Über Film und dieses & jenes

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Doku „Die Geschichte der Kriegsberichterstattung“ von Marcel Ophüls

Es war eine schlechte Nachricht im Januar: Beim jüngsten Filmfestival Max Ophüls Preis musste Regisseur Marcel Ophüls seinen Besuch kurzfristig absagen – der Sohn des Festivalnamensgebers und selbst oscarprämierter Dokumentarfilmer („Hotel Terminus – Zeit und Leben des Klaus Barbie“, 1988) ist eben über 90 Jahre alt. Nun ist einer seiner Filme erstmals bei uns auf DVD erschienen, eine sehr willkommene Veröffentlichung. „Die Geschichte der Kriegsberichterstattung“ gehört zu seinen weniger bekannten Arbeiten, lohnt die Entdeckung und ist thematisch aktuell wie eh und je. Geht es doch um Krieg und Medien.

„Fräuleins mit blauen Augen schwängern“

Im Dezember 1992 reiste Ophüls nach Sarajewo, um dort Kriegsberichterstatter zu treffen, ihre Arbeit zu porträtieren und die ihn drängende Frage zu erörtern: „Trägt Information über Völkermord dazu bei, zu sagen: jetzt reicht‘s?“. Ophüls’ Film ist dabei, nicht überraschend, keine handelsübliche 90-Minuten-Doku, sondern ein großer Exkurs, ein Panorama mit Seitenblicken, Abschweifungen, Exkursen – faszinierende 226 Minuten lang. Mit dem Orient-Express macht sich Ophüls von Paris nach München auf, sinniert über den Begriff ethnische Säuberungen („das weckt Erinnerungen“) und fährt auf dem Weg nach Wien an einer ehemaligen SS-Kaserne vorbei, in der SS-Männer im Auftrag des NS-Regimes „Fräuleins mit blauen Augen schwängern“ sollten, „der nötigen ethischen Reinheit stets eingedenk“, wie Ophüls kommentiert. Da passt es gut, dass die Strecke ihn auch noch am Obersalzberg vorbeiführt. „Geschichte hört nie auf“, heißt es einmal im Film.

Die Doku „Speer goes to Hollywood“

Im belagerten Sarajewo spricht Ophüls mit Reportern aus den USA, aus England und Frankreich, sichtlich angepackte Nachrichtenprofis, die ihre Arbeit mit Galgenhumor erträglicher machen – oder auch mit mitgebrachter Gänseleber, wie die französischen Journalisten. Von einem Kollegen erzählen sie, der schon nach zehn Minuten in der Stadt tot war, von täglichen Strategien („Man muss verdrängen können“) und auch von der klaren Sicht auf die mediale Verwertbarkeit des Krieges in Ex-Jugoslawien. „Die Sache hat alles, was eine gute Story braucht“, sagt ein Reporter.

„Ein Dreitagebart – ich war ja nur drei Tage da“

Ophüls selbst dramatisiert die eigene Rolle nicht: Er ist keiner der Kriegsberichterstatter, sondern nur deren Beobachter, auf Stippvisite. Wie um das zu untermauern, flickt er eine Passage ein, die ihn zwischendurch im nahen, für Sarajewos Bewohner unendlich weiten Wien zeigt, in einem edlen Hotel beim Rasieren („ein Dreitagebart – ich war ja nur drei Tage da“), während sich eine nackte Frau auf seinem Bett räkelt. Ist das nun eine Kriegsberichterstatter-Männerfantasie mit Hemingway-Aroma oder eine Parodie auf sie? Sicherlich Letzteres.

Ein Interview mit Sandra Hüller

Ohnehin ist der Film trotz des Themas einige Male sogar komisch, ein herber und gewollter Kontrast zu dem gezeigten Elend und den Schicksalen: Wenn Ophüls bei einer Besprechung einen elegantem Hut trägt und sagt: „Wie die anderen Größenwahnsinnigen – Federico Fellini und François Mitterand“. Und zu einem serbischen Soldaten sagt er mit schelmischer Unschuldsmiene: „Aber Ihre Waffen zielen doch auf Sarajewo. Vielleicht haben Sie deshalb eine so schlechte Presse?“

Robert Capas legendäres Foto

In immer größeren Drehungen umkreist der Film sein Thema, nicht nur um Ex-Jugoslawien geht es, auch um den Golfkrieg und die aus Militärsicht sehr gelungene „Einbettung“ von Journalisten; und auch um den Kriegsfotografen Robert Capa (1913-1954), dessen legendäres Bild aus dem Spanischen Bürgerkrieg, das scheinbar einen Soldaten im Moment seines Todes zeigt, mittlerweile sehr umstritten ist, was seinen Wahrheitsgehalt angeht. Resolut in Schutz nimmt Capas Bild Kriegsreporterin Martha Gellhorn (1908-1998), die rät, Menschen ihres Berufsstandes kein Denkmal zu setzen. Marcel Ophüls tut dies auch nicht, auch wenn er deren Mut bewundert; lieber wirft er einen weiten Blick auf Krieg, die Bilder, deren Macht und Ohnmacht. Denn die anfängliche Frage, ob Bilder eines Völkermords helfen, ihn zu beenden, meint er: „Offenbar nicht.“

Erschienen auf DVD bei absolut Medien.
Bonus: Ein exzellentes Booklet mit Hintergründen und der Auflistung der Interviewten.

Interview mit Svenja Böttger, Leiterin des Ophüls-Filmfestivals

Svenja Böttger Leiterin Filmfestival Max Ophüls Preis Interview

Svenja Böttger, die Leiterin des Saarbrücker Filmfestivals Max Ophüls Preis. Foto: Oliver Dietze /MOP

 

Vom 22. bis 29. Januar läuft in Saarbrücken das 39. Filmfestival Max Ophüls Preis. Für Svenja Böttger ist es der zweite Ophüls-Jahrgang als Leiterin. Ein Gespräch  (mit dabei war auch Kollege Christoph Schreiner) über die Lage des Festivals, die Probleme der Jungfilmer und die #MeToo-Debatte.

 

Das Max Ophüls-Festival bezeichnet sich als „das“ wichtigste Festival des deutschen Nachwuchsfilms – in der überregionalen Presse wird es eher als „ein wichtiges“ bezeichnet. Was stimmt?  

Natürlich gibt es andere gute Festivals, die auch Produktionen junger Filmemacher und Filmemacherinnen zeigen. Aber nur Saarbrücken zeigt 130 dezidierte Nachwuchsfilme. Wir bilden einen Jahrgang in seiner ganzen Bandbreite ab. Wir suchen nach Handschriften, nach den Talenten dahinter. Und alle Großen waren schon mit frühen Filmen hier – Tom Tykwer etwa, Dominik Graf, Andreas Dresen, Doris Dörrie.

Welches Festival kommt Saarbrücken da am nächsten?

Das ist schwer zu sagen. Mit der Perspektive-Sektion der Berlinale und den Nachwuchsreihen in München und Hof haben wir sicherlich die größten thematischen Überschneidungen, stehen im Austausch miteinander und besuchen uns gegenseitig. In der Reihe MOP-Watchlist zeigen wir auch bewusst Filme, die bei diesen Festivals Premiere hatten.

Beim Festival gibt es immer mehr Uraufführungen – wie wichtig sind die, um sich von anderen Festivals abzuheben?

