filme. In dem hinreißenden Band „Herzschlagkino“ erfährt man einiges über die Filme – aber auch viel über Pflüger selbst. Wieso hatte „Alien“ romantische Wirkung? Und wieso rief Götz George bei seinen Eltern an?​

Manchmal ist das so mit dem Kino. Man geht rein – und kommt ein bisschen größer wieder heraus. So war das auch bei Andreas Pflüger. Als ersten Film im Kino schaute er sich in Saarbrücken „Todesgrüße aus Shanghai“ an, ein Epos der stählernen Handkanten und spitzen Schreie von Bruce Lee, den übrigens in der deutschen Fassung Elmar Wepper wunderbar kernig spricht. Pflüger war damals 15, aber nach dem Film „kein Junge mehr, sondern ein brandgefährlicher Kerl; jedenfalls fühlte ich mich so“. Dass er später mal über Jahrzehnte hinweg Drehbücher schreiben würde, konnte er damals nicht wissen. Aber er wusste, so schreibt er es im Vorwort dieses Buchs, was er am Kino liebt: „Wenn der Vorhang aufgeht, will ich überwältigt werden, vom Sound, der Musik, von Bildern zu groß für die Leinwand.“ So sei aus ihm „ein Hollywood-Junkie“ geworden, „fürs gepflegte Kammerspiel bin ich verloren“.​

Kein Polieren unbekannter Perlen​

77 seiner liebsten Filme hat der saarländische Schriftsteller zusammengetragen, die meisten kommen im weitesten Sinne aus Hollywood, eine Handvoll aus Europa – „Diva“ etwa oder „Sommer vorm Balkon“. Pflüger will keine unbekannten Perlen polieren oder mit Geheimtipp-Nischenwissen angeben, die meisten Filme haben Klassiker-Status. Pflüger weiß, dass man bei Kalibern wie „The Shining“, „Das Schweigen der Lämmer“ oder „GoodFellas“ nicht mehr den Inhalt erklären muss – das wäre Ressourcen-Verschwendung.​ Vielmehr geht er die Filme aus anderen Perspektiven an, oft autobiografisch und gerne mit wohligen Abschweifungen; bei „Alien“ etwa geht es nur am Rande um HR Gigers Weltallmonster. Sondern vor allem um Elke, Pflügers damalige Kommilitonin, „mit so einem winzigen schwarzen Dingsbums auf der Wange und einem Lispeln, das mich verrückt machte“. Der galaktische Schrecken beim gemeinsamen Kinobesuch, der ersten Verabredung, führt dazu, dass Elke nicht alleine nach Hause gehen will. Der Rest ist Geschichte. Allerdings eine ziemlich kurze. Nach drei Wochen interessiert Elke sich deutlich stärker für „einen Typen, der einen roten Alfa Spider fuhr und Vergil auf Latein zitierte“.​

Auch Familiäres erfährt man – etwa, bei Pflügers Text zum Film „Shine“, dass seine Eltern nach seinem abgebrochenen Theologie-Studium und dem Wunsch, Autor zu werden, Schlimmstes befürchten, was den Lebensunterhalt angeht. Sie fragen aber lieber nicht mehr nach. Doch als er mal wieder zu Besuch aus Berlin da ist, klingelt beim Sonntagsbraten das Telefon. Die Mutter erbleicht rasant, denn es meldet sich Götz George; er will Pflüger sprechen, wohl wegen eines Drehbuchs. Fortan sorgen sich die Eltern nicht mehr, und der Vater fragt zum ersten Mal: „Erzähl mal, was Du so machst.“​

„Wehwehchen von Autoren mit vierstelligen Auflagen“​

Um Pflügers Arbeit als Autor geht es in den Filmbetrachtungen, ums Handwerk an sich, „das gerne gering geschätzt wird – aber nur von denen, die es nicht beherrschen“. Ein Autor etwa wie John Grisham, dessen Roman „Die Firma“ mit Tom Cruise verfilmt wurde, halte literarischen Stil und Rhythmus offensichtlich für „Wehwehchen von Autoren mit vierstelligen Auflagen“. Aber von seinen Plots könne man viel lernen, da sei Grisham so versiert wie ein „Waschbär beim Eierklauen“. Ebenso bewundert Pflüger an der dunklen Hollywood-Satire „Barton Fink“ der Coen-Brüder, dass in deren Drehbuch „nichts zu viel ist“. Gerade das sei eine besonders schwierige Kunst.​

