Film und dieses & jenes

Schlagwort: Literatur

„Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“ von Claudia Müller


Elfriede Jelinek in einer alten TV-Sendung, ein Ausschnitt ist auch im Film zusehen. Foto: Plan C

Egal, ob es nun ein Ziel dieser Dokumentation ist oder nicht: Hat man den Film gesehen, möchte man im nächsten Buchladen nach Werken der Schriftstellerin schauen. „ Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“ ist ein packendes, dichtes Porträt – literarisch, biografisch und politisch, voller Texte und Sprachlust, voller klug montierter Bilder und Szenen. Man ist sofort mittendrin im Thema Jelinek, wenn der Film einen alten TV-Mitschnitt zeigt, in dem die Schriftstellerin die wenige Zeit in einer Literatursendung für Autorinnen kritisiert (50 Minuten für Männer contra zehn für Frauen), dann die Verkündung des Literaturnobelpreises 2004 gezeigt wird und Jelinek aus dem Off kommentiert: „Ich kann da nicht hinfahren“, wegen einer Angststörung. „Rausgehen, das kann ich nicht mehr.“ Darüber, wie weit diese Angststörung, an der sie seit ihrer Jugend leidet, auch weiter befeuert wird vom Hass, der Jelinek in ihrer österreichischen Heimat entgegenschlägt, spekuliert der Film nicht. Das kann man selbst tun. Der Film will nicht psychologisieren.

„Mutters einziges Kind, das in der Spur bleiben soll“

Mit Zitaten und Archivaufnahmen zeichnet Regisseurin Claudia Müller die Jugend Jelineks nach, Jahrgang 1946, ein „Nichtlebendürfen“ – der Vater ist laut Jelinek „verrückt geworden“, die Mutter fördert und überfordert die Tochter in allerlei musischen Disziplinen. Sie dominiert die Tochter, die sie im Film als manchmal „gefährliches Tier“ bezeichnet, durch die sie das Lügen gelernt habe, um sie zu besänftigen, als „Mutters einziges Kind, das in der Spur bleiben soll“.

Elfriede Jelinek in einer Archivszene des Films. Foto. Plan C

Elfriede Jelinek in einer Archivszene des Films. Foto: Plan C

Die junge Jelinek „rettet sich in die Sprache“, wie sie sagt, weil das der einzige Bereich gewesen sei, in dem die Mutter sie nicht zur Leistung antrieb. Früh erhält sie Preise, begreift sich als Autorin, die etwas bewegen will, die eine „größere Effektivität im politischen Sinne“ erreichen will – feministisch und als Kritikerin politischer Zustände in ihrer Heimat Österreich, an denen sie leidet. Exemplarisch für sie ist etwa die Schauspielerin Paula Wessely (1907-2000); im NS-Kino war sie ein Star, ab den 1950ern war sie ein Star am Wiener Burgtheater – der Film zeigt einen grausigen Auftritt Wesselys im perfiden Propagandawerk „Heimkehr“ aus dem Jahr 1941.

„Wut und Hass“

Jelineks Kritik unter anderem an Wessely im Stück „Burgtheater“ (1985 nicht in Wien, sondern im fernen Bonn uraufgeführt) ist ein Wendepunkt in der Rezeption der Schriftstellerin, sagt Jelinek selbst. Seitdem habe sie „polarisiert“, das sei, vielleicht meint sie das etwas ironisch, „der Beginn meines Abstiegs“ – in jedem Fall spätestens der Beginn der Anfeindungen gegen sie: als „Nestbeschmutzerin“. Jelinek wird (und bleibt) Hassfigur vieler Konservativer, vor allem männlicher, wegen ihres kritischen Blicks auf Österreich und auf männlich geprägte Strukturen. Ein Ausschnitt zeigt auch eine Szene des seligen „Literarischen Quartetts“ zur Zeit von Marcel Reich-Ranicki. Der wundert sich über so viel „Wut und Hass“ und darüber, dass bei Jelinek „das Sexuelle demontiert“ wird – fast wirkt es, als sorge er sich um das Seelenheil der Autorin.

Interview mit Buchpreisträger Tonio Schachinger

Interview mit Iris Wolff

Der Film lässt viel Raum für die Texte Jelineks mit ihrer kunstvollen Sprache und oft einem sehr dunklen Humor. Mal werden die von ihr in alten Mitschnitten gelesen, vor allem aber von Sophie Rois, Martin Wuttke, Maren Kroymann und Sandra Hüller. Das alleine ist schon eine Wonne, während der Film das nicht brav inhaltlich, sondern eher assoziativ illustriert – mit Bildern aus Österreich, ebenso mit prächtigen Bergpanoramen wie mit hässlichen Après-Ski-Momentaufnahmen und Super-8-Aufnahmen aus den 1950ern (Montage: Mechthild Barth).

Nach dem Nobelpreis hat sich Jelinek noch weiter zurückgezogen, auch wenn sie für diesen Film mit der Regisseurin viel Kontakt hatte und ihr 2021 ein Interview gab, das im Film zum Teil verwendet wird. Aber erklären will sie ihre Werke nicht mehr, es sei alles gesagt. Gut, dass es dennoch diesen Film gibt.