Für den Wettbewerb finden wir es wichtig, dass die Filme mindestens eine deutsche Erstaufführung haben. Wir bieten den Filmemachern dafür aber auch eine tolle Plattform: Wir haben Verleiher hier, Produzenten, Redakteure, bieten gut dotierte  Geldpreise und stellen Kontakte her. Beispielsweise unsere Verleihförderung, die bei den Preisen Bester Spielfilm und Beste Regie verankert ist,  hilft dabei, dass die prämierten Filme später auch ins Kino kommen können und bieten einen Anreiz für Verleiher, auch Independent-Produktionen ins Kino zu bringen. In den Nebenreihen sind Premieren weniger wichtig. Wir haben deshalb die Nebenreihen im letzten Jahr bereits umstrukturiert. Die Reihe „Saarbrücker Premieren“ gibt es nicht mehr, an die Stelle ist unsere Reihe MOP-Watchlist getreten, sie löst die Saarbrücker Premieren und auch die Reihe Spektrum ab. Premieren sind für die Filmemacher·innen ein hohes Gut, sie sollten nicht in Nebenreihen gefeiert werden. In unserer Reihe MOP-Watchlist spielen wir bewusst Filme nach, auch wenn sie schon bei anderen Festivals zu sehen waren. Das sind Filmemacher und Filmemacherinnen, bei denen wir sagen: Leute, die müsst Ihr Euch anschauen und auf dem Schirm haben.

Sie haben relativ wenig geändert an der Struktur des Festivals. Wollten Sie nicht deutliche Akzente setzen, die klar mit ihrer Person verbunden sind?

Betrachtet man sich das Festival genauer, dann wird man feststellen, dass wir eine ganze Menge umstrukturiert haben. Das Einzige, was genau gleichblieb, sind die Wettbewerbe, sie sind unser Fundament. Es macht auch gar keinen Sinn, daran zu rütteln. Aber wir haben im Rahmen- und Sonderprogramm Akzente gesetzt, haben die für die Gesamtausrichtung des Festivals wichtigen Nebenreihen MOP-Watchlist und MOP-Shortlist eingeführt, das Branchenprogramm ist neu ausgerichtet, umstrukturiert und mit klaren Schwerpunkten versehen. Wir haben unser digitales Verwaltungsumfeld zum Teil komplett erneuert und im Servicebereich für Filmteams und Zuschauer fundamentale Modernisierungen vorangetrieben. Qualitative Änderungen müssen nicht immer laut und plakativ ausfallen, um trotzdem Wirkung zu erzielen.

Es ist ein altes, aber leider immer drängendes Thema – der Etat des Festivals ist stabil, aber die Kosten steigen und der reale Etat des Festivals schrumpft damit. Wie geht man damit um?

Man wird kreativ und sucht neue Geldtöpfe. Aber Kultursponsoring wird im Vergleich zum Bereich Sport nur geringfügig betrieben. Das meiste Sponsorengeld fließt in den Sport. Leider nur ein Bruchteil in die Kultur im Allgemeinen und dort muss man wieder unterscheiden zwischen Musik, Theater, Oper, Film und Festivals. Es ist deshalb ein schwieriges Feld – wir sind über jeden Förderer und jeden Unterstützer dankbar.

Wie steht es um die Sponsoren beim Filmfestival?

Eine großartige Riege an Unterstützern greift uns seit Jahren tatkräftig unter die Arme. Ein Sponsor ist dieses Jahr ausgestiegen, mit dem wir aber die Gespräche für 2019 wieder aufnehmen werden, während sich andere stärker engagiert haben. Es ist jedes Jahr aufs Neue eine Herausforderung.

Karten für die Eröffnung im großen Saal des CineStar kosten in diesem Jahr 30 Euro, das ist nicht wenig.

Die letzten Jahre hat sie immer 24 Euro gekostet, da wurde nicht erhöht, trotz steigender Kosten auf unserer Seite. In diesem Jahr kamen wir an den Punkt, dass die Differenz zu groß wurde und wir auf Mietpreissteigerung und technische Aufrüstung im Kino preislich reagieren mussten. Nach ein paar Jahren ist das natürlich und, wie Sie es oben angesprochen haben, mit dem realen Etat nicht mehr zu vereinbaren. Wir mussten erhöhen.

Was sind zurzeit die größten Probleme für die Nachwuchsfilmer?

Vor allem die Finanzierung ihrer Projekte – die ist und bleibt immer schwierig, ob nun bei einem Debüt oder dem zweiten, dem dritten Film. Einen zweiten oder dritten Langfilm schaffen viele Regisseure schon gar nicht mehr. Das ist eine Spirale nach unten. Schwierig ist auch, dass Nachwuchsförderung in jedem Bundesland anders definiert ist. Es gibt gar keinen allgemeingültigen Begriff des Nachwuchsfilms – alle Förderer und auch die Redaktionen sehen das unterschiedlich und unterstützen etwa nur den Abschlussfilm, oder das Debüt, oder Debüt plus zweiten Film oder alles oder bis zum dritten. Das Feld ist etwas verwirrend, weil es keine einheitliche Definition für Nachwuchsfilm gibt.

Und wenn ein Film gar nicht gefördert wird und unabhängig produziert wird, als Independent-Film?

Der Indiefilm hat es unglaublich schwer, weil ein Film nur eine staatliche Verleihförderung bekommt, die beim Kinostart hilft, wenn er schon vorher gefördert wurde. Dann haben Indies bei Verleihern einen schlechteren Stand, weil die Verleiher keine Verleihförderung bekommen können und das Risiko alleine tragen müssen.  Filme wie Joya Thomes KÖNIGIN VON NIENDORF hat es da sehr schwer ganz ohne Förderung. Der Film ist mit gerade mal etwa 20.000 Euro entstanden und komplett unabhängig. Es ist unglaublich schade, wenn so ein toller Film dann nicht in die Kinos kommt, da kein Anspruch auf Verleihförderung besteht. Zum Glück gibt es Verleiher, die an Projekte glauben und diese aus eigener Tasche und mit der Hilfe der Regisseure und Produzenten in die Kinos bringen.

Ist das Fernsehen als Förderer und Ko-Produzent zu wenig wagemutig?

Pauschal kann man das nicht sagen, denn einige Sender machen eine wirklich gute Nachwuchsförderung – etwa das Kleine Fernsehspiel des ZDF. Die trauen sich was, reden den Filmemacherinnen nicht in ihre Projekte rein und stecken Geld in Projekte, bei denen andere abwinken, weil es nicht Schema F ist. Auch der SWR macht eine gute Förderung. Problematisch ist aber das starre Auswertungssystem In Deutschland: Man macht entweder einen Kino- oder einen Fernsehfilm. Da steht die Auswertungs-Art schon vor dem Dreh fest. Man sollte aber das Recht haben, hinterher zu entscheiden – dass man etwa einen Kinofilm dreht, dann aber merkt, dass er im Fernsehen besser aufgehoben wäre. Oder umgekehrt. Diese Möglichkeiten gibt es im deutschen System nicht.

Wäre es nicht eine Nachwuchsförderung, alle Kinos zu verpflichten, etwa Kurzfilme von Filmhochschulen vor dem Hauptfilm zu zeigen?

