Über Film und dieses & jenes

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Interview mit Autor Emanuel Bergmann: „Gary Oldman ist wirklich ein Schatz“

Schriftsteller Emanuel Bergmann, Foto: Joël Hunn / Diogenes Verlag

Schriftsteller Emanuel Bergmann. Foto: Joël Hunn / Diogenes Verlag

Seine Jugend verbrachte Emanuel Bergmann in Saarbrücken, nach dem Abitur ging er nach Los Angeles, arbeitete für Filmstudios und Produktionsfirmen, studierte Journalismus und schrieb lange für das Magazin „Widescreen“. Sein Romandebüt „Der Trick“ wurde ein Bestseller, jetzt kommt er mit „Tahara“ nach Saarbrücken. Der bittersüße Roman erzählt vom Filmkritiker Marcel Klein, dessen Welt bei den Festspielen in Cannes chaotisch wird: durch eine Romanze und durch ein Star-Interview, bei dem der Kritiker beim Schreiben etwas nachhilft – was einen Skandal auslöst.

 

Sie sind in Saarbrücken aufgewachsen – was waren damals Ihre drei liebsten Plätze?​

BERGMANN Mein Lieblingsort: Der Parkplatz vom Bauhaus an der Dudweiler Landstraße. Da habe ich als Kind immer Skateboardfahren geübt. Ansonsten war ich oft in der Karstadt-Passage – so hieß das damals. Und natürlich auch am St. Johanner Markt und am Staden.​

Und was hat Ihnen damals in der Stadt gar nicht gefallen?​

BERGMANN Vieles. Schon damals war mir Saarbrücken zu eng, zu klein. Ich hatte immer den Wunsch, wegzugehen. Erst im Nachhinein wurde mir klar, dass Saarbrücken für einen Lausbub wie mich eigentlich der ideale Abenteuerspielplatz war.​

Interview mit Sandra Hüller

Ihre Hauptfigur, ebenfalls in Saarbrücken aufgewachsen, erzählt von glücklichen Kinobesuchen im UT und im Passage-Kino. Waren das damals auch Ihre liebsten Kinos – und was haben Sie sich angeschaut?​

BERGMANN Ich bin ständig ins Passage-Kino gegangen, ins UT und auch ins Gloria, das es damals noch gab. Das war ein riesiger, leicht verfallener Filmpalast, wo ich fast allein im Vorführraum saß und ganz große Kinofilme genießen konnte. Im Passage-Kino liefen im Sommer immer alle möglichen Kultfilme, von Disney bis Hitchcock. Ich habe mir alles angeschaut, was es gab: Action, Horror, Comedy, Science-Fiction…​

In Los Angeles waren Sie unter anderem Botenjunge beim Fox-Studio – wie kann man sich das vorstellen? Ist man da ganz unten in der Nahrungskette?​

BERGMANN Im Gegenteil, ich gehörte überhaupt nicht zur Nahrungskette. Ich bin immer mit einem Golfwagen über das Studiogelände gedüst und habe wichtige Briefe und Pakete an wichtige Leute übergeben. Die haben sich in der Regel immer sehr gefreut, und sie waren eigentlich alle nett zu mir. Egal, ob Sekretärin oder Studiochef – ich wurde immer herzlich empfangen.​

Wie sich Roger Corman seinen „Star Wars“ zusammenbastelte 

Haben Sie wirklich das Drehbuch zu „Titanic“ gelesen, bevor der Film gedreht wurde?​

BERGMANN Ja, das stimmt. Das Drehbuch geisterte durch das Studio, und ich durfte es auch lesen. Ich fand es übrigens doof. Meine Meinung damals: Die Geschichte ist hanebüchen, die Dialoge dämlich, und jeder weiß, dass das Schiff am Ende sinkt. Ein Flop!​

Sie haben 18 Jahre für das Magazin „Widescreen“ geschrieben, bevor es eingestellt wurde. Was waren die besten und die weniger guten Momente?​

BERGMANN Von den besten Momenten gibt es so viele, dass ich sie gar nicht alle aufzählen kann. Für mich war es ein ganz großes Privileg, mit so vielen großen Filmschaffenden sprechen zu dürfen. Ich habe dabei sehr viel über das Geschichtenerzählen gelernt. Zu den schlimmsten Momenten zählen peinliche Interviews, die ich aus irgendwelchen Gründen vergeigt habe. Das ist mir nur selten passiert, aber es war jedes Mal schrecklich.​

Ihre Hauptfigur fingiert ein Interview mit einem Star und macht es interessanter als es real war. Hatten Sie in Ihrer Journalistenzeit auch mal diese Versuchung? Im Roman spricht Klein ja auch davon, „den Deppen bessere Worte in den Mund“ zu legen.​

BERGMANN Manchmal hat es mich verwirrt, wenn die Gesprächspartner eine wunderschöne, naheliegende Antwort partout nicht geben wollten. Klar, ich kann die Versuchung verstehen, ein bisschen nachzubessern, aber es ist wie die Versuchung, eine Bank zu überfallen – sowas gehört sich nicht! Ich kannte mal jemanden, der das gemacht hat. Er hat Zitate gefälscht und ist dann aufgeflogen. Das war Betrug. Aber immerhin war es auch eine Inspiration für meinen Roman.​

Andreas Pflügers Buch „Herzschlagkino“

Ist die Figur des Kritikers im Roman eine Version Ihrer selbst – oder eher ein Gegenentwurf?​

BERGMANN Ein bisschen von beidem. Marcel Klein ist in vielen Dingen besser als ich, aber er ist auch ein Blender, ein Feigling, ein Schmock. Er ist meine Schattenseite.​

Was waren die schlimmsten realen Interview-Sätze, die Sie über die Jahre nicht mehr ertragen konnten?​

BERGMANN Die schlimmsten realen Interview-Sätze möchte ich nicht verraten. Das wäre unfair.​

Wie hatte sich die Arbeit über die 18 Jahre verändert? Sind die Stars immer mediengeschulter und damit weniger originell und offen geworden?​

BERGMANN Jungstars sind immer am schwierigsten. Sie haben zu wenig Erfahrung in dem Job, und vielleicht auch zu wenig Lebenserfahrung. Die alten Hasen kennen das Geschäft, sie nehmen sich nicht so ernst und reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Das macht viel Spaß.​

Wer aus der Filmbranche  hat sie damals am meisten beeindruckt, wer am wenigsten?​

BERGMANN Grundsätzlich gilt: Je größer die Stars, desto angenehmer ist das Gespräch. Am meisten beeindruckt hat mich die Oberliga, also Leute wie James Cameron, Steven Spielberg, Helen Mirren oder auch Ewan McGregor. Das sind souveräne Leute, die Spaß an der Sache haben. Mein Lieblingsinterview war mit Gary Oldman, der ist wirklich ein Schatz.​

Ihr Roman „Der Trick“ war ein Bestseller und wurde in 17 Sprachen übersetzt. Hat man da als Autor ziemlich ausgesorgt? Oder ist das reichlich naiv meinerseits?​

BERGMANN Ausgesorgt habe ich leider keineswegs, aber „Der Trick“ war für mich bei manchen Krisen – beispielsweise Covid – ein echter Segen. Aber jetzt muss es irgendwie weitergehen.​

Haben Sie eine Meinung zu den aktuellen „Tatorten“ aus Saarbrücken?​

BERGMANN Ich habe noch nie einen „Tatort“ bis zum Ende durchgehalten. Ist nicht so meins. Ich verstehe nicht, warum man die Storys nicht spannender und vor allem bildlicher erzählt.​

Emanuel Bergmann: Tahara. Diogenes, 288 Seiten, 25 Euro.

Lesung in Saarbrücken: Freitag, 19. April, 19.30 Uhr, im Saarbrücker Filmhaus.
Karten gibt es bei der Buchhandlung Raueiser, Tel. (06 81) 379 18 30, ticket-regional.de
Das ganze Programm des Festivals: https://erlesen-saarland.de

Comic-Künstler Flix: „Letztendlich ist vieles schlicht Glück“

Flix, fotografiert  von Katharina Pfuhl.

