Über Film und dieses & jenes, von Tobias Keßler

Schlagwort: Veit Harlan

Die Doku „Verbotene Filme“ über das Kino der Nazis

 

Jud Süß Veit Harlan Joseph Goebbels NS-Kino Kolberg Verbotene Filme

Eine Szene aus Veit Harlans „Jud Süß“ (1940), einem der  berüchtigsten Hetzfilme des NS-Kinos. Die Titelrolle spielte Ferdinand Marian. Foto: rbb/Blueprint Film

1200 Spielfilme sind zwischen 1933 und 1945 in Deutschland gedreht worden, unter Leitung des NS-Regimes – von der Komödie bis zum antisemitischen Hetzfilm. Nach dem Krieg haben die Alliierten 300 Filme verboten, heute sind noch knapp 40 Filme so genannte „Vorbehaltsfilme“: Die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, der die Rechte an den meisten der Filme gehören, gibt Werke wie „Jud Süß“ und „Kolberg“ nur für Veranstaltungen mit wissenschaftlicher Begleitung frei – oder, wie heute Abend,  für eine TV-Ausstrahlung mit besonderer Einführung. Was würde geschehen, wenn man die Filme einfach freigäbe? Wirkt die Propaganda heute noch? Oder ist der „Vorbehalt“ eine Art Zensur? Der Regisseur und Historiker Felix Moeller geht diesen Fragen in seiner Dokumentation „Verbotene Filme“ (2014) nach, die jetzt bei Arte zu sehen war. Das Interview fand anlässlich des Kinostarts der Doku statt.

 

Herr Moeller, Ihr Film enthält sich einer klaren These, ob man die „Vorbehaltsfilme“ freigeben sollte oder nicht – warum?

Ich wollte das jedem Zuschauer selbst überlassen. Am Ende des Films sagt ja der Historiker Götz Aly, dass man alles freigeben sollte. Das ist nicht ganz meine Meinung, ich sehe es etwas differenzierter, aber ich finde seinen Anstoß gut, auch wenn das Thema sehr komplex ist.

Sie haben für Ihre Dokumentation einige wissenschaftlich-pädagogische Vorstellungen der ansonsten nicht zugänglichen Filme in Deutschland und im Ausland besucht. Waren Sie überrascht über die Reaktionen?

Durchaus. Viele Zuschauer haben gesagt, dass ihnen zum ersten Mal klar wurde, welcher Propaganda ihre Vorfahren ausgesetzt waren – auch wenn das die Taten nicht in milderem Licht erscheinen lässt.

In Tel Aviv sagt ein Zuschauer, die Deutschen wären viel zu ängstlich und sollten die Filme einfach freigeben. Hat Sie das überrascht?Ja, aber die Israelis im eigenen Land sind selbstbewusster als etwa jüdische Gemeinden in Europa oder in der sogenannten Diaspora. In Paris waren einige jüdische Mitbürger in den Vorstellungen deutlich zurückhaltender und auch ängstlicher – dort hatte es gerade wieder antisemitische Vorfälle gegeben.

Was würde passieren, wenn ein Film wie „Jud Süß“ allgemein freigegeben würde?

Neonazis könnten ein Kino mieten, den Film dort sehen und laut Beifall klatschen. Andererseits wären diese Filme als historische Quellen leichter zugänglich, man würde das Tabu und den Mythos damit aufheben. Ich wäre aber dagegen, einen Film wie „Jud Süß“ oder auch „Heimkehr“ mit seiner perfiden antipolnischen Hetze an den Anfang einer Freigabe zu stellen. „Heimkehr“ hat einen privaten Lizenzinhaber, der versucht hat, den Film auszuwerten und ihn deshalb der Freiwilligen Selbstkontrolle vorgelegt. Die FSK hat ihn aber zurückgewiesen.

Ist die Grundfrage, die Vorbehaltsfilme öffentlich zugänglich zu machen, nicht rein theoretisch? Man findet sie im Internet, „Der ewige Jude“ zum Beispiel ganz leicht bei Youtube.

