Film Da kommt noch was

Zbigniew Zamachowski als Ryszard, Ulrike Willenbacher als Helga.

Die meisten Unfälle passieren ja zuhause, heißt es – manchmal auch die symbolischsten, zumindest in diesem sehenswerten Film. Da stürzt Helga, beim Versuch, eine Spinne an der Wohnzimmerdecke zu fangen, vom Schemel, kracht durch ein Holzgitter im Boden und bleibt stecken. Die ganze Nacht lang, bis ihre Putzhilfe sie morgens entdeckt. „Ich bin in ein Loch gefallen, ich komme hier nicht alleine raus“, sagt Helga und meint möglicherweise ihr Leben. Das wirkt zwar wohl geordnet, aber sehr, sehr still – das Lauteste im Haus sind das Rattern und das Röcheln ihrer Kaffeemaschine. Vor zwei Jahren, da war Helga um die 60, hat ihr Mann sie wegen einer anderen Frau, der Arzthelferin des Familiendoktors, verlassen; Helga bleiben eine kartenspielende Runde von Freundinnen (über die Tiefe oder Untiefe der Freundschaft kann man streiten) und Konzertbesuche – wenn sie Pech hat, läuft Zeitgenössisches, das an ihren Nerven sägt.

Eine gewisse Unruhe kommt in diesen Gleichlauf der Dinge, als die bewährte Putzhilfe urlaubt und Ersatz empfiehlt: den Polen Ryszard. Dessen Deutschkenntnisse sind begrenzt, Helgas Polnischkenntnisse sind nicht existent. Die Kommunikation holpert also erstmal, doch im Partykeller mit Anmutung der 1970er und Musik der 1990er kommt man sich erst langsam, dann doch ziemlich rasch näher. Helga und dem verwitweten Ryszard geht es zusammen so gut wie lange nicht mehr – doch wie wird das Umfeld mit snobistischer Attitüde auf den Putzmann/Handwerker aus Polen reagieren?

Douglas Sirk und Loriot

„Da kommt noch was“ ist gleichzeitig Tragikomödie und in gewisser Weise auch Gesellschafts-Gruselfilm; die Geschichte erinnert ebenso an Douglas Sirks alte Melodramen wie „Was der Himmel erlaubt“ (Mittelschichts-Witwe liebt jüngeren Gärtner) wie an Loriots subtiles Aufspießen bürgerlicher Konventionen.

Geschrieben und inszeniert hat das die Kölnerin Mareille Klein, Jahrgang 1979, die man vom Saarbrücker Filmfestival Max Ophüls Preis her kennt: Ihre exzellente Dokumentation „Auf Teufel komm raus“, über das Leben eines aus der Haft entlassen Sexualstraftäters, lief 2011 im Wettbewerb; ein Jahr später gewann Kleins „Gruppenfoto“ den Kurzfilmpreis. Nach „Dinky Sinky“ (2016), ihrem Abschlussfilm an der HFF München, ist „Da kommt noch was“ ihr zweiter Spielfilm.

Sie erzählt eine zarte Liebesgeschichte, aber auch viel von Hierarchien, von sozialem Gefälle, von Macht und Ignoranz. Wenn Helga etwa ihre Putzanweisungen an Ryszard in einem rudimentären Deutsch-Englisch-Gemisch transportiert und mit „Comprende?“ abschließt. Oder wenn im Freundinnenkreis, wo Ryszard als Handwerker sehr beliebt ist, immer von „mein Pole“ gesprochen wird. „Polen sind gute Handwerker“ heißt es da so nett gemeint wie alltagsrassistisch.

Der Höhepunkt dieses Snobismus, vielleicht auch der Höhepunkt des Films sind die Szenen einer Geburtstagsfeier, zu der Helga und Ryszard eingeladen sind. Dort begegnet man ihm mit freundlicher Neugier, aber auch mit einem Blick von oben herab. Ob seiner mäßigen Kenntnisse der deutschen Sprache fragt man ihn in Rustikal-Englisch „Why not learning language?“, bevor die neue Frau von Helgas Ex-Mann ihren Beruf so erklärt: „I’m the Arzthelperin.“

Da weht schon ein wenig Loroit durch das Besserverdiener-Interieur, auch wenn der Film solche Momente nicht betont komödiantisch ausspielt. Sondern er inszeniert sie ganz realistisch und gibt ihnen damit eine gewisse alltägliche Grausamkeit – wie etwa auch bei Ryszards Toilettenputzen unter Helgas strengem und kenntnisreichem Blick.

Graubraune Fliesen, graubraunes Leben

Zu dem Eindruck, dass vieles direkt aus dem Leben gegriffen wirkt, tragen auch die Kulissen bei, die keine sind: Der Film entstand fast ausschließlich in drei Häusern in Ottobrunn bei München, keine 200 Meter voneinander entfernt. Die Innenausstattung, von Kameramann Patrik Orth („Toni Erdmann“) in breiten Kinobildern eingefangen, wirkt komplett unkünstlich – graubraune Fliesen passen vortrefflich zu Helgas aktuellem Leben, das sich langsam verändert.

Gespielt ist das Ganze bis in die Nebenrollen hin famos. Der in seiner polnischen Heimat sehr populäre Darsteller Zbigniew Zamachowski spielt Ryszard als stillen, zurückhaltenden Mann, der in wichtigen Momenten – nicht zuletzt im Partykeller – Initiative ergreift. Im Zentrum des Films steht aber Ulrike Willenbacher; hinter der Spröde ihrer Figur Helga lässt sie immer eine gewisse Sanftheit durchscheinen, sie schwankt zwischen dem Verletztsein durch das Ehe-Ende und einer stoischen Stärke. Die Komik mancher Situationen und vieler Dialoge spielt sie nicht überdeutlich aus, auch wenn vieles auf stille Weise sehr witzig ist: Etwa wenn Helga sich im Baumarkt vor einer vermeintlichen Freundin in die Bäder-Abteilung flüchtet und dort kleinlaut ausharrt, auf der Tonspur untermalt von einer kernigen Baumarkt-Durchsage über die Vorzüge des „Duschsystems Euphoria“.