Eine ungewöhnliche Idee war das – und der Beginn einer großen Karriere. In Saarbrücken vor 20 Jahren reicht der Student Felix Görmann seine Diplomarbeit bei der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK) ein: „Held“. Ein Comicband, halb autobiografisch, halb fiktiv. Ein Comic ist damals als Abschlussarbeit an der HBK unerhört, das Diplom bekommt Görmann aber doch.  Mittlerweile (und schon lange) ist der Zeichner und Texter, Jahrgang 1976, bundesweit bekannt als Flix. Er zeichnet für den „Spiegel“, die „Zeit“ und die „FAZ“, hat sich 2010 dem „Faust“ gewidmet, 2016 dem „Münchhausen“, zusammen mit dem saarländischen Kollegen Bernd Kissel. Zum 20. Geburtstag ist nun „Held“ als Gesamtausgabe erschienen – mit den Fortsetzungen „Sag was“ (2004) und Mädchen“ (2006). Wir haben mit Flix gesprochen.​

„Held“ erscheint zum 20. Geburtstag als große Jubiläumsausgabe. Wie kommt‘s?​

FLIX Weil „Held“ für mich ein persönlicher Meilenstein ist, auf mehreren Ebenen. Zum einen war es meine Diplomarbeit an der HBK in Saarbrücken, zum anderen ist es eine Art Autobiografie – zumindest eine halbe, weil die zweite Hälfte ja erfunden ist.​

Damals waren Sie Mitte 20 – wie kamen Sie auf die Idee einer Autobiografie, die Ihr Leben weiterdenkt, bis hin zum Tod im gesetzten Alter?​

FLIX Damals habe ich viele Biografien über Künstlerinnen und Künstler gelesen. Ich hatte dabei immer das Gefühl, dass an deren Lebensende alles einen Sinn ergibt. Dass sich alle Teile zusammenfügen, so wie etwa bei Johnny Cash, der nach Jahren der Krise am Ende noch ein paar tolle Alben aufnahm. Da habe ich mir sehr gewünscht, dass so etwas mal in einem Buch über mich drin stehen würde. Denn damals hat mich die Frage umgetrieben, wie das weitergehen soll mit mir. Ist es überhaupt realistisch, Comiczeichner sein zu wollen? Davon leben zu wollen? Deswegen habe ich mir das Buch selber geschrieben, mit einem relativen Happy End. Das sich jetzt 20 Jahre später anzuschauen und sich zu fragen, was davon stimmt und was nicht, wo ich vielleicht hellsichtiger war als gedacht hat, ist schon interessant für mich.​

 

Wo waren Sie denn hellsichtig?​

FLIX Ich habe zum Beispiel ein wenig vorhergesehen, dass in der Zukunft ein Kühlschrank selbstständig übers Internet Milch nachbestellt, wenn sie knapp wird. Wahr wurde auch, und das ist für mich wichtiger als der Kühlschrank, dass ich als Comiczeichner durchs Leben gehe. Auch wurde mir klar, dass man sich als Person sozusagen noch einmal überarbeiten kann: Wenn mich jemand warnte – „pass auf, wenn Du so weitermachst, geht es Dir wie in ‚Held‘“ – , dann habe ich das sehr ernst genommen. In „Held“ habe ich auch geschrieben, dass ich mal einen Comicstrip in der FAZ haben würde – den ich jetzt tatsächlich habe. Das ist schon irre.​

Comic-Klassiker „Mac Coy“

Also eine Art selbst erfüllende Prophezeiung?​

FLIX Daran glaube ich nicht – aber daran, dass es etwas bringt, Dinge, Ideen, Wünsche zu formulieren. Doch letztendlich ist vieles schlicht Glück. Ich kenne viele Kolleginnen und Kollegen, die sehr talentiert sind, tolle Sachen machen – und unter dem Radar laufen. Und manche werden abgefeiert, und ich frage mich da schon, warum und wieso.​

Sie haben in Saarbrücken studiert. Wie haben Sie die Stadt damals empfunden, als gebürtiger Münsteraner?​

FLIX Großgeworden bin ich ja in Darmstadt, das ähnlich ist wie Saarbrücken – eine Stadt voller Kriegsschäden, die man relativ pragmatisch wieder aufgebaut hat. Ich fand Saarbrücken damals super, gerade weil die Stadt nicht so groß ist. Berlin oder Hamburg hätten mich erstmal überfordert, ich hätte da zu wenig studiert. Saarbrücken bot die große Chance, sich ganz auf die Arbeit zu konzentrieren – die Stadt würde ich jederzeit empfehlen. Für einige Jahre diesen Kosmos Kunsthochschule zu haben, diesen wunderbar geschützten Raum, in dem man experimentieren kann, ohne sich sofort vergleichen zu müssen, ist toll. Raus in die Welt kann man später immer noch.​

Eine Seite aus "Held". Foto: Flix/Carlsen

Eine Seite aus „Held“.      Foto: Flix/Carlsen

Wie war es damals, einen Comic als Diplomarbeit einzureichen?​

FLIX Schwierig war das. Ich hatte schon im Grundstudium versucht, Comics zu machen – da bin bei den Professorinnen und Professoren aber weitgehend gescheitert. Das ist kein persönlicher Vorwurf – zu dieser Zeit war das noch kein geschätztes Medium, selbst nicht in dieser progressiven, aufgeschlossenen Umgebung. Ich bin froh, dass ich mich darüber hinweggesetzt habe und mit ein wenig Trickserei ein Comic als Diplomarbeit eingereicht habe. Später hat die HBK dann sogar den Studiengang „Graphic Novel“ eingerichtet. Wenn man etwas macht, ist es, wie wenn man Steine in einen See wirft – da gibt es Wellen, und die kommen am anderen Ufer an. Das ist eigentlich das Schönste an dieser Diplomarbeit. Sie hat Raum geschaffen. Es gibt ja einige Aktive in Saarbrücken, zum Beispiel Elizabeth Pich und Jonathan Kunz mit ihrem erfolgreichen Comic „War and Peas“. Jonathan hatte mich auch mal, als die HBK ihn noch als Lehrbeauftragten beschäftigt hat, zu einem seiner Hochschul-Comicsymposien eingeladen. Ich nehme an, heute wäre in Saarbrücken ein Comicdiplom eher möglich als früher.​

Comicband „Turing“

Sie teilen sich ein Atelier mit dem Kollegen Marvin Clifford, mit dem Sie auch immer wieder mal arbeiten. Wie teilen sie sich ein – gehen Sie zu klassischen Bürostunden ins Atelier?

FLIX Nein, ich habe zwei Töchter, und der Alltag der Kinder, wann sie weg und wann sie wieder da sind, gibt den Rhythmus vor. Deshalb muss ich immer dann loslegen, wenn ich gerade die Gelegenheit dazu habe.​

Eine Seite aus "Held". Foto: Flix/Carlsen

Eine Seite aus „Held“.    Foto: Flix/Carlsen

 

Wenn Sie „Held“ jetzt, 20 Jahre später, nochmal texten und zeichnen würden – würden Sie anders arbeiten?​

FLIX Natürlich – es wäre ja eine Schande, wenn ich nichts dazugelernt hätte. Diese schöne naive Energie, die man als junger Mensch hat, die habe ich heute natürlich nicht mehr. Insgesamt würde ich „Held“ heute wohl komplizierter machen – aber vielleicht nicht besser.​

„Held“ erzählt auch vom eigenen Tod – sehen Sie dieses Thema jetzt, 20 Jahre später, anders als damals?​

FLIX Ja, schon. Ich bin zwar noch nicht in die erste Reihe gerückt, aber von der dritten in die zweite, von der Enkelgeneration zur Elterngeneration. Da steht einem das Thema näher. Robert Gernhardt hat wunderbare Gedichte über den Tod geschrieben – als er noch jung war. Später, als er todkrank war, hat er das nicht mehr getan. Auch Reinhard Mey und Udo Jürgens haben große Songs über das Sterben geschrieben – als junge Leute, im Alter nicht mehr. Da ist die Scheu wohl größer. So gesehen ist es gut, dass ich das mit dem Tod schon mal erledigt habe.​

Wie hat sich in den 20 Jahren seit „Held“ die Comic-Szene verändert und entwickelt?​

FLIX Damals gab es noch viel mehr Vorurteile über Comics: dass sie vor allem für Menschen da sind, die nicht vernünftig lesen können oder wollen, für etwas simplere Gemüter oder für Kinder, die ja ohnehin gerne unterschätzt werden. Lange wurde nicht begriffen, dass Comic kein Genre ist, sondern ein Medium – wie Film, der ja alles sein kann, von „Paw Patrol“ bis „Oppenheimer“. Man kann auch im Medium Comic alle Themen verhandeln.​

Es gab vor Jahren einen etwas angestrengt wirkenden Versuch, den Begriff „Graphic Novel“ zu etablieren, damit man nicht mehr „Comic“ sagen muss und so möglicherweise die üblichen Vorurteile vermeidet. Hat sich das ausgezahlt?​

FLIX Natürlich ist „Graphic Novel“ ein Label, ein Aktivistenbegriff. Dass der Begriff keine Dauerlösung ist, war damals allen klar. Aber es war der Versuch, den Radius zu erweitern – und das hat funktioniert, er hat Türen geöffnet. Wenn man sich heute das Sortiment in einer breiter aufgestellten Buchhandlung anschaut, dann sieht man im Comicregal einen Riesenunterschied zum Angebot vor 20 Jahren: mehr Themen, mehr Herkunftsländer, viel mehr Nischen.​

Kitschtorte „Flash Gordon“

Sie verweisen auf Frank Millers düstere „Batman“-Neuerfindung „Batman: The Dark Knight Returns“ von 1986 als großen Einfluss – darauf kommt man beim Blick auf Ihre Arbeiten nicht unbedingt.​

