Film und dieses & jenes, von Tobias Keßler

Schlagwort: Ophüls-Festival

Der Film „Hagazussa“ und sein Regisseur Lukas Feigelfeld

Hagazussa Lukas Feigelfeld Filmfestival Max Ophüls Preis Retina Fabrik

Darstellerin Alexandra Cwen und Regisseur Lukas Feigelfeld bei den Dreharbeiten. Foto: Retina Fabrik

Es war einer der eigenwilligsten und ausgefallensten Filme des jüngsten Filmfestivals Max Ophüls Preis: „Hagazussa“, eine Geschichte um Isolation, Heidentum, Vorurteile und Wahnsinn, erzählt in archaischen Naturbildern und mit minimalem Dialog. Beim Festival blieb der Film leider ohne Preis.  Hier ein Gespräch mit Regisseur Lukas Feigelfeld.

Dass sein Film für manche Kinogänger ein harter Brocken ist, weiß er selbst am besten. „Schon bei der Drehbuchentwicklung haben mir einige Leute gesagt, das sei nicht zumutbar“, sagt Lukas Feigelfeld, „aber ich glaube, man kann dem Publikum mehr zutrauen als viele denken“. Der 31-Jährige Wiener, der seit einigen Jahren in Berlin lebt, hat mit „Hagazussa“ einen mutigen, konsequenten Film gedreht. Mit archaischen, wuchtigen Naturbildern und einer stetigen Stimmung des Unbehagens: Man begleitet einen Menschen auf seinem Weg in den Wahnsinn.

„Hagazussa“ erzählt von einer Frau im 15. Jahrhundert, die alleine in ihrer Alpenhütte lebt, von der fernen Dorfgemeinschaft beargwöhnt und gemieden. Die Isolation und die Anfeindung der Kirche, sie sei eine Hexe, treibt die Frau (Aleksandra Cwen) langsam in den Irrsinn – und zu einer grauenvollen Tat. Zu seinem Film haben Feigelfeld eigene Albträume aus der Kindheit angetrieben. Seine Mutter kommt aus der Region, in der der Film spielt, in der Nähe des Wolfgangsees. „Ich habe da als Kind sehr viel Zeit verbracht. Es ist eine Gegend, in der heute noch viele alte Mythen erzählt werden, wo das Heidentum noch etwas durch die katholische Kirche dringt.“ Von  Hexengestalten in den dunklen Wäldern sei ihm gerne erzählt worden. „Und wenn die Kinder nicht brav sind, dann holt sie die Hexe.“

 

Hagazussa Lukas Feigelfeld Filmfestival Max Ophüls Preis Retina Fabrik

Ein Bild von den Dreharbeiten. Foto: Retina Fabrik

 

Die kindlichen Albträume waren der erste Impuls für den Film. Feigelfeld hat viel recherchiert über Aberglaube und die Christianisierung des Alpenraums, auch über Schizo­phrenie und über Menschen mit Wahnbildern, die „die Geister  quasi selbst in die Dunkelheit des Waldes hinein halluzinieren“. Feigelfelds Drehbuch verknüpft vieles, was der Figur Albrun zustößt oder was sie tut, mit damaligen Definitionen der Kirche, wann man jemanden als Hexe bezeichnet (und verfolgt). „Eine davon ist die Teufelsbuhlschaft, der sexuelle Kontakt mit dem Teufel. Da der Teufel oft auch als unsichtbare Gestalt beschrieben wurde, hat man angenommen, dass eine masturbierende Frau mit dem Teufel kopuliert.“ Das behandelt Feigelfeld in einer ausdrucksstarken, aber unspekulativen Szene, die das Melken einer Ziege erotisch zum Bersten auflädt.