Ja und nein. Die Kopien im Internet sind qualitativ unglaublich schlecht und können ihre Wirkung kaum entfalten, vieles ist nicht zu erkennen. Die Murnau-Stiftung und Youtube diskutieren darüber, wie man die Filme entfernen kann. Eine neue Scan-Software soll das besser leisten können. Insofern tut sich schon etwas.

Gibt es öffentlich zugängliche NS-Filme, bei denen Sie sich wundern, dass sie nicht unter Vorbehalt stehen?

Sicher – bei einem Propagandafilm wie „Wunschkonzert“ fragt man sich schon, wieso der frei ist, wenn auch ab 18. Es gibt auch Unterhaltungsfilme mit Heinz Rühmann, die frei ab sechs oder zwölf sind, „Quax, der Bruchpilot“ oder „Die Umwege des schönen Karl“: Dieser Film zeichnet ein extrem düsteres Bild der Weimarer Republik mit Inflation und Verbrechen – genau in der Nazi-Lesart. Die Murnau-Stiftung müsste die Kriterien dringend überarbeiten, ihre letzte Beratungsrunde in dieser Sache liegt 20 Jahre zurück.

Nach dem Krieg wurden aus manchen NS-Filmen Hakenkreuze und Hitler-Bilder herausgeschnitten, so dass sie regulär laufen konnten – sind das „entnazifizierte“ Nazifilme?

Das wurde sogar bis in die 80er Jahre praktiziert, um die Filme wieder auswerten zu können. Aber das Entfernen der äußeren Symbole wäscht ja die Ideologie nicht heraus. Allerdings ist diese Praxis ein interessantes Symbol dafür, wie man in der Nachkriegszeit mit der NS-Vergangenheit umgegangen ist.

Sie beschäftigen sich seit Jahren mit dem NS-Kino, haben auch eine Doku über die Familie des „Jud Süß“-Regisseurs Veit Harlan gedreht. Hat dieses Kapitel des deutschen Kinos für Sie eine dunkle Faszination?

Nein, ich glaube nicht, dass ich da einer Faszination erliege. Aber es ist interessant, zu sehen, wie diese Filme gemacht sind, wie sie funktionieren. Diese Seite der deutschen Filmgeschichte wird vernachlässigt, es gibt zu wenig Wissen darüber. Aber diese Filme sind ein kulturelles Erbe, wenn auch ein negatives.

„Verbotene Filme“ ist auf DVD bei Salzgeber erschienen, die gekürzte TV-Version ist in der Mediathek von Arte zu sehen:

https://www.arte.tv/de/videos/046356-000-A/verbotene-filme/

 

Jud Süß Veit Harlan Joseph Goebbels NS-Kino Kolberg Verbotene Filme

Filmkopien im Bundesfilmarchiv in Hoppegarten bei Berlin: unter ihnen auch die Propagandafilme des Dritten Reichs. Foto: rbb/Blueprint Film

Schöner sterben mit der „Reichswasserleiche“ – „Immensee“ und „Opfergang“ restauriert

 

 

opfergangimmensee

 

„Immensee“ und „Opfergang“, zwei der wenigen Farbfilme der NS-Filmindustrie, erscheinen restauriert auf DVD. Inszeniert von Veit Harlan, dem Regie-Star der Nationalsozialisten, sind die Werke filmhistorisch und auch ästhetisch durchaus interessant.
Unbefangen geht man nicht heran an diese Filme. Wie könnte man? Sie stammen von Veit Harlan (1899-1964), dem NS-Starregisseur. Unter Goebbels machte er Karriere, die untrennbar verbunden ist mit dem berüchtigsten NS-Spielfilm, „Jud Süss“, den Harlan 1940 drehte. Seine letzten vier Werke im Dienst des Regimes sind Prestigefilme in Farbe, damals eine Seltenheit: 1942 das Melodram „Die goldene Stadt“, 1943/44 der Durchhaltefilm „Kolberg“; den Widerstand der preußischen Festung Kolberg gegen napoleonische Truppen 1807 stilisiert der Film zum letzten Kampf einer Nation – so sollten letzte Reserven für den „totalen Krieg“ mobilisiert werden. „Kolberg“ und „Jud Süss“ sind bis heute so genannte Vorbehaltsfilme und werden als Kopie nur für Vorstellungen mit Einführung und Diskussion verliehen.
Die beiden anderen Farbfilme Harlans fallen nicht in diese Kategorie und erscheinen nun restauriert erstmals auf Blu-ray/DVD (Anbieter: Concorde). Um Kosten zu sparen, drehte er „Immensee“ und Opfergang“ gleichzeitig, mit demselbem Stab und demselben Darstellerpaar: Carl Raddatz und Harlans Gattin Kristina Söderbaum, die in ihren NS-Filmen so oft in den meist nassen Freitod ging, dass der Volksmund ihr den Spitznamen „Reichswasserleiche“ andichtete.

