„E.T“ im Garten: Joyce (Jane Curtin), Sandy (Harriet Harris) und Milton (Ben Kingsley, von links) – und der Außerirdische (Jade Quon). Foto: Neue Visionen Filmverleih

„E.T“ im Garten: Joyce (Jane Curtin), Sandy (Harriet Harris) und Milton (Ben Kingsley, von links) – und der Außerirdische (Jade Quon). Foto: Neue Visionen Filmverleih

 

Ist er nun besonders hartnäckig? Oder einfach vergesslich – und weiß nicht mehr, dass er seine Anmerkungen im Gemeinderat schon viele, viele Mal heruntergebetet hat, begleitet von kollektivem Gähnen? Jedenfalls fordert der 78-jährige Milton immer wieder (und vergeblich) einen Zebrastreifen an einer besonders befahrenen Kurve in seinem Heimatstädtchen im US-Hinterland. Und dann sollte der Ort, findet der Rentner, dringend seinen Slogan ändern: Denn „A great place to call home“ bedeute eben nicht nur, dass man diesen wunderbaren Ort sein Zuhause nennen könne – sondern dass man von diesem Ort aus auch wunderbar nach Hause telefonieren könne.​

Einer, der genau dieses stets tun wollte, ist ja Steven Spielbergs Film-Außerirdischer „E.T.“ Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass in Miltons Garten ein Ufo bruchlandet. Nur mag ihm das, als er davon berichtet und sich vor allem über die geplätteten Azaleen beklagt, niemand glauben – er wird als senil abgetan. Und sein Garten ist wohl so abgelegen, dass das Raumschiff niemandem auffällt. Unbemannt ist das Ufo in Untertassenoptik eines 50er-Jahre-SF-Films nicht: Ein außerirdisches Wesen liegt auf der Terrasse und wird Miltons monotones Leben noch einmal befeuern.​

Wohlfühlfilm, aber nicht dämlich

Eine sympathische Tragikomödie ist dieser Film von Marc Turtletaub, der durchaus gelungen die Wärme eines klassischen Wohlfühlfilms mit den weniger wohligen Themen Alter, Einsamkeit, zerbröckelnde Familien miteinander verbindet – und Demenz. Milton stellt eine Dose Bohnen in den Badezimmerschrank, legt die Zeitung in den Kühlschrank, und nach dem abendlichen Spülen ist sein einsamer Teller nicht ganz sauber. Sein Glück immerhin, dass seine Tochter im selben Ort lebt und nach ihm schaut. Der Kontakt zum Sohn ist seit Jahren abgerissen, weil Milton, wie er selbst zugibt, ein schlechter Vater war. Er spricht dem Sohn vergeblich auf den Anrufbeantworter, und wenn er am Telefon „Hier wird es langsam Herbst“ sagt, meint er nicht die Jahreszeit.​

„Perfect days“ von Wim Wenders

Gut, dass Ben Kingsley diesen Milton nicht als Kauz mit dem goldenen Herzen spielt, sondern als knorrigen alten Mann, dem das Wissen um den eigenen Verfall zusetzt, der darüber frustriert ist und wütend. Was soll jetzt noch kommen? Womit muss man rechnen? Zumindest nicht mit einem Außerirdischen im Garten.​

Der Außerirdische, ein guter Zuhörer​

Nur zwei Bekannte von Milton wissen um den Besuch aus dem All, die nette Sandy (Harriet Harris) und die etwas bärbeißige Joyce (Jane Curtin). So entwickelt sich eine gewisse Schicksalsgemeinschaft zu viert in Miltons Wohnzimmer, wo der Außerirdische, den sie „Jules“ nennen (so auch der US-Filmtitel), eine Art Seelenkatalysator wird. Denn das blasse, haarlose und stumme Wesen (gespielt von der Stunt-Frau Jade Quon) liebt Äpfel, ist ein guter Zuhörer, zumindest muss man das annehmen – und so können die Drei ihm aus ihrem Leben erzählen. Das hätte nun seifig werden können, aber das Drehbuch von Gavin Steckler umschifft die Klippen der Schnulze. Da geht es zwar um Verlust, um Alleinsein, um Abschied, aber weniger sentimental als man befürchten müsste. Das Gefühligste im Film ist die Musik des deutschen Komponisten Volker Bertelmann; der gewann 2022 einen Oscar für seine bedrohliche, eigenwillige Musik zu „Im Westen nichts Neues“, doch hier legt er eine allzu liebliche Piano-Streicher-Komposition als Gefühlsunterstützung vor.​

Kennt der Außerirdische Cronenbergs „Scanners“?

Ganz so lieblich wie es die Musik nahelegt, ist es in dieser Kleinstadtwelt ohnehin nicht – eine Initiative, junge und alte Menschen zusammenzubringen, endet für eine Figur fast tödlich. Da kommt eine Fähigkeit des Außerirdischen ins Spiel, die allerdings außerhalb des Bildes gezeigt wird – man hätte einen starken Magen dafür gebraucht. Kann es sein, dass man sich auf dem Heimatplaneten von Jules Filme von David „Scanners“ Cronenberg anschaut?​ Überhaupt hat der Film einige skurrile Komik, etwa wenn Milton dem Außerirdischen die Segnungen des Fernsehens erklärt: Auf seinem Lieblingskanal laufe dreimal täglich die Krimi-Serie „CSI“, und die Nachrichtensender würden sich vor allem darin unterscheiden, ob sie mehr oder weniger aggressiv seien (meist mehr). Und der Motor des Ufos hat einen bizarren Treibstoff, der Tierfreunde verschrecken könnte. Auch hält der Film anfangs reizvoll in der Schwebe, ob der Außerirdische vielleicht doch nur eine Halluzination Miltons ist. Ähnlich doppeldeutig ist dann der letzte Moment des Films – egal wie man ihn interpretiert: Anrührend und tröstlich ist er.​

 

Aktuell im Bundesstart, in Saarbrücken in der Camera Zwo.