Seine Geschichte erzählt der Film in langen Einstellungen, sehr wortkarg und eindringlichen Bildern (Kamera: Mariel Baqueiro) – es geht nicht um einen Plot, der die Handlung nach vorne treibt, sondern um Gefühle, Assoziationen, Angst, Atmosphäre. Feigelfeld, der mit „Hagazussa“ seinen Abschluss an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) machte, hat davor Photographie studiert und eine „sehr visuelle Herangehensweise. Bevor ich ein Drehbuch schreibe, bildet sich bei mir ein Gefühl, eine Atmosphäre im Kopf, wie der Zuschauer sich fühlen sollte, wenn er aus dem Kino herauskommt.“ So nämlich, als erwache er aus einem Albtraum und frage sich, was er gerade gesehen  hat. Als Horrorfilm will Feigelfeld den Film aber nicht verstanden wissen, „ich würde ihn eher ein ‚dark drama‘ nennen,  irgendwo zwischen dem Horrorgenre und dem Arthouse-Film. Die Trennlinie ist da sehr fein.“ Vorbilder oder Inspirationen sind denn auch nicht klassische Gruselregisseure, sondern etwa Andrei Tarkowski („Stalker“, „Solaris“) oder Andrzej Zulawski („Possession“).

 

Die Kamerafrau Mariel Baqueiro. Foto: Feigelfeld / Retina Fabrik

 

Dass „Hagazussa“ seine Uraufführung beim horrorlastigen Fantastic Film Fest in Texas erlebte, überrascht da schon. Das Genrepublikum dort war angetan, sagt Feigelfeld. Es gab den „Next Wave“-Preis für den besten Film, es folgte die europäische Premiere beim London Film Festival.

Viel Anerkennung für einen Film, der schwer auf den Weg zu bringen war. Da „Hagazussa“ ein Abschlussfilm ist, hatte Feigelfeld die Technik und ein kleines Budget zu Verfügung, aufgestockt mit crowdfunding, „aber es war wirklich minimal – wir mussten auch mal ein Jahr aussetzen, weil wir keine Finanzierung hatten.“ Fast alle Künstler, viele Studenten darunter, haben ohne Bezahlung  gearbeitet; das Teuerste waren das Innere von Albruns Hütte als Studiobau in Berlin und die Reisekosten. Der Film entstand dabei in mehreren Blöcken, im Winter ging es auf den Berg,  ein halbes Jahr später ins Studio, dann pausierte man wieder wegen Geldmangels, „und dann waren wir in einem  Sumpf in Brandenburg, dann  mal hier, mal dort“. Eine frustrierendes Warten manchmal, „aber das gibt einem Zeit, manches noch einmal zu verfeinern.“ Etwa das Soundesign, das im Film zentral ist. „Dass wir wenig Dialog haben, öffnet unglaublich viel Raum für Geräusche“, sagt Feigelfeld. Jedes  Geräusch ist neu aufgenommen, jedes Knacken eines Zweiges, jedes Knirschen eines Lederbandes.

Feigelfeld, der für „Hagazussa“ noch einen deutschen Verleih sucht, arbeitet am nächsten Drehbuch, in die Richtung von Thriller und Drama soll es gehen, „es hat aber auch phantastische, traum­artige Aspekte. Das Kino ist so etwas Ähnliches wie Träumen – das ganz Konkrete liegt mir nicht.“ Bloß lässt sich das Konkrete oft besser finanzieren als das Phantastische, mit dem sich das deutschsprachige Kino schwer tut. „Das mag wohl so sein. Ich hoffe aber, dass ein Film wie ‚Hagazussa‘ auch hier Augen öffnet.“ Das würde es dem Regisseur leichter machen, „Filme zu drehen, die anders sind als das, was man immer sieht.“

 

 

 

 

 

Erste Empfehlungen aus dem 39. Max-Ophüls-Festival

Am Samstag, 13.1., beginnt der Kartenverkauf des Saarbrücker Filmfestivals Max Ophüls Preis (22 bis 28. Januar). Einige Filme konnte ich bereits sehen – ein paar Empfehlungen vorab. Ausführliche Besprechungen folgen.