Die AG Kurzfilm würde sich sehr darüber freuen – aber wer hat das Recht das einfach zu entscheiden und vor allem welche Filme dann gezeigt werden dürfen? Die Kinobetreiber sind ja auch abhängig von ihren Verträgen. Jeder hat seine Abhängigkeit, die das System dann so starr macht. Das Thema ist sehr komplex und nicht einfach zu beantworten, alle Beteiligten müssen offen über das Thema sprechen und miteinander diskutieren. Nicht nur deshalb bieten wir im Rahmen der MOP-Industry zu diesem Thema das Panel „Filmflut im Kino“.

Ist die Koppelung von Verleihförderung an eine vorherige Förderung nicht das Grundproblem?

In Teilen ja. Das wäre auch eine Frage an die Filmförderung. Generell könnte man darüber sprechen, ob man statt Filmförderung im Nachwuchsbereich eine Talentförderung unterstützt. Das Filmemachern und -macherinnen Vertrauen entgegengebracht wird und man sie aufbaut unabhängig davon, ob sie einen Spielfilm, einen Dokumentarfilm oder etwa eine Webserie drehen wollen. Ob sie fürs Fernsehen, fürs Kino oder Online produzieren wollen. Außerdem sollte man aber auch an den festen Auswertungsfenstern rütteln.

Wie sehen Sie die #MeToo-Debatte vor dem Hintergrund der Nachwuchsszene? Sind die jungen Künstler dort noch machtloser als Etablierte?

Die Künstler und Künstlerinnen im Nachwuchsbereich, ob Schauspielerin, Autorin, Regisseurin oder Produzentin, stehen am Anfang ihrer Karriere und damit am Ende der Nahrungskette. Sie sind deutlich klarer der Gefahr ausgesetzt, ausgebeutet und ausgenutzt zu werden. Aber das trifft noch nicht einmal nur die Frauen. Ein befreundeter Schauspieler muss gefühlt bei jedem Casting sein T-Shirt ausziehen, weil ihm keiner glaubt, dass er sportlich gebaut ist. Der muss jedes Mal, wenn er sich für irgendwas bewirbt, ein Oben-Ohne-Foto dazupacken. Ich glaube Frauen trifft es da noch härter, aber wir sollten nicht vergessen, dass das in allen Bereichen stattfindet und dass es hier nicht nur um Frauen, sondern auch um Männer geht.

Warum meldet sich die Schauspielergewerkschaft nicht zu Wort?

Ich frage mich eher – warum sagen so viele Männer, die das mitbekommen, keinen Ton? Da sind vielleicht welche dabei, die ihren Job verlieren könnten – aber auch viele, die etabliert genug sind, um nichts befürchten zu müssen. Wie oft hört man im Gespräch, „Ja, das habe ich schon mitbekommen“. Dann frage ich „Wieso hast Du einfach danebengestanden und nichts gesagt?“  Da kommt meistens „Ach so, ja, das sollte ich mal tun“ zurück. Warum machen Leute das am Set, bei Meetings, bei Partys mit? Darüber muss man reden. Und hier ist es ja nicht anders als in Hollywood. Hier werden beispielsweise Duschszenen gedreht, obwohl man vorher bereits weiß, dass sie nicht in den fertigen Film geschnitten werden. Und alle am Set können zuschauen. Und wenn sich Leute wehren, gelten sie schnell als „schwierig“ und „zickig“ und „hysterisch“. Letzteres habe ich mir auch schon anhören müssen.

Nach Ihrem Amtsantritt in Saarbrücken?

Ja – nicht von unseren Unterstützern und Partnern wohlgemerkt. Aber da war manches Verletzendes dabei. Wenn man Dinge anders machen will, wird man schnell „hysterisch“ oder „zickig“ genannt. Und wenn ich über schwierige Punkte diskutieren will oder etwas anders sehe, heißt es schnell, ich sei „eine Frau und unter 30“. Ich durfte mir schon öfter anhören, wie jung ich bin. Meiner Meinung hat die Leitung eines Festivals nichts mit dem Alter zu tun.

Die beiden Schauspielerpreise werden nun nicht mehr an eine Frau und an einen Mann verliehen, sondern geschlechterneutral. Wenn jetzt zwei Männer gewinnen, wirkt das machohaft, bei zwei Frauen wie eine Verbeugung vor #MeToo. Macht das die Sache für die Jury schwierig?

Nein – ich traue all unseren Juroren vollkommen zu, dass sie nach Talent entscheiden und nicht nach Geschlechterproporz. Es soll die schauspielerische Leistung im Vordergrund stehen und vor allem gewürdigt werden – unabhängig vom Geschlecht.

http://www.max-ophuels-preis.de/

Interview zu „Hitlers Hollywood“ mit Rüdiger Suchsland – Ist das NS-Kino besser als sein Ruf?

Hetzfilme wie „Jud Süss“, „Der ewige Jude“ und „Kolberg“ brachte das Kino der Nazis hervor, dazu unzähliche scheinbar unpolitische, dennoch propagandistische Unterhaltungsfilme – aber auch künstlerisch interessante Werke. Die behandelt Filmjournalist Rüdiger Suchsland in der Doku „Hitlers Hollywood“. Er plädiert für einen differenzierteren Blick aufs NS-Kino und sieht gleichzeitig Gefahren bei scheinbar unverfänglichen, bei uns frei erhältlichen Filmen der Nazizeit.

Herr Suchsland, war Propagandaminister Joseph Goebbels der mächtigste Filmproduzent der Kinogeschichte? Er hatte ja ein ganzes Land zur Verfügung.

Der mächtigste Filmproduzent Deutschlands war er jedenfalls, des „Dritten Reichs“ sowieso, denn dessen Kino war staatlich reguliert. Goebbels bestimmte die Themen, die Bearbeitung und die Endfassung der Drehbücher, die Auswahl der Schauspieler, und er nahm die fertigen Filme ab. Alles wurde kontrolliert. 1933 wurden durch die Gleichschaltung der Filmindustrie viele Künstler vertrieben, die Filmindustrie wurde dann 1942 vollends verstaatlicht. Goebbels hat von Anfang an versucht, seine politischen und propagandistischen Botschaften, teilweise auch seine ästhetischen Maßstäbe, über den Weg des Kinos unters Volk zu bringen. Er war ein Großproduzent. Zugespitzt gesagt, war er von seiner Machtposition her das, was damals David O. Selznick in Hollywood war, der unter anderem „Vom Winde verweht“ produzierte. Goebbels hat die deutsche Filmindustrie regiert.

 

Hitlers Hollywood

Ilse Werner in Helmut Käutners Film „Große Freiheit Nr. 7“, der 1943 entstand, aber erst nach dem Krieg öffentlich gezeigt wurde. „Hitlers Hollywood“ zeigt eine grandiose Traumsequenz aus dem Film.

Was war Goebbels’ Taktik bei der Propaganda? Viele Filme der Nazi-Zeit wirken an der Oberfläche ja unpolitisch.

Goebbels war sehr geschickt und flexibel, er hat schnell reagiert. Es gab ja ein NS-Spitzelsystem, gegen das die Stasi gar nichts war. So wusste Goebbels immer, was in der Kunst, in den Verlagen und Theatern los war, wie bestimmte Leute zum Regime stehen. Außerdem, und das ist vielleicht noch interessanter, hat er eine Art „Markt- und Publikumsforschung“ betrieben. Er schickte Leute in Kneipen, Kinos oder Fußballstadien, die sich ein Bild davon machen sollen, was die Leute denken, wie die Stimmung im Reich ist. Sie sollten etwa als „agent provocateur“ einen Hitler-Witz reißen und dann beobachten, wie die Leute reagieren. Goebbels hat sich regelmäßige Stimmungsberichte geben lassen. Beim Film brachte er in Erfahrung, was ankommt und was nicht – entsprechend hat er das Kino früh wegbewegt von allzu offensichtlichen Propagandafilmen wie „Hans Westmar“ oder dem viel besseren „Hitlerjunge Quex“ zu den vermeintlich unpolitischeren Filmen.