Ab jetzt keine Drehbücher mehr​

Eine Schreibblockade, wie sie ein Autor in „Wonder Boys“ durchleidet (gespielt von Michael Douglas), erlebte er bisher fünf Mal, man „tut sich selbst leid und hasst die ganze Welt“. Zumindest eine Hürde im Arbeitsleben hat Pflüger aus dem Weg geräumt – die Diskussionen mit Produzentinnen und Produzenten bei Film und Fernsehen. Ein Produzent, unzufrieden mit einer ersten Drehbuchfassung, bat ihn, ihm doch einfach dieses „Pflüger-Feeling“ zu geben. „Das war fünf Minuten bevor ich beschloss, nur noch Romane zu schreiben.“​

Clint der Große​

Clint Eastwood hat es Pflüger bei den 77 Filmen am meisten angetan – sei es als Darsteller, Regisseur oder, meist, beides. Vier Mal taucht er auf, noch vor den Regisseuren Ridley Scott und Stanley Kubrick, dessen „Uhrwerk Orange“ er einst im Saarbrücker „Scala“ sah, der heutigen „Camera Zwo“. Keinen anderen Eastwood-Film hat er öfter gesehen als dessen Regie-Arbeit „Mystic River“, 30 oder 40 Mal – er ist sogar enttäuscht, wenn er ihn im Fernsehen verpasst. Bei Eastwood liebt er den Minimalismus, das ökonomische Erzählen, dieses „Nichts ist zu viel“ wie bei „Barton Fink“ der Coens.​

Kinos in Saarbrücken, Brüssel, Moskau​

Auch in verschiedene Kinos führt uns Pflüger, nicht nur in Saarbrücken, auch nach Paris: Dort lebt er Ende der 1970er für einige Zeit, schaut „Dr. Seltsam“ in einem Programmkino, „in dem es immer nach nassem Hund mit einem Quäntchen Knofi“ riecht und in das man am besten ein Kissen mitbringt, da die Bestuhlung schon kraftvoll durchgesessen ist. „Apocalypse Now“ sieht er auf Interrail-Reise in einem „abgerockten Brüsseler Bahnhofskino“; verstanden habe er den Film erst Jahre später.​ Den Westernklassiker „Die glorreichen Sieben“ schaut er sich 1993 im überheizten Rossija-Kino am Puschkinplatz in Moskau an; der US-Ton läuft im Hintergrund  – und im Vordergrund „ein russisches Voiceover, jede Rolle von derselben Frau gesprochen. Eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte.“ Am Film mag Pflüger alles, auch Darsteller Horst Buchholz. Den lernt er später bei der Berlinale kennen; Buchholz habe einen „spektakulär versifften Flokati-Mantel“ getragen und viel geraucht, „ich glaube, er hat seine Kippen samt Filter gegessen. Ein Lachen wie ein Betonmischer.“ Aber die Buchholzschen Hollywood-Geschichten an diesem Abend klingen für Pflüger ehrlich, „er tat nicht, als hätte sein Stern in der Stadt der Engel hell gestrahlt“. Als Buchholz geht, hinterlässt er einen Geruch nach Mottenkugeln. Das ist schon große Kunst, wie Pflüger hier in einem kleinen Textabsatz einen melancholischen, zugleich unsentimentalen Abgesang auf eine schwierige Karriere anstimmt.​

„Da lernt man beten“​

Insgesamt kann man sich bei der Lektüre auch auf Pflügers Händchen für kernige Sätze und Pointen verlassen: Angesichts der damaligen Verrisse für den Science-Fiction-Film-Noir „Blade Runner“ bemerkt er lakonisch: „Die Ewigkeit schert sich nicht um Rezensionen.“ Bei „Silverado“ versucht er Western-Hasser zu bekehren, denn diese Filme seien ja auch bloß „Dramen, in denen Pferde mitspielen“. Angesichts des deutschen Films „Fanfaren der Liebe“, einer Art Pendant zu Billy Wilders „Manche mögen’s heiß“ warnt er lakonisch: „Da lernt man beten.“​ Aber auch sich selbst schont er nicht und gibt zu, angesichts von Brad Pitts Auftritt in „Thelma & Louise“ prophezeit zu haben, dass „der Kerl in der Versenkung verschwindet“. Man kann ja mal daneben liegen – was uns zu „Manche mögen’s heiß“ zurückführt und zu dessen letztem Dialogsatz. Es ist eben niemand vollkommen.  ​

Andreas Pflüger: Herzschlagkino. 77 Filme fürs Leben.
Arche, 165 Seiten, 17 Euro.
Info: www.andreaspflueger.de

„Raumpatrouille“ auf Bluray und UHD – was bieten die Extras?

