Film und dieses & jenes, von Tobias Keßler

Schlagwort: Arte

Dunkle Schönheit: Das Album „The Vietnam War“ von Trent Reznor und Atticus Ross

Eine Zweitkarriere nebenbei kann man das nicht mehr nennen. Der Amerikaner Trent Reznor ist Kopf des Bandprojekts Nine Inch Nails und als solcher bekannt für harschen, knirschenden, beklemmenden Industrial-Rock. Doch er hat auch die Filmmusik für sich entdeckt. Mit dem britischen Kollegen Atticus Ross hat er 2010 die Musik zu David Finchers Facebook-Film „The social network“ geschrieben – mehrere Preise gewann ihre Arbeit, darunter einen Oscar. Auch David Finchers folgende Filme „Verblendung“ und „Gone Girl“ (2011 und 2014) untermalte das Duo kongenial.

Nun haben Reznor und Atticus an einer TV-Reihe gearbeitet, der zehnteiligen Kriegs-Dokumentation „The Vietnam War“ (kürzlich bei Arte zu sehen). Dabei gelingt dem Duo das Kunststück, eine Musik zu erschaffen, die die TV-Bilder atmosphärisch verstärkt, aber auch ohne diese eine enorme Wirkung entfacht, einen großen Sog. Auf Doppel-Albumlänge von 90 Minuten skizzieren sie sphärische Klanglandschaften, Rhythmen pulsieren sachte, Keyboards spielen karge Melodien in grauschwarzem Moll, dissonante Töne schleichen sich ein. In seltenen Momenten steigert sich die Musik zu albtraumhaften Eruptionen, um wieder abzuschwellen und in den melancholischen Fluss des Albums zurückzufinden. Keine Musik für den akustischen Hintergrund ist das, aber enervierend sind diese Klänge auch nicht, sondern  voll dunkler Schönheit.

Trent Reznor & Atticus Ross:
The Vietnam War (Universal Music).

Die Doku „Akrobaten unter freiem Himmel“ beim Festival Perspectives

Akrobaten unter freiem Himmel Yoann Bourgeois

Yoann Bourgeois bei einem seiner kunstvollen Treppenstürze. Foto: Program33

Ein Mann taumelt auf einer Treppe, stürzt hinab und aus unserem Blickfeld – einen Augenblick später schwebt er traumwandlerisch wieder nach oben, die Füße finden die Stufen, er geht weiter – um gleich wieder zu fallen. Das sind die ersten, aber nicht die einzigen atemberaubenden Bilder aus der Dokumentation „Akrobaten unter freiem Himmel“ von Netty Radvanyi und Nicos Argillet. Der knapp einstündige Film porträtiert vor allem französische Artisten des zeitgenössischen Zirkus – der Treppenstürzer ist Yoann Bourgeois.

Am Montagabend erlebte die Arte-Produktion im Saarbrücker Kino Achteinhalb ihre Premiere – im Rahmen des Festivals Perspectives. Deren Leiterin Sylvie Hamard freut sich über die erste Kooperation mit dem deutsch-französischen Sender, „seit Jahren waren wir im Gespräch, der Film hat jetzt optimal gepasst“. Denn in der Dokumentation (mit einem leider etwas langweiligen Titel) sind einige Künstler zu sehen, die man vom Festival kennt – etwa Camille Boitel, Yoann Bourgeois und auch Alexandre Fray, der gerade mit seiner Compagnie „Un loup pour l’homme“ und der Performance „Rare Birds“ beim Festival zu sehen war – er war bei der Vorstellung dabei, ebenso wie die Regisseurin Radvanyi, die diesen Künstlern „eine Stimme geben“ will, denn „sonst reden die ja weniger“.

Im Film, der sich in Kapitel wie „Schwerkraft“, „Balance“, „Zeit“ und „Zufall“ gliedert, erscheint Fray unter dem Motto „Anziehung“; man sieht ihn mit seinen Kollegen bei Bewegungen und Formationen, die der Schwerkraft ein Schnippchen zu schlagen scheinen und wirken, als gebe es zwischen den Körpern ein blindes Verständnis. Was aber täuscht – hier ist alles Kommunikation, und die ist laut Fray einfach harte Arbeit: „Wenn man stürzt, hat die Kommunikation versagt.“ Tatiana-Mosio Bongonga balanciert 40 Meter über dem Boden des nächtlichen Caen über ein Stahlseil („Der Straßenverkehr ist vielleicht gefährlicher als das“, sagt sie), der Jongleur Jörg Müller sieht als Grundlage seiner Kunst „das Verstehen der Objekte“. Und der gewitzte Performance-Künstler Camille Boitel liefert sich gerne dem Zufall aus, etwa wenn er auf einem Tischchen steht, das unter seinen Hammerschlägen immer wackeliger wird.

Optisch kunstvoll ist der Film, mit manchmal magischen Bildern in der Natur im Sonnen- und Gegenlicht, mit Zeitlupen-Aufnahmen, die die urwüchsige Schönheit der Bewegungen betonen – eine Liebeserklärung an die neue Zirkus-Kunst.