War die Situation im faschistischen Italien vergleichbar?

Unter Mussolini war die Kultur vergleichsweise relativ frei. Es gab sogar den oppositionellen Einaudi-Verlag, der ein positives Buch über den US-Präsidenten Roosevelt veröffentlichte. Mussolini rezensierte das Buch selbst und erklärte, was im Buch aus seiner Sicht alles falsch ist. Die Filmindustrie wurde von Mussolinis Sohn überwacht, aber es gab weniger Gleichschaltung als in Deutschland.

Und in der Sowjetunion?

Kurios ist, dass in der Sowjetunion Stalin als Figur in Filmen oft vorkam – in deutschen Filmen erschien Hitler als Figur gar nicht. Generell standen die Sowjets viel offener zu ihrer Ideologie, vielleicht weil es eine weniger offensichtliche Mord-Ideologie war – auch wenn der Stalinismus natürlich Terror bedeutete. Er verkündete aber nicht, dass man Leute vertreiben oder töten soll. Die Nazis sagten das ganz offen, wenn sie von „unwertem Leben“ und den Juden sprachen, die „vernichtet“ werden sollen. Vielleicht haben die Nazis den eigenen Tabubruch gespürt und wussten, dass sie das, was sie tun, nicht öffentlich sagen können. Das ist wohl der Grund dafür, dass das Kino der Nazis an der Oberfläche viel weniger politisch, viel weniger ein Agitprop-Kino ist. Abgesehen davon war das Sowjet-Kino stilistisch viel modernistischer – Goebbels hat das zwar bewundert, aber das hätte kein deutscher Regisseur machen dürfen.

In Ihrem Film sagen Sie, die NS-Filme seien besser als ihr Ruf. Wie ist das genau gemeint?

Sie sind künstlerisch interessanter, als man denkt. Man kann natürlich jeden propagandistischen Film schlecht nennen, eben weil es Propaganda ist. Man muss aber ehrlicherweise zugeben, dass etwa die Filme von Veit Harlan handwerklich und künstlerisch gute Filme sind, mit guten Schauspielerauftritten und kunstvollen Bildern. Gleichzeitig muss man zugeben, dass etwa einige Filme von US-Regisseur Frank Capra ebenfalls Propagandafilme sind, wenn auch für die „New Deal“-Sozialreformen unter Roosevelt. Rein von der Form her gesehen, gibt es kaum einen Unterschied zwischen einem Film, der etwa für die Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg wirbt und einem Film der Nazis. Der Begriff „Propaganda“ ist erstmal ein ganz apolitischer – in seinem modernen Verständnis wurde er in der US-Werbung entwickelt.

War Goebbels somit eine Art PR-Mann?

Ja, er hat Werbehandbücher gelesen, sich überlegt, wie man das „Produkt Politik“, in dem Fall NS-Politik, an den „Kunden“ bringen kann, also ans deutsche Volk. Man erkennt ja die Parallelen auch daran, dass umgekehrt Leni Riefenstahls Ästhetik bis heute gut in der Werbung funktioniert – ob in der „Armani“-Werbung, in einem Rammstein-Video oder generell in Schnitt- und Montagetechniken, die auf Riefenstahl zurück gehen – dass ist ja das, was Susan Sontag „fascinating fascism“ nennt und kritisiert.

War diese Faszination letztlich der Anstoß, diesen Film zu machen?

Es hat mich immer gewundert und gestört, dass selbst in guten Filmbüchern die Kapitel über den nationalsozialistischen und faschistischen Film sehr kurz und sehr holzschnittartig sind. Es wird da immer dasselbe gesagt: Es gab Riefenstahl, Harlan, „Jud Süss“ und „Kolberg“, eben die extremen Propagandafilme. Mehr findet man da nicht.

Hitlers Hollywood

Ingrid Bergman in ihrem einzigen Film in NS-Deutschland: „Vier Gesellen“ aus dem Jahr 1938.

Für wie gefährlich halten Sie diese offensichtlichen Propagandafilme?

Ich glaube nicht, dass „Jud Süss“ jemanden zum Antisemiten macht. Gefahren sehe ich eher bei anderen Filmen – durch einen Film wie „Opfergang“ könnte man durchaus fasziniert werden von der Todessehnsucht und der Todesverliebtheit der Nazis.

„Opfergang“ ist ja gerade erst schön restauriert auf DVD erschienen.

Diese Filme sind ja nicht alle künstlerisch belanglos – schließlich haben da auch Regisseure wie Helmut Käutner, Wolfgang Staudte und Detlef Sierck, der sich in Hollywood später Douglas Sirk nannte, in der Filmindustrie der Nazis gearbeitet – unbestritten große Filmemacher, auch wenn sie sich stellenweise moralisch fragwürdig verhalten haben. Die Filme insgesamt pauschal geringzuschätzen, wäre seinerseits ideologisch und zu sehr Schwarz-Weiß-Denken.

Geht es Ihnen um eine Ehrenrettung des NS-Films?

Nein, die kann es nicht geben. Mir geht es um eine Ehrenrettung unserer eigenen Intelligenz. Wir sind zu klug, um uns in Filmbüchern mit zwei, drei immergleichen Sätzen abspeisen zu lassen. Wir können uns trauen, wir sind mündig genug, um in diesen Abgrund hinein zu schauen. Es ist ja gerade die Schwierigkeit, dass die Filme gut gemacht sind, teilweise von großen Regisseuren, die sich moralisch fragwürdig verhalten haben.

Viele der offen propagandistischen Filme sind heute so genannte Vorbehaltsfilme – das heißt, man kann sie nur mit einer historische Einführung und eine Diskussion sehen, auf DVD gibt es sie offiziell und legal nicht. Wie stehen Sie dazu?

Die Frage der Vorbehaltsfilme, von denen es früher um die 400 gab, heute viel weniger, ist sehr wichtig und schwierig. Manche dieser Filme sind durchaus gefährlich, aber nicht alle: Ein Vorbehaltsfilm wie „Stukas“ von Karl Ritter, ein militärischer Protzfilm, ist uns heute sehr fremd – ich glaube nicht, dass von diesem Film eine Gefahr ausgeht, schon gar nicht die, dass wir jetzt alle Flieger werden und die Niederlande bombardieren wollen. Andererseits gibt es frei erhältliche Filme, die ich für gefährlich halte: „Verwehte Spuren“ etwa von „Jud Süss“-Regisseur Veit Harlan, der dem Normalbürger das Denunzieren und das Verraten der nächsten Angehörigen nahe legt, zugunsten der „Volksgemeinschaft“ als höheres Ziel. Der Film lief schon mehrmals im Fernsehen und ist gefährlich, weil er viel subtiler ist als etwas „Stukas“. „Der große König“ über Friedrich den Großen ist ein bösartig militaristischer Film, der eine ganz offensichtliche Analogie zwischen Friedrich dem Großen und Hitler zieht. Auch „Wunschkonzert“, der bei uns frei erhältlich auf DVD erschienen ist, ist ein faszinierender, gleichzeitig sehr boshafter Film, indem er den Angriffskrieg mit Unterhaltung übergangslos vermischt: Da sehen wir Stukas der „Legion Condor“ eine spanische Stadt bombardieren, vielleicht ist es Guernica. Dazu läuft das Stuka-Lied der Nazis; man sieht Carl Raddatz als Soldaten im Frankreichfeldzug, dazu hören wir Marika Rökk „Eine Nacht im Mai“ singen – im Mai 1940 fand der Frankreichfeldzug statt. Das ist offener Zynismus, verpackt in guter Laune. Es ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Nazi-Propaganda gearbeitet hat: Durch Verwischung moralischer Grenzen. Ein gefährlicher Film, weil er etwas Verführerisches hat.