FLIX Bei Miller war es so, dass ich durch ihn grundlegend begriffen habe, dass man die Dinge nicht als gegeben hinnehmen muss. Millers „Batman“ war ein großer Umbruch – vom klassischen Heldentum zu eine großen Ernsthaftigkeit, zum Depressiven, zur Wut. Das war für mich vollkommen neu. Mir wurde klar, dass man große Gefühle in Comics packen kann, dass man sich einen eigenen Weg suchen kann, dass man das auch allein hinkriegen kann – Miller ist ja so eine Art Ein-Mann-Armee. Er vermittelte mir vor allem dieses punkige „Das kann ich auch.“​

Miller war aber nicht Ihre erste Comic-Lektüre, oder?​

FLIX Nein, als Kind habe ich viel franko-belgische Comics gelesen, auch weil die leicht zu haben waren – etwa in der Stadtbibliothek in Darmstadt: „Asterix“, „Lucky Luke“, „Clever und Smart“, „Fix und Foxi“, „Zack“, auch Kram wie die „Die Sturmtruppen“. Erst mit 16 hat sich da eine andere Welt aufgetan. Vor der Bushaltestelle an meiner Schule machte ein Laden auf, halb Kinderbuchhandlung, halb Comic-Shop. Ich habe mich dort mit einem Azubi angefreundet, der mich mit allen US-Sachen versorgt hat – eben auch mit Frank Miller.​

„War and Peas“ stellen aus

Wenn Sie auf Ihre ersten 20 Jahre als Comic-Künstler zurückblicken – welche Werke sind Ihnen die wichtigsten?​

FLIX Klar, „Held“ war das erste große Ding und gab mir das Gefühl, dass das mit dem Berufswunsch tatsächlich gelingen kann. Meine „Faust“-Adaption von 2009, damals für die FAZ, ist auch wichtig. Ein Dauerbrenner, der an Schulen gelesen, an Unis besprochen wird. „Faust“ und die Deutschen – das funktioniert. Das nächste wirklich Große war dann „Spirou in Berlin“.​

Die Fortführung von "Spirou". Foto: Flix/Carlsen

Die Fortführung von „Spirou“. Foto: Flix/Carlsen

Da wurden Sie 2018 als erster deutscher Zeichner und Texter gefragt, ob sie einen Band für den frankobelgischen Klassiker „Spirou und Fantasio“ gestalten wollen. Das hätte schief gehen können.​

FLIX Natürlich, die belgischen Rechteinhaber hätten den Band bei Nichtgefallen auch geflissentlich in der Versenkung verschwinden lassen können. Aber er läuft europaweit, bis heute, was man vorher nicht wissen konnte. Der deutsche Botschafter in Brüssel nutzt das Buch ständig als Gastgeschenk, es ist eine schöne Vermittlung: ein deutsches Thema mit einer belgischen Ikone. Was mich besonders freut – gerade habe ich eine Einladung vom belgischen König bekommen, Kulturbotschafter zwischen den Ländern zu sein. Das ist schon cool.​

Es ist also gut gegangen bei Ihnen?​

FLIX Ja, ich sehr dankbar für diese Naivität vor 20 Jahren, zu glauben, dass es irgendwie schon klappen wird. Hätte ich mir die Chancen realistisch ausgerechnet, hätte ich es nicht gemacht. Es hat mir sehr geholfen, nicht weiter darüber nachzudenken.​

Flix: Held. Gesamtausgabe. Carlsen Comics, 368 Seiten, 35 Euro. www.carlsen.de
Kontakt: www.der-flix.de

Neuer Leiter des Saarbrücker Filmhauses: Nils Daniel Peiler

Nils Daniel Peiler, 1988 in Saarbrücken geboren, ist ab 1. März Leiter des Saarbrücker Filmhauses. Foto:  Jessica Rhodes

Seine Wahl könnte durchaus ein Glücksgriff sein. Ab diesem Freitag ist Nils Daniel Peiler neuer Leiter des Saarbrücker Filmhauses und damit Nachfolger von Christel Drawer, ehemals Leiterin des Ophüls-Festivals, die das Kino zuletzt leitete und jetzt in Ruhestand geht. Der promovierte Filmwissenschaftler Peiler kommt nach einigen Jahren als Kurator der Kinemathek Hamburg jetzt in seine Geburtsstadt Saarbrücken zurück – und ins Filmhaus, „wo ich als Kind, Jugendlicher und junger Erwachsener regelmäßig Zuschauer war“, wie er sagt. „Für mich schließt sich gewissermaßen ein Kreis.“​ Saarbrückens Kulturdezernentin Sabine Dengel zeigt sich „sehr froh darüber, dass wir aus einer Vielzahl qualifizierter Bewerbungen jemanden mit großer Expertise auswählen konnten, der darüber hinaus bestens mit der Kinolandschaft Saarbrückens vertraut ist“.​

Promotion über Kubricks „2001“​

Beides ist nicht übertrieben. Peiler studierte Germanistik und Bildwissenschaften der Künste an der Universität Saarbrücken sowie Film- und Medienwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt, der Sorbonne Nouvelle in Paris und der Universität Amsterdam. Promoviert hat er mit einer Arbeit über die Rezeptionsgeschichte von Stanley Kubricks Science-Fiction-Klassiker „2001: Odyssee im Weltraum“ – Peiler war auch einer Kuratoren der exzellenten 2018er-Ausstellung über Kubrick und „2001“ im Deutschen Filmmuseum Frankfurt.​

Ohne cineastische Scheuklappen​

In Saarbrücken hat Peiler, der auch als Lehrbeauftragter gearbeitet hat, Vorträge über Kino hält und journalistisch über Film schreibt, einige denkwürdige Veranstaltungen und Reihen im Kino Achteinhalb organisiert, die ihn als Person ohne cineastische Scheuklappen ausweisen. 2013 organisierte er eine Werkschau über Regisseur Stanley Donen („Singing in the Rain“) und eine viel beachtete komplette Retrospektive zu Filmemacher Wes Anderson („Grand Budapest Hotel“). 2014 zeigte er eine Reihe mit Filmen mit Louis de Funès, 2017 das Gesamtwerk von Jacques Tati – alles begleitet mit Einführungen und Diskussionen. 2018 wagte er im Achteinhalb ein gelungenes Experiment: Er zeigte Kubricks „2001“, kommentierte und erklärte den Film dabei. Im selben Jahr kam er zurück ins Achteinhalb und brachte den Komponisten Christian Bruhn mit, der dort am Klavier unter anderem seine Melodien zu „Wickie“ und „Timm Thaler“ spielte.​

Arbeit im Metropol Kino​

Zu dieser Zeit arbeitete Peiler schon für die Kinemathek Hamburg und deren Metropolis Kino – dort kuratierte er jüngst eine Horst-Buchholz-Reihe, auch gab es zuletzt Veranstaltungen mit Armin Mueller-Stahl und dem Musiker Irmin Schmidt (Can). Von Peiler kann man nun im Filmhaus  einiges erwarten. In diesem „attraktiven Ort mit herausragender Geschichte“ sieht er „großes Potential“.
(Interview folgt)

„Herzschlagkino“ von Andreas Pflüger – „77 Filme fürs Leben“

Andreas Pflüger (66) ist in Saarbrücken aufgewachsen. Nach dem Abbruch eines Theologie- und Philosophiestudiums arbeitete er als Taxifahrer, Möbelverkäufer und Koch, schrieb Hörspiele und viele Drehbücher, darunter 27 „Tatorte“. Sein jüngster Roman ist "Wie Sterben geht". Foto: Stefan Klüter
Andreas Pflüger (66) ist in Saarbrücken aufgewachsen. Nach dem Abbruch eines Theologie- und Philosophiestudiums arbeitete er als Taxifahrer, Möbelverkäufer und Koch, schrieb Hörspiele und viele Drehbücher, darunter 27 „Tatorte“. Sein jüngster Roman ist „Wie Sterben geht“. Foto: Stefan Klüter

 

Der saarländische Autor Andreas Pflüger schreibt über seine 77 liebsten Filme. In dem hinreißenden Band „Herzschlagkino“ erfährt man einiges über die Filme – aber auch viel über Pflüger selbst. Wieso hatte „Alien“ romantische Wirkung? Und wieso rief Götz George bei seinen Eltern an?​

Manchmal ist das so mit dem Kino. Man geht rein – und kommt ein bisschen größer wieder heraus. So war das auch bei Andreas Pflüger. Als ersten Film im Kino schaute er sich in Saarbrücken „Todesgrüße aus Shanghai“ an, ein Epos der stählernen Handkanten und spitzen Schreie von Bruce Lee, den übrigens in der deutschen Fassung Elmar Wepper wunderbar kernig spricht. Pflüger war damals 15, aber nach dem Film „kein Junge mehr, sondern ein brandgefährlicher Kerl; jedenfalls fühlte ich mich so“. Dass er später mal über Jahrzehnte hinweg Drehbücher schreiben würde, konnte er damals nicht wissen. Aber er wusste, so schreibt er es im Vorwort dieses Buchs, was er am Kino liebt: „Wenn der Vorhang aufgeht, will ich überwältigt werden, vom Sound, der Musik, von Bildern zu groß für die Leinwand.“ So sei aus ihm „ein Hollywood-Junkie“ geworden, „fürs gepflegte Kammerspiel bin ich verloren“.​