Das Bluray-Mediabook der "Raumpatrouille". Foto: Eurovideo

Das Mediabook der „Raumpatrouille“. Foto: Eurovideo

 

Ach, wie schön: Am 7. Dezember erscheint der deutsche Serienklassiker „Raumpatrouille“ restauriert erstmals auf Bluray und 4K UHD. (Mehr Angaben dazu ganz unten). Die Rezensions-Exemplare sind da – das restaurierte Bild sieht auf Bluray fabelhaft aus, der Unterschied zur antiken DVD ist enorm.

Wie aber sind die Extras? Reichlich, aber überraschend: Denn außer einem Booklet (das ich noch nicht habe und später vorstellen muss) gibt es keine neuen Extras; sondern Bonus-Material, das sich entweder schon auf der alten DVD-Edition der Serie befindet oder fast ausschließlich auf der DVD zum Film „Rücksturz ins Kino!“, die auch schon knapp 20 Jahre auf dem Buckel hat. Merkwürdig, dass man sich bei einer so aufwendigen – und gelungenen  – Restaurierung nicht stärker um neues Begleitmaterial bemüht hat. Warum nicht ein Interview mit Friedrich Georg Beckhaus (alias Atan Shubashi), dem letzten lebenden Darsteller der Besatzung? Beckhaus ist zwar Mitte 90, arbeitet aber immer noch und ist gerade als Synchronsprecher in „Killers of the flower moon“ zu hören. Oder ein Audiokommentar mit einer Filmkennerin, einem Filmkenner? Da wäre mehr drin gewesen – zumal das vielleicht die letzte physische „Raumpatrouille“-Veröffentlichung ist.
Auch überraschend und ärgerlich: Untertitel für Hörgeschädigte gibt es nur beim 2003er Kinozusammenschnitt „Rücksturz zur Erde“ – nicht bei der Serie.

Das Bonus-Material

Wie dem aus sei – das sind die Extras auf der neuen Bluray.

1 Bavaria Spezial (3.28) – ein Auftritt der Besatzung bei einer Bavaria-Feier mit dem Dank von Dietmar Schönherr dafür, dass „die kleine Orion der großen Bavaria zur Unsterblichkeit verhelfen durfte“. Dieser Auftritt findet sich auch auf der alten DVD der Serie.

Die folgenden Extras der Bluray finden sich auch auf der „Rücksturz“-DVD:

2 Musikvideo „Barfuss im Weltall“ (3.34)

3 „United Space Orchestra“ (3.48), ein 1987er Zeichentrickmusikvideo mit der Musik von Peter Thomas.

4 Die Enthüllung des restaurierten Brandenburger Tors 2002 (4.32) mit der Musik von Peter Thomas (und viel Werbung für Vattenfall).

5 Statement von Regisseur Michael Braun von 2003 (1.35) Er erzählt, wie Schönherr als Test einen Text voller technischer Details und „Raumpatrouille“-Slang so sprechen musste, als sei das Alltagssprache. Braun: „Er hat es perfekt serviert.“

6 Statement von Regisseur Theo Mezger von 2003 (2.03), der vier der sieben Folgen inszeniert hat. Er echauffiert sich darüber, dass ein Journalist damals, 1966, aus dem Bügeleisen im Kommandostand so eine große Sache gemacht habe. Die „Genialität“ des Ausstatters Rolf Zehetbauer habe „dieses Männlein“ nicht erkannt: „so ein Kaschper!“.

Mit der Musik von Peter Thomas und der Ausstattung von Rolf Zehetbauer: „Die Schlangengrube und das Pendel“

7 Die Trick-Experten Werner Hierl und Götz Weidner (1.41) erzählen 2003 von den Effekten, vom „Overkill“ mit Kaffeepulver und den Frog-Raumschiffen, die aus Zeitgründen so rudimentär aussähen wie Papierflugzeuge. „Die sind heute ein Lacher“, sagt Wiedner.