Filmfestival Max Ophüls Preis Sarbrücken Reise nach Jerusalem Eva Löbau

Eva Löbau in „Reise nach Jerusalem“. Foto: Kess Film

Das Leben ist eine Warteschleife. Zumindest für Alice, 39, arbeits- und glücklos. Sie müht sich ab, hat die Bewerbungsgesprächs-Floskeln zwischen „stress­resistent“ und „große Herausforderung“ verinnerlicht – und doch bleiben ihr nur Aushilfsjobs in der Marktforschung, für die sie Benzingutscheine bekommt (ein Auto kann sie sich eh nicht leisten). Lucia Chiarlas „Reise nach Jerusalem“ aus dem Spielfilmwettbewerb beschreibt mit konsequenter Logik einen Absturz. Das hätte ein Betroffenheitsdrama werden können, das die sozialen Stolpersteine dröge pflichtschuldig durchzählt – aber Chiarla gelingt ein enorm unterhaltsamer Film voller Tragikomik, auch dank der Darstellerin Eva Löbau: Sie brilliert als angeschlagenes Arbeitsmarkt-Opfer – besonders eine Szene am Geldautomaten ist herzwerweichend.

 

 

Filmfestival Max Ophüls Preis Sarbrücken Goliath Sven Schelker

Sven Schelker in „Goliath“. Foto: Incognito Films

Sehenswert ist auch Schweizer Film „Goliath“ von Dominik Locher etwa, der von einem Paar erzählt, das an der Schwangerschaft der jungen Frau zu zerbrechen droht. Der werdende Vater fühlt sich überfordert und flüchtet sich in eine hypermaskuline Fitness-Welt (Steroide inklusive) – als könnte ihn ein Muskelpanzer vor der Ungewissheit beschützen, ob er als Vater/Mann genügen wird. Potenz/Impotenz, nicht nur im übertragenen Sinne, ist auch eines der Themen, die der österreichische Film „Zauberer“ von Sebastian Brauneis behandelt: ein Reigen der Einsamen und Angeschlagenen, ob nun erblindet, gekündigt, ent- oder verlassen. Ein düsteres, manchmal beklemmendes, intensives Debüt.

 

 

Filmfestival Max Ophüls Preis Sarbrücken Gutland Frederick Lau

Frederick Lau in „Gutland“. Foto: Narayan Maele

Ein Luxemburg abseits des Kirchbergs und der Banken zeigt Govina Van Maeles Wettbewerbspielfilm „Gutland“: Hinter den Fassaden der gepflegten Bauernhäuser geht es nicht ganz so gediegen zu wie ein deutscher Räuber auf der Flucht sich das erhofft. Ein packendes, sehr atmosphärisches Werk, das am Ende ins Phantastische abbiegt.

 

 

Filmfestival Max Ophüls Preis Sarbrücken Hagazusaa Aleksandra Cwen

Aleksandra Cwen in „Hagazussa“. Foto: dffb

Ein Film, der polarisieren wird, ist „Hagazussa“ von Lukas Feigelfeld. Er erzählt vom kargen Leben einer Frau im 15. Jahrhundert, die allein in einer Hütte lebt, gemieden/gefürchtet von der bigotten Dorfgemeinschaft, und langsam den Verstand zu verlieren droht. Feigelfeld erzählt das über weite Strecken wortlos, oft in langen Einstellungen, mit archaischen Naturbildern und einigen drastischen Momenten. Die wird sicher nicht jeder Kinogänger goutieren, aber „Hagazussa“ ist ein höchst eigenwilliger, sehr selbstbewusster Film.

 

 

Filmfestival Max Ophüls Preis Saarbrücken Michael Bully Herbig Death is so permanent

Ein Gastauftritt von Michael „Bully“ Herbig in „Death is so permanent“. Foto: Gemutfilm

Im Wettbewerb des mittellangen Films finden sich einige Perlen: etwa der gewitzte Halbstünder „Death is so permanent“ von Moritz S. Binder, der mit leichter Hand Meta-Ebenen stapelt. Ein Filmstudent will eine Kindheitserinnerung seines Vaters verfilmen. Aber wie? Hollywoodesk? Oder Guido-knoppig? Oder im Duktus einer Betroffenheits-Doku? Und wie verlässlich sind Erinnerungen überhaupt?

