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Schlagwort: Krimi

Der Tatort „Der Fluch des Geldes“ – eine Enttäuschung

Wieder im Einsatz: Leo Hölzer (Vladimir Burlakov, links) und Kollege/Freund/Schicksalsgenosse Adam Schürk (Daniel Sträßer). Foto: SR/Manuela Mayer

Wieder im Einsatz: Leo Hölzer (Vladimir Burlakov, links) und Kollege/Freund/Schicksalsgenosse Adam Schürk (Daniel Sträßer). Foto: SR/Manuela Meyer

„Der Fluch des Geldes“ ist der fünfte Fall des aktuellen Saarbrücker „Tatort“-Teams. Den Vorgänger „Die Kälte der Erde“ mochte ich sehr – leider ist der neue Fall, aus meiner Sicht, der bisher schwächste: Die Geschichte funktioniert nicht, die Figuren sind schwer nachvollziehbar – und die beiden Kommissarinnen haben so gut wie nichts zu tun.

Hier im Saarland gehen die Meinungen ja besonders weit auseinander, wenn es um den „Tatort“ aus Saarbrücken geht – wobei es oft zum guten Ton zu gehören scheint, ihn schlecht zu finden, Lieblingsvokabel in den sozialen Medien: „zum Fremdschämen“. Bei der Handlung wird gerne Realismus eingefordert, bei der Beschreibung des Saarlands nicht unbedingt – das soll doch bitte immer schön aussehen, wenn sich einmal im Jahr per „Tatort“ das TV-Fenster in Richtung „Reich“ öffnet.​

2020 ging nach dem Abschied von Devid Striesow als Kommissar Stellbrink (2013-2019) das neue Team an den Start. Nun ist dessen fünfte Episode fertig, gerade ist sie beim Saarbrücker Filmfestival Max Ophüls Preis gelaufen, am Sonntag in der ARD. „Der Fluch des Geldes“ nun könnte besonders stark polarisieren, denn die bewährte Team-Struktur wird aufgebrochen.​

Über weite Strecken ist das ein Solo-Fall für Leo Hölzer (Vladimir Burlakov); Kollege/Freund Adam Schürk (Daniel Sträßer) wird zur Nebenfigur und zum Beobachter, Pia Heinrich (Ines Marie Westernströer) und Esther Baumann (Brigitte Urhausen) werden zu Randfiguren. Wie man diesen Film nun findet, wird sich auch daran entscheiden, ob man die von Anfang an als Schurken identifizierten Figuren, mit denen man hier mehr Zeit verbringt als mit drei Vierteln der Ermittler, als glaubhaft empfindet – oder als enervierend und arg konstruiert von einem Drehbuch, das vor allem im letzten Drittel einige mitunter wilde Wendungen macht, so dass selbst Schürk sagt: „Erklär mal, um was es geht.“​

 

Ein Foto vom Dreh in Saarbrücken. Foto: tok

„Der Fluch des Geldes“ schließt direkt an den Vorgänger „Die Kälte der Erde“ an (die jüngeren SR-„Tatorte“ haben einen Hang zu sympathisch prätentiösen Titeln). Eben noch hatte sich Schürk mit einem Hooligan geprügelt, nun steht er mit Hölzer an einem See, zwischen ihnen eine Tasche voller Geld aus dem Bankraub von Schürks kriminellem, mittlerweile totem Vater (man sollte da den in der ersten Folge begonnenen Handlungsbogen noch etwas im Kopf haben).​

Dass Schürk das Geld hat, ist neu für Hölzer – und möglicherweise das Ende einer Freund- und Schicksalsgemeinschaft. „Leo, ich bin ein Arschloch – ich hätte es Dir sagen sollen“, sagt Schürk und meint, in seiner typischen Art der Realitätsbeugung: „Ist das nicht ein bisschen egal?“ Egal ist Hölzer das ganz und gar nicht: „Es macht keinen Sinn, Dir zu vertrauen.“ Da bleibt Schürk nur übrig, ein dramatisches „Fuck!“ über den See zu schreien, während Hölzer zu Fuß nach Hause stapft, entlang der „B17, stadteinwärts“.​