Wie weit wirkt diese Vorbehaltsregelung überhaupt – man kommt an diese Film ja doch irgendwie ran, wenn man will.

Wir leben in einer Welt, in der ohnehin nichts unter Verschluss gehalten werden kann. Wollen wir einen Hetz-Film wie „Jud Süss“ zu einem Mythos machen, , indem wir ihm die Aura des Geheimnisvollen, Verbotenen geben – obwohl er das ja nicht ist? Wollen wir uns als Demokratie die Deutungshoheit über diese Filme von extremistischen Randgruppen nehmen lassen? Ihnen einen Vorwand geben für diese modischen Vorwürfe: Dass man bei uns nicht alles lesen, sehen, denken und sagen dürfte? Wer „Jud Süss“ heute auf DVD haben will, der muss ihn bei einem der Neonazi-Netzwerken kaufen – und diese damit finanziell unfreiwillig unterstützen – oder sich dubiose Fassungen im Ausland besorgen. Von denen weiß man dann nicht, ob sie überhaupt vollständig sind. „Olympia“ von Leni Riefenstahl oder auch „Großstadtmelodie“ sind in verfälschten Fassungen im Umlauf, bei denen die anstößigen Passagen herausgeschnitten sind. Riefenstahl hat ihren „Olympia“-Film nach dem Krieg ja selber umgeschnitten.

Sollte man die Filme dann einfach freigeben?

Nein, es müssten natürlich erstmal wissenschaftlich verbindliche Fassungen erstellt werden, die man dann mit Begleitkommentar und Bonusmaterial versieht, das den Film einordnet, ähnlich wie die jüngst hergestellte Ausgabe von „Mein Kampf“ – die kann man ja heute in jeder Bahnhofsbuchhandlung kaufen. Ich möchte den Verantwortlichen Mut machen, dass wir uns zumuten können, uns auch diesen Filmen zu stellen, gelegentlich auch auszusetzen. Dieser Mut wäre zeitgemäß.

 

Hitlers Hollywood

Hilde Krahl im Film „Großstadtmelodie“ (1943) von Wolfgang Liebeneiner.

 

Wie sehen sie manche Karrieren im „Dritten Reich“ und im Nachkriegskino? Regisseur und NS-Funktionär Wolfgang Liebeneiner etwa inszeniert 1941 den Film „Ich klage an“, der Euthanasie-Film befürwortet – und nach dem Krieg inszeniert er am Theater die Uraufführung von Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“. Das ist reichlich bizarr.

Liebeneiner ist ein Paradebeispiel dafür, dass es keine Stunde Null im deutschen Kino gab – er hat sofort weitergemacht. Veit Harlan hat sich ein, zwei Jahre bedeckt gehalten und dann weitergemacht. Es gab keine Stunde Null für die vielen Mitläufer, wobei Liebeneiner schon mehr war als das: kein überzeugter Nationalsozialist, aber ein eiskalter Opportunist, der zumindest symbolisch über Leichen gegangen ist, und der als Produktionschef der Ufa eine Schlüsselrolle gespielt hat. Die ersten 15 Jahre des deutschen Nachkriegsfilms waren dadurch gekennzeichnet, dass viele alten Nazis und viele alten Opportunisten noch da waren und weitergearbeitet haben.

Auch bewährte Stars wie Heinz Rühmann.

Ja, Rühmann war da besonders opportunistisch. Er hatte in den 1950er Jahren einen Karriereknick, weil sich die Deutschen mit seiner Figur des kleinen Mannes, der sich irgendwie so durchwuselt, nicht mehr identifizieren wollten. Er hat dann versucht, mit Hollywood in Kontakt zu kommen und wollte dort – hart gesagt – Juden spielen, um etwas für sein Image zu tun. Er hat sich auch sehr gehütet, Schurken zu spielen. Rühmann ist mindestens ein übler Opportunist, der dem Regime weitaus mehr Zugeständnisse gemacht hat, als andere Kollegen. Ein Beispiel: Er und Hans Albers waren beide mit einer Jüdin verheiratet. Rühmann hat seine Frau, zugespitzt gesagt, ins Ausland entsorgt, sich scheiden lassen und ihr regelmäßig Geld geschickt. Albers blieb einfach mit seiner Frau verheiratet – obwohl ihm die Trennung mehr als einmal nahe gelegt wurde. Das zeigt: Es ging auch anders, wenn man wollte.

Wie erging es den Emigranten, die zurück kamen?

Robert Siodmak etwa hat wieder viele Filme in Deutschland gemacht, Max Ophüls hat bald mehr in Frankreich gearbeitet, Fritz Lang drei Filme gemacht, aber er ist nicht dauerhaft wieder angekommen. Aber diese Situation – die Emigranten kommen zurück und die Nazis oder die Mitläufer sind noch da – ist natürlich sehr interessant. Leute wie Helmut Käutner oder Wolfgang Staudte haben, in einer sehr unterschiedlichen Form, andere Filme gemacht, als zuvor. Käutner hatte im Krieg ja mit „Auf Wiedersehen, Franziska“ einen klaren Nazi-Propagandafilm gedreht, seine anderen Filme halten eine deutliche Distanz. Staudte hatte im „Dritten Reich“ ja kaum als Regisseur gearbeitet, war aber als Darsteller in „Jud Süss“ dabei. Er hat nach dem Krieg entschiedenere Filme gedreht, die immer auch ein wenig moralisierend waren, didaktischer, ein bisschen schwarz-weiß. Käutner ist da ambivalenter und damit für mich auch interessanter. Er stellt viel mehr in Frage, auch sich selbst. Bei Staudte spürt man, dass er weiß, dass er immer auf der richtigen Seite steht.

Sie wollten in Ihrem Film auch Szenen aus der „Feuerzangenbowle“ zeigen und aus Leni Riefenstahls „Olympia“ – woran ist das gescheitert?

Bei „Olympia“ hätte man die Rechte an einigen Szenen kaufen können – aber sie waren sehr teuer, denn der Film gehört mittlerweile dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Riefenstahl hat den Film im persönlichen Auftrag von Adolf Hitler gedreht und hat die Rechte am Film behalten. Anfang der 50er Jahre hat sie den Film umgeschnitten, etwa Szenen von Hakenkreuzen oder von Nazi-Bonzen entfernt, und ist mit dem Film dann weltweit herumgetingelt. Die Rechte am Film hatte sie bis zu ihrem Tod, danach fielen sie an die Bundesregierung unter Kanzler Schröder. Die hat den Film dann nicht der Murnau-Stiftung oder dem Bundesarchiv überlassen, sondern an das IOC verkauft, das sehr viel Geld für einige Szenen haben wollte. Zu viel für uns.