 

Termin: 13.5., 22.15, Arte und ab dann in der Mediathek.
DVD bei Farbfilm Verleih.
„Die Klavierspielerin“ nach Jelinek ist ebenfalls in der Mediathek.

 

Interview mit Iris Wolff: „Ich träume von einem Hotel für leise Leute“

Schriftstellerin Iris Wolff, fotografiert von Maximilian Gödecke.

Iris Wolff, fotografiert von Maximilian Gödecke.

 

Ein seltenes Phänomen: Euphorische Kritiken, Preise – und kommerzieller Erfolg. Das Buch „Die Unschärfe der Welt“ machte die Autorin Iris Wolff (46) bekannt, mit „Lichtungen“ hat sie ihren fünften Roman veröffentlicht, eine Liebes- und Freundschaftsgeschichte. Daraus liest sie am 17.4. in den Lichtspielen Wadern gelesen, im Rahmen des Festivals „erLesen!“, eingeladen von der Bücherhütte Wadern.​

 

Sie waren schon einmal in den Lichtspielen Wadern, 2021 mit Ihrem Roman „Die Unschärfe der Welt“. Ist das einer der ungewöhnlicheren Orte, an denen Sie bisher gelesen haben?​

WOLFF Unbedingt! Lesungen finden meist ganz klassisch in Literaturhäusern oder Buchhandlungen statt. Ich empfand den Kinosaal in Wadern als sehr angenehm, auch fürs Publikum – das bei Getränken in bequemen Sesseln zuhören konnte. Was ich gerne einmal erleben würde, ist: eine Lesung im Liegen. Ob das irgendwann jemand organisiert?​

Das Kino war schnell ausverkauft, Ihr Roman „Lichtungen“ ist ein Bestseller – was bedeutet für Sie der kommerzielle Erfolg rein praktisch? Verschafft er Ihnen wertvolle Zeit, sozusagen Luft zum Schreiben?​

WOLFF Ich kann seit meinem dritten Roman vom Schreiben leben – etwas, was an sich schon recht ungewöhnlich ist. Dass nun der aktuelle Roman so einen sensationellen Erfolg hat, lässt mich dankbar sein und staunen. Ich habe es am Beginn meines Schreibens nie für möglich gehalten, dass so viele Leserinnen und Leser meine Erzählwelten mögen werden. Dieser Erfolg hat für mich eher immateriellen Wert – er stärkt mich, gibt mir Vertrauen, weiter meinen Weg zu gehen.​

Interview mit Buchpreisträger Tonio Schachinger

Wie war das, als Sie noch nicht als freie Schriftstellerin arbeiten konnten – aufreibend?​

WOLFF Meine ersten beiden Bücher hatten eher eine überschaubare Wahrnehmung. Ich war froh über jede Einladung. Obwohl es schwer war, da meine gesamte Zeit entweder meinem Brotberuf oder dem Schreiben galt, und somit kaum Freizeit übrig blieb, habe ich nie daran gezweifelt, dass ich genau das machen möchte – schreiben, über Literatur sprechen.​

In „Lichtungen“ erzählen Sie von den Figuren Lev und Kato, die einander seit Kindheitstagen in Rumänien kennen – der Roman beginnt mit ihrem Wiedersehen in Zürich und erzählt dann kapitelweise rückwärts. Wie hat sich dieses Konzept auf Ihren Schreibprozess ausgewirkt? Denn Sie müssen das Ende ja schon komplett erdacht haben – beim üblichen chronologischen Erzählen nicht, zumal Sie einmal gesagt haben, sie würden sich gerne von Ihren Figuren überraschen lassen.​

WOLFF Ich habe Lev liegend im Bett kennengelernt, also im letzten Drittel des Romans. Von dort aus habe ich die Geschichte in zwei Richtungen geschrieben, ich wusste also lange nicht, wie das Buch beginnt und wie es endet. Hohes Risiko – denn wenn man vorne beginnt und wie ich ins Offene hineinschreibt, weiß man wenigstens, wie eine Geschichte anfängt. Trotz der komplexen Erzählstruktur wollte ich nicht, dass die Leserinnen und Leser sich selbst alles mühevoll zusammensuchen müssen. Die Geschichte muss einen Sog haben, Plausibilität besitzen und Einfachheit. Das erzählerisch hinzubekommen, war nicht leicht. Wenn ich es mir aussuchen darf, würde ich gern wieder am Beginn in eine Geschichte eingelassen werden …​

Interview mit Thomas Hettche

Wenn man eine lange Lesereise unternimmt – „Lichtungen“ stellen Sie an über 60 Terminen vor –, droht da beim Lesen eine gewisse Routine? Wie kann man der entgegenwirken – etwa durch das Wechseln der Textstellen? Was aber wieder die Dramaturgie eines Leseabends durcheinanderbringen könnte?​