„Vier Insassen, einer fett“​

Dort nun beginnt der Fall: Hölzer wird von einem vorbeirasenden schwarzen SUV fast in die Leitplanke gerammt. Seine Beobachtung in aller Eile: „Vier Insassen, einer fett. Goldene Halskette.“ Was man als Zuschauerin oder Zuschauer weiß: Im Auto sitzen zwei Frauen und zwei Männer, die das Wetten und Spielen anscheinend zur Lebensphilosophie erhoben haben – um Geld geht es auch. Die Herausforderung bei diesem lebensgefährlichen Spiel: die Landstraße entlangrasen, während einem die Augen zugehalten werden.​

Hölzer überlebt das, das Quartett ohnehin, aber kurze Zeit später sieht er das rauchende Wrack eines anderen Autos – er vermutet, dass der Tod der Fahrerin mit den Landstraßenrasern zusammenhängt. Als er in der Gerichtsmedizin bei der möhrenschnippelnden Dr. Wenzel (Anna Böttcher) den trauernden Witwer der Fahrerin sieht, wird der Fall für ihn persönlich. Abseits des Dienstweges ermittelt er nun alleine. Vielleicht nicht die schlechteste Idee, denn im Büro hängt der Haussegen ohnehin bedrohlich schief wegen des Zerwürfnisses zwischen ihm und Schürk, so dass Kollegin Baumann fragt: „Was ist denn mit Euch BFFs los?“ – das Band dieser „best friends forever“ scheint zerrissen.​

 

Regisseur Christian Theede beim Dreh an der IHK in Saarbrücken. Foto: tok

 

Inszeniert hat wieder Christian Theede, das Drehbuch stammt von Hendrik Hölzemann – das bewährte Duo der ersten beiden Episoden „Das fleißige Lieschen“ (2020) und „Der Herr des Waldes“ (2021) – Hölzemann hatte zudem das Buch für „Das Herz der Schlange“ (2022) geschrieben.​ „Der Fluch des Geldes“ entstand an 21 Tagen, gedreht wurde an der Congresshalle, auf dem Saarbrücker Flughafen, in der Pathologie der Winterberg-Klinik, im Ludwigsparkstadion sowie in Dudweiler und Neunkirchen, wo eine alte Fabrik eine reizvolle Kulisse bietet für einige Wetten des Quartetts.​

„Full House, geil, Bitch“​

Erzählt wird, wie Hölzer versucht, sich der Spielerbande anzudienen, die er ziemlich schnell in einem Saarbrücker Casino namens „All In“ findet, wo die Vier lautstark an einem Spieltisch Sätze rufen wie „Full House, geil, Bitch“. Mit dieser Struktur entgeht der Film zwar der „Wo waren sie gestern zwischen 20 und 21 Uhr?“-Krimiroutine; aber die Handlung um die Wetten und Psychospielchen wirkt oft gestelzt, die Figuren des Wett-Quartetts bleiben rätselhaft – ganz klar wird nicht, warum sie das tun, was sie tun.​

Interview mit Autor Andreas Pflüger

Da wird kurz angerissen, dass eine Heroinkonsumentin (Jasmina Al Zihairi) durch die oft gefährlichen Spiele „endlich etwas fühlt“; der edel gewandete Kopf des Quartetts (Omar El-Saeidi) ohrfeigt seine Freundin (Susanne Bormann), wenn sie ihn „Loser“ nennt, beteuert zugleich aber „Ich tu das alles nur für uns“; der Wohlbeleibte (Daniel Zillmann), im Film schon mal „fette Kröte“ oder „Moppelchen“ genannt, wirkt noch am normalsten – vergleichsweise. Sein Eingangssatz zu einer Wette: „Ich bin fett und habe einen kleinen Pimmel. Aber jetzt mach ich Dich fertig.“​

Schürk, das schlechte Gewissen​

Hölzer, bisher der weichere und gesetzestreuere Ermittler im Vergleich zum Kollegen Schürk, kann hier eine gewisse Härte und Entschlossenheit zeigen – von einer originellen kleinen Szene untermauert, in der ihm Schürk wie das schlechte Gewissen in einem Spiegel erscheint und ihn fragt, was dieser Alleingang denn eigentlich soll. „Nichts“, sagt Hölzer in Richtung Spiegel, „ich mache es jetzt einfach so wie Du.“​