 

 

Filmfestival Max Ophüls Preis Saarbrücken Everyday

Ein etwas peinliches Wartezimmer in „Everyday“. Foto: Internationale Filmschule Köln

Ganz anders und ebenso sehenswert ist Lutz Rödigs Trostlosigkeits-Schleife „Everyday“, die Szenen des banalen menschlichen Lebens aneinanderreiht – unter anderem hängen drei Penisse beim Junggesellenabschied im Bild. Da baumelt, trotz allem, auch Komik.

 

 

Filmfestival Max Ophüls Preis Saarbrücken Endling Schaad

Bernd Grawert als Bergmann, dessen Zeche schließt, in „Endling“. Foto: Donndorffilm

Unter anderem im Erlebnisbergwerk Velsen entstand Alex Schaads „Endling“ über einen Bergmann, dessen Zeche schließt. Doch die erzwungene Frührente „muss ich nicht haben“, sagt er und plant einen besonderen Abgang. Ein melancholischer Film mit Atmosphäre und einer schönen Liebesszene ganz in Blau.

 

 

Filmfestival Max Ophüls Preis Saarbrücken Carl Achleitner (l.) und Rasmus Luthander in "Entschuldigung, ich suche den Tischtennisraum und meine Freundin". Foto: Filmakademie Wien

Carl Achleitner (l.) und Rasmus Luthander in „Entschuldigung, ich suche den Tischtennisraum und meine Freundin“. Foto: Filmakademie Wien

Beim Kurzfilm ist etwa das Werk mit dem schönen Titel „Entschuldigung, ich suche den Tischtennisraum und meine Freundin“ von Bernhard Wenger zu empfehlen: Es beschreibt das ziellose und luxuriöse Abhängen eines jungen Schweden in einem österreichischen Hotel. Eine entspannte und witzige Sinnsuche, die nebenbei das Wohlleben feiert.

 

 

Filmfestival Max Ophüls Preis Saarbrücken Ego Jeanette Hain

Jeannette hain in „Ego“. Foto: Finyl

Vom Tod erzählt Lukas Baiers Ein-Personen-(plus Hund)-Stück „Ego“: Eine Frau im Wald, verletzt und eingeklemmt in ihrem Auto – der Schnee rieselt, es wird kalt und dunkel. Viel Spannung auf minimalem Raum gelingt diesem Film, der mit einer bitteren Pointe schließt. Manche Entscheidungen, das lernt man hier, muss man sich eben reiflich überlegen.

 

Karten und Kataloge gibt es am 13. Januar ab 14 Uhr im Ex-C&A-Gebäude bei der „Blauen Stunde“ (geöffnet ab 10.30 Uhr).

http://www.max-ophuels-preis.de

„Club Europa“ von Franziska Hoenisch – am 27. Juli im ZDF

Club Europa von Franziska Hoenisch

Die Regisseurin Franziska M. Hoenisch. Foto: Thomas Georg

Über eine bessere Welt philosophieren, möglicherweise beim Rotwein an einem gemütlichen WG-Küchentisch, das ist eine Sache. Die andere ist das tatsächliche Engagement, mit Mühe, möglicherweise mit Risiko. Wo zieht man für sich die Grenze? Wie weit geht man – und wie schnell zieht man sich wieder zurück ins geschützte Schneckenhaus des letztlich nicht Betroffenen? Um diese Fragen dreht sich der Film „Club Europa“. Franziska Margarete Hoenisch hat den Film inszeniert, der von einer WG in Kreuzberg erzählt: Martha, Yasmin und Jamie nehmen den Flüchtling Samuel aus Kamerun auf – sie wollen „etwas Gutes tun“, vielleicht auch ihr Gewissen erleichtern, da ihnen nur zu bewusst ist, wie privilegiert ihr sorgenfreies Leben dahinschnurrt. Groß ist die gegenseitige Neugier, und schnell entwickelt sich freundschaftliche Bande, die Integrationswelt scheint in Ordnung. Doch dann wird Samuels Asylantrag abgelehnt. Was tun? Ihn illegal in der WG wohnen lassen, auch wenn das juristische Konsequenzen für alle haben kann – etwa für die Lehramtsstudentin Yasmin, die sich so den Weg in den Staatsdienst verbauen würde? Die Diskussionen untereinander beginnen und führen zu einem Ende, das schlüssig, beiläufig grausam und zwingend ist.

