Schriftstellerin Iris Wolff, fotografiert von Maximilian Gödecke.

Iris Wolff, fotografiert von Maximilian Gödecke.

 

Ein seltenes Phänomen: Euphorische Kritiken, Preise – und kommerzieller Erfolg. Das Buch „Die Unschärfe der Welt“ machte die Autorin Iris Wolff (46) bekannt, mit „Lichtungen“ hat sie ihren fünften Roman veröffentlicht, eine Liebes- und Freundschaftsgeschichte. Daraus liest sie am 17.4. in den Lichtspielen Wadern gelesen, im Rahmen des Festivals „erLesen!“, eingeladen von der Bücherhütte Wadern.​

 

Sie waren schon einmal in den Lichtspielen Wadern, 2021 mit Ihrem Roman „Die Unschärfe der Welt“. Ist das einer der ungewöhnlicheren Orte, an denen Sie bisher gelesen haben?​

WOLFF Unbedingt! Lesungen finden meist ganz klassisch in Literaturhäusern oder Buchhandlungen statt. Ich empfand den Kinosaal in Wadern als sehr angenehm, auch fürs Publikum – das bei Getränken in bequemen Sesseln zuhören konnte. Was ich gerne einmal erleben würde, ist: eine Lesung im Liegen. Ob das irgendwann jemand organisiert?​

Das Kino war schnell ausverkauft, Ihr Roman „Lichtungen“ ist ein Bestseller – was bedeutet für Sie der kommerzielle Erfolg rein praktisch? Verschafft er Ihnen wertvolle Zeit, sozusagen Luft zum Schreiben?​

WOLFF Ich kann seit meinem dritten Roman vom Schreiben leben – etwas, was an sich schon recht ungewöhnlich ist. Dass nun der aktuelle Roman so einen sensationellen Erfolg hat, lässt mich dankbar sein und staunen. Ich habe es am Beginn meines Schreibens nie für möglich gehalten, dass so viele Leserinnen und Leser meine Erzählwelten mögen werden. Dieser Erfolg hat für mich eher immateriellen Wert – er stärkt mich, gibt mir Vertrauen, weiter meinen Weg zu gehen.​

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Wie war das, als Sie noch nicht als freie Schriftstellerin arbeiten konnten – aufreibend?​

WOLFF Meine ersten beiden Bücher hatten eher eine überschaubare Wahrnehmung. Ich war froh über jede Einladung. Obwohl es schwer war, da meine gesamte Zeit entweder meinem Brotberuf oder dem Schreiben galt, und somit kaum Freizeit übrig blieb, habe ich nie daran gezweifelt, dass ich genau das machen möchte – schreiben, über Literatur sprechen.​

In „Lichtungen“ erzählen Sie von den Figuren Lev und Kato, die einander seit Kindheitstagen in Rumänien kennen – der Roman beginnt mit ihrem Wiedersehen in Zürich und erzählt dann kapitelweise rückwärts. Wie hat sich dieses Konzept auf Ihren Schreibprozess ausgewirkt? Denn Sie müssen das Ende ja schon komplett erdacht haben – beim üblichen chronologischen Erzählen nicht, zumal Sie einmal gesagt haben, sie würden sich gerne von Ihren Figuren überraschen lassen.​

WOLFF Ich habe Lev liegend im Bett kennengelernt, also im letzten Drittel des Romans. Von dort aus habe ich die Geschichte in zwei Richtungen geschrieben, ich wusste also lange nicht, wie das Buch beginnt und wie es endet. Hohes Risiko – denn wenn man vorne beginnt und wie ich ins Offene hineinschreibt, weiß man wenigstens, wie eine Geschichte anfängt. Trotz der komplexen Erzählstruktur wollte ich nicht, dass die Leserinnen und Leser sich selbst alles mühevoll zusammensuchen müssen. Die Geschichte muss einen Sog haben, Plausibilität besitzen und Einfachheit. Das erzählerisch hinzubekommen, war nicht leicht. Wenn ich es mir aussuchen darf, würde ich gern wieder am Beginn in eine Geschichte eingelassen werden …​