Wenig zu tun für die Tatort-Ermittlerinnen​

Schade ist, wie wenig die Ermittlerinnen Baumann und Heinrich beziehungsweise ihre Darstellerinnen Urhausen und Westernströer zu tun haben. Nach sieben Minuten „Tatort“ sieht man sie kurz im Fußballstadion jubeln – wie wir aus der Vorgänger-Episode wissen, ist vor allem Baumann Fan eines fiktiven Saarbrücker Vereins namens „1925 TRS“. Weitere sieben Minuten später sprechen sie mit einem Mann, dem für die Irrfahrt auf der B17 der Wagen gestohlen wurde. Dann verschwinden sie für über 20 Minuten aus dem Film, tauchen kurz buchlesend am Saarbrücker Schloss (Baumann) oder am Büroschreibtisch schlafend (Heinrich) wieder auf, um dann nochmal für 20 Minuten absent zu sein.​

Und wenn im Finale die Männer ins Auto springen, um zum Saarbrücker Flughafen zu rasen, bleiben die Frauen im Büro und werden nicht mehr gesehen. Schade und kein Vergleich zum auch formal unkonventionelleren Vorgänger „Die Kälte der Erde“, in dem Autorin Melanie Waelde und Regisseurin Kerstin Polte den beiden Figuren und Schauspielerinnen mehr Raum gaben. Wie steht es nun mit Schürk und Hölzer? Am Ende, so viel darf man verraten, sind sie sich wieder näher gekommen, diese „bromance“ hat eine Zukunft, eingeläutet vom schönen Satz „Wenn’s schief läuft, bist Du da.“ Gerne in einem Fall, der wieder mehr Interaktion im ganzen Team bietet.​

In der ARD-Mediathek.

„In der Nacht des 12.“ von Dominik Moll

In der Nacht des 12. Dominik Moll

Die Ermittlungen bringen sie an ihre Grenzen: Yohan (Bastien Bouillon, links) und Marceau (Bouli Lanners).​ Foto: Ascot Elite

 

Ein Krimi im klassischen Sinne ist „In der Nacht des 12.“ nicht. Um Mitfiebern und -raten geht es nicht, das macht der Film schon anfangs in einer Texteinblendung klar: Jedes Jahr ermittele die französische Polizei in mehr als 800 Mordfällen, heißt es da. „Fast 20 Prozent davon bleiben ungelöst – dieser Film erzählt von einem dieser Fälle.“ Doch der Fall ist eben nur eine Seite. Es geht auch um die Ermittler, um die Gewalt, die sie im Beruf erleben, und wie sie damit umzugehen versuchen.​

Die brennende Frau

Eine junge Frau in einem Örtchen im Schatten der Alpen geht nachts von einer Party nach Hause, schickt noch eine Handybotschaft an ihre beste Freundin, bis ihr ein Vermummter entgegentritt. Er spricht sie an, übergießt sie mit Benzin, zündet sie an – die junge Frau rennt noch ein paar Meter, bricht zusammen, verbrennt. Eine Szene wie ein Schock, aber anders inszeniert als in anderen Krimis: Die entrückte, melancholische, chorale Musik zu den (wenigen) Bildern der brennenden Frau legt sich wie ein Schleier über diese Momente – bevor der Film nach einem harten Schnitt das Gesicht des Polizisten Yohan (Sebastien Bouillon) in Nahaufnahme zeigt: Er hat in einem Büro in Grenoble die Nachfolge des Abteilungsleiters angetreten; der Tod der jungen Frau wird zu seinem ersten Fall in Leitungsposition.​

Drehbuch nach einem Jahr Recherche

Der deutsch-französische Regisseur/Autor Dominik Moll („Die Verschwundene“) und sein regelmäßiger Autorenpartner Gilles Marchand haben sich in ihrem Skript an dem Buch „Ein Jahr bei der Kripo“ von Pauline Guéna orientiert – sie hatte 12 Monate lang polizeiliche Ermittlungen in Versailles beobachtet; Moll und Marchand nutzen die enorme Detailfülle des Buchs und die These, dass jeder Ermittler, jede Ermittlerin irgendwann einem Fall begegne, der sie besonders schmerzt und möglicherweise nicht mehr loslässt.​