„Helfen macht keinen Spaß“

Drei Jahre insgesamt hat Hoenisch an dem Film gearbeitet, dessen Stoff sich während der Recherche immer wieder verändert hat. „Wir wollten anfangs eine erfolgreiche Integrationsgeschichte erzählen“, sagt Hoenisch. Doch bei der Recherche lernte sie eine junge Frau kennen, die selber einen Flüchtling aufgenommen hatte und zu ihr einen Satz sagte, der das ganze Konzept umwarf: „Helfen macht keinen Spaß, wenn immer jemand da ist, der einem vor Augen führt, wie gut es einem selbst geht und wie schlecht dem anderen.“ Für Hoenisch war das der Wendepunkt bei der Recherche: „Wir wussten, dass wir diesen Satz nicht ignorieren können, sonst erzählen wir keine authentische Geschichte mehr. Wir mussten uns selbst mehr ans Leder, mussten überlegen, wie weit man zu gehen bereit ist, bevor es unbequem wird.“

 

Hoenischs Abschlussfilm im Fach Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg, gedreht in einem Haus in Potsdam, fängt meisterlich die klassische Stimmung des an sein natürliches Ende kommendes WG-Lebens ein: Man hat noch Zeit zum Philosophieren und Pläne schmieden, aber der klassische Ernst des Lebens (Arbeit finden, behalten und sicher in die Rente kommen) lauert schon im Treppenhaus. „Es prallen Lebensmodelle aufeinander, die alle in sich selbst relativ bieder sind. Letztendlich sind alle mit sich selbst beschäftigt.“ Anfangs hatte Hoenisch die Sorge, dass die Figur der Lehrerin, die sich am klarsten gegen die illegale Hilfe ausspricht, „der Sündenbock wird, die Spießerin – aber eigentlich hat sie die konsequenteste Argumentationslinie.“
Die eigene Generation hält die Hoenisch für unpolitisch – ein Vorwurf, den man sonst eher von Älteren hört. Die 32-Jährige, in Zweibrücken geboren, lebt in Berlin-Kreuzberg, wo „alle über Politik reden und sich jeder über Trump beklagt – aber ich erlebe, zumindest in meinem Umfeld, wenig direktes politisches Engagement, aber viel Beschäftigung mit sich selbst. Was esse ich, wo kaufe ich gesund ein – das ist eine Art Öko-Fairtrade-Welle. Es geht wenig über den eigenen Radius hinaus.“

Club Europa von Franziska Hoenisch

Yasmin (Maryam Zaree) und Samuel (Richard Fouofié Djimeli) – im Hintergrund Martha (Sylvaine Faligant). Foto: Filmakademie Baden-Württemberg

Eine Stärke des preisgekrönten Films (unter anderem beim Ophüls-Festival) ist, dass er sich nicht über seine Figuren erhebt, deren Argumentationen nachvollziehbar bleiben. „Der Zuschauer kann sich nicht distanzieren, darum ging es uns. Man soll sich fragen: Was ist meine eigene Position?“ Um die Figuren so plastisch und nachvollziehbar zu machen, wodurch der Film auch der Gefahr der Thesenhaftigkeit entgeht, hat Hoenisch lange mit den sehr guten Darstellern gearbeitet, zwei Wochen lang vor dem Dreh geprobt (beim Film eher ein Luxus) und die Dialoge als Improvisation erarbeitet – es gab keine aufgeschriebenen Sätze. Aufwändig war auch die Recherche der juristischen Details, „regelmäßig hat sich die Gesetzeslage verändert, das Dublin II-Abkommen wurde zu Dublin III, wir haben uns immer wieder mit Anwälten getroffen, um das Ganze abzuklopfen.“
Hoenisch hat ihren Film oft mit dem Publikum diskutiert, das sich gegen das Ende, wie sie sagt, „überraschend selten aufbäumt. Manche Zuschauer erwarten von mir eine Antwort, was denn die Lösung wäre. Aber in letzter Konsequenz weiß ich sie ja auch nicht.“ Wichtig für Hoenisch ist, dass man nicht „in einem politisch-korrekten Rahmen ein wenig über Politik redet, sondern sich fragt: In was für einer Welt wollen wir leben? Wie weit wollen wir uns einsetzen? Die einzige Macht, die wir haben, ist das Engagement des Einzelnen. Dessen müssen wir uns bewusst werden – und das ist vielleicht die Botschaft des Films.“