8 Statement Margit Bardy von 2003 (1.20). Die Kostümbildnerin erinnert sich daran, dass sie erst einmal die Texte des Drehbuchs nicht verstanden habe. „Macht nichts, Sie müssen nur fühlen“, habe ihr Regisseur Mezger gesagt. 38 Kostüme hat sie dann entworfen und sich gefragt, womit man 1965 schockieren könnte. Die Idee: „Die Knie zeigen. Das war eine Revolution.“ Eva Pflug habe sie schnell überzeugen können, ihr Kostüm zu tragen, „denn sie hatte gute Beine“.

„Die Geschichte einer Wohnwagenstadt“ mit Friedrich Georg Beckhaus

9 Statement Oliver Storz (1.54) von 2003. Der Autor erzählt, wie er keinerlei Interesse an „Raumpatrouille“ hatte, aber von der Bavaria sozusagen gezwungen worden sei: „Lass Dir was einfallen!“ (…) „Das war meine Lehrzeit.“  Über die jetzige „Wiederbegegnung mit meinen Dialogen will ich mich nicht äußern. Ich kann mir nicht mehr vorstelle, dass ich das war.“ (…) „Das war Räuber und Gendarm im Weltall.“

 

10 Statement Peter Thomas (1.12). Der Komponist erinnert sich auf dem Balkon seines Hauses am Luganer See an die Aufnahmen der Musik in fünf Tagen und sein Honorar über 20 000 Mark – „heute wären das 100 000“.

11 Rolf Zehetbauer (2.05). Der Ausstatter erinnert sich daran, dass er eigentlich nie Fernsehen machen wollte, bei der Idee einer Science-Fiction-Reihe aber doch sofort dabei gewesen sei. Nur sei das Budget so niedrig gewesen – „kein Geld“ – dass er kaum etwas habe entwerfen oder bauen lassen. Er musste unter anderem auf Sanitär-Innenausstattung zurückgreifen. „Über Nacht haben wir aus Plastikschalen neue Dekorationen gebaut“ – während Stanley Kubrick gerade mit großem Aufwand an „2001“ werkelte. „Wir armen Fernsehschweine.“

DVD „Tragödie in einer Wohnwagenstadt“ mit Friedrich Georg Beckhaus

12 Elke Heidenreich (0.44). Eine Leseprobe für „Rücksturz zur Erde“, bei der sie sich bei der Formulierung „Regierung der Welt“ das Lachen nicht verkneifen kann.

13 Englischer Kinotrailer (3.11). Ein ziemlich ironischer Trailer in englischer Sprache für „Rücksturz zur Erde“.

 

14 Deutscher Trailer (1.45) für „Rücksturz zur Erde“.

15 Musikvideo „Warp back to earth“ (3.58)

16 Premieren-Momentaufnahmen (6.08) von der „Rücksturz“-Kinopremiere Juli 2003 in München und Berlin.

Die Geschichte der „Hammer“-Filme

17 Szene (0.56) aus der letzten Episode in ungarischer Synchronfassung.

18 Szene (1.13) in italienischer Synchronfassung, wobei die Stimme von Eva Pflug extrem gut passt.

19 Eine fürs französische Fernsehen gedrehte Szene (2.09) mit Charlotte Kerr und dem französischen Darsteller Jacques Riberolles. Fürs französische Fernsehen wurde Kerr dann synchronisiert, für die deutsche Fassung trat Gerhardt Jentsch vor die Kamera.

Welches Bonus-Material wäre vorhanden gewesen, wurde aber nicht übernommen?

Das Spiel „Frog Invaders“, das man mit der Fernbedienung spielen  kann (und das nach 30 Sekunden langweilig wird), zu finden auf der alten Serien-DVD, ist nicht auf der Bluray – das ist absolut zu verschmerzen. Schade aber ist, dass ein Bonus der „Rücksturz“-DVD nicht übernommen wurde: die 70 Trick-Dias und Skizzen aus dem Archiv von Effekt-Mann Werner Hierl – da sieht man Raumschiffmodelle, Planetenlandschaften und künstliche Sternenhimmel.