WOLFF Routine spüre ich noch nicht, jeder Abend ist für mich aufregend und spannend – weil es immer andere Menschen sind, die zuhören. Ich habe natürlich gewisse Lieblingsstellen, die ich gerne lese, weil sie mir Sicherheit geben. Am schönsten ist es, wenn ich nicht allein auf der Bühne sein muss und es ein lebendiges Gespräch gibt. Mich von dem Augenblick und den Fragen überraschen lassen, das macht mir am meisten Spaß. Die Mühen und Ermüdungen einer Lesereise liegen woanders: Im Reisen.​

Wie empfinden Sie bei einer Lesung die eigenen Texte, an denen Sie ja lange gearbeitet haben – gibt es da Stellen, bei denen Sie denken, dass Sie die heute anders schreiben würden? Oder ist ein Text für Sie abgeschlossen, wenn er als Buch gedruckt ist?​

WOLFF Wer einen Blick in mein Lese-Exemplar wirft, wird sehen, dass ich Sätze weglasse, Wörter ersetze. Ein Buch wirklich loszulassen, ist schwer. Mein Verlag möchte im kommenden Jahr auch meine ersten beiden Romane als Taschenbücher herausbringen, und ich muss es mir regelrecht verbieten, Hand an die Sätze zu legen. Ich weiß, dass die Bücher so in die Welt gehen sollten, wie ich sie damals geschrieben habe. Schließlich habe ich mit jedem Buch eine Entwicklung gemacht, hat sich das Erzählen, die Sprache verändert.​

In Kritiken wird oft Ihr „schlanker Stil“ gelobt. Müssen sie nach dem Schreiben lange, um im Sprachbild zu bleiben, entfetten und einköcheln? Oder ist das, was Sie erstmals schreiben, nahezu identisch mit dem, was später gedruckt wird?​

WOLFF Irgendwie beides. Ich schreibe unheimlich langsam, koche schon beim Schreiben ein.​

Wird literarisches Handwerk zu oft unterschätzt – gerne von Autorinnen und Autoren, die lieber auf göttliche Eingebung warten denn mal üben?​

WOLFF Literatur braucht beides: Inspiration, was ein unfassbares Phänomen, vielleicht eher ein Zustand ist. Und ebenso Ausdauer, Handwerk. Bei jungen Schreibenden stelle ich fest, dass sie unterschätzen, wie oft ein Text überarbeitet werden muss, bis er wirklich gut ist. Ein Text wird meiner Erfahrung nach besser, wenn man sich Zeit mit ihm lässt; wenn man wieder und wieder liest, korrigiert, verändert, verknüpft, reduziert, präzisiert. Ich feiere Langsamkeit, Gründlichkeit, Behutsamkeit. In der Literatur wie im Leben. Ich möchte starke Bilder finden, einen neuen Blick. In den besten Momenten des Schreibens wird es einem geschenkt, aber oft ist es auch ein Ringen.​

Sie haben eben das Reisen angesprochen. Was stört oder zumindest irritiert Sie bei Lesereisen am meisten in Hotels? Die meist unbrauchbaren Leselampen?​

WOLFF Mich freut Ihre Frage. Manchmal habe ich den Eindruck, mein Beruf bringt es mit sich, dass ich auch Hotelkritikerin sein könnte. Neben dem Bahnhof ist das Hotel meist das einzige, was man – neben dem Veranstaltungsort – von einer Stadt sieht. Inzwischen nehme ich meist auf den ersten Blick wahr, was in einem Zimmer nicht bedacht wurde, damit man sich wohlfühlt. Der ganze Zauber bröckelt, wenn man feststellen muss, dass direkt nebenan der Putzraum mit einer automatisch ins Schloss fallenden Tür ist. Was mich am meisten stört, ist Lärm. Ich träume von Hotels für leise Leute. Gern mit Hotelkatze. Hätte nur jedes vierte Hotel eine Katze, wären die Tierheime besser dran.​

Iris Wolff: Lichtungen.
Klett-Cotta, 256 Seiten, 24 Euro.
Iris Wolffs Seite.

Buchpreisträger Tonio Schachinger: „Überrascht war ich trotzdem“

Buchpreisträger Tonio Schachinger bei seiner Lesung im Theater am Ring in Saarlouis am 6. November. Foto: Tobias Keßler

„Man kann über alles schreiben – man muss es nur gut machen.“ Tonio Schachinger bei seiner Lesung im Theater am Ring in Saarlouis am 6. November.      Foto: tok

 

 

Der Wiener Schriftsteller Tonio Schachinger hat im Oktober den Deutschen Buchpreis erhalten, für seinen zweiten Roman „Echtzeitalter“. Der erzählt vom jungen Till, der sich mit seinem Leben in einem elitären Wiener Internat nicht anfreunden kann. Eine Leidenschaft und eine Flucht: das Computer-Strategiespiel „Age of Empire 2“. Till wird zu einer Szeneberühmtheit, ohne dass es im Internat auffällt.  