 

27.  Juli, 23 Uhr, ZDF

 

 

Informationen:

http://www.club-europa-der-film.de

https://www.arbeitskammer.de/aktuelles/aktionen-und-kooperationen/ak-filmtage-2017-mit-kritischem-blick.html

 

 

 

 

So soll das Saarbrücker Filmhaus wiederbelebt werden

 

„Das Team des Filmhauses bedankt sich bei allen treuen Besuchern in den letzten Jahren und wünscht dem kommunalen Filmprogramm eine lange Zukunft.“

So lapidar, fast versteckt auf Seite 11 des April-Programmhefts, liest sich das Ende des Saarbrücker kommunalen Kinos in seiner gewohnten Form. Zurzeit ist das Kino in der Mainzer Straße geschlossen, abgesehen von zwei Sonderveranstaltungen über US-Fernsehen (23. Mai und 6. Juni). Am 8. Juni soll es wieder öffnen – mit anderer Struktur und neuer Leitung. Es ist die Folge des konstanten Besucherschwunds in den vergangenen Jahren; Filmhaus-Leiter Michael Jurich, seit Februar 2010 im Amt, geriet in die Kritik: nicht wegen seines anspruchsvollen Programms, eher wegen der dürren Außenwirkung und -darstellung des Kinos. Das Filmhaus war in der Saarbrücker Kinolandschaft an den Rand geraten. Spekuliert wurde da viel: Zieht das Filmhaus in zwei Säle der Camera Zwo? Fusioniert es mit dem Kino Achteinhalb? Kommt eine Privatinitiative zum Zuge, die sich als Filmhausbetreiber angeboten hat?

 

Im Januar verkündete Saarbrückens Kulturdezernent Thomas Brück (Grüne) seine Pläne, das Filmhaus a) lebendiger und b) billiger zu machen. Sein Konzept: Auflösung des personalintensiven Amts für kommunale Filmarbeit, Versetzung von Michael Jurich ins Stadtarchiv und ein Vertrag mit Michael Krane, dem Leiter des Saarbrücker Kinos Camera Zwo. Der soll sich um das Programm in dem einen verbleibenden großen Kinosaal kümmern. Christel Drawer, ehemals Leiterin des Ophüls-Festivals (1993-2002), zieht mit dem Wissenschaftsbereich des Kulturamtes, dem künftigen Filmhaus-Träger, in die Mainzer Straße und soll dort Veranstaltungen und Kooperationen organisieren.
Noch vage waren diese Pläne im Januar. Zudem stolperten sie über den Umstand, dass man die Kinoprogrammleitung hätte ausschreiben müssen. Das hat die Stadt nun nachgeholt, die Frist ist abgelaufen und Brücks Konzept konkreter; der Stadtrat wird am 23. Mai darüber abstimmen.

