Kino ausverkauft
Das Interesse ist groß – das Achteinhalb ist ausverkauft, zusätzliche Stühle werden aufgeklappt, und die Raumtemperatur ist nach dem Film deutlich tropischer als die in den Pariser Salons, durch die Jeremy Irons als melancholisch umflorter Feingeist und Lebemann wandelt. Inhaltlich sehr grob zusammengefasst, verfällt er der schönen Odette de Crécy (Ornella Muti), während die Pariser Gesellschaft ob dieser Affäre die Nase rümpft – denn Odette hat eine Vergangenheit mit dem Aroma der Prostitution. Ein Film der wunderbaren Sprache Prousts und der atmosphärischen Bildsprache von Ingmar-Bergman-Kameramann Sven Nykvist, zwischen Tragikomödie, bissigem Gesellschaftsporträt und persönlicher Sinnsuche.
Schlöndorffs Tochter hält den Film nicht durch
„Es ist eigenartig, diesen 40 Jahre alten Film noch einmal zu sehen“, sagt Schlöndorff, 84, nach der Vorstellung im Gespräch mit Oster-Stierle und Waldemar Spallek vom Achteinhalb. Ganz bewusst habe er sich damals für einen langsamen Erzählrhythmus entschieden, um Proust nahezukommen. „Aber das hat mit den Sehgewohnheiten von heute und den schnellen Schnitten gar nichts tun. Meine 30-jährige Tochter sagte mir neulich, sie würde den Film nicht durchhalten.“
Schlöndorff hat „Eine Liebe von Swann“, Teil des siebenteiligen Romans „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, erstmals mit 16 gelesen, in der Bretagne, als sein „halbes Leben in Frankreich“ begann. „Das war für mich wie eine Einführung ins Reich der Liebe und der Eifersucht.“ Von beidem habe er damals nicht viel gewusst, „aber ich habe viel nachgeholt. Mit Mitte 40, als ich den Film drehte, wusste ich, worum es geht.“
Zu dem Projekt kam er schnell und halb zufällig: Ein Freund, der renommierte Drehbuchautor Jean-Claude Carrière, der für Schlöndorff unter anderem „Die Blechtrommel“ schrieb, arbeitete an einer Proust-Adaption für den britischen Regisseur Peter Brook. Der sagte wegen Terminschwierigkeiten ab, dennoch habe man die Adaption wegen ablaufender Verfilmungsrechte zügig drehen müssen. „Ich mach das sofort!“, bekundete Schlöndorff und machte sich an die Arbeit; unter anderem mit der Besetzung der Rolle eines charismatischen Barons mit Alain Delon – für sein Talent ebenso legendär wie für seine kontroversen Äußerungen (etwa seine beteuerte Männerfreundschaft zum Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen) und seinen zerstörerischen Umgang mit Regisseuren, denen er nicht vertraut.
„Delon zu besetzen war eine Provokation“, sagt Schlöndorff, der ihn aus seiner Zeit als Regie-Assistent von Jean-Pierre Melville kannte, der mit Delon den Krimiklassiker „Le Samourai“ drehte (dämlicher deutscher Titel: „Der eiskalte Engel“). Schlöndorff habe jemanden „mit einer besonderen Ausstrahlung und einer Arroganz gebraucht, die fast unglaublich wirkt“, sagt Schlöndorff – und die habe Delon besessen. „Arroganz ist Delons zweiter Vorname.“
Der Brite Jeremy Irons habe seine Rolle sogar in Französisch gespielt, dennoch habe er synchronisiert werden müssen, „sein englischer Akzent wäre schwer zu erklären gewesen“. Sehr glücklich war Schlöndorff auch mit der Besetzung Odettes durch Ornella Muti, die damals „sehr populär war als italienischer Busenstar“, den man nicht unbedingt in einem Proust-Film erwartet habe; sie sei dann doch genau die Richtige gewesen.
„Vernichtend!“
Bei der damaligen Reaktion der Kritik auf den Film hält der Regisseur nicht hinterm Berg: „Vernichtend!“ Ob das auch damit zu tun gehabt habe, fragt Oster-Stierle, dass er sich als Deutscher am französischen Klassiker Proust versucht habe? Schlöndorff glaubt das nicht. „Viele Leute haben Proust für sich gepachtet“, da hätte es jede Adaption sehr schwer gehabt, egal von wem. Kein Wunder, dass ihn viele Kollegen und Freunde vorher gewarnt hätten, zum Beispiel Filmemacher Bertrand Tavernier, einst Schlöndorffs Klassenkamerad am Gymnasium in Paris.
Wie gut, dass der Film mit seinem ruhigen Erzählfluss und der Musik von Neutöner Hans Werner Henze heute frisch und modern wirkt. Auch der Französin im Publikum, die einst zu Tode gelangweilt war, gefällt der Film heute viel besser als vor 40 Jahren. „Das ist der Vorteil von historischen Filmen“, sagt Schlöndorff, „weil sie nie zeitgemäß waren, altern sie gut.“
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