„Immensee“ ist ein Liebesmelodram und gleichzeitig ein Durchhaltefilm, der das Ausharren, das sich Aufopfern in wohlig pastellenen Agfa-Farben zelebriert. Den Komponisten Reinhardt (Raddatz) zieht es hinaus in die weite Welt (immerhin kommt er bis nach Rom), während seine Jugendliebe Elisabeth (Söderbaum) auf der heimischen Scholle schmachtet, „verwurzelt in meiner kleinen Welt“, wie sie sagt. Reinhardt vergisst sie ein wenig angesichts Karriere und Bohème-Leben, so dass Elisabeth dem dritten Heiratsantrag des netten, aber etwas farblosen Erich (Paul Klinger) nachgibt. Als Reinhardt nach Jahren zurückkommt und sich Elisabeth recht forsch nähert, erweist sich Erichs Liebe als selbstlos – und damit, aus der Sicht des Films, als letztlich wertvoller, wenn auch ohne romantische Höhenflüge. Der Film feiert eine melancholische Nostalgie, hier wird sich viel und tränenfeucht an alte Zeiten und an unterdrückte Gefühle erinnert; der Film scheint dabei von der Realität seiner Entstehungszeit, von Krieg und Tod, unberührt – bis auf die letzte Szene. Da steigt Reinhardt in eine Ju 52 und lässt Elisabeth, mittlerweile Witwe, in schwarzem Mantel auf einem weißen Schneefeld zurück – Assoziationen an die eingeschlossenen deutschen Soldaten in Stalingrad und die letzten Flugzeuge hinaus drängen sich auf. Da scheint die Realität kurz in diesen Film einzubrechen, der es sich ansonsten ganz in seiner Welt der prächtigen Natur und der großen Gefühle gemütlich macht.

„Opfergang“ ist schriller, bunter, absonderlicher. Der Weltreisende Albrecht (Raddatz) lässt sich in Hamburg nieder und heiratet die großbürgerliche Octavia; fasziniert ist er aber von der nordischen Nachbarin Aels (Söderbaum), einem Naturmenschen, der gerne reitet und Bogen schießt – zu sehen in einer Montage, die fast wie eine Parodie auf die „Bund deutscher Mädel“-Körperertüchtigungen wirkt. Doch Aels ist todkrank, und so dreht sich dieser Film mit seiner ausgeklügelten Farbdramaturgie um Tod, Abschied und – wie bei „Immensee“ – um aufopfernde Liebe.

Subtilität ist Harlans Sache dabei nicht, aus heutiger Sicht kann man den Film oft als unfreiwillige Komödie goutieren: Wenn etwa die Bürgerfamilie sonntags zusammensitzt und Nietzsche liest (was sonst?) oder wenn Söderbaum mit ihrem Pferd über die Liebe räsonniert. Andererseits ist die finale Todesvision ein großer Wurf ungebändigten Jenseitskitsches. Dem kann man sich kaum entziehen, unabhängig davon, was man von Harlan sonst hält.

 

Erschienen auf DVD und Blu-ray bei Concorde

© 2023 KINOBLOG

Theme von Anders NorénHoch ↑