Lubna Azabal (l.) als Abla und Nisrin Erradi als Samia. Foto: Grandfilm

 

„Ich brauche niemanden“, sagt Abla, die in Casablanca eine kleine Bäckerei betreibt – und meint damit nicht nur eine Unterstützung bei ihrem improvisierten Laden, sondern ihr aktuelles Leben. Samia dagegen, die junge Frau, die bei ihr anklopft, kann jede Hilfe gebrauchen: Sie ist schwanger, alleine in den Gassen der Stadt, sucht eine Arbeit und einen Platz zum Schlafen. Abla ist nicht die Erste, die sie abweist – aber die Erste, der das Schicksal der jungen Frau keine Ruhe lässt und die sie dann doch bei sich aufnimmt. Aber mit finsterem Blick und einer klaren Ansage: „Nur für zwei, drei Tage, dann musst Du wieder gehen.“

Aus diesen wenigen Tagen werden einige mehr in „Adam“, dem Spielfilmdebüt der marokkanischen Regisseurin, Autorin und Schauspielerin Maryam Touzani. Inspiriert von einer realen Geschichte, die ihre Familie erlebt hat, erzählt sie von zwei ziemlich einsamen Seelen. Die junge Samia ist tief verzweifelt – sie plant, ihr Kind fernab ihres Dorfes und ihrer Eltern, die von der Schwangerschaft nichts wissen, auf die Welt zu bringen und dann zur Adoption freizugeben. Danach will sie, als sei nichts geschehen, in die alte Heimat zurückkehren, in der das Leben als alleinerziehende Mutter schmachvoll und undenkbar wäre, als sei nichts geschehen. Ihre einzige Hoffnung ist, dass ihr Kind durch die Adoption eine wirtschaftlich bessere Zukunft haben könnte – wenn auch ohne sie. Abla dagegen ist nach dem Unfall ihres Mannes Witwe, lebt mit ihrer Tochter im kleinen Haus und hat sich emotional von der Welt abgeschottet, der sie mit verhärmter Miene und knappen Halbsätzen begegnet.

„Den Teig fühlen“

Wie sich diese beiden Frauen einander annähern und wie die kühle Abla langsam auftaut, das erzählt Touzanis Drehbuch weitgehend konventionell. Die beiden Frauen ziehen sich an, stoßen sich wieder ab, ziehen sich an – und jede wird der anderen dann doch eine große Hilfe sein. Bei der Annäherung hilft einerseits Ablas achtjährige Tochter Warda, die so fröhlich und entzückend ist, wie das eben die meisten Filmkinder so sind – und andererseits hilft die Zeremonie des Backens: Abla tut dies aus beruflicher Notwendigkeit, aber Samia inspiriert sie dazu, beim Kneten „den Teig zu fühlen“.

Diese durchaus sinnlichen Back- und Knetpassagen sollen dem Film möglicherweise einen kulinarischen und gut vermarktbaren Arthouse-Wohlfühl-Effekt verleihen (der Trailer des Films betont den auch etwas irreführend); aber gebraucht hätte es den nicht, denn „Adam“ überzeugt schon allein durch das Spiel seiner Darstellerinnen: Lubna Azabal als anfangs verhärmte Abla und Nisrin Erradi als Samia, mal niedergedrückt, mal ziemlich resolut, spielen grandios, und der Film konzentriert sich ganz auf sie: Die Kamera von Virginie Surdej und Adil Ayoub kommt den Mimen immer sehr nahe, zeigt das feinnervige Spiel und kleine Gesten. Es entsteht eine enorme Intimität. Dabei bewegt sich der Film selten aus dem Haus heraus, zeigt eine hermetische, zugleich beschützende wie enge Welt.

Abla findet dank Samia ins Leben zurück – etwas plakativ auch dadurch gezeigt, dass sie sich wieder schminkt; aber was wird aus Samia? Sie bringt ihr Kind im Haus zur Welt, nennt es „Adam“ und schottet sich anfangs ab: In zwei Tagen will sie Adam zur Adoption freigeben und sich selbst vor der emotionalen Katastrophe schützen, indem sie gar keine Bindung zum Kind zulassen will. Aber wie soll das funktionieren angesichts dieses kleinen, schutzlosen Menschen? Da gelingen dem Film ungemein intensive, berührende Momente; da verlässt er auch seine zuvor konventioneller angelegten Drehbuchpfade und mündet in ein Ende, über das man lange spekulieren kann.