Termin: 23. Juli, 17:30 Uhr, Arte.

Akrobaten unter freiem Himmel

Bei der Vorstellung des Films im Kino Achteinhalb (v.l.): Akrobat Alexandre Fray, Regisseurin Netty Radvanyi, Festivalleiterin Sylvie Hamard und Waldemar Spallek vom Achteinhalb. Foto: tok

So lebt es sich einfach schöner: Design auf DVD

Design

 

Ohne Design wäre das Leben weniger schön (oder noch hässlicher). Dieser Erkenntnis widmete der Sender Arte eine Reihe in zwölf Teilen, die als Doppel-DVD „Design 1 + 2“ (Absolut Medien) scheint. Die halbstündigen Episoden beleuchten herausragende Objekte des 20. Jahrhunderts, die in unserem kollektiven Gedächtnis einen Platz gefunden haben – und in unseren Garagen, Küchen, Schreibmäppchen und Abstellkammern. Dort zum Beispiel revolutionierte der Hoover-Staubsauger „One-Fifty“ die Ästhetik der Hausarbeit. Dank Schiebegestänge mit locker hängendem Säckchen war Staubsaugen selten eleganter. Die DS von Citroen machte das Autofahren, zuvor lediglich Transport von A nach B, zur sinnlichen Fortbewegung. Die mittlerweile ausgemusterte Concorde war nicht nur doppelt so schnell wie der Schall, sondern auch dreimal so schön wie die fliegende Konkurrenz.
Wer dieser flüchtigen Technik misstraute, konnte es in den 50er Jahren bodennäher und ruhiger angehen lassen: auf einem Ledersessel mit integriertem Fußbänkchen, der sich neudeutsch „Lounge Chair“ nannte.

 

Design

All diese Objekte beschreiben die Regisseure Anna-Celia Kendall, Danielle Schirman und Heinz Peter Schwerfel mit ironischem Schwung und launigen Exkursen in die Kulturgeschichte des Menschen. Dank der DVD wird man seine Wohnung mit anderen Augen sehen – und, je nach Interieur, entweder stolz auf sie sein oder sich eine neue Einrichtung kaufen wollen.

Erschienen bei AbsolutMedien, dort gibt es auch weitere Design-Epsoden.

 

 

Design

Fotos: AbsolutMedien

Regisseur Jochen Alexander Freydank über „Der Bau“

kafkas der bau

Der Regisseur Jochen Freydank, aufgenommen am 21.01.2015 beim 36. Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken.
Foto: Oliver Dietze

„Den Film muss nicht jeder mögen. Aber ich musste ihn einfach machen“, sagt Jochen Alexander Freydank. „Der Bau“ ist ein schwerer Brocken – und ein Herzensprojekt für den Regisseur, Autor und Produzenten. Mit 16, 17 hatte er Kafkas Erzählung „Der Bau“ gelesen, die ihn nie los ließ, und die er lange in ein Drehbuch umzuformen versuchte. „Vor zehn Jahren hatte ich endlich eine Fassung, bei der ich glaubte, den Stoff geknackt zu haben.“ Aus dem dachsartigen Tier bei Kafka wird bei ihm ein Mensch, das Thema bleibt: Rückzug, Angst, Isolation.

Kein Stoff für eine Sommerkomödie – entsprechend mühselig war die Finanzierung, bei der Freydank auch sein Oscar von 2009 für den Kurzfilm „Spielzeugland“ nicht entscheidend weiterhalf. „Es ist eben ein ungewöhnliches Projekt – und mein Entschluss, viel von Kafkas Sprache mithineinzunehmen, hat die Sache nicht einfacher gemacht.“

Nach Jahren hatte Freydank, der 2010 den SR-Tatort „Heimatfront“ inszenierte, das Budget zusammen, nachdem zuletzt noch das Saarland als Unterstützer und der SR als Ko-Produzent mit einstiegen. Um die 750 000 Euro hat der Film nun gekostet. „Ein Fernsehspiel kostet das Doppelte“, sagt Freydank, der hier gegen die klassische Kino-Regel verstieß, nie das eigene Geld zu investieren: In die letzte Lücke hat er „sein Erspartes rinjesteckt“, sagt der Berliner. „Darum habe ich mich nicht gerissen, aber jetzt denke ich nicht mehr darüber nach – es musste sein.“

Vor genau vier Jahren begannen die Dreharbeiten auf dem Gelände der Industriekultur Saar in Göttelborn, wo der Film fast vollständig entstand, abgesehen von einem Tag in Luxemburg und einem Ausflug in die Völklinger Hütte. „Irre kalt war es“, sagt Freydank, „es gab keinen Moment mit Sonnenschein“. Erfreulicher war die Logistik: „Im Umkreis von einem Kilometer hatten wir 20 Drehorte, zum Teil natürlich, zum Teil gebaut. Normalerweise geht ein Drittel der Drehzeit ja für den Umzug von Ort A nach B drauf – da haben wir viel Zeit gespart.“