Kein Polieren unbekannter Perlen​

77 seiner liebsten Filme hat der saarländische Schriftsteller zusammengetragen, die meisten kommen im weitesten Sinne aus Hollywood, eine Handvoll aus Europa – „Diva“ etwa oder „Sommer vorm Balkon“. Pflüger will keine unbekannten Perlen polieren oder mit Geheimtipp-Nischenwissen angeben, die meisten Filme haben Klassiker-Status. Pflüger weiß, dass man bei Kalibern wie „The Shining“, „Das Schweigen der Lämmer“ oder „GoodFellas“ nicht mehr den Inhalt erklären muss – das wäre Ressourcen-Verschwendung.​ Vielmehr geht er die Filme aus anderen Perspektiven an, oft autobiografisch und gerne mit wohligen Abschweifungen; bei „Alien“ etwa geht es nur am Rande um HR Gigers Weltallmonster. Sondern vor allem um Elke, Pflügers damalige Kommilitonin, „mit so einem winzigen schwarzen Dingsbums auf der Wange und einem Lispeln, das mich verrückt machte“. Der galaktische Schrecken beim gemeinsamen Kinobesuch, der ersten Verabredung, führt dazu, dass Elke nicht alleine nach Hause gehen will. Der Rest ist Geschichte. Allerdings eine ziemlich kurze. Nach drei Wochen interessiert Elke sich deutlich stärker für „einen Typen, der einen roten Alfa Spider fuhr und Vergil auf Latein zitierte“.​

Auch Familiäres erfährt man – etwa, bei Pflügers Text zum Film „Shine“, dass seine Eltern nach seinem abgebrochenen Theologie-Studium und dem Wunsch, Autor zu werden, Schlimmstes befürchten, was den Lebensunterhalt angeht. Sie fragen aber lieber nicht mehr nach. Doch als er mal wieder zu Besuch aus Berlin da ist, klingelt beim Sonntagsbraten das Telefon. Die Mutter erbleicht rasant, denn es meldet sich Götz George; er will Pflüger sprechen, wohl wegen eines Drehbuchs. Fortan sorgen sich die Eltern nicht mehr, und der Vater fragt zum ersten Mal: „Erzähl mal, was Du so machst.“​

„Wehwehchen von Autoren mit vierstelligen Auflagen“​

Um Pflügers Arbeit als Autor geht es in den Filmbetrachtungen, ums Handwerk an sich, „das gerne gering geschätzt wird – aber nur von denen, die es nicht beherrschen“. Ein Autor etwa wie John Grisham, dessen Roman „Die Firma“ mit Tom Cruise verfilmt wurde, halte literarischen Stil und Rhythmus offensichtlich für „Wehwehchen von Autoren mit vierstelligen Auflagen“. Aber von seinen Plots könne man viel lernen, da sei Grisham so versiert wie ein „Waschbär beim Eierklauen“. Ebenso bewundert Pflüger an der dunklen Hollywood-Satire „Barton Fink“ der Coen-Brüder, dass in deren Drehbuch „nichts zu viel ist“. Gerade das sei eine besonders schwierige Kunst.​

Ab jetzt keine Drehbücher mehr​

Eine Schreibblockade, wie sie ein Autor in „Wonder Boys“ durchleidet (gespielt von Michael Douglas), erlebte er bisher fünf Mal, man „tut sich selbst leid und hasst die ganze Welt“. Zumindest eine Hürde im Arbeitsleben hat Pflüger aus dem Weg geräumt – die Diskussionen mit Produzentinnen und Produzenten bei Film und Fernsehen. Ein Produzent, unzufrieden mit einer ersten Drehbuchfassung, bat ihn, ihm doch einfach dieses „Pflüger-Feeling“ zu geben. „Das war fünf Minuten bevor ich beschloss, nur noch Romane zu schreiben.“​

Clint der Große​

Clint Eastwood hat es Pflüger bei den 77 Filmen am meisten angetan – sei es als Darsteller, Regisseur oder, meist, beides. Vier Mal taucht er auf, noch vor den Regisseuren Ridley Scott und Stanley Kubrick, dessen „Uhrwerk Orange“ er einst im Saarbrücker „Scala“ sah, der heutigen „Camera Zwo“. Keinen anderen Eastwood-Film hat er öfter gesehen als dessen Regie-Arbeit „Mystic River“, 30 oder 40 Mal – er ist sogar enttäuscht, wenn er ihn im Fernsehen verpasst. Bei Eastwood liebt er den Minimalismus, das ökonomische Erzählen, dieses „Nichts ist zu viel“ wie bei „Barton Fink“ der Coens.​

Kinos in Saarbrücken, Brüssel, Moskau​

Auch in verschiedene Kinos führt uns Pflüger, nicht nur in Saarbrücken, auch nach Paris: Dort lebt er Ende der 1970er für einige Zeit, schaut „Dr. Seltsam“ in einem Programmkino, „in dem es immer nach nassem Hund mit einem Quäntchen Knofi“ riecht und in das man am besten ein Kissen mitbringt, da die Bestuhlung schon kraftvoll durchgesessen ist. „Apocalypse Now“ sieht er auf Interrail-Reise in einem „abgerockten Brüsseler Bahnhofskino“; verstanden habe er den Film erst Jahre später.​ Den Westernklassiker „Die glorreichen Sieben“ schaut er sich 1993 im überheizten Rossija-Kino am Puschkinplatz in Moskau an; der US-Ton läuft im Hintergrund  – und im Vordergrund „ein russisches Voiceover, jede Rolle von derselben Frau gesprochen. Eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte.“ Am Film mag Pflüger alles, auch Darsteller Horst Buchholz. Den lernt er später bei der Berlinale kennen; Buchholz habe einen „spektakulär versifften Flokati-Mantel“ getragen und viel geraucht, „ich glaube, er hat seine Kippen samt Filter gegessen. Ein Lachen wie ein Betonmischer.“ Aber die Buchholzschen Hollywood-Geschichten an diesem Abend klingen für Pflüger ehrlich, „er tat nicht, als hätte sein Stern in der Stadt der Engel hell gestrahlt“. Als Buchholz geht, hinterlässt er einen Geruch nach Mottenkugeln. Das ist schon große Kunst, wie Pflüger hier in einem kleinen Textabsatz einen melancholischen, zugleich unsentimentalen Abgesang auf eine schwierige Karriere anstimmt.​

„Da lernt man beten“​

Insgesamt kann man sich bei der Lektüre auch auf Pflügers Händchen für kernige Sätze und Pointen verlassen: Angesichts der damaligen Verrisse für den Science-Fiction-Film-Noir „Blade Runner“ bemerkt er lakonisch: „Die Ewigkeit schert sich nicht um Rezensionen.“ Bei „Silverado“ versucht er Western-Hasser zu bekehren, denn diese Filme seien ja auch bloß „Dramen, in denen Pferde mitspielen“. Angesichts des deutschen Films „Fanfaren der Liebe“, einer Art Pendant zu Billy Wilders „Manche mögen’s heiß“ warnt er lakonisch: „Da lernt man beten.“​ Aber auch sich selbst schont er nicht und gibt zu, angesichts von Brad Pitts Auftritt in „Thelma & Louise“ prophezeit zu haben, dass „der Kerl in der Versenkung verschwindet“. Man kann ja mal daneben liegen – was uns zu „Manche mögen’s heiß“ zurückführt und zu dessen letztem Dialogsatz. Es ist eben niemand vollkommen.  ​

Andreas Pflüger: Herzschlagkino. 77 Filme fürs Leben.
Arche, 165 Seiten, 17 Euro.
Info: www.andreaspflueger.de

Der Tatort „Der Fluch des Geldes“ – eine Enttäuschung

Wieder im Einsatz: Leo Hölzer (Vladimir Burlakov, links) und Kollege/Freund/Schicksalsgenosse Adam Schürk (Daniel Sträßer). Foto: SR/Manuela Mayer

Wieder im Einsatz: Leo Hölzer (Vladimir Burlakov, links) und Kollege/Freund/Schicksalsgenosse Adam Schürk (Daniel Sträßer). Foto: SR/Manuela Meyer

„Der Fluch des Geldes“ ist der fünfte Fall des aktuellen Saarbrücker „Tatort“-Teams. Den Vorgänger „Die Kälte der Erde“ mochte ich sehr – leider ist der neue Fall, aus meiner Sicht, der bisher schwächste: Die Geschichte funktioniert nicht, die Figuren sind schwer nachvollziehbar – und die beiden Kommissarinnen haben so gut wie nichts zu tun.