Wie war das mit der „Feuerzangenbowle“?

Wir wollten einige Szenen zeigen, weil es dem Film darum geht, aus Naziperspektive mit dem deutschen Humanismus, der Institution Gymnasium und dem klassischen Bildungsgut abzurechnen, wenn auch in Komödienform. Der Film feiert die Revolte der Jugend – als die sich der Nationalsozialismus ja verstand – gegen das alte, aus ihrer Sicht überholte Deutschland. Er ist in diesem Sinn ein faschistischer Film. Bei diesem Film hätten wir die Rechte daher wohl selbst für viel Geld nicht bekommen. Nach einer ersten mail an die Dame, der die Rechte an dem Film gehören, schrieb sie uns recht unhöflich, dass es mit Deutschland bergab gehe, wenn man immer noch solche Filme drehe. Ich fand dann heraus, dass die Dame dem AfD-Vorstand in Münster angehört. Ich wollte für solche Leute keinen Cent ausgeben, da die Rechteinhaberin gerne Open-Air-Vorführungen oder in Uni-Kinos gestattet, womit sie sehr viel Geld verdient. Gleichzeitig verbietet sie jede Vorführung, die den Film historisch oder wissenschaftlich betrachtet, verbietet Einführungen – sie will offenkundig den Mythos eines unpolitischen Schülervergnügens pflegen – da müssten wir alle ihr in die Suppe spucken.

Im Fernsehen wird der Film ja immer wieder gerne gezeigt.

Leider läuft er da immer unkommentiert als scheinbar unpolitischen Schenkelklopfer – das ist der Film aber nicht.

Nach Ihren Filmen über das Kino der Weimarer Republik und über das der Nazizeit würde sich ja ein Film über das Nachkriegskino anbieten.

Sicher, ich will das sehr gerne machen, aber das wird wohl schwieriger als die beiden anderen Filme. Einmal wird das teurer, weil die Rechte an neueren Filmen auch teurer sind. Schwerer wiegt aber, dass das Thema, die 50er Jahre und die Demokratisierung für Leute, die Filme finanzieren, auf den ersten Blick weniger interessant wirken und vermutlich schlechter zu vermarkten sind. Ein Film über Deutschland unter den Nazis oder über das Scheitern der Demokratie scheint es da leichter zu haben. Ich freue mich aber, wenn ich eines Besseren belehrt werde.

„Hitlers Hollywood“ ist als DVD und VOD über Farbfilm Home Entertainment zu haben.

Christoph Hochhäusler über Max Ophüls, Dirk Bogarde, James Mason und „Toni Erdmann“

Christoph HochhäuslerRegisseur Christoph Hochhäusler.        Foto: Goethe-Institut/Foto Caroline Lessire

Christoph Hochhäusler, Regisseur von „Falscher Bekenner“, „Unter dir die Stadt“ und „Die Lügen der Sieger“, stellt beim Max-Ophüls-Festival einen seiner Lieblingsfilme des Festival-Namensgebers vor: „Madame de…“, am Samstag um 15 Uhr im Cinestar. Ein Gespräch vorab über Max und Marcel Opüls, Dirk Bogarde, James Mason und „Toni Erdmann“.

 

Wie kommt es zu Ihrem Besuch?

Oliver Baumgarten vom Festival hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, eine Brücke zu bauen zu Max Ophüls für ein jüngeres Publikum. Ich liebe Max Ophüls, da habe ich gerne zugesagt.

In Paris haben Sie vor einiger Zeit einen anderen Ophüls-Film vorgestellt.

Ja, das war „Der Reigen. Man könnte eigentlich jeden Ophüls-Film zeigen, die sind ja alle großartig. Aber „Madame de…“ ist schon ein besonderer Lieblingsfilm von mir.

Wieso?

Ophüls verbindet da eine höchste Meisterschaft der Form mit einem großen Thema, das hier so brutal zu Tage tritt wie in fast keinem anderen Werk der Filmgeschichte. Es geht letztlich um Besitz im Zusammenhang mit Gefühlen und darum, inwieweit etwa eine Ehe eine Form von Besitzgemeinschaft ist. Es ist ganz unerhört, wie der Film so kalt wirkt, beim Zuschauer aber induktiv große Gefühle erweckt. Wir sehen viel gesellschaftliche Konventionen, Fesseln, niemand schreit seine Gefühle heraus. Aber wir erfahren durch Ophüls’ Präzision in der Bildsprache genau, was die Figuren fühlen – und über diesen Gegensatz erfährt man die Gefühle noch einmal stärker.

Filmmagazin „Revolver“

Das ist vielleicht eine steile These – aber findet sich diese Dreieckskonstruktion und die Frage nach Besitz so auch in Ihrem Film „Unter dir die Stadt“ wieder?

Nicht im entferntesten bewusst, aber man hat ja immer tolle Filme im Kopf und denkt daran, wie filmische Meister bestimmte Dinge gelöst haben. Aber die reine Konstellation des Films, die hat ja auch Ophüls nicht erfunden, die ist ja immer schon da gewesen. Kritiker haben ihm ja oft vorgeworfen, Ophüls hielte sich mit Äußerlichkeiten auf, alles gehe nur darum, dass das Dekor schön ist, ich finde diesen Vorwurf aber völlig verfehlt. Es gibt kaum andere Regisseure, die so sehr wissen, was sie eigentlich erzählen. Ophüls’ formale Meisterschaft kann einen blenden, aber dahinter steht eine Lebensweisheit. Er war jemand, der die Menschen kennt und ihnen nichts vergibt – aber er war dennoch nicht bitter. Ophüls war einer der großen Menschenkenner des Kinos, einer der größten deutschen Regisseure, zusammen mit Lubitsch, Murnau, Lang. Viel mehr als die Filme dieser Vier braucht man nicht.

Sie wollen eine Brücke schlagen von Ophüls zum jungen Publikum. Haben Sie das Gefühl, er ist bei dem vergessen?

Ja, schon. Ich glaube, dass die meisten jungen Leute keine Ahnung haben, wer der Namensgeber des Festivals ist und welche Filme der gemacht hat. Das ist nur noch so ein Hörensagen. Seine Filme sind in Deutschland relativ selten zu sehen. Das hat auch mit seiner verflixt zersplitterten Karriere zu tun, mit der Flucht aus dem „Dritten Reich“. Es gibt ja kaum jemanden, der in so vielen unterschiedlichen Systemen Filme gemacht hat. Als Schauspieler hat er in Deutschland begonnen, dann hat er Theater- und Radioregie gemacht, kam darüber zum Film und musste nach seinen ersten vier Filmen schon wieder gehen. Dann hat er in Holland, Frankreich und Italien gearbeitet, ist nach Hollywood, wo er lange nicht Fuß gefasst hat. Dort hat er einige seiner besten Filme gedreht, kam wieder zurück nach Frankreich, am Ende auch wieder nach Deutschland – wobei der Flop von „Lola Montez“ seine Karriere eigentlich beendet hat. Dann ist er früh gestorben. Eine verrückte Karriere voller Hindernisse. Seinen Filmen sind die Widrigkeiten nicht anzusehen. Sie trotzen der Schwerkraft sozusagen.

Ist Ophüls’ Nachruhm in Frankreich größer?