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Wenn man eine lange Lesereise unternimmt – „Lichtungen“ stellen Sie an über 60 Terminen vor –, droht da beim Lesen eine gewisse Routine? Wie kann man der entgegenwirken – etwa durch das Wechseln der Textstellen? Was aber wieder die Dramaturgie eines Leseabends durcheinanderbringen könnte?​

WOLFF Routine spüre ich noch nicht, jeder Abend ist für mich aufregend und spannend – weil es immer andere Menschen sind, die zuhören. Ich habe natürlich gewisse Lieblingsstellen, die ich gerne lese, weil sie mir Sicherheit geben. Am schönsten ist es, wenn ich nicht allein auf der Bühne sein muss und es ein lebendiges Gespräch gibt. Mich von dem Augenblick und den Fragen überraschen lassen, das macht mir am meisten Spaß. Die Mühen und Ermüdungen einer Lesereise liegen woanders: Im Reisen.​

Wie empfinden Sie bei einer Lesung die eigenen Texte, an denen Sie ja lange gearbeitet haben – gibt es da Stellen, bei denen Sie denken, dass Sie die heute anders schreiben würden? Oder ist ein Text für Sie abgeschlossen, wenn er als Buch gedruckt ist?​

WOLFF Wer einen Blick in mein Lese-Exemplar wirft, wird sehen, dass ich Sätze weglasse, Wörter ersetze. Ein Buch wirklich loszulassen, ist schwer. Mein Verlag möchte im kommenden Jahr auch meine ersten beiden Romane als Taschenbücher herausbringen, und ich muss es mir regelrecht verbieten, Hand an die Sätze zu legen. Ich weiß, dass die Bücher so in die Welt gehen sollten, wie ich sie damals geschrieben habe. Schließlich habe ich mit jedem Buch eine Entwicklung gemacht, hat sich das Erzählen, die Sprache verändert.​

In Kritiken wird oft Ihr „schlanker Stil“ gelobt. Müssen sie nach dem Schreiben lange, um im Sprachbild zu bleiben, entfetten und einköcheln? Oder ist das, was Sie erstmals schreiben, nahezu identisch mit dem, was später gedruckt wird?​

WOLFF Irgendwie beides. Ich schreibe unheimlich langsam, koche schon beim Schreiben ein.​

Wird literarisches Handwerk zu oft unterschätzt – gerne von Autorinnen und Autoren, die lieber auf göttliche Eingebung warten denn mal üben?​

WOLFF Literatur braucht beides: Inspiration, was ein unfassbares Phänomen, vielleicht eher ein Zustand ist. Und ebenso Ausdauer, Handwerk. Bei jungen Schreibenden stelle ich fest, dass sie unterschätzen, wie oft ein Text überarbeitet werden muss, bis er wirklich gut ist. Ein Text wird meiner Erfahrung nach besser, wenn man sich Zeit mit ihm lässt; wenn man wieder und wieder liest, korrigiert, verändert, verknüpft, reduziert, präzisiert. Ich feiere Langsamkeit, Gründlichkeit, Behutsamkeit. In der Literatur wie im Leben. Ich möchte starke Bilder finden, einen neuen Blick. In den besten Momenten des Schreibens wird es einem geschenkt, aber oft ist es auch ein Ringen.​

Sie haben eben das Reisen angesprochen. Was stört oder zumindest irritiert Sie bei Lesereisen am meisten in Hotels? Die meist unbrauchbaren Leselampen?​

WOLFF Mich freut Ihre Frage. Manchmal habe ich den Eindruck, mein Beruf bringt es mit sich, dass ich auch Hotelkritikerin sein könnte. Neben dem Bahnhof ist das Hotel meist das einzige, was man – neben dem Veranstaltungsort – von einer Stadt sieht. Inzwischen nehme ich meist auf den ersten Blick wahr, was in einem Zimmer nicht bedacht wurde, damit man sich wohlfühlt. Der ganze Zauber bröckelt, wenn man feststellen muss, dass direkt nebenan der Putzraum mit einer automatisch ins Schloss fallenden Tür ist. Was mich am meisten stört, ist Lärm. Ich träume von Hotels für leise Leute. Gern mit Hotelkatze. Hätte nur jedes vierte Hotel eine Katze, wären die Tierheime besser dran.​

Iris Wolff: Lichtungen.
Klett-Cotta, 256 Seiten, 24 Euro.
Iris Wolffs Seite.