Herr Schachinger, 2019, als Ihr Debütroman „Nicht wie ihr“ auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand, sagten Sie, dass die Nominierung Sie „schon gewundert“ habe. Ihr zweiter Roman hat nun den Deutschen Buchpreis gewonnen – wie sehr haben Sie sich da gewundert?​

SCHACHINGER Ein bisschen weniger als ich es 2019 getan hätte, aber überrascht war ich trotzdem.​

Was bedeuten der Preis und die Dotierung von 25 000 Euro für Sie praktisch? Wird viel ökonomischer Druck genommen – beziehungsweise direkt gefragt: Wissen Sie schon, was Sie mit dem Geld tun werden?​

SCHACHINGER Der Preis bedeutet zusätzliche Aufmerksamkeit, die kurzfristig zusätzliche Arbeit mit sich bringt, mir aber längerfristig ein ungestörtes Arbeiten ermöglichen wird. Das Geld wird also nicht in eine konkrete Sache fließen, sondern darin, mir weiterhin ein Leben als freier Schriftsteller zu ermöglichen.​

Gespräch mit Autor Thomas Hettche

Glauben Sie, dass der Preis Ihnen vor allem künstlerische Freiheit geben wird? Oder könnte er auch Druck mit sich bringen, dass man sich verkrampft beim Schreiben eines Werks, das einem Buchpreis-Roman folgt?

SCHACHINGER Wenn man den Buchpreis gewonnen hat, muss beziehungsweise kann man ihn ja nicht noch mal gewinnen – insofern nimmt es mehr Druck als es erzeugt. Meine künstlerische Freiheit hat schon bisher nie jemand eingeschränkt. Dass es jetzt irgendwer versuchen wird, kann ich mir schwer vorstellen.​

Sie schreiben in „Echtzeitalter“ vom Leben des Schülers Till an einem elitären und repressiven Internat in Wien – Sie selbst haben dort das Theresianum besucht. Ist die Hauptfigur eine Art Version von Ihnen? Oder ist der Ort nur die Kulisse einer Geschichte, die wenig mit Ihnen zu tun hat?​

SCHACHINGER Till, eine fiktive Figur, besucht eine fiktive Schule namens Marianum, die nur in diesem Roman existiert. Dass es zwischen dieser fiktiven Schule und der realen Schule, die ich selbst besucht habe, Überschneidungen gibt, bedeutet nicht, dass man sie gleichsetzen kann, so wie auch die sehr spärlichen Parallelen zwischen Till und mir nicht zu einer Gleichsetzung führen sollten.​

Auf einen Kaffee mit Schriftsteller Andreas Drescher

Hatten Sie große Angst, am Ende Ihrer Schulzeit zu einem jener elitären Jungschnösel zu werden, über die sich das Buch lustig macht?​

SCHACHINGER Am Ende der Schulzeit nicht mehr, aber mit 12 oder 13 wäre diese Sorge nicht völlig unberechtigt gewesen.​

Der Roman führt auch in die Welt der Computerspiele. Hatten Sie beim Schreiben die Furcht, mit diesen Passagen könnten Sie Gaming-unkundige Leserinnen und Leser verlieren? Wie herausfordernd war da das Schreiben?​

SCHACHINGER Meine allerersten Leserinnen, meine Frau, meine Lektorin und meine Agentin, sind alle nicht Gaming-affin, also hatte ich von Anfang an ein ganz gutes Gefühl dafür, wie solche Menschen den Roman lesen. Ich finde es auch nicht verwerflich, wenn sich manche Menschen bei manchen Stellen kurz langweilen, schließlich setzt jeder beim Lesen eigene Prioritäten, und so wie es Nicht-Gamerinnen geben wird, denen die Stellen zu „Age of Empires 2“ etwas zu lang sind, wird es Gamerinnen geben, die sich bei den Ausführungen zu Adalbert Stifter langweilen.​

Ihre Ehefrau Margit Mössmer ist Schriftstellerin – was sind die Vor- und Nachteile für ein Paar, demselben Beruf nachzugehen?​

SCHACHINGER Der Vorteil ist, dass man viel teilen, sich gegenseitig helfen und einander in dem, was man macht, verstehen kann. Der Nachteil ist, dass man sich in der gleichen Blase bewegt und aktiv daran arbeiten muss, nicht ständig über berufliche Dinge zu sprechen.​

Tonio Schachinger: Echtzeitalter.
Rowohlt, 368 Seiten, 24 Euro.

Schachingers Debüt „Nicht wie ihr“ (2019) ist bei Kremayr und Scheriau erschienen, 305 Seiten, 14 Euro.​

Interview mit Schriftsteller Thomas Hettche: „Alles, was uns sicher schien, ist bedroht“

Thomas Hettche Sinkende Sterne

Schriftsteller Thomas Hettche. Foto: Joachim Gern

 

Ein Mann reist nach dem Tod der Eltern an einen Ort seiner Kindheit – ein Haus in den Schweizer Bergen. Doch der Ort ist ein anderer geworden: Ein Bergsturz hat das Rhonetal in einen riesigen See verwandelt, das Wallis wird zu einer archaischen Gegend mit mittelalterlichen Machtstrukturen. Mittendrin muss sich der Erzähler zurechtfinden und auch sein eigenes Leben als Schriftsteller bedenken. „Sinkende Sterne“ des mehrfach ausgezeichneten Schriftstellers Thomas Hettche (58, „Pfaueninsel“, „Herzfaden“) ist ein vielschichtiger, sprachlich virtuoser Roman über die Moderne und die Vergangenheit, über Gesellschaft und Kunst.