Hier im Saarland gehen die Meinungen ja besonders weit auseinander, wenn es um den „Tatort“ aus Saarbrücken geht – wobei es oft zum guten Ton zu gehören scheint, ihn schlecht zu finden, Lieblingsvokabel in den sozialen Medien: „zum Fremdschämen“. Bei der Handlung wird gerne Realismus eingefordert, bei der Beschreibung des Saarlands nicht unbedingt – das soll doch bitte immer schön aussehen, wenn sich einmal im Jahr per „Tatort“ das TV-Fenster in Richtung „Reich“ öffnet.​

2020 ging nach dem Abschied von Devid Striesow als Kommissar Stellbrink (2013-2019) das neue Team an den Start. Nun ist dessen fünfte Episode fertig, gerade ist sie beim Saarbrücker Filmfestival Max Ophüls Preis gelaufen, am Sonntag in der ARD. „Der Fluch des Geldes“ nun könnte besonders stark polarisieren, denn die bewährte Team-Struktur wird aufgebrochen.​

Über weite Strecken ist das ein Solo-Fall für Leo Hölzer (Vladimir Burlakov); Kollege/Freund Adam Schürk (Daniel Sträßer) wird zur Nebenfigur und zum Beobachter, Pia Heinrich (Ines Marie Westernströer) und Esther Baumann (Brigitte Urhausen) werden zu Randfiguren. Wie man diesen Film nun findet, wird sich auch daran entscheiden, ob man die von Anfang an als Schurken identifizierten Figuren, mit denen man hier mehr Zeit verbringt als mit drei Vierteln der Ermittler, als glaubhaft empfindet – oder als enervierend und arg konstruiert von einem Drehbuch, das vor allem im letzten Drittel einige mitunter wilde Wendungen macht, so dass selbst Schürk sagt: „Erklär mal, um was es geht.“​

 

Ein Foto vom Dreh in Saarbrücken. Foto: tok

„Der Fluch des Geldes“ schließt direkt an den Vorgänger „Die Kälte der Erde“ an (die jüngeren SR-„Tatorte“ haben einen Hang zu sympathisch prätentiösen Titeln). Eben noch hatte sich Schürk mit einem Hooligan geprügelt, nun steht er mit Hölzer an einem See, zwischen ihnen eine Tasche voller Geld aus dem Bankraub von Schürks kriminellem, mittlerweile totem Vater (man sollte da den in der ersten Folge begonnenen Handlungsbogen noch etwas im Kopf haben).​

Dass Schürk das Geld hat, ist neu für Hölzer – und möglicherweise das Ende einer Freund- und Schicksalsgemeinschaft. „Leo, ich bin ein Arschloch – ich hätte es Dir sagen sollen“, sagt Schürk und meint, in seiner typischen Art der Realitätsbeugung: „Ist das nicht ein bisschen egal?“ Egal ist Hölzer das ganz und gar nicht: „Es macht keinen Sinn, Dir zu vertrauen.“ Da bleibt Schürk nur übrig, ein dramatisches „Fuck!“ über den See zu schreien, während Hölzer zu Fuß nach Hause stapft, entlang der „B17, stadteinwärts“.​

„Vier Insassen, einer fett“​

Dort nun beginnt der Fall: Hölzer wird von einem vorbeirasenden schwarzen SUV fast in die Leitplanke gerammt. Seine Beobachtung in aller Eile: „Vier Insassen, einer fett. Goldene Halskette.“ Was man als Zuschauerin oder Zuschauer weiß: Im Auto sitzen zwei Frauen und zwei Männer, die das Wetten und Spielen anscheinend zur Lebensphilosophie erhoben haben – um Geld geht es auch. Die Herausforderung bei diesem lebensgefährlichen Spiel: die Landstraße entlangrasen, während einem die Augen zugehalten werden.​

Hölzer überlebt das, das Quartett ohnehin, aber kurze Zeit später sieht er das rauchende Wrack eines anderen Autos – er vermutet, dass der Tod der Fahrerin mit den Landstraßenrasern zusammenhängt. Als er in der Gerichtsmedizin bei der möhrenschnippelnden Dr. Wenzel (Anna Böttcher) den trauernden Witwer der Fahrerin sieht, wird der Fall für ihn persönlich. Abseits des Dienstweges ermittelt er nun alleine. Vielleicht nicht die schlechteste Idee, denn im Büro hängt der Haussegen ohnehin bedrohlich schief wegen des Zerwürfnisses zwischen ihm und Schürk, so dass Kollegin Baumann fragt: „Was ist denn mit Euch BFFs los?“ – das Band dieser „best friends forever“ scheint zerrissen.​

 

Regisseur Christian Theede beim Dreh an der IHK in Saarbrücken. Foto: tok

 

Inszeniert hat wieder Christian Theede, das Drehbuch stammt von Hendrik Hölzemann – das bewährte Duo der ersten beiden Episoden „Das fleißige Lieschen“ (2020) und „Der Herr des Waldes“ (2021) – Hölzemann hatte zudem das Buch für „Das Herz der Schlange“ (2022) geschrieben.​ „Der Fluch des Geldes“ entstand an 21 Tagen, gedreht wurde an der Congresshalle, auf dem Saarbrücker Flughafen, in der Pathologie der Winterberg-Klinik, im Ludwigsparkstadion sowie in Dudweiler und Neunkirchen, wo eine alte Fabrik eine reizvolle Kulisse bietet für einige Wetten des Quartetts.​

„Full House, geil, Bitch“​

Erzählt wird, wie Hölzer versucht, sich der Spielerbande anzudienen, die er ziemlich schnell in einem Saarbrücker Casino namens „All In“ findet, wo die Vier lautstark an einem Spieltisch Sätze rufen wie „Full House, geil, Bitch“. Mit dieser Struktur entgeht der Film zwar der „Wo waren sie gestern zwischen 20 und 21 Uhr?“-Krimiroutine; aber die Handlung um die Wetten und Psychospielchen wirkt oft gestelzt, die Figuren des Wett-Quartetts bleiben rätselhaft – ganz klar wird nicht, warum sie das tun, was sie tun.​

Interview mit Autor Andreas Pflüger

Da wird kurz angerissen, dass eine Heroinkonsumentin (Jasmina Al Zihairi) durch die oft gefährlichen Spiele „endlich etwas fühlt“; der edel gewandete Kopf des Quartetts (Omar El-Saeidi) ohrfeigt seine Freundin (Susanne Bormann), wenn sie ihn „Loser“ nennt, beteuert zugleich aber „Ich tu das alles nur für uns“; der Wohlbeleibte (Daniel Zillmann), im Film schon mal „fette Kröte“ oder „Moppelchen“ genannt, wirkt noch am normalsten – vergleichsweise. Sein Eingangssatz zu einer Wette: „Ich bin fett und habe einen kleinen Pimmel. Aber jetzt mach ich Dich fertig.“​

Schürk, das schlechte Gewissen​

Hölzer, bisher der weichere und gesetzestreuere Ermittler im Vergleich zum Kollegen Schürk, kann hier eine gewisse Härte und Entschlossenheit zeigen – von einer originellen kleinen Szene untermauert, in der ihm Schürk wie das schlechte Gewissen in einem Spiegel erscheint und ihn fragt, was dieser Alleingang denn eigentlich soll. „Nichts“, sagt Hölzer in Richtung Spiegel, „ich mache es jetzt einfach so wie Du.“​

Wenig zu tun für die Tatort-Ermittlerinnen​

Schade ist, wie wenig die Ermittlerinnen Baumann und Heinrich beziehungsweise ihre Darstellerinnen Urhausen und Westernströer zu tun haben. Nach sieben Minuten „Tatort“ sieht man sie kurz im Fußballstadion jubeln – wie wir aus der Vorgänger-Episode wissen, ist vor allem Baumann Fan eines fiktiven Saarbrücker Vereins namens „1925 TRS“. Weitere sieben Minuten später sprechen sie mit einem Mann, dem für die Irrfahrt auf der B17 der Wagen gestohlen wurde. Dann verschwinden sie für über 20 Minuten aus dem Film, tauchen kurz buchlesend am Saarbrücker Schloss (Baumann) oder am Büroschreibtisch schlafend (Heinrich) wieder auf, um dann nochmal für 20 Minuten absent zu sein.​

Und wenn im Finale die Männer ins Auto springen, um zum Saarbrücker Flughafen zu rasen, bleiben die Frauen im Büro und werden nicht mehr gesehen. Schade und kein Vergleich zum auch formal unkonventionelleren Vorgänger „Die Kälte der Erde“, in dem Autorin Melanie Waelde und Regisseurin Kerstin Polte den beiden Figuren und Schauspielerinnen mehr Raum gaben. Wie steht es nun mit Schürk und Hölzer? Am Ende, so viel darf man verraten, sind sie sich wieder näher gekommen, diese „bromance“ hat eine Zukunft, eingeläutet vom schönen Satz „Wenn’s schief läuft, bist Du da.“ Gerne in einem Fall, der wieder mehr Interaktion im ganzen Team bietet.​

In der ARD-Mediathek.

„Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ – Interview mit Regisseur Adrian Goiginger: „Ohne Voodoo würde es den Film gar nicht geben“

Die Bühne ist seine Heimat, mag sie noch so klein sein oder noch so verräuchert: Voodoo Jürgens als Musiker „Rickerl“ in einer Szene des Films, der an vielen sehr atmosphärischen Wiener Schauplät

Die Bühne ist seine Heimat, mag sie noch so klein sein oder noch so verräuchert: Voodoo Jürgens als Musiker „Rickerl“ in einer Szene des Films, der an vielen atmosphärischen Wiener Schauplätzen entstanden ist. Foto: Alessio M. Schroder / Giganten Film /Pandora Film

 

Der Film „Rickerl“ hat die 45. Ausgabe des Filmfestivals Max Ophüls Preis eröffnet. Er erzählt vom Wiener Musiker Erich „Rickerl“ Bohacek und dessen Versuch, von seiner Kunst zu leben. Aber ihm bleiben vor allem das Tingeln durch Wiener Kneipen oder Auftritte bei Begräbnissen. Die Hauptrolle spielt der Wiener Liedermacher Voodoo Jürgens. Regisseur und Autor des Films ist Adrian Goiginger, dessen erster Spielfilm „Die beste aller Welten bei der Berlinale lief.

Glückwunsch zum Film und zum Platz als Eröffnungsfilm in Saarbrücken – wie kam es dazu?​

GOIGINGER Wir sind einfach eingeladen worden – da „Rickerl“ mein vierter Spielfilm und Ophüls ein Nachwuchsfestival ist, hätte ich auch nicht mehr in den Wettbewerb gepasst. Wir freuen uns sehr – und es hilft uns auch bei unserem deutschen Kinostart am 1. Februar.​

Waren Sie vorher schon mal beim Ophüls-Festival?​

GOIGINGER Nein, aber wir wären gerne mal hier gewesen – 2016 hatten wir „Die beste aller Welten“ für den Wettbewerb eingereicht, wurden aber nicht genommen. Dann hatte der Film seine Premiere bei der Berlinale 2017. Das war auch nicht schlecht.​

Der Regisseur und Autor Adrian Goiginger (32). Sein nächstes Kinoprojekt nach „Rickerl“ ist „Vier minus drei“ nach dem Buch von Barbara Pachl-Eberhart  Foto: Giganten Film

Der Regisseur und Autor Adrian Goiginger (32). Sein nächstes Kinoprojekt nach „Rickerl“ ist „Vier minus drei“ nach dem Buch von Barbara Pachl-Eberhart.  Foto: Giganten Film

Am Anfang von „Rickerl“ ist ganz kurz Regisseur Arman T. Riahi als Friedhofsgärtner zu sehen. Er und sein Bruder Arash, auch Regisseur und Produzent,  sind mit ihren Filmen regelmäßig beim Ophüls-Festival dabei. Wie kam es zu dem Gastauftritt?​

GOIGINGER Ich hatte in seinem Film „Fuchs im Bau“, der ja auch bei Ophüls  lief, eine kleine Rolle gespielt, da hatte er mich ins kalte Wasser geschmissen – und das habe ich jetzt mit ihm gemacht. Wir sind Freunde und haben wir uns den Gag erlaubt, uns gegenseitig zu besetzen. Es sind nur winzige Rollen, denn Schauspieler sind wir beide nicht.​

Wie bekannt ist Ihr „Rickerl“-Hauptdarsteller Voodoo Jürgens, bürgerlich David Öllerer, in Österreich? Es liegt sicher an mir, aber ich hatte zuvor von ihm noch nie gehört.​

GOIGINGER In Österreich ist er sehr bekannt, dort kennt fast jeder seinen Namen, in Wien jeder – da sind seine Konzerte immer ausverkauft. In Deutschland kennt man ihn eher in den großen Städten, er hat da ein junges urbanes Publikum.​

War er der Anstoß zum Film? Oder hatten Sie erst die Idee zu „Rickerl“ und mussten dann den richtigen Darsteller suchen?​

GOIGINGER Ohne Voodoo würde es den Film gar nicht geben. Erst durch seine Musik bin ich auf die Idee des Films gekommen, der eben nur mit ihm in der Hauptrolle und mit seiner Musik funktioniert. Ich habe ihn dann ganz offiziell über das Management kontaktiert, zu einem Casting eingeladen. Insgesamt hat es vier, fünf Jahre gedauert vom ersten Treffen bis zum fertigen „Rickerl“ – was für einen Film ziemlich normal ist.​

Musiker Stefan Mathieu: „Ein Werk darf auch verschwinden“

Wie haben Sie das Drehbuch geschrieben?                      ​

GOIGINGER Wir haben uns immer wieder getroffen, er hat mir Geschichten erzählt, ich habe ihn ausgefragt über seine Texte, wir haben über Figuren gesprochen, darüber, welche Songs unbedingt in den Film müssen – und das Ganze habe ich dann als Drehbuchautor zusammengefasst.​

Voodoo ist nun kein Schauspieler – hatten Sie Angst, dass das nicht funktioniert?​

GOIGINGER Am Anfang schon, deshalb haben wir einen Probedreh gemacht und an einem Tag  einen Kurzfilm gedreht. Dann haben wir fünf, sechs Wochen geprobt. Da war mir klar, dass er das Ganze sehr ernst nimmt und dass er grundsätzlich Talent hat – technische Dinge kann man ja lernen.​

Aber er spielt nicht sich selbst?​

GOIGINGER Nein, er hat das selbst am besten gesagt – er hat die Kunstfigur Voodoo Jürgens geschaffen und jetzt die Kunstfigur Rickerl, der er seine Songs leiht. Es gibt zwar Parallelen zwischen Rickerl und Voodoo – er war selbst auch oft beim „Service für Arbeitssuchende“, hat bei einem Friedhof gearbeitet – aber der Film ist keine Biografie. Biopic ist nicht mein Genre. Uns ging es um das Lebensgefühl der Texte und das in Wien.​

Der Film hat in der deutschen Kinoversion deutsche Untertitel – auch in Österreich?​

GOIGINGER Nein, der Dialekt ist in Österreich leicht verständlich. Da gibt es schwerer verständliche – im Vorarlberg oder in Tirol etwa. In Deutschland hat der Film je nach Region Untertitel oder nicht. In Bayern sollte es ohne Untertitel gehen, aber nördlich von der Isar kann es dann schon eng werden. Ich bin selbst ja kein Wiener, sondern Salzburger – deshalb musste mein Drehbuch erstmal ins Wienerische übersetzt werden, das ich nicht beherrsche. Als Nicht-Wiener Österreicher hat man generell eine gewisse Hassliebe in Richtung Wien. Man mag die Wiener nicht so, weil sie so „großkopfert“ wirken und ein bisschen auf die Bundesländer herabschauen. Zugleich bewundert man sie auch, weil sie so einen Schmäh haben, so einen Wortwitz. Den Humor würde ich mit dem jüdischen Humor vergleichen, ein bisschen makaber, dabei elegant.​

Wie haben Sie als Nicht-Wiener die Wiener Drehorte gefunden und ausgesucht?​

GOIGINGER Mir wären nur die üblichen touristischen Drehorte eingefallen. Aber Voodoo kennt sich aus, hatte seine Ideen, und im Team waren vor allem Wienerinnen und Wiener, das hat geholfen.​

Es gab keine Studiosets oder Ähnliches?​

GOIGINGER Nein, wir waren an Originalschauplätzen, haben mit möglichst kleinem Team gearbeitet und in den Kneipen auch ein paar Stammgäste als Schauspieler engagiert – mit einer kleinen Rolle und ein paar Sätzen. Das schafft eine schöne Authentizität.​

Der Film ist digital gedreht, was ja oft eine sehr glatte Anmutung hat. „Rickerl“ sieht aber schön körnig aus, manchmal fast wie altes 16-Millimeter-Material.​

GOIGINGER Kameramann Paul Sprinz hat alles versucht, um einen möglichst analogen Look zu schaffen. Wir konnten nicht mit analogen Filmkameras drehen, das kostet mehr, auch die Beleuchtung ist aufwändiger, das hätte uns im Ablauf gestört. Auch inhaltlich wollten wir einen nostalgischen Retro-Charme schaffen. Rickerl hat kein Smartphone, und man darf noch überall  rauchen.​

Es wird auffällig viel geraucht in Ihrem Film.​

GOIGINGER In Österreich gibt es ja im Gegensatz zu Deutschland ein komplettes Rauchverbot. Das hat ganz viele Wiener hart getroffen, denn in den vielen Caféhäusern gehört das Rauchen zum Teil der Kultur. Da dachten wir, wir drehen eine Komödie, die etwas überhöht und überspitzt ist – und da darf man überall noch rauchen, im Kino, in der Straßenbahn und so weiter.​

Wie dreht man denn Rauch-Szenen in den Kneipen, wenn es Rauchverbot gibt?​

GOIGINGER Für Filmdrehs gibt es natürlich Ausnahmen. Man darf ja auch privat keine Autos in die Luft jagen.​