In der Nacht des 12. Ascot Elite

Regisseur und Ko-Autor Dominik Moll.    Foto: Ascot Elite

Yohan und sein Team beginnen ihre Ermittlungen, die der Film in all ihrer Büro-Banalität zeigt, ob bei Diskussionen um Überstunden oder Smalltalk in der Kaffeepause, und in all ihrer Grausamkeit: Die Szene, in der Yohan und ein Kollege den Eltern von Clara die Todesmitteilung überbringen müssen, ist erschütternd und wirkt noch dadurch schmerzhafter, dass Regisseur Moll sie ganz schnörkelfrei inszeniert – ohne Musik, ohne Nahaufnahmen, in aller Ruhe und aller Tragik. Yohan hat da seinen ersten „Aussetzer“, wie er sagt; er fühlt sich, „als wäre ich tot“.​

Kritik zu „Pacifiction“ mit Benoit Magimel

Die Ermittlungen fördern viel menschliche Trostlosigkeit zutage. Die Männer, mit denen Clara sexuelle Beziehungen hatte, reagieren gleichmütig bis bizarr auf die Nachricht vom Mord. Einer zuckt hilflos die Achseln, ein anderer muss beim Verhör unvermittelt lachen, denn er „hat gerade an etwas anderes gedacht“. Ein Ex-Freund hat, nachdem Clara kein Interesse mehr an ihm hatte, einen Rap-Song veröffentlicht, in dem er „der Schlampe“ droht, „sie abzufackeln“. So wörtlich will er das gar nicht gemeint haben, „ich bin ja gegen Gewalt“, das „sind doch nur Worte“. Ein weiterer Ex-Liebhaber ist ein verurteilter Frauenschläger, dessen aktuelle Freundin es toleriert, dass ihr Freund nebenbei Clara „hart gefickt hat“, wie er sagt, und die Freundin gerne „Schlampe“ nennt.​

Männerwelt

Alibis haben alle Männer, und Yohan leidet zunehmend – ebenso am Stocken der Ermittlungen wie an der Gefühllosigkeit der Befragten und Verdächtigen. Zugleich muss er sich von einer Freundin Claras in einer der stärksten Dialogszenen vorwerfen lassen, dass bei den Fragen des durchweg männlichen Ermittlerteams die Idee mitschwinge, dass Clara durch ihr Sexualleben mit mehreren (und menschlich unangenehmen) Männern eine gewisse Mitschuld an ihrem Tod trage. Auch später gibt es einen prägnanten Dialog mit einer Polizei-Kollegin über Gewalt und eine Welt, in der meistens Männer morden und meistens Männer diese Morde aufklären.​

Kritik zu „Wild wie das Meer“ mit Cécile de France

Dies alles erzählt Regisseur Moll in aller Ruhe: ohne dramaturgisch aufgedonnerte Hektik, in langsamem Rhythmus, mit einer klaren Bildsprache, mit schnörkelfreien Dialogen. Hier zählt jedes Wort, sogar beim Kaffeeküchen-Gespräch im Büro. Das mag äußerlich schlicht wirken – eine Kritik wirft dem Film ungerechterweise eine Fernseh-Machart vor – aber im Inneren der Figuren brodelt es.​

Überrascher Zeitsprung

Yohan und sein älterer Kollege Marceau (Bouli Lanners) gehen unterschiedlich mit ihren Gefühlen um – der Jüngere dreht immer verbissener seine Runden auf einer nächtlichen Radrennbahn (symbolisch im Kreis), Marceau hat seine Nerven nicht mehr im Griff, lässt seine Frustration an dem Schläger aus – und muss die Abteilung verlassen. Nach einem überraschenden Zeitsprung von drei Jahren gehen die Ermittlungen wieder weiter. Jetzt mit einer Lösung?​

Dieser exzellent gespielte Krimi lädt zu einem Vergleich mit dem Kinofilm „Die Purpurnen Flüsse“ ein, sie gäben ein interessantes Doppelprogramm ab – ebenfalls ein französischer Film mit einem älteren und einem jüngeren Mord-Ermittler, vor der Kulisse der französischen Alpen. Doch während bei den „Purpurnen Flüssen“ die Alpenkulisse mit Drohnenflügen zelebriert wird und das Polizistenduo mit großer Geste ermittelt, sind bei „In der Nacht des 12.“ die Berggipfel in der fast dokumentarischen Bildgestaltung ziemlich weit weg, und die Ermittler wirken immer müder und zugleich rastloser. Das Leben kann brutal sein, legt der Film nahe, und jeder beziehungsweise jede muss den Weg finden, damit zurecht zu kommen.​

DVD und Bluray bei Ascot Elite.