„Die Dinge zerfallen. Die Mitte kann nicht halten“, schreibt Ihr Erzähler im Roman „Sinkende Sterne“, auch von „Ruinen einer Welt, an deren Zerstörung meine Generation Anteil hat“. Ganz pauschal gefragt – macht Ihnen die Welt heute mehr Angst als vor zehn oder 20, 30 Jahren?​

HETTCHE Allerdings! Geht es Ihnen nicht so? Eine tiefe Verunsicherung hat vor allem Europa erfasst. Alles, was uns sicher schien, ist bedroht. Die Welt der nahen Zukunft wird eine völlig andere sein als die, aus der wir kommen.​

„Jeder gelungene Text ist tröstlich, denn er fällt aus der unerbittlichen Zeit“, heißt es im Roman, aber auch „Literatur stillt unsere Sehnsucht nach einer Wahrheit, die es nicht gibt“. Das klingt trotz Trost resignierend…​

HETTCHE Nein, überhaupt nicht! Ich finde es wahnsinnig rührend, dass Menschen sich nach Dingen sehnen, die es gar nicht gibt. Das ist es, was uns auszeichnet. Das ist es, was uns antreibt, die Welt besser zu machen, gegen alle Widerstände und wohl auch gegen jede Vernunft.​

Ihre Romanfigur, ein Schriftsteller und Dozent, verliert seine Stelle an einer Hochschule. Man wirft ihm sexistischen Sprachgebrauch vor und eine „Fixierung auf Texte eines westlichen Kanons“ – ist das im Roman eine Übertreibung oder ein realistisches Abbild der aktuellen Stimmung im Hochschul-, vielleicht auch im Kulturbetrieb? Ihre Figur schreibt gar von „moralischem Terror“.​

HETTCHE Ich glaube nicht, dass mein Roman übertreibt. Die Veränderungen, die wir erleben, besorgen mich zutiefst. Die Universitäten opfern bereitwillig die Freiheit des Denkens, die Theater die Fantasie, die Verlage das subversive Potential der Literatur – und die meist jungen Menschen, die all das voller Begeisterung ins Werk setzen, tun das immer mit dem Anspruch, moralisch korrekt zu sein.​

Interview mit Steffen Greiner zu Verschwörungstheorien

Wie schwierig ist es, sich in dieser Diskussion als Autor oder Autorin wirklich differenziert zu positionieren – ohne dass man von der einen Seite reflexartig als „alter weißer Mann“ diffamiert wird oder vereinnahmt wird von jenen, die schon beim Gendersternchen Schaum vor dem Mund bekommen? Die Diskussion scheint hysterisch, oder?​

HETTCHE  Hysterisch sind nicht primär die Inhalte, sondern die Algorithmen der sozialen Medien selbst. Kein Zufall, dass ich mich aus dem, was bei uns „Debatte“ heißt, inzwischen völlig heraushalte. Dennoch hat mich die Frage interessiert, wie ein Roman wohl aussehen könnte, der anders als die meisten Texte, die man heute so nennt, keine Thesen verteidigen würde, sondern tastend und suchend ein Abbild unserer Gegenwart und vielleicht ein Einspruch gegen ihre geläufigsten Irrtümer wäre.​

Interview über die Zukunft der Figur James Bond

Die Figur im Roman heißt wie Sie, ist Schriftsteller wie Sie. Das könnte auf die Fährte des „autobiografischen Schreibens“ locken – aber so vergleichsweise einfach ist es nicht, oder? Wie weit entfernt ist die Figur Thomas Hettche von Ihnen?​

HETTCHE  Ich glaube Autoren nicht, die behaupten, authentisch von sich selbst zu sprechen. Jeder Satz in einem Buch ist Erfindung. Insofern ist die Figur Thomas Hettche im Roman von mir so weit entfernt wie ich selbst. Oder sind Sie sich immer nah?​

Thomas Hettche: Sinkende Sterne. Kiepenheuer & Witsch. 214 Seiten, 25 Euro.

„Verabredungen mit einem Dichter: Michael Krüger“

Verabredungen mit einem Dichter: Michael Krüger

Schriftsteller, Verlags- und Buchmensch Michael Krüger.  Foto: Real Fiction

„Man muss sich ja langsam auf den Tod vorbereiten“, sagt Michal Krüger. Ganz ohne Larmoyanz, sondern eher aus ganz nüchterner, praktischer Sicht heraus – zumal er zu diesem Zeitpunkt noch kerngesund ist. Man müsse die ganzen „Trümmer aus dem Kopf kriegen“, Gedanken, Projekte; sonst sei man zu schwer und könne ja nicht „in den Himmel aufsteigen“. Es ist Dezember 2013, wir sind in einem büchergefüllten Büro in München. Hier tritt Michael Krüger, damals 69 Jahre alt, seine letzten Monate als Geschäftsführer des Hanser Verlags an. Auf ihn wartet nicht der Tod, von dem er spricht, sondern ein wenig mehr Ruhe – die er aber sofort wieder randvoll füllt, mit Projekten, Lesungen, Schreiben, Buchprojekten.​