Ihr Film ist sehr bittersüß, bringt Witz und Melancholie zusammen. Haben Sie da ein Vorbild?​

GOIGINGER Ja, Charlie Chaplin. Bei seinem Film „The Kid“ gibt es anfangs einen Text, dass man als Publikum bei dem Film lachen kann – und vielleicht auch eine Träne vergießen.  Bei Filmen wird ja manchmal vergessen, dass es das gleichzeitig gibt. Nur Komödie oder nur trauriger Film – das mag ich nicht. Beides im Film zu haben, war eigentlich nicht so schwierig, weil wir durch den Wortwitz schon einigen Humor haben, und die Vater-Sohn-Beziehung ist sehr anrührend.​

Im Film schaut sich Rickerl Szenen aus den 60er-Jahre-Filmen „Heißes Pflaster Köln“ und Die liebestollen Dirndl von Tirol“ an – beides von der berühmt-berüchtigten Produktionsfirma Lisa Film, die uns unter anderem „Ein Schloss am Wörthersee“ und die „Supernasen“-Filme mit Thomas Gottschalk und Mike Krüger kredenzt haben. Wie kamen Sie auf die Filme?​

GOIGINGER „Heißes Pflaster Köln“, einer der Lieblingsfilme von Voodoo, wollte ich unbedingt im Film haben. Der spielt in Köln im Unterweltmilieu, das plötzlich von Gangstern aus Wien aufgemischt wird, was sehr witzig ist. Und „Liebestolle Dirndl“ läuft ja in einem Sex-Shop, in dem der Rickerl arbeitet. Da schaut sich sein Sohn die ersten Minuten von diesem Fummel- und Schmuddelfilm an. Und so war es auch bei mir: Meine Mutter hat in einem Sex-Shop gearbeitet, und ich habe als Kind von solchen Filmen die ersten fünf oder zehn Minuten sehen dürfen – in denen eben noch nichts geschehen ist.​

Ihr Film läuft jetzt bei einem Festival, das sich dem Nachwuchs widmet – was würden Sie diesem Nachwuchs raten?​

GOIGINGER Ich bin früh mit Filmen gescheitert, die ich nach irgendwelchen Bedürfnissen ausgerichtet habe. Da dachte ich mir: Dann kann ich das auch mit Filmen tun, an denen mein Herz hängt. Und ab da lief es besser. Man sollte nicht spekulieren, was vielleicht gut ankommen kann. Man ist immer am besten, wenn man 100 Prozent an das glaubt, was macht. Ich weiß, dass das kitschig klingt – aber es stimmt eben.​

 

Der Film läuft noch einmal am Freitag, 26.1., um 19.30 Uhr im Cinestar. Bundesstart am 1. Februar über Pandora Film.
Karten, Programm, Termine:
www.ffmop.de​

Das „Kino Achteinhalb“ in seinem 33. Jahr – wie ist die Lage?

Ingrid Kraus, Waldemar Spallek und Olga Dovydenko im Saarbrücker Kino Achteinhalb.

Im Kino Achteinhalb, von links: Ingrid Kraus, Waldemar Spallek und Olga Dovydenko.    Foto: tok

 

Der 30. Geburtstag des Saarbrücker Kino Achteinhalb ist von Corona verhagelt worden. Also hat das Kino-Team um Ingrid Kraus und Waldemar Spallek die Schnapszahl 33 als Anlass zum Feiern genommen. Wie ist die Lage im Kino?

Warum auch nicht? Wenn man das 30. Jubiläum nicht begehen kann, dann eben das 33., in diesem Jahr. Vor drei Jahren hatte die Pandemie jegliche Geburtstagsfeier im Saarbrücker Kino Achteinhalb verhagelt. Und die Zahl 33 passt biografisch nicht schlecht. „Seit 33 Jahren bin ich beim Achteinhalb, jetzt bin ich 66, das ist mein halbes Leben“, sagt Ingrid Kraus, Mitgründerin und Leiterin des Kinos, zusammen mit Waldemar Spallek. Einst, 1983, hatte sich in der Alten Feuerwache in Saarbrücken eine „nichtkommerzielle Abspielstätte für 16- und Acht-Millimeter-Filme“ gegründet; 1990 zog dieses „Kino in der Feuerwache“ in die Nauwieserstraße 19 und nannte sich Kino Achteinhalb – nach dem Meisterwerk „8 1/2“ von Regisseur Federico Fellini, den diese Idee im fernen Saarland wohl entzückt hat: Im April 1990 gab der Italiener sein Einverständnis zum Namen per Brief aus Rom – eine Kopie davon hängt heute noch im Kino, das Original liegt bei Ingrid Kraus zuhause. Sicher ist sicher.

 

Federico Fellinis Grußkarte von 1990. Foto: Kino Achteinhalb

Federico Fellinis Grußkarte von 1990. Foto: Kino Achteinhalb

Online-Diskussion mit Agnieszka Holland

Wie geht es dem selbst verwalteten Kino in seinem unrunden Jubiläumsjahr, nach Lockdown und Wiederöffnung? „Die Besucherzahlen sind gut“, sagt Waldemar Spallek, „wir haben wieder den Stand von 2019 erreicht und sind damit sehr zufrieden“. Natürlich sei die Corona-Zeit frustrierend gewesen, aber man habe sie so gut genutzt wie es ging: Die Stühle hätten neue Polster und Bezüge bekommen; überholt wurde auch die Webseite des Kinos, die zweite Programm-Informationsquelle neben dem gedruckten Katalog. Und noch ein Gutes habe Corona paradoxerweise mit sich gebracht, erklärt Spallek – die Online-Diskussionen mit Filmschaffenden, eigentlich ein Notnagel in der Pandemie, habe sich etabliert, sei nun akzeptierter Bestandteil des Programms, der einige Höhepunkte mit sich gebracht habe: Im April etwa ein Online-Publikumsgespräch mit der oscarnominierten polnischen Regisseurin Agnieszka Holland, aktuell Präsidentin der Europäischen Filmakademie.

So war der Abend im Achteinhalb mit Volker Schlöndorff

Insgesamt hat sich das Publikum des Achteinhalb etwas verjüngt. „Einige ältere Stammkunden besuchen uns seltener als vor der Pandemie“, sagt Olga Dovydenko, aber „es besteht auffallendes Interesse bei Studierenden an Veranstaltungen mit Originalfassungen und an Filmen zu gesellschaftlich-politischen Themen“. Eine Reihe mit Filmen von Jean-Godard sei zuletzt sehr gut gelaufen, ebenso wie neulich der betagte Hitchcock-Film „Eine Dame verschwindet“, gezeigt zum „Tag der Schiene“, spielt der Film doch vor allem im Zug. „Das Fernsehen zeigt ja kaum noch Klassiker“, sagt Ingrid Kraus – für das Saarbrücker Kino ein Vorteil. Und beim jungen Publikum spüre man ohnehin die Lust, diese Klassiker nicht zuhause als DVD oder per Streaming zu schauen. „Der Ort Kino wird sehr geschätzt.“ Reizvoll ist auch die neuere Schiene „Nachteinhalb“ mit klassischen und mit jungen Horrorfilmen, freitagabends und jeweils mit einer Einführung.

Das Saarbrücker Kino im Werkhof der Nauwieser Straße 19. Foto: tok

Das Saarbrücker Kino im Werkhof der Nauwieser Straße 19.  Foto: tok

Charly Hübner und Volker Schlöndorff zu Gast

Vor der Sommerpause in diesem Jahr gab es einige außergewöhnliche Vorstellungen, die gewissermaßen symbolisch für die Arbeit des Achteinhalb waren: Erst war Schauspieler und Filmemacher Charly Hübner zu Gast, vor vollem Haus. Einen Tag später kam Volker Schlöndorff zu einer ebenfalls denkwürdigen Veranstaltung – der Oscarpreisträger („Die Blechtrommel“) zeigte seine Proust-Adaption „Eine Liebe von Swann“, sprach lässig über das damals vernichtende Echo der französischen Kritik und über die enorme Arroganz von Alain Delon. Eine Sternstunde für Cineastinnen und Cineasten, möglich durch den Enthusiasmus des Teams – und durch das, was sozusagen das Rückgrat des Ganzen ist: Kooperationen. Bei Hübner etwa war die Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK) mit dabei, bei Schlöndorff die Romanistik der Saarbrücker Uni – begleitend zu einem Proust-Seminar zeigte das Achteinhalb einige Adaptionen.

Ein vergammelndes Kino der Kindheit

Um die 100 Kinovorstellungen im Jahr seien an Kooperationen geknüpft (neuerdings auch mit dem Saarländischen Staatstheater), was dem Achteinhalb Unterstützung der Partner einbringe und nicht zuletzt Hilfe bei der so wichtigen Werbung. „Wir arbeiten gerne sehr breit mit allen möglichen Gruppen und Verbänden“, sagt Spallek, „man lockt nicht jedes Publikum etwa mit einer Uni-Kooperation“. Im September und Oktober etwa sind ebenso das Kultusministerium wie die Synagogengemeinde Saar mit dabei (für die Jüdischen Filmtage), außerdem unter anderem die Arbeitskammer des Saarlandes, die Staatskanzlei und die Deutsch-Polnische Gesellschaft Saar für die Polnischen Filmtage – das sind nur einige von vielen Partnern.