Edler Zwirn, feine Nase: Der schwedische Mehrteiler „Hjerson“

Hjerson (Johan Rehborg) und Sandberg (Anna Halström). Foto. ZDF / Edel Motion

Ermittlungsarbeit in der Küche: Hjerson (Johan Rehborg) und Sandberg (Anna Halström). Foto. ZDF / Edel Motion

„Das Letzte, was die Welt jetzt braucht, ist eine weitere Krimireihe im Fernsehen.“ Sagt die Hauptfigur einer weiteren Krimireihe im Fernsehen. Vielleicht soll diese Ironie auf der Meta-Ebene ja der Kritik den Wind aus den Segeln nehmen – angesichts einer unbestreitbaren TV-Krimi-Schwemme, nicht zuletzt aus den skandinavischen Ländern. „Hjerson“ heißt dieser Mehrteiler aus Schweden, dessen Ursprung in England liegt: bei Agatha Christie, der Königin des „Whodunit“, bei dem die minutiöse Aufklärung eines Verbrechens mit möglichst vielen Verdächtigten im Zentrum steht.

Christie (1890-1976) erfand nicht nur den Meisterdetektiv Hercule Poirot oder die Miss Marple, sondern auch eine Krimischriftstellerin namens Ariadne Oliver, die wiederum eine Hauptperson für ihre Krimis ersonnen hat: den schwedischen Ermittler Sven Hjerson. Und eben der ist die Titelfigur dieses ambitionierten Mehrteilers (vier mal 90 Minuten). Wie nahe der nun dem Werk Agatha Christies steht oder ob man sich vor allem mit ihrem Namen schmücken will, müssen deren Kenner beurteilen. Sehenswert ist „Hjerson“ jedenfalls, wobei sich die Serie abhebt von einigen anderen Krimis aus Skandinavien, bei denen Orte wie Seelenlandschaften gerne neblig trüb sind. „Hjerson“ ist bunter (wie seine Kleidung), filmisch verspielter und humoristischer – den Todesfällen und schicksalhaften Verstrickungen zum Trotz.

„Milf-Hotel“ füllt geistig nicht mehr aus

Zu Beginn steckt die TV-Produzentin Klara Sandberg (Hanna Alström) in der Krise – Trashformate wie „Milf Hotel“ füllen sie nicht aus, doch eine neue Idee beflügelt sie: Warum nicht eine halb-dokumentarische Krimi-Serie mit dem legendären Ermittler Sven Hjerson (Johan Rheborg) auf den Weg bringen, der einige der kniffligsten Fälle der schwedischen Kriminalgeschichte aufgedröselt hat? Das erste Problem: Hjerson hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, scheint unauffindbar. Das zweite Problem: Als Sandberg ihn aufspürt, hat er nicht das geringste Interesse, Teil einer TV-Serie zu werden. Er braucht die Welt nicht, seine erlesene Garderobe und der tägliche Gang zum Friseur (trotz schütteren Haars) sind ihm Lebensbegleiter genug. Doch flüchten kann er vor der TV-Produzentin nicht, befinden sich beide doch auf einer Fähre. Als dort ein Mord geschieht, kann Hjerson den alten Spürsinn nicht verdrängen (und die Fernsehfrau nicht loswerden).

Vor dem Hintergrund der Krimi-Handlung – etwa einem Todesfall bei Kino-Dreharbeiten – erzählen die Episoden von der beginnenden Freundschaft zwischen Ermittler und Produzentin, von deren etwas aus dem Tritt gekommenen Liebesleben und Hjersons schwieriger und verdrängter Kindheit, die er langsam aufblättert. Gerade dieser Strang ist interessant (manchmal interessanter als der Krimi-Plot), zumal Darsteller Rheborg die Kauzigkeit und die Ticks von Hjerson nicht überzieht – man fühlt mit ihm mit, trotz seiner immer mal aufblitzenden Arroganz und seiner scheinbaren Gefühlskühle.