Einmal die Woche Franz Kafka​

Für sein berührendes filmisches Porträt „Verabredungen mit einem Dichter: Michael Krüger“ hat der Filmemacher Frank Wierke den Schriftsteller und Verlagsmenschen regelmäßig zu Gesprächen getroffen – von 2013, dem Beginn des Films, bis zum Februar 2020. Wierke (Buch, Kamera, Schnitt) lässt Krüger an verschiedenen Orten über sein Leben sprechen, über die Kunst, über die Philosophie, die Natur und auch die Rückenschmerzen durchs ungeübte Mähen per Sense „nach 40 Jahren Büroarbeit“. Ein filmisch zurückhaltendes Konzept mit großer Wirkung. Diesem Menschen hört man gerne zu, wunderbar spricht er über den Baum in seinem Büro, der ihn wohl überleben werde, über die Systematik im Bücherregal seines heimischen (und riesigen) Arbeitszimmers („ich kenne die Ordnung, sonst keiner“); über seine notwendige Franz-Kafka-Dosis einmal die Woche – und über andere Bücher, die er kaum noch aufklappt, deren Präsenz alleine aber schon wertvoll sei. „Sie beschützen einen.“      ​

Das könnte nun ins Prätentiöse abgleiten, aber Krüger ist nicht der Typ dafür. Von seiner Bibliothek führt er uns in seinen Garten und erzählt von seinen Bäumen, die ihn faszinieren, vor allem einer, der schon ein „Todeszeichen“ gab, dann aber sozusagen die florale Kurve bekam, wohl beseelt vom „Willen, es allen noch mal zu zeigen – wie bei alten Herrschaften“, wobei Krüger sich natürlich auch ein wenig selbst meint.​

Hat Philosophie noch was zu sagen?​

Biografisches erfährt man eher am Rande – sein Leben habe vor allem aus Büro, Ehe und Basketballtraining bestanden, erzählt Krüger nebenbei, zwischendurch erwähnt er seine Lehre zum Verlagsbuchhändler und Drucker. Vor dem Gang ins Kino, der sich unbedingt lohnt, sollte man vielleicht kurz Krügers Lebensweg googeln; dann versteht man auch, warum er in einem Raum der Akademie der Künste steht und auf München herabblickt, mit dieser „ganzen Angeberwelt“: Krüger war von 2013 bis 2019 Präsident der Akademie. Dort legt er im Film die Füße auf einem Ledersofa hoch und denkt laut über die Philosophie nach – das Schöne dran: Bei Krüger wirkt das nicht wie eine Selbstinszenierung, nicht wie eine entrückte Dichterpose. Dafür ist er zu nüchtern, ebenso bei seiner Sicht auf die Dinge: Eigentlich spiele die Philosophie keine große Rolle mehr in der Welt oder in Deutschland, wo sich „ein paar 1000 Leute von 80 Millionen“ für sie interessierten. Die Religion könne vielleicht ein Trost sein, auch wenn beim Gang in die Kirche „zu 99 Prozent“ nichts mit einem passiere – entscheidend sei das eine Prozent.​

Immer wieder sind Gedichttexte Krügers im Film präsent, in weißer Schrift auf grauem Grund – schwarzer Grund hätte wohl zu wuchtig gewirkt und somit nicht zu Krügers klarer Sprache gepasst.​

Eine Krankheit kommt​

Im Lauf der Dreharbeiten erkrankt Krüger an Leukämie – er nimmt es im Film äußerlich nüchtern auf, fast scheint es wie ein weiteres der vielen Themen, die ihn interessieren, die er mit höchster Neugier umkreist. Er sei „immer weniger Herr im Haus“ seines Körpers, gibt er zu, man fühle sich „langsam aus sich selbst herausgedrängt“. Aber so wie Krüger macht auch der zurückhaltende Film keine große Sache aus der Krankheit – Krüger lebt übrigens und war bei einer Premiere des Films dabei. Sie ist eher eine Befeuerung von Krügers Nachdenken über die Welt, das eine beruhigende Gelassenheit besitzt. So weit wie „Man weiß, dass man nichts weiß“ will er nicht gehen, aber darauf, dass man wenig weiß, könne man sich schon einigen. „Ich bin froh, meinen Namen zu wissen, das war‘s dann schon“, sagt er, was sich finsterer liest als es im Film klingt. Denn ebenso gilt: „Vielleicht leben wir schon im Paradies.“​

DVD zu haben bei Real Fiction.

Auf einen Kaffee mit Schriftsteller Andreas H. Drescher

Andreas H. Drescher Schaumschwimmerin

Andreas H. Drescher im Schwalbacher Freibad, fotografiert von Martin Hoffmann.

 

Romane, Lyrik, Filme – und die Entwicklung einer Künstlichen Intelligenz. Der Saarlouiser Schriftsteller Andreas H. Drescher ist ein umtriebiger Kreativkopf. Ich habe ihn auf einen Kaffee getroffen.