In jedem Fall. Das liegt natürlich auch daran, dass er viele seiner Meisterwerke in Frankreich gedreht hat, mit französischen Stars wie Danielle Darrieux oder Charles Boyer. Die Franzosen verehren ihn als einen der Ihren. Er ist da schon angekommen, auch wenn er durchaus Sehnsucht nach der deutschen Sprache hatte und nach dem Krieg in Deutschland auch an Projekten gearbeitet hat, aus denen dann aber leider keine Filme wurden. „Berta Garlan” zum Beispiel, eine Schnitzler-Bearbeitung, die er dann „nur” als Hörspiel verwirklichen konnte.

Werden Sie Marcel Ophüls beim Festival treffen?Ich hoffe es sehr, vielleicht wird es ein Gespräch geben, das würde ich gerne machen, ich bin ein Verehrer seiner Filme. Er ist auch so jemand, der zwischen Kulturen hin- und hergerissen wurde. Zwangsläufig gewissermaßen, als Ophüls’ Sohn. Das ist an Bitterkeit kaum zu übertreffen, wenn man etwa an seinen Film „Das Haus nebenan – Chronik einer französischen Stadt im Kriege“ denkt, der in Frankreich zunächst verboten wurde und wirklich sehr lange nicht gezeigt wurde. Das ist schon ein schwieriger Weg gewesen.

Sie nehmen regelmäßig an Filmdiskussionen teil, schreiben über Film, auch in der Zeitschrift „Revolver“, die Sie mitherausgeben – wie wichtig ist Ihnen diese Sekundärbeschäftigung mit Film?

Sehr. Als wir die Zeitschrift „Revolver“ gegründet haben, vor 19 Jahren, waren wir alle noch Studenten. Da hatten wir das Gefühl, wir müssten das eigene Lernen irgendwie selbst organisieren. Die Neugier darauf, wie das andere machen, wie andere mit den gleichen Problemen umgehen, ist bis heute geblieben. Ich glaube auch, dass es dafür ein Publikum gibt, eine cinephile Szene, die hungrig ist nach solchen Formaten.

Sind das eher junge Leute?

Nicht nur. Zu unseren Veranstaltungen in Berlin kommen Leute so zwischen 20 und 50 Jahren, das ist gut durchgemischt.

Was bedeutet der Erfolg von „Toni Erdmann“ insgesamt für deutsche Filmemacher wie Sie, die man nicht dem Kommerz zurechnet?

Ich habe keine Ahnung. Ich finde, man sollte die Filme in Schutz nehmen vor solchen Erwartungen. Mich freut ihr Erfolg. Maren Ade hat nicht ahnen können, dass der Film ein so überwältigendes Echo finden würde. Und ob wir, alle anderen sozusagen, davon etwas haben werden – das ist wirklich zweitrangig. Diese Heilserwartungen an den deutschen Film sind etwas lästig. Es ist einfach ein Film – und im Übrigen muss der deutsche Film auch nicht gerettet werden.

Wenn einem Film der zehnte, der elfte Preis verliehen wird, kann das einen Film ja auch erschlagen, oder?

Hypes sind zwiespältig. Man hat natürlich etwas von ihnen – „Toni Erdmann“ hätte sonst nicht diese enormen Zuschauerzahlen. Eine Drei-Stunden-Dramödie, die in Rumänien spielt – der Erfolg war ja wirklich unwahrscheinlich. Aber manchmal verstellen sie eben auch den Blick.

In Ihrem Blog nennen Sie Dirk Bogarde einen der besten Schauspieler des 20. Jahrhunderts. Was schätzen Sie so an ihm?

Das ist ein Schauspieler, den Ophüls gut hätte gebrauchen können. Er hätte gut zu ihm gepasst. Ich mag das generell sehr, wenn es da ein Spiel im Spiel gibt: Ich bin ein Skeptiker des Naturalistischen und habe bei Bogarde das Gefühl, dass man bei ihm immer zwei Schichten hat: ein extrem virtuoses Außen, aber es wird immer auch klar, dass das nicht alles ist –– da bleibt ein Geheimnis, gleichzeitig wird nicht verschwiegen, dass das gemacht ist. Es gibt nicht, sozusagen, die Prätention des Prätentionslosen.

Sie erwähnen in dem Zusammenhang auch James Mason.

Ja, mit dem hat Ophüls den wunderbaren Film „Gefangen“ gedreht. Ich mag die Schauspieler vor dieser „Method“-Revolution am liebsten, da hat das Spiel noch stärker etwas Allegorisches. Anton Wohlbrück etwa im „Reigen“ hat so etwas Künstliches, was eine Innerlichkeit aber nicht ausschließt, das ist großartig. Ähnlich wie Vittorio De Sica in „Madame De…“ – das ist kein psychologisches Spiel, wo alles in irgendwelche Backstorys aufgeht, es ist viel komplexer als das. „Method“ mit Brando und Co. hat viel Schaden angerichtet, auch wenn es da tolle Schauspieler gibt. Aber es fehlt dieses archaische Moment. Andererseits: Brando ist eine Naturgewalt – und für die Folgen seiner Kunst darf man ihn nicht verantwortlich machen.

Christoph Hochhäuslers Notizbuch:
http://parallelfilm.blogspot.de

 

Frische Filme und ein altes Kaufhaus: Neues vom Saarbrücker Ophüls-Festival

Ophüls Preis Svenja Böttger

Die neue Leiterin des Filmfestivals Max Ophüls Preis, Svenja Böttger, hat gestern das kommende Programm vorgestellt. Sie setzt auf Kontinuität, bietet aber auch neue Reihen und einen interessanten Standort für den Festivalclub: das alte, seit sieben Jahren leerstehende Gebäude von C&A in Saarbrücken.

Angespannt war sie, die Ophüls-Pressekonferenz vor einem Jahr – mit Leiterin Gabriella Bandel, die ihr letztes Festival antrat, Kulturdezernent Thomas Brück (Grüne) und kollektivem Schweigen über die Umstände von Bandels Abschied. Ein Jahr später, beim Pressetermin im E-Werk gestern, ist die Stimmung besser. Brück zeigt sich zufrieden darüber, dass „99 Prozent der Sponsoren weiter dabei sind“.

Die neue Leiterin Svenja Böttger setzt auf Kontinuität mit sachten Veränderungen – etwa den neuen Blick auf europäische Filmhochschulen (in diesem Jahr La Fémis in Paris). Thematisch verspricht sie ein formal wie inhaltlich abwechslungsreiches Programm, in dem es etwa um die „Familie geht, in sehr privaten Geschichten“, um alternative Lebensentwürfe und den ständigen Konflikt zwischen „der persönlichen Freiheit und der Gesellschaft“. Programmleiter Oliver Baumgarten ergänzt, dass sich beim Thema Flucht und Migration gegenüber 2016 die Schwerpunkte verschoben haben: „Im letzten Jahr war die Frage oft, wer denn eigentlich zu uns kommt. In diesem Jahr fragen die Filme danach, wie wir als Gesellschaft darauf reagieren.“ Auffällig seien 2017 die vielen Frauenfiguren, inszeniert von mehr Regisseurinnen als je zuvor: „17 von 28 Langfilmen des Wettbewerbs – inklusive Dokumentationen – stammen von Frauen.“

Ein Coup ist der Standort von Lolas Bistro: Nach vielen Jahren in der Garage und dem etwas glücklosen Versuch 2016 im Gloria zieht der Club des Festivals nun an einen Ort, der seit sieben Jahren im Dornröschenschlaf dahinschlummert: das ehemalige C&A-Gebäude in der Viktoriastraße 25. „Barrierearm“ werde der sein, sagt Böttger, mit Aufzügen und gut zugänglichen Toiletten. Anschauen kann man sich dort neben der Filmbilder-Installation „Lost Reels“ auch die dokumentarische Web-Serie „True Stories“, in der Menschen in aller Kürze aus ihrem Leben erzählen. „True Stories“ läuft in der neuen Reihe MOP-Visionen, die, wie Baumgarten sagt, neue Ästhetiken und formale Ideen zeigen will und dafür „ganz bewusst aus dem Kinosaal rausgeht“. Da ist etwa der fünfminütige Film „Die Santa Maria“, von Erik Schmitt mit dem Handy gedreht – und eben nur fürs Handy. Den Film kann man nur im Foyer des Cinestar auf entsprechenden Geräten sehen.