Die erste Staffel von „Hjerson“ ist in der Mediathek des ZDF zu sehen und auf DVD bei Edel-Motion erschienen.
DVD-Extra: Ein kurzes Interview mit den Hauptdarstellern.

Grimmig: „Shorta“ von Frederik Louis Hviid und Anders Olholm

Shorta Koch Films Krimi

Mit der Drangsalierung eines Jugendlichen (Tarek Zayat) durch Polizist Andersen (Jacob Lohmann) beginnt der lange Tag in der Vorstadt. Foto: Koch Films

Die ersten Bilder erinnern schmerzhaft an die Tötung von George Floyd durch die Misshandlung eines US-Polizisten vor einem Jahr: Im Film „Shorta“ liegt ein Mann am Boden, auf den Boden gepresst von dänischen Polizisten – später werden Ärzte versuchen, sein Leben zu retten. Im dänischen Hochhausghetto, aus dem der Misshandelte kommt, brodelt die Wut. Und genau dort ziehen die Polizisten Andersen (Jacob Lohmann) und Hoyer (Simon Sears) ihre Runden – keine guten Kollegen, sondern eine Zwangsgemeinschaft: Der besonnene Hoyer soll Andersen, einen Bär von einem Mann, voller Wut und Rassismus, im Auge behalten, gilt der mit seinem alphatierhaften Auftreten als wandelndes Risiko.

Die Doku „In search of the last action heroes“

Das ist die Ausgangslage des Films vom Duos Frederik Louis Hviid und Anders Olholm (Regie und Buch), das souverän die Genre- und Spannungs-Mechanik beherrscht: Eine atmosphärische Montage mit Bildern grauer Hochhäuser, umflogen von Polizeihubschraubern, zieht ohne Schnörkel in den Film hinein; gereizt ist die Stimmung zwischen den beiden Polizisten, was sich noch zuspitzt, als Andersen, um zu zeigen, „wer hier das Sagen hat“, einen Jungen (Tarek Zayat) drangsaliert und demütigt. Als der sich wehrt, verhaftet ihn Andersen – doch aus dem Ghetto kommen sie nicht heraus: Jugendliche attackieren den Wagen, die Polizisten fliehen nun zu Fuß mit dem Verhafteten quer durch die Vorstadt. Für sie beginnt ein endlos langer Tag auf der Flucht, durch Keller, Hinterhöfe, Geschäfte, Wohnungen. Als urbaner Thriller, als Verfolgungsfilm funktioniert „Shorta“ in seiner ersten Stunde perfekt, zumal sich die kontrastreiche (und drohend klischeehafte) Charakterzeichnung der Figuren langsam auflöst – vom Schwarz-Weiß hin zu Grautönen. Da ist der bullige Andersen nicht mehr ganz nur ein schnell entflammbarer Macho-Polizist mit Rassismus-Duktus, „der böse Cop“; und Hoyer ist auch nicht mehr der komplett integre Muster-Beamte.

„The KIller“ von David Fincher

Dramaturgisch kommt der exzellent gespielte Film allerdings etwas ins Stolpern, als er von einer Annäherung zwischen den Polizisten und dem Verhafteten erzählt – das wirkt etwas bemüht. Und auch die Geografie des Ortes scheint sich je nach Plot-Erfordernis zu wandeln: Mal erscheint der Vorort als riesiges Viertel, aus dem man ohne Kompass nie wieder herausfindet. Dann wiederum ist er so klein, dass der angeschossene Andersen ausgerechnet bei der Mutter des Verhafteten zufällig Zuflucht findet. Dennoch: ein packender Krimi über Gewalt und Gegengewalt – entsprechend konsequent und düster fällt das Finale aus.

DVD, Bluray, digital bei Plaion.

„Bajocero“ von Lluís Quílez bei Netflix

Netflix Bajocero Unter Null

Eine Szene aus „Bajocero“. Foto: Netflix

Manchmal ist es ja ganz einfach: Wenn in einem Ensemblefilm Figuren nacheinander sterben, kann man die Reihenfolge der Todesfälle ahnen: meist entlang der Besetzungsliste, von unten nach oben. Je populärer und daher weiter oben auf dieser Liste, desto länger ist das Leben auf der Leinwand (oder dem Bildschirm). Das kann die filmische Spannung durchaus mindern, es sei denn, der Film traut sich, zu überraschen – siehe Alfred Hitchcock, der 1960 in „Psycho“ den (damals) größten Star seines Films, Janet Leigh, nach 20 Filmminuten aus dem Film verabschiedete, per Duschmord und zur gewollten Desorientierung des Publikums.