Die Hauptrolle des Films spielt Axel Prahl, der jene überraschen wird, die ihn vor allem aus dem Münsteraner „Tatort“ kennen – man begleitet Prahl, in jeder Einstellung zu sehen, beim Abgleiten in die Paranoia, beim Zusammenbruch, beim Mord. „Er spielt ja sonst anderes, aber ich wusste, dass er das kann“, sagt Freydank, „er hat schnell zugesagt, meinte aber selbst , dass das ein harter Brocken ist, Kafkas Sprache ist ja nicht ohne“. Auch Josef Hader als Hausmeister war schnell dabei – solche Zusagen seien Glücksmomente gewesen in einer Planungsphase mit „dunklen Momenten, auch wenn ich jetzt keine Sekunde bereue“.

1.2.,  23.35 Uhr, Arte.

 

kafkas der bau

Franz (Axel Prahl) in seinem Bau. © Mephisto Film/Manuela Meyer/Foto: SR

„The Immigrant“ von James Gray – TV-Premiere am 14. 12. bei Arte

Immigrant james Gray Marion Cotillard

James Grays Film „The Immigrant“ hätte die Kinoleinwand verdient gehabt – in Deutschland erschien der Film direkt auf DVD, jetzt erlebt er seine TV-Premiere. Er erzählt vom Leidensweg einer jungen Polin, die im New York des Jahres 1921 zu überleben versucht.

Ein trügerisches Bild des Willkommens: Die Freiheitsstatue ragt in den Himmel, aber sie wirkt im Nebel nur schemenhaft – und ist auch noch von hinten zu sehen. Der amerikanische Traum scheint in Sichtweite und dennoch weit entfernt im ersten Moment des Films „The Immigrant“. Die junge Polin Ewa (Marion Cotillard) kommt 1921 in New York an, auf der Suche nach einem besseren Leben. Doch ihre mitreisende Schwester wird wegen Verdachts auf Lungenentzündung gleich in Quarantäne behalten, man droht ihr, sie zurückzuschicken – auch Ewa, denn der Einwanderungsbehörde kommen Gerüchte zu Ohren, sie habe sich auf der Überfahrt von Europa als Frau „von niederer Moral“ erwiesen. Vor der Abschiebung bewahrt sie nur der mysteriöse Bruno Weiss (Joaquin Phoenix), der seine Kontakte spielen lässt, Bestechungsgeld zahlt und Ewa von der Hafeninsel Ellis Island mit in die Stadt nimmt. Der scheinbare Menschenfreund hat ganz andere Motive – dass er für ein Theater attraktive Tänzerinnen anwirbt, ist nur die halbe Wahrheit.

Der amerikanische Regisseur und Autor James Gray, Jahrgang 1969, ist so etwas wie ein Heimatfilmer: Seine Werke „Little Odessa“ (1994), „The Yards – Im Hinterhof der Macht“ (2000) und „Helden der Nacht“ (2007) erzählen von Familienstrukturen, von Polizei und Gewerkschaften, aber immer auch von Grays Geburtsstadt New York, vom Leben dort und der (meist düsteren) Atmosphäre. Gray, dessen Großeltern aus der Ukraine stammen, schildert nun die Geschichte einer schwierigen Heimatsuche und konzentriert sich dabei ganz auf die Hauptfigur. Man erlebt New York durch Ewas Augen: als Labyrinth schäbiger Hinterhöfe, beengter Wohnungen und karger Behördenzimmer. Kameramann Darius Khondji („Sieben“, „Amour“) findet atmosphärische Bilder, zart getönt in Sepiabraun, aber ohne nostalgische Färbung – das 1921 des Film ist auch bildlich im Hier und Jetzt verankert.
New York ist hier eine Welt der strengen Teilung zwischen Haben und Nichthaben – und es ist eine Männerwelt, in der Ewa nur ihren Körper als Währung einsetzen kann. Bruno macht sie zur Prostituierten, und Ewa wehrt sich nicht, weil sie für sich und vor allem ihre Schwester zu allem bereit ist. Gray macht daraus kein Rührstück – er zeigt einfach, wie sich eine Person einer katastrophalen Situation stellt und dabei enorme Stärke beweist. Die Figuren sind vielschichtig: Marion Cotillard spielt Ewa anrührend, zelebriert aber keine Leidens-Leistungsschau. Joaquin Phoenix spielt einen Zuhälter, der sich langsam in Ewa verliebt, vor allem wohl in ihre Integrität, die ihm so fern ist – am Ende scheint Bruno in Selbsthass zu köcheln. Ein Varieté-Magier (Jeremy Renner) scheint eine Ausflucht aus Ewas Misere zu sein, aber der Film macht es sich nicht so simpel, einfach einen besseren Mann als Rettung anzubieten.

Mittwoch, 14.12., 20.15 Uhr, Arte.
Auf DVD ist der Film bei Universum erschienen.
Die Fotos stammen von Arte France/Wildside.

 

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