 

„Raumpatrouille“ erscheint bei Eurovideo am 7. Dezember in diesen Versionen:

Bluray Mediabook: Ton: Deutsch Dolby Atmos (Serie); Deutsch DTS-HD MA 5.1 (Kinofilm). Audiodeskription (Kinofilm). Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte (Kinofilm). Bildformat: HD 1080i/25 (1,33:1 Pillarbox)

4K UHD Mediabook: Ton: Deutsch Dolby Atmos (Serie); Deutsch DTS-HD MA 5.1 (Kinofilm), Audiodeskription (Kinofilm). Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte (Kinofilm). Bildformat: UHD 2160p/25 (1,33:1 Pillarbox)

DVD: Tonformat: Deutsch Dolby Digital 5.1, Audiodeskription (Kinofilm). Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte (Kinofilm). Bildformat: 4:3 Vollbild (1,33:1)

 

„Raumpatrouille“-Seiten:

Raumpatrouille Orion | Facebook

https://www.orionspace.de

Raumpatrouille Orion Wiki | Fandom

 

 

„Ennio Morricone – Der Maestro“ von Giuseppe Tornatore

Ennio Morricone

Ennio Morricone beim Dirigieren imaginärer Musik in seinem Arbeitszimmer.     Foto: Plaion Pictures

 

Erstaunlich ist einiges an diesem Film über Ennio Morricone: Zum Beispiel, dass dieses Porträt eines so unkonventionellen Künstlers formal so  überraschend konventionell gemacht ist; erstaunlich ist aber zugleich, dass der Film seine elefantöse Länge von zweieinhalb Stunden nicht spüren lässt – zu mitreißend ist der Film, zu berührend. Und erstaunlich ist ebenso, dass man den Maestro, eher ein Mann der Zurückhaltung und Diskretion, bei der Morgengymnastik auf seinem römischen Wohnzimmerteppich sehen kann.​

Übermotivierter Beginn

Damit beginnt die Dokumentation „Ennio Morricone – Der Maestro“ von Giuseppe Tornatore. Für dessen Film „Cinema Paradiso“ hatte Morricone 1988 die Musik geschrieben – der Beginn einer langen Arbeitsbeziehung plus Freundschaft. Basis des Films sind Interviews, die Tornatore mit Morricone (1928-2020) führte, dazu viele Filmausschnitte, Sätze von Kolleginnen und Kollegen, Filmemachern. Zum Einstieg von „Ennio“ prasseln deren lobende Mini-Zitate etwas hektisch herab, als müsse man die Bedeutung des Musikers nochmal betonen; dann aber findet der Film schnell zu einem ruhigen Rhythmus und zeichnet Morricones Leben nach, das der Maestro aus seinem Wohnzimmersessel heraus kommentiert.​

Die Karriere beginnt ungewöhnlich und konträr zu anderen Musikerbiografien: Der junge Ennio möchte Arzt werden, aber der Vater will, dass er Trompeter wird – wie er selbst. Morricone fügt sich, findet Gefallen am Instrument, studiert Trompete und Chormusik am Konservatorium von Santa Cecilia unter dem Komponisten Goffredo Petrassi. Der interessiert sich erstmal wenig für den jungen Musiker;  der wiederum empfindet das Konservatorium als „elitär“, wie er im Film sagt.​

„Schuldgefühl“ wegen Filmmusik?​

Schon damals ist Morricone ein Mann der Avantgarde, besucht die „Internationalen Ferienkurse für Neue Musik“ in Darmstadt (der Film zeigt einen wundersamen Auftritt von Neutöner John Cage) – zugleich ist er aber Pragmatiker, der seine Miete zahlen muss: Als Arrangeur arbeitet er, durchaus mit ungewöhnlichen Ideen, fürs italienische Fernsehen, für Pop-Produktionen, schreibt erste Filmmusiken. Damit etabliert sich bei Morricone ein merkwürdiger Schuldkomplex: Eigentlich empfindet er die Filmmusik als Kompositionsarbeit zweiter Klasse. Er ist sich auch nur zu bewusst, dass die ehemaligen Kollegen am Konservatorium und vor allem sein früherer Lehrer Petrassi das auch so sehen. Das gibt dem Film neben dem Musikalischen und Filmhistorischen auch eine bittersüße biografische Note mit. Dieser Komplex habe ihn bei der Arbeit angetrieben, sagt Morricone, „ich wollte siegen – gegen das Schuldgefühl“.​

 