Netflix-Film „Heart of Stone“

Solche Überraschungen sind allerdings selten. So ist es manchmal von Vorteil, wenn man als Zuschauerin/Zuschauer das Ensemble nicht gut kennt –wenn ein Film nicht aus Hollywood kommt, sondern etwa aus Spanien und eher mit national denn international bekannten Mimen besetzt ist. Zum Beispiel die Netflix-Eigenproduktion „Bajocero – Unter Null“, ein düsterer Krimi, der über weite Strecken als enorm dichtes, sehr spannendes Ensemble-Stück funktioniert. Polizist Martin (Javier Gutiérrez) hat nicht den angenehmsten Job – er muss einen Gefangenen-Transport durch die Nacht fahren, von einem Knast zum anderen. Das Spektrum seiner Begleiter reicht vom Betrüger im Großvater-Alter zum hundertfachen Zuhälter, der im Gefängnis einen Wärter fast getötet hat. Viel Gewaltbereitschaft also im gepanzerten Gefährt, doch eine Gefahr kommt auch von außen: Der Begleitwagen des Polizeibusses verschwindet im Nebel, und als der Bus wegen eines platten Reifens (durch eine Hinderniskette) anhalten muss, meldet sich per Sprechfunk ein Mann und fordert, dass einer der Häftlinge freigelassen wird. Doch der weigert sich auszusteigen, denn er kennt den Mann und fürchtet ihn. Der Unbekannte beginnt, das gepanzerte Fahrzeug anzugreifen, unter anderem mit Benzin – und im Innern muss Martin die Männer beschützen, von denen einige aber schon einen Fluchtplan im Kopf haben und bereit sind, buchstäblich über Leichen zu gehen.

Schnörkellose B-Film-Effektivität

„Bajocero“ ist das überzeugende Langfilmdebüt des spanischen Regisseurs Lluís Quílez (er schrieb auch das Drehbuch, zusammen mit Fernando Navarro): Der Beginn mit einem grausigen Mord im nächtlichen Dauerregen grundiert die finstere Atmosphäre und gibt einen Hinweis auf das Motiv des Bus-Angriffs. Danach werden die Figuren im Gefängnis knapp, aber prägnant vorgestellt, mit ein paar Dialogen und Gesten. Das Ganze hat eine schnörkellose B-Film-Effektivät im guten Sinne und erinnert unter anderem an John Carpenters Belagerungs-Thriller „Assault – Anschlag bei Nacht“ aus den 1970ern. Im attackierten Bus, einem Ort der enormer Platzangst, gelingen dem Film enorm packende Szenen, wenn die Panik steigt, Allianzen entstehen, die wieder bröckeln und es Überraschungen gibt. So viel sei verraten: Um den scheinbar als wichtige Figur eingeführten Schwerstkriminellen geht es gar nicht. Allerdings lässt der Film, um mit einigen Wendungen die Spannung hoch zu halten, seine Figuren nicht immer im Sinne der Logik handeln. (Und hätten die Polizisten Handys, wäre ihnen manches erspart geblieben.)

Das Finale schwächelt etwas

Das letzte Filmdrittel führt ans Tageslicht, in eine Schneelandschaft, auf einen See mit zu dünnem Eis – und in ein Finale, das dem kompakten Mittelteil nicht ganz das (Eis-)Wasser reichen kann. Da klärt sich alles auf, auch der finstere Beginn – doch das zuvor ökonomische Erzählen weicht einem sehr melodramatischen, wenn es um Schuld und Sühne geht, um Rache und Selbstjustiz. Das lässt das Finale weniger geglückt wirken als das, was zuvor kam – aber „Bojacero“ bleibt eine kleine Perle und eine Entdeckung im Streaming-Dickicht.

Aktuell bei Netflix

 

Netflix Bajocero Unter Null

Das Plakat zu „Bajocero“. Foto: Netflix

Pariser Terrorzelle: der Krimi „Made in France“

 

Terror Made in France

 

In Paris gründet sich eine Terrorzelle und plant einen Anschlag aufs Herz der Stadt. Der französische Film „Made in France“, gedreht vor den Anschlägen in Paris, erscheint bei uns auf DVD.

