Das Blau des Kaftans

Saleh Bakri als Halim, Lubna Azabal als Mina.   Foto: Arsenal

 

Die Liebe ist eine Himmelsmacht – und in diesem sehr berührenden Film auch ein Stück Stoff, zumindest symbolisch. Der Kaftan im Laden von Mina und Halim leuchtet strahlend blau, ist eine Auftragsarbeit höchster Schneiderkunst und muss, wie Halim sagt, „der Zeit standhalten“ und seine Besitzer von Generation zu Generation überleben. Das Ehepaar führt eine Schneiderei in der Altstadt von Salé in Marokko, die Zeiten sind schwierig für sie: Die Handwerkskunst Halims wissen immer weniger Kundinnen und Kunden zu schätzen; „niemand merkt den Unterschied zwischen Handarbeit und Nähmaschine“, sagt ihm eine Kundin. Eine andere rät ihm, „einfach schneller zu arbeiten“, denn er gerät mit seinen Aufträgen, die ihre Zeit brauchen, in Rückstand.

„Mehr nicht?“

Das Handwerk lernen will kaum noch jemand, aber mit dem jungen Youssef scheint das Paar einen talentierten Lehrling gefunden zu haben. Der sei „in Ordnung“, sagt Halim. „Mehr nicht?“, fragt Mina – und es ist klar, wie die Frage gemeint ist. Denn sie weiß, was man im Film bei einem Gang Halims ins Dampfbad erfährt: Er ist homosexuell, sucht und findet dort eher Sex als Romantik, schnell und im Verborgenen. Um Liebe geht es da nicht, denn die empfindet er für seine Frau – während sich zwischen ihm und dem neuen Lehrling auch eine Zuneigung entwickelt. Diese Grundkonstellation mag sich etwas konstruiert und platt lesen – der Film selbst ist es nicht. „Das Blau des Kaftans“ ist ein wunderbar intimes Kammerspiel mit vielen Zwischentönen und Schattierungen. Die Dialoge sind knapp, aber vielsagend, die Musik sparsam, jede Geste und jeder Blick zählen in diesem Film, in dem es nicht um homo contra hetero geht, sondern, so schlicht und einfach wie kompliziert, um die Liebe zwischen Menschen.

Haft wegen Homosexualität

Die Ehe von Halim und Mina scheint anfangs erlahmt zu sein, vom Alltag etwas ausgebleicht; doch immer wieder zeigen kleine Momente, wie nahe sich die beiden stehen – unter anderen in einer vielsagenden Szene, in der er sie mit in ein Café nimmt, wo sich ausschließlich Männer vor einem Fernseher tummeln und ein Fußballspiel kommentieren. Der Kellner ignoriert die Frau, Halim bestellt für sie, und irgendwie genießen die beiden, hier zusammen zu sein – sie, die offensichtlich Unerwünschte, und er, der in dieser Männerherde sozusagen unerkannt bleibt. Notgedrungen, drohen in Marokko für Homosexualität doch bis zu drei Jahre Haft.

Der „Tod in Venedig“ und das Leben danach

„Das Blau des Kaftans“ ist der zweite Spielfilm der marokkanischen Autorin und Regisseurin Maryam Touzani. In ihrem Debüt „Adam“ über die Freundschaft zweier Frauen in Casablanca spielte Lubna Azabal eine Hauptrolle wie im „Kaftan“. Erneut bietet sie eine intensive Darstellung: hier als Frau, die durchaus mit Eifersucht auf den neuen Lehrling reagiert, zugleich ihren Mann schützen will und ermuntern, sich nicht derart zurückzuziehen, wie er es tut. Saleh Bakri spielt den Ehemann mit einer stillen Autorität, die doch immer wieder zu bröckeln droht – möglicherweise schämt sich Halim für seine unpersönlichen, wohl lieblosen Sex-Ausflüge im Dampfbad (der Film ist da sehr diskret, mehr als nackte Männerfüße und eine heruntergelassene Unterhose sieht man nicht). Ayoub Messioui spielt den Lehrling, dem schnell klar wird, dass er hier in eine sehr komplexe Beziehung eindringt, als er sich zu Halim hingezogen fühlt. Zumal sich die Situation noch zuspitzt, als Mina ernsthaft erkrankt.

Eine Utopie?

Die Bildsprache des Films ist meisterlich. Die Kamerafrau Virginie Surdej zeigt die Räume in erdigen Farben, aus dem die Stoffe der Schneiderei – vor allem das Blau des Kaftans – immer wieder herausstrahlen. Die Kamera ist nahe an Gesichtern, an nähenden Fingern, an schwitzenden Körpern im Dampfbad. Alles wirkt hier zugleich heimelig wie beengend, der Film verbleibt bis fast zum Ende, bei dem der titelgebende Kaftan eine Rolle spielt, in den Gassen der Altstadt; das nahe Meer können die Figuren nur erschnuppern, wie eine Verheißung auf ein freieres Leben, das den Dreien dann doch zumindest vorübergehend gelingt. Eine Utopie? Wenn ja, dann keine naive – der Film schließt mit einem Bild, das so optimistisch wie melancholisch ist, Freiheit und Unfreiheit zusammenbringt.

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In der Nacht von Donnerstag auf Freitag, 18. auf 19. Juli 2024, ab 0.15 Uhr im WDR.