Mit der Musik zu Sergio Leones Western „Für eine Handvoll Dollar“ beginnt 1964 die große Karriere – Morricone operiert mit verzerrter E-Gitarre, lässt pfeifen, lässt Chöre Kojoten imitieren; fortan werden ihn viele vor allem als Italowestern-Komponisten sehen, auch wenn er bloß um die 30 Filme dieses Genres untermalt hat (und um die 470 andere Produktionen). Allein im Jahr 1969 ist er an 21 Filmen beteiligt, „er schreibt Musik so schnell, wie andere einen Brief schreiben“, sagt eine Kollegin im Film. Das Verhältnis zur eigenen Arbeit scheint bisweilen zwiespältig: Morricone bekennt, dass er sich jeweils 1970, 1980, 1990 (und so weiter) vornahm, nach zehn Jahren mit den Filmen aufzuhören, um danach wieder ganz seriös zu komponieren. Bei dem Vorsatz blieb es dann.​

Machen Experimente arbeitslos?​

Parallel zu konventionelleren Arbeiten wagt er sich gerne an Experimente: Einige Ausschnitte aus Elio Petris Film „Das verfluchte Haus“ von 1968 mit Franco Nero zeigen, wie Morricone mit Geräuschen und Klangeffekten operiert, die Grenzen zwischen Musik und Sounddesign auflöst. Auch römische Krimis wie „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ untermalt er experimentell – mit dem Ergebnis, dass ihm Kollegen ankündigen: „Wenn Du so weitermachst, bist Du bald arbeitslos“. Das wird er dann doch nicht.​

Kubrick wollte Morricone

Im Film erfährt man manch Überraschendes: Etwa, dass Stanley Kubrick Morricone für seinen Film „Uhrwerk Orange“ engagieren wollte, was aber wohl Regisseur Sergio Leone intrigant und mit etwas Wahrheitsbeugung verhinderte – möglicherweise wollte er nicht, dass sein liebster Komponist (und Klassenkamerad) nicht für einen anderen Kinogiganten schreibt. Morricone lästert im Film ein wenig über Regisseur Brian DePalma, für den er 1987 „The Untouchables“ komponierte; er habe immer gewusst, welche seiner Ideen den Filmemacher am meisten begeistern würden – jene, die er selbst am schwächsten fand. Die Doku illustriert das mit einem Ausschnitt aus dem Kevin-Costner-Mafiakrimi, der zeigt, dass Morricone manchmal durchaus Edelkitsch und Pathos produzierte.​

Ein paar „talking heads“ zu viel

„Ennio Morricone – Der Maestro“ erzählt konventionell: Der Komponist spricht, man sieht Filmausschnitte, hört Musik und Statements von Wegbegleitern und prominenten Fans. Die sind manchmal so kurz und nichtssagend, wirken so, als sollten sie vor allem demonstrieren, wen man alles vor die Kameras bekommen hat: Hans Zimmer, John Williams, Bruce Springsteen, Joan Baez, James Hetfield von Metallica sind dabei, sagen aber kaum mehr, als dass sie Morricone bewundern. Selbst Clint Eastwood, den wegen seiner Italowestern-Phase einiges mit Morricone verbindet, ist bloß mit einem nichtssagenden Satz vertreten. Aber geschenkt: Der Film lässt auf ein ungemein fruchtbares Künstlerleben blicken (das Private bleibt außen vor), führt durch ein großes Stück Filmgeschichte – und lässt in wunderbarer Musik schwelgen.  ​

Auf DVD und Bluray bei Plaion Pictures.

Kirk Douglas wird 100 – Glückwunsch!

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Schwierige, oft zwielichtige Helden waren sein Metier, Figuren, in denen es brodelte. Kirk Douglas, der als Schauspieler und Produzent immer um seine Unabhängigkeit kämpfte, wird am 9. Dezember    100 Jahre alt. Wir gratulieren.

Ein Grübchen wie in Stein gemeißelt. Ein immer etwas verkniffenes Gesicht, der Blick durchdringend, manchmal bedrohlich – nein, den Charme von Cary Grant hatte er nie. Auch nicht die artistische Grazie seines Kollegen/Freundes/Konkurrenten Burt Lancaster. Bei Kirk Douglas war alles etwas rauer und härter – unter den Hollywood-Stars seiner Zeit war er der Malocher, der sich hineinarbeitete in seine Rollen, sie mit Leben füllte und mit einer interessanten Uneindeutigkeit: Strahlende Helden waren seine Figuren so gut wie nie, meist brodelte es in ihnen, Zorn, Trauer, manchmal blinder Ehrgeiz fraßen an ihnen: ob er nun in „Die Wikinger“ das Schwert gegen Tony Curtis schwang, in „Spartacus“ gegen das römische Imperium antrat oder in „Reporter des Satans“ als Klatschjournalist seinen Aufstieg über alles stellte. Selbst Douglas’ klassischen Heldenfiguren, etwa dem Matrosen Ned Land im Disney-Familienfilm „20.000 Meilen unter dem Meer“, traute man nicht vollends über den Weg – da war immer eine gewisse Härte spürbar.