Zwei Mal hat das reale Morden diesen Film über islamistischen Terror eingeholt: 2014 gedreht, sollte „Made in France“ im Januar 2015 in Frankreich starten, wurde dann aber angesichts der Morde in der Redaktion von „Charlie Hebdo“ verschoben – auf den November. Da geschahen die Anschläge von Paris, der Start des Films wurde auf unbekannt verschoben, ins Kino der Nachbarn kam der Film dann gar nicht mehr und erschien nur auf DVD, so wie jetzt bei uns.

Der Film von Nicolas Boukhrief, dem 2004 mit „Cash Truck“ ein finsterer Krimi gelang, ist eine merkwürdige Seh-Erfahrung: Vor dem Hintergrund des realen Terrors ist er beklemmend, als Film schnörkellos inszeniert, als Unterhaltung enorm spannend – und doch bleibt er letztlich unbefriedigend. Der investigative Journalist Sam (Malik Zidi), ein Mann mit muslimischen Wurzeln, arbeitet an einer Reportage und lebt sich in einer islamistischen Gruppe in einem Pariser Vorort ein; er besucht die Moschee, in der gegen westliche Dekadenz gepredigt wird und der dehnbare Satz fällt: „Mord ist verboten – es sei denn, er dient einem gerechten Zweck“. Sam freundet sich mit einigen Jugendlichen an, die die Rückkehr eines der ihren sehnsüchtig erwarten: „Hassan ist wieder da“. Der heißt bürgerlich eigentlich Pelletier, erzählt von seiner Ausbildung in Pakistan und davon, dass er hier in Paris eine Terrorzelle errichten soll. Mit heiligem Ernst sind die Jugendlichen dabei, auch zum Schein der Journalist. Hassan, die charismatische Führerfigur, weiht die Gruppe beim Waffenkauf in die Kunst des Mordens ein – es gibt die ersten Tote. Als der Journalist sich der Polizei anvertraut und aussteigen will, zwingt die ihn, weiter in der Gruppe zu bleiben, da sie unbedingt an die Befehlsgeber der Terrorzelle herankommen will. Sam bleibt dabei, in ständiger Angst, während Hassan das Ziel eines Bombenanschlags verkündet: die Champs-Élysées, an einem Samstag, wenn der Boulevard besonders überlaufen ist.

Die Angst des Eingeschleusten vor der Enttarnung, die knapp werdende Zeit – diese klassischen Elemente des Spannungskinos werden souverän genutzt. Und doch hätte der Film mit seinen kompakten 89 Minuten gerne eine halbe Stunde länger dauern und sich seinen Figuren stärker widmen dürfen. Die sind recht grob skizziert – ein Boxer aus der Vorstadt, ein offenbar gelangweiltes Bürgersöhnchen, ein Mitläufer, der erkennt, dass das Kämpfen nichts für ihn ist. Was den Anführer der Terrorzelle antreibt, was er im Gefängnis und in Pakistan erlebt hat, bleibt im Halbdunkeln. Dennoch wird immer wieder deutlich, wie fadenscheinig die religiöse Unterfütterung dieses pseudo-heiligen Krieges ist, wenn der Führer auf Fragen wie „Will Allah, dass wir Frauen und Kinder töten“ immer nur „Wir sind im Krieg“ antwortet. Neben ihrer Brutalität offenbart die Gruppe auch enorme Banalität, wenn sie lange darüber grübelt, welchen Namen sie sich geben soll, der medial besonders griffig klingt. Als der Bürgersohn vom „Krieg „für unsere Kinder in Palästina“ spricht, fragt ihn ein Mit-Terrorist: „Aber Du bist doch Bretone?“ Da hätte der Film sich mehr Zeit gönnen müssen, um tiefer in diese Gruppe der Verblendeten und Verirrten einzudringen. So zumindest bleibt ein politisch aktueller, sehr spannender Thriller, dessen Schlusspointe, die hier nicht verraten werden soll, ein Rätsel aufgibt: ein abgenutztes Klischee? Oder der Verweis auf die Macht des Glaubens abseits allen Terrors?

Erschienen auf DVD und Blu-ray bei Universum Film.

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