Michael Krane soll den Kinosaal bespielen

Zwei Bewerbungen sind laut Brück eingegangen, nur eine mit einem konkreten und in der Ausschreibung verlangten Preisangebot – von Michael Krane. Der erfahrene Kinomann soll nun laut Brücks Plan einen Dienstleistervertrag mit der Stadt unterschreiben, der ab dem 1. Juni für vier Jahre läuft. Krane ist mit eigenem Personal für den kompletten Kinobetrieb verantwortlich: Programmauswahl (Brück: „in enger Abstimmung mit dem Kulturamt“), Bestellen der Filme, Vorführung, Verwaltung, technische Wartung und Gastronomie an der Filmhaus-Theke. Dafür sichert ihm die Landeshauptstadt eine monatliche Pauschale zu. Deren Höhe hatte Lothar Schnitzler, kulturpolitischer Sprecher der Linken im Stadtrat, der dieses Konstrukt als „Privatisierung von Gewinnen“ kritisiert, bei einer Diskussion ums Filmhaus mit 7000 Euro beziffert. Nach SZ-Informationen sind es 6000 Euro. Die Einnahmen gehen ebenfalls an Krane, der im Gegenzug die Filmmieten und den Versand der Filme bezahlt, dazu für das zweimonatige Programmheft, einen wöchentlichen Flyer, Werbung und den Internet-Auftritt verantwortlich ist. Brück: „Das ist die Aufwendung wert.“

Stellenverschiebungen und Kündigungen

Sozialverträglich? So „sozialverträglich“ wie im Januar angekündigt, gerät dieser Umbau allerdings nicht: Zwar sind die Filmhaus-Festangestellten (die Amtsleiterstelle, eine ganze und zwei halbe Stellen) innerhalb der Stadtverwaltung auf andere Posten versetzt worden; aber vier „geringfügig Beschäftigten“, die von den Plänen im Januar, wie man hört, sehr überrascht waren, wurde zum 1. Mai gekündigt.

Einsparungen: Durch die Stellenverschiebung – und die Kündigungen – reduzieren sich die Personalkosten im Filmhaus laut Stadt um jährlich 160 000 Euro. Hinzu kommen 20 000 Euro, die durch die Neuorganisation, etwa durch Kranes Verantwortung für Technik, Wartung und Werbung, aus dem „Sach-Etat“ gespart werden.

Blamabel: Die lange angestrebte Barrierefreiheit kommt 2017 nicht mehr. Geplant ist laut Brück der Umbau des Lastenaufzugs im Treppenhaus zu einem Personenaufzug; für die Finanzierung aber sei „ein dickes Brett zu bohren“. Denn eine frühere Studie, nach der der Umbau 60 000 Euro koste, habe sich als allzu optimistisch erwiesen – er koste das Vielfache, „das können wir alleine nicht stemmen“. Die Stadt müht sich um Fördergelder, 2018 soll das Haus barrierefrei sein, endlich.

 

Der „Schauplatz“ wird umgebaut, die „Galerie“ ans Ophüls-Festival abgegeben

Die gerade laufenden Umbauarbeiten sind kleinerer Natur: Im großen Saal wird ein Teil der Bestuhlung ersetzt, im kleinen „Schauplatz“ wird sie teilweise abgebaut: Er soll vor allem als Kleinkunst-Raum oder für Lesungen genutzt werden. Auch das Entrée des Kinos zur Straße hin soll freundlicher gestaltet werden, kündigt Brück an, die Fahrradständer werden wohl verlegt, die Schaukästen reduziert. Die eigentlich kinountaugliche „Galerie“ wird in die städtische Ophüls-Gesellschaft übergehen und dem Festival als Bürofläche dienen. Der Innenhof soll sich der Gastronomie öffnen. Das Lokal „Baker Street“ bewirtet dort schon, Brück kann sich auch eine Terrasse vorstellen. Da sei man laut Brück „in intensiven Gesprächen“ (eine Formulierung, die er oft benutzt). Dass diese Gastronomie sozusagen vor der Nase des Lokals „Zapata“ ist, sorgt Brück nicht, er erwartet „keine großen Widerstände“.
Wenn das Kino am 8. Juni wieder öffnet, laufen hier erst einmal nur Filme. Ab Herbst sollen dann, koordiniert von Christel Drawer, wissenschaftliche Vortragsreihen, Kooperationen mit der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK) und dem Kultusministerium stattfinden. Schriftlich fixiert sei da bisher noch nichts, gibt Brück zu. Aber es gebe „gegenseitiges großes Interesse“.

 

 

 

 

 

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