Das nun mit einer harten Jugend zu erklären, könnte ebenso Küchenpsychologie sein wie zutreffend. Jedenfalls musste sich Douglas aus kleinsten Verhältnissen hochkämpfen. Im Armenviertel der US-Industriestadt Amsterdam wuchs Issur Danielovitch Demsky auf, Sohn eingewanderter weißrussischer Juden, Bruder von sechs Schwestern, Sohn eines lieblosen Vaters. „Zorn ist meine Energiequelle“, sagte Douglas einmal. Die Schauspielschule finanzierte er sich mit allerlei Jobs, auch als Ringer beim Jahrmarkt. Durch die Empfehlung einer Freundin aus der Schauspielschule – Lauren Bacall – erhielt er die Chance beim Film. Er nutzte sie mit intensiven Darstellungen oft finsterer Figuren: eine seltene Verbindung von „leading man“ und Charakterdarsteller.

Der Ruhm war für Douglas nicht zuletzt die Chance auf das, was ihn immer antrieb: Unabhängigkeit. 1955 gründete er als einer der ersten Hollywoodstars, dem Beispiel Burt Lancasters folgend, eine eigene Produktionsgesellschaft („Bryna“, benannt nach seiner Mutter). 19 Filme brachte Douglas auf den Weg, darunter den furiosen Antikriegsfilm „Wege zum Ruhm“, für den er Stanley Kubrick engagierte – auch für „Spartacus“. Danach allerdings schwor Kubrick, nie wieder einen Film im Rahmen des Hollywood-Systems (oder mit Douglas) zu drehen. Douglas konnte auch ein harter Hund sein, der sich einmischte, stritt und sich mit der Kino-Industrie anlegte: Als der politisch linke Drehbuchautor Dalton Trumbo in der Zeit des Antikommunismus-Wahns nicht beschäftigt wurde, engagierte ihn Douglas für „Spartacus“ und setzte dieser „schwarzen Liste“ ein Ende.

Die 70er Jahre meinten es nicht mehr ganz so gut mit Douglas – während Kollege Lancaster im europäischen Kino bei Bertolucci und Visconti Unterschlupf fand, blieben bei Douglas die großen Altersrollen aus. Für einen Part, den er immer hatte spielen wollen, war er irgendwann zu alt – die des rebellischen Kranken in „Einer flog übers Kuckucksnest“: 1975 produzierte sein Sohn Michael, später selbst ein großer Star, den Film mit Jack Nichsolson. Mit Burt Lancaster zusammen gelang Douglas 1986 noch einmal ein großer Erfolg: „Archie und Harry“, ein nostalgischer Senioren-Gangster-Jux, der siebte und letzte Film mit Lancaster, der 1994 starb.

Douglas hat einen Schlaganfall und einen Hubschrauberabsturz überlebt, 2004 starb sein jüngster Sohn an Drogen. Einen Großteil seines Vermögens von 80 Millionen Dollar hat er mittlerweile gespendet, seit einigen Jahren lebt er zurückgezogen. Aber er mischt sich immer noch gerne ein, liberal und kämpferisch. In einem Artikel für die „Huffington Post“ kritisierte er im September Donald Trumps Wahlkampf. Er sei immer stolz darauf gewesen, Amerikaner zu sein. „In der Zeit, die mir noch bleibt, werde ich dafür beten, dass sich das nicht ändert.“

 

Im Fernsehen sind einige Filme des Jubilars zu sehen: Der melancholische Western „Snowy River“ (1982) läuft am Freitag  ab 12.30 Uhr im MDR; „Zwei rechnen ab“ mit Douglas und Burt Lancaster ist am Freitag ab 22.35 bei 3sat zu sehen. „Spartacus“ läuft in der Nacht auf Sonntag ab 1.30 Uhr im ZDF, „Der letzte Countdown“ beginnt zehn Minuten später in der ARD (und ist der schlechtere Film). Am Sonntag starten „Die Fahrten des Odysseus“ um 11.05 Uhr im MDR.

 

 

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