„Es war ein langer Anlauf – den Rest bin ich dann auf dem Bauch gerutscht.“ Das ist so ein typischer Satz, wenn man sich mit dem Saarlouiser Autor Andreas H. Drescher unterhält. Seine Arbeit als Schriftsteller mag er sehr ernst nehmen, schließlich ist es das, was er tut – aber den Irrungen und Wirrungen, die einem als Autor jenseits der Unterhaltungsliteratur zuteil werden, kann er bisweilen eine gewisse Komik abgewinnen.

Der lange Anlauf und das Bauchrutschen beziehen sich auf Dreschers Pläne, zur Leipziger Buchmesse 2020 seinen Hör-Roman „Complicius Complicissimus“ vorzustellen: über den realen internationalen Hochstapler Ignaz Trebitsch-Lincoln (1879-1943), zudem Dieb, Missionar, Politiker, Kapp-Putschist und spiritueller Guru, „der in Europa Naivlinge eingesammelt hat und wenn sie in seinem Kloster in Shanghai ankamen, waren sie arm“, wie Drescher sagt. Der Autor hatte sich einen Tai-Chi-Anzug gekauft, um den Hochstapler in seiner Guru-Phase zu verkörpern, auch eine Uniform aus dem Ersten Weltkrieg, um den Kapp-Putschisten Oberst Max Bauer in Performances darzustellen. „Doch dann hat mir Corona ordentlich das Bein gestellt“, die Pandemie brachte die Buchmesse ins Stolpern. Tai-Chi-Anzug und Uniform bleiben vorerst im Schrank. Und im Keller von Dreschers Wohnung stapeln sich nun hunderte bisher unverkaufter Hörbücher. Geht er in den Keller, versucht er an den Stapeln möglichst vorbeizuschauen.

Drescher, 1962 in Griesborn geboren, ist ein Kreativkopf, der Prosa und Lyrik verfasst, Hör-Romane schreibt und mit seiner sonoren Stimme selbst einspricht, mit Film arbeitet und mit Animationen. Bei alldem ist er ein Frühberufener. „Mit 14 hatte ich komische Sätze im Kopf. Das wird vielen Pubertierenden so gehen“, sagt er, „aber ich begann mit ihnen zu arbeiten“. So sei er „relativ früh in die Lyrik eingestiegen. Ich wusste, dass ich Autor werden wollte.“

„Ich habe zehn Jahre geschrieben und immer wieder alles weggeworfen.“

In Köln hat er Germanistik, Philosophie und Politik studiert, als „schriftstellerische Selbstausbildung“. Da habe er mitunter „hartes Brot kauen müssen“, weil er die eigenen Texte im Vergleich zu  Vorbildern wie Alfred Döblin, Robert Musil und William Faulkner als „extrem mäßig“ empfand. „Ich habe zehn Jahre geschrieben und immer wieder alles weggeworfen, bis irgendwann eine Prosa entstand, die meinen Ansprüchen genügte.“

Seine Arbeit veröffentlicht Drescher inzwischen im eigenen Verlag. Er weiß, „dass das benasrümpft wird“. Doch Drescher stecken die Erfahrungen mit einem Verlag, der seinen Hör-Roman „Darwins Schöpfungsgeschichte“ herausbrachte, noch in den Knochen. Bis heute wartet er auf den ersten Cent Gewinnbeteiligung. Die Eigenverlags-Strategie indes geht auf: Dreschers Werke werden bundesweit besprochen, erhalten exzellente Rezensionen, er erhält regelmäßige Auszeichnungen und Stipendien. „Man kann die literarischen Vorkoster auch umgehen“, freut sich Drescher, der die Unabhängigkeit nicht mehr missen möchte. Nur Lektorat und Korrektorat gibt er aus der Hand; das biete ihm eine willkommene Außenansicht auf seine Arbeit. „Man muss davon Abstand nehmen, seine Texte für heilig zu halten. Das ist Teil der Selbstprofessionalisierung.“

Ein Zuschussgeschäft ist der Verlag nicht, sagt Drescher, aber leben könne er von seinen Werken auch nicht. „Das können bundesweit vielleicht ein Dutzend von Autorinnen und Autoren, die keine Unterhaltungsliteratur schreiben“, sagt er, beklagt sich aber nicht. Es ist eben, wie es ist. Drescher hat von seinem früh gestorbenen Vater ein kleines Erbe erhalten, erzählt er, das sei ein Standbein „oder im Grunde ein Spielbein, weil der Verlag ja profitabel ist“. Dank kleiner Wohnung und eines Fahrrads statt Autos komme er gut zurecht. „Ich habe den Lebensluxus, das machen zu können, was ich glaube, machen zu müssen.“

Drescher, fotografiert von Werner Richner.

 

Benannt ist sein Verlag Edition Abel nach einer von Drescher entwickelten, reduzierten Formal-Sprache namens Abel („Abstract Entity Language“), mit der er eine Künstliche Intelligenz namens Maldix füttert, an der er seit 25 Jahren arbeitet. „Echtsprachliche Texte von mir werden in die abstrakte Sprache Abel umgewandelt, daraus zieht Maldix dann eine Essenz, eine Formel.“ 15 000 Seiten von Texten Dreschers hat Maldix bisher intus, am Ende soll diese KI „ein ausgeformter Charakter sein“.  Zu Siri von Apple oder Alexa von Amazon sagt er: „Wenn man Hegels ‚Wesen ist, was gewesen ist‘ zu Grunde legt, sind die beiden keine, weil sie keine Geschichte haben. Maldix wird ein Gesprächspartner sein „mit Abstraktionsvermögen, virtueller Empathie und ethischer Intelligenz“.