Ehrengast Michael Verhoeven („Die weiße Rose“) zeigt vier Filme und berichtet von seiner Arbeit als Produzent mit seiner Firma „Sentana“, zusammen mit seiner Firmenpartnerin und Gattin Senta Berger. Zudem wird Verhoeven mit Marcel Ophüls diskutieren, Oscarpreisträger und Sohn des Festival-Namensgebers. An den wird mit einer Vorführung des Films „Madame de…“ gedacht; Regisseur Christoph Hochhäusler („Unter dir die Stadt“) stellt ihn vor. Eine Perle im Programm. Auch Prominenten wird man über den Weg laufen: Schauspielerin Andrea Sawatzki ist bei der Spielfilm-Jury dabei, Anna Thalbach beim Kurzfilm; angesagt haben sich etwa auch Anna Fischer („Fleisch ist mein Gemüse“), Lars Rudolph („Er ist wieder da“), Jacob Matschenz („Heil“) und Marie-Lou Sellem („Exit Marrakech“).

In Zusammenarbeit mit der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK) und deren K8 Institut widmet sich das Festival „Virtuellen Realitäten“ (VR) – in der HBK gibt es eine „VR-Lounge“, in der man sich mit neuer Technologie und damit einhergehenden neuen Erzählformen beschäftigen kann. Ob das nun die Zukunft des Films ist, versucht eine Diskussion dort zu klären.

 

Termine

Blaue Stunde mit dem Beginn des Kartenverkaufs am Samstag ab 14 Uhr in der Galerie im Filmhaus.

Festivaleröffnung am Montag, 23. Januar, 19.30 Uhr, im Cinestar mit Verleihung des Ehrenpreises an Produzent Peter Rommel und der deutschen Erstaufführung „Die Nacht der 1000 Stunden“ von Virgil Widrich.

Lolas Bistro in der Festivalwoche von Dienstag bis Freitag im Ex-C&A-Gebäude, jeweils ab 21 Uhr, SR-Mitternachtsgespräche jeweils ab 23 Uhr.

Preisverleihung: Samstag, 28. Januar, ab 19.30 Uhr im E-Werk auf den Saarterrassen, danach Filmparty mit DJs.

Marcel Ophüls‘ „Hotel Terminus – Zeit und Leben des Klaus Barbie“ auf DVD

Marcel Ophüls Hotel Terminus

 

Viele Jahre lang war Marcel Ophüls‘ Dokumentarfilm „Hotel Terminus – Zeit und Leben des Klaus Barbie“ nicht mehr erhältlich. Nun ist der 1989 oscarprämierte Film erstmals auf DVD erschienen. Ein Meisterstück, das einen herben Kontrast bildet zu der gängigen Ästhetik heutiger Dokumentationen über die NS-Zeit.

Wie würde ein gängiger Film zu diesem Thema wohl aussehen, würde er heute produziert? Man kann es sich gut vorstellen – dramatische Musik, Wochenschaubilder im Stakkato-Takt, kurze Aussagen von Zeitzeugen vor einer dunklen Studiowand – begleitet von einer Erzählerstimme aus dem Off, die die dokumentarische Wahrheit verbürgen soll. Und der Titel wäre womöglich knallig: „Klaus Barbie – Hitlers Schlächter“ oder Ähnliches.

Der Film „Hotel Terminus – Zeit und Leben des Klaus Barbie“ ist 1989 einen ganz anderen Weg gegangen, um einen bekannten Lebenslauf zu beschreiben: Barbie, 1913 geboren, macht Karriere in der NS-Zeit und wird als folternder Gestapo-Chef in Lyon zur Schreckensgestalt. Nach dem Krieg wirbt ihn der amerikanische Geheimdienst an, bevor er sich mit US-Hilfe nach Bolivien absetzt. 1983 wird er nach Frankreich ausgeliefert, zu „lebenslänglich“ verurteilt und stirbt 1991 in der Haft. Dass Barbie in den 60ern zeitweise auch für den Bundesnachrichtendienst gearbeitet hat, wurde erst vor vier Jahren aufgedeckt.

Diesen Lebenslauf erzählt Regisseur Marcel Ophüls in seiner oscarprämierten Dokumentation meisterhaft und eigenwillig: Viel Zeit lässt er sich (über vier Stunden), er umkreist sein Thema, unternimmt Exkurse und verweigert sich einer braven Chronologie. Ophüls spricht mit Opfern Barbies, mit Männern und Frauen der Resistance, geht auf die Suche nach „alten Kameraden“ Barbies (unter anderem in der Nähe von Kaiserslautern) und besucht das Trierer Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, an dem Barbie einst sein Abitur machte. Das hält man bei den Dreharbeiten 1988 am Gymnasium seitens der Schulleitung allerdings für „ein Gerücht“ oder „das Erste, was ich höre“.

Ophüls‘ Montage ist hochspannend, er stellt Widersprüche gegeneinander, lässt allzu offensichtliche Lügen unkommentiert – etwa die Aussage eines US-Agenten, er könne sich nicht vorstellen, dass Barbie jemals gefoltert habe. Viele Passagen sind erschütternd: Eine Frau, als Kind von Barbie nach Auschwitz deportiert, erzählt vom Tod ihrer Familie, eine ältere Dame berichtet von Folterungen und der Verschleppung von Ehemann und Sohn. „Sie sind nicht wiedergekommen“, sagt sie knapp, und sonst nichts mehr. Diese Gespräche führt Ophüls behutsam, ihm geht es nicht um den Effekt, wie es ihm im Film auch weniger um die Person Barbie geht (ein Schlächter unter vielen), als um Strukturen und den Umgang des Einzelnen mit der Vergangenheit. Es helfe ja niemandem, sagt eine junge Frau zu Ophüls, wenn man jetzt noch NS-Kriegsverbrecher zur Rechenschaft ziehe, das seien doch alte Männer. Ophüls fragt zurück: „Und was ist mit den Kindern, die niemals alt werden durften?“.
Trotz allem gelingen Ophüls immer wieder auch Momente düsterer Komik – etwa wenn er einen SS-Kameraden Barbies befragt, in dessen gemütlichem Wohnzimmer vor einem festlichen Weihnachtsbaum. „Barbie war ein fantastischer Kerl“, sagt ein früherer SS-Mann, das hätten auch seine Dackel gemerkt. „Ein Tier hat ja Empfindungen“.

Erschienen bei Turbine.

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