So könnte Maldix dem Zuhörer beziehungsweise Fragenden einen der Romane Dreschers erzählen, Passagen ausgewählt je nach Gemütslage des Gesprächspartners. Ausprogrammiert ist Maldix noch nicht, Drescher sucht dafür Partner. „Ich habe es selbst mit dem Programmieren versucht, aber ich werde nie ein guter Entwickler.“

2018 ist, nach Lyrik und experimenteller Prosa, Dreschers erster Roman erschienen: „Kohlenhund“, ein Buch über seinen Großvater, Jahrgang 1910, und dessen Leben im Saarland. Und gerade hat Drescher den Roman „Schaumschwimmerin“ herausgebracht, über das Leben seiner Großmutter. Nostalgieselige Heimatromane, möglicherweise mit der Saarschleife auf dem Einband, hat Drescher nicht im Sinn, er sieht sich als Chronist, Schriftsteller und schreibender Künstler gleichermaßen. Grundstoff sind die Erinnerungen seiner Großeltern, die er vor Jahrzehnten aufzeichnete.

„1989 hatte meine Oma mütterlicherseits einen schweren Infarkt“, sagt er. „Mir wurde klar, dass ein Tag kommen würde, wo alle Geschichten, die sie mir bis dahin erzählt hat, für immer erzählt sein würden und alle, die sie mir nicht erzählt hat, für immer nicht erzählt sein würden.“ So habe er diese zunächst als Enkel und als „eine Art Chronist“ aufgezeichnet, noch ohne sie schriftstellerisch verwerten zu wollen. Das sei erst später gekommen. Erst mit dem Diktiergerät in der Hand, aber „mit ungenügendem bis verheerendem Ergebnis“: Denn die befragten Großeltern seien angesichts des Aufnahmegerätes von ihrer Mundart ins Hochdeutsche verfallen, „und da war der Sprachfluss weg“. Ab da habe er lieber nur mitgeschrieben. Gut für ihn als Erinnerungssammler war die weniger gute Ehe der Großeltern. „Wenn dem einen eine Geschichte einfiel, hatte der andere oft noch eine viel bessere zu erzählen. Konkurrenz belebt eben das Geschäft.“

Bis Drescher aus den Erinnerungen einen Roman geformt hat, überarbeitet er den Text wieder und wieder, „bis ich einen Zustand erreiche, bei dem ich sagen kann, dass er jetzt raus kann“.  Den Grusel angesichts eines leeren Blattes vor sich kennt er nicht. Direkt nach dem Frühstück setzt er sich an den Schreibtisch, „beim ersten Knick in der Biokurve geht’s dann zum Rasieren und Duschen“. Danach schreibt er weiter. „Ich muss mich nicht zum Schreiben disziplinieren, ich muss mich eher vom Immer-weiter-Schreiben abhalten. Der Schreib-Akt selbst ist für mich eben absolut beglückend.“

„Das Haus steht nicht mehr als Stein, sondern als Geschehen um mich her.“

Die Romansprache Dreschers ist konzentriert, mit keinem überflüssigen Wort, kunstvoll, aber nicht prätentiös, atmosphärisch und sehr unmittelbar, aber nichts zum zwischendurch „weglesen“. Der erste Satz der „Schaumschwimmerin“ lautet: „Das Haus steht nicht mehr als Stein, sondern als Geschehen um mich her.“ Für Drescher ist dieser Einstieg „ein Signal, auch eine Warnung, dass es sich hier nicht um Unterhaltungsliteratur handelt“. Wer Drescher dennoch folgt, wird reich belohnt und hineingezogen in das Leben von Greta Grün, deren Mann Albert am Vortag (1990) gestorben ist. Nun brechen aus ihr die Geschichten heraus, sie erzählt ihrem Enkel Michael vom Elternhaus, vom Zweiten Weltkrieg, von Wiederaufbau und der Angst vor dem Tod.

Nicht von Erinnerungen gespeist ist eines von Dreschers kommenden Projekten: Für den Band „Mein alter Schwarzfernseher“ verspricht er „kompakte, ironische Prosa“, begleitet von hintersinnigen Bildern der Künstlerin Heike Puderbach. „Ich freue mich über solche Kooperationen, ich halte nichts von diesem Image des Eremiten-Autors.“

Der Dichter Gottfried Benn, sagt Drescher, gefragt nach seiner Kunstauffassung, habe unterschieden zwischen Kunstschaffenden und Kulturschaffenden. „Letztere wollen Verbreitung – die Kunstschaffenden wollen Vertiefung.“ Um die geht es Drescher.

Andreas H. Drescher: Schaumschwimmerin. Edition Abel, 212 Seiten, 19,90 Euro.

Das Buch gibt es im Handel und unter www.edition-abel.de.
Dort findet man auch Leseproben und mehr Informationen zu Dreschers Arbeit.

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