„Minimale Gehälter“

Fruchtbare Kooperationen hin oder her – ein Problem treibt die Achteinhalber seit der Kinogründung um, bis heute: die Finanzierung. Das Kino wird als gemeinnütziger Verein betrieben, der dem Team „minimale Gehälter“ zahlt, wie Spallek sagt; die habe man jetzt aber ebenso minimal erhöhen müssen, um steigende Lebenshaltungskosten aufzufangen. Nur: Dann werde im Verein und somit im Kino sofort das Geld knapp, erklärt Spallek, zumal etwa die rettenden Coronahilfen nun ausgelaufen seien. In diesem Jahr wird das Kino von der Stadt Saarbrücken mit 78 890 Euro gefördert, vom Land mit 85 000 Euro (37 000 über das Kultusministerium, 48 000 über die Saarland Medien), erklärt Spallek. „Das sind insgesamt 55 Prozent unseres Budgets, also müssen wir 45 Prozent selber erwirtschaften.“ 20 Prozent erreiche man über den Erlös durch die Kinokarten, weitere 25 über die Förderungen durch Kooperationen. „Das funktioniert mal mehr, mal weniger.“ Die Stadt habe ihre Zuschüsse zuletzt etwas erhöht, das Land bisher nicht, aber man sei hoffnungsvoll. Um sich mehr Sicherheit zu verschaffen, will das Kino seine Eintrittspreis ab Januar um 50 Cent erhöhen, „damit haben wir aber immer noch die niedrigsten Eintrittspreise der Kinos in Saarbrücken“, sagt Ingrid Kraus.

Lars Kraume im Gespräch vor dem Achteinhalb

Zudem steht beim Achteinhalb ein Generationenwechsel an. Ingrid Kraus ist mit 66 Jahren eigentlich in Rente, will in den nächsten zwei Jahren noch im Achteinhalb arbeiten, aber weniger als zuvor; Spallek will noch vier Jahre im Kino in Vollzeit arbeiten, danach seine Stelle reduzieren und sanft in die Rente gleiten. Mit Olga Dovydenko ist zuletzt frisches Blut ins Kino gekommen, sie ist für Programm, Technik und Organisation mitverantwortlich und leitet den Vorführbereich. Ob es nach der Ära Kraus/Spallek wieder eine Doppelleitung des Kinos gehen wird? Das ist ungewiss, sagt Spallek, man müsse auch erst einmal Interessierte finden, „und unsere Gehälter sind nicht so attraktiv“.

Digitale Projektion ist nächste Baustelle

Betrieben wird das Achteinhalb von einem fest angestellten Team sowie von ehrenamtlichen Mitgliedern. Neben Kraus, Spallek und Dovydenko kümmert sich Gerd Meyer um Presse-Arbeit, Organisation und Disposition, Maximilian Sälzle betreut Kinosaal und Technik. Alper Cevik, André Fischer, François Schwamborn und Theodor Wülfing sind weitere Vorführer; seit September kümmert sich Markus Huppert um die Social-Media-Präsenz. Der Generationenwechsel ist nicht die einzige Baustelle – eine weitere ist der Vorführraum: Vor zehn Jahren wurde auf digitale Projektion umgestellt, für 100 000 Euro; diese Technik müsste in naher Zukunft renoviert werden, „aber Hersteller Sony stellt schon keine Projektoren mehr her und wartet die alten auch nicht mehr“, sagt Dovydenko, „da könnten wir in drei bis fünf Jahren ein Problem bekommen“.

Beim 40. Jubiläum werden die Veteranen Kraus und Spallek nicht mehr in aktiver Funktion dabei sein. Zumindest die vielen Abrechnungen und die Verwaltungsarbeit, die sich oft vor die eigentliche Programmarbeit dränge, werde er nicht vermissen, sagt Spallek. Kraus blickt zufrieden zurück, auch wenn das Achteinhalb-Leben nicht immer einfach war und ist, man „Abstriche machen musste beim Gehalt und jetzt bei der Rente. Aber ich bin sehr froh, dass ich es so gemacht habe“, sagt er.

www.kinoachteinhalb.de

Musiker Stephan Mathieu: „Ein Werk darf auch verschwinden“

Stephan Mathieu David Sylvian

Der Saarbrücker Musiker Stephan Mathieu, jetzt ein sehr gesuchter Mastering Engineer mit Studio in Bonn.  Foto: Caro Mikalef

 

Der Saarbrücker Stephan Mathieu war mit seiner elektroakustischen Musik über Jahre erfolgreich – bis er mit dem Komponieren aufhörte, die letzten Alben verkaufte und seine Arbeiten aus dem Streaming-Angebot löschte. Ein radikaler Schritt? Nein, findet Mathieu.​

Es ist nicht einfach zu erklären. Eigentlich nimmt Stephan Mathieu aus Saarbrücken keine eigene Musik mehr auf; außerdem hat er alle seine Aufnahmen aus dem Streaming-Angebot herausgenommen. Seine um die 50 Alben und EPs presst er nicht nach. Tabula rasa. Und doch ist gerade ein Album herausgekommen, wenn auch ohne sein Zutun. Und obwohl der Saarbrücker keine Musik, keine Klangkunst mehr aufnimmt, ist der 55-Jährige doch täglich (und oft auch nächtlich) in seinem Bonner Tonstudio sehr beschäftigt – wohl mehr als je zuvor.​

Stephan Mathieu erklärt, wie das alles zusammenpasst. Über Jahre war er mit seiner elektroakustischen, eigenwilligen, bisweilen meditativen Musik international erfolgreich; seine Arbeiten veröffentlichte er seit 2012 über sein eigenes Label mit dem schönen Namen „Schwebung“. Doch im September 2022 machte er einen radikalen Schritt und zog  seine Musik aus dem Verkehr, auch im Streaming. „Meine Stücke dauern manchmal eine ganze Stunde lang. Beim Streaming ist die Aufmerksamkeitsspanne kurz, da wird schnell zum nächsten Stück weitergeklickt.“ Zu dieser Kultur der Schnelllebigkeit wollte er nicht beitragen, „die Konsequenz daraus ist, das Ganze verschwinden zu lassen“, sagt Mathieu – und lacht. Tragisch findet er das alles nicht, denn seine Interessen haben sich verschoben. „Und ich mag die Idee: Ein Werk darf auch verschwinden.“​

„Wandermüde“ von Stephan Mathieu und David Sylvian

Aufgetaucht ist allerdings gerade ein Album als Wiederveröffentlichung, das vor zehn Jahren erstmals erschien – und jetzt der Grund, dass Mathieu nach einigen Jahren wieder ein Interview gibt: „Wandermüde“, eine Zusammenarbeit von Mathieu und David Sylvian. Jener Engländer war mit seiner Band Japan in den 1980ern ein großer Popstar, wandte sich solo aber rasch von üblichen Musikstrukturen ab und dem Experimentellen zu, arbeitete unter anderem mit Holger Czukay von der deutschen Avantgarde-Band Can. 2011 stieß  Sylvian auf Mathieus Musik: „Er schrieb mir, dass er meine Musik sehr mag“, sagt er, „das war schon eine große Sache, denn Japan und Sylvians erste Solo-Aufnahmen waren sehr wichtig für mich“.​

 

„Wandermüde“ heißt das Album von David Sylvian und Stephan Mathieu. Vor zehn Jahren erschienen und vergriffen, wird es jetzt vom Label Grönland wieder veröffentlicht. Mathieu und Sylvian haben nach einem „heftigen Crash“ keinen Kontakt mehr. Foto: Grönland

Der Brite lud den Saarbrücker zum norwegischen Punkt Festival in Kristiansand ein, mit einer besonderen Aufgabe: Während Sylvian konzertierte, remixte, überarbeitete und verfremdete Mathieu per Computer die Live-Aufnahmen, die dann einem anderen Publikum in einem anderen Saal vorgespielt wurden. „Das Ergebnis hat Sylvian gefallen, er fragte mich dann, ob ich sein Album ‚Blemish‘ neu bearbeiten wolle.“ Mathieu wollte, und so schickte Sylvian ihm einige der Instrumentalspuren seines 2003er Albums, vor allem Gitarrenimprovisationen von ihm selbst, Derek Bailey und Christian Fennesz. Aus denen formte Mathieu dann „Wandermüde“, unabhängig von Sylvian: ein fließendes, pulsierendes, atmosphärisches Instrumentalwerk. Mit dem Original-Album hat das nur wenig zu tun – was ja auch Sinn der Sache ist.​

„Das war alles in allem ein wirklich schlechtes Erlebnis“

Herbert Grönemeyers Label Grönland, das sich unter anderem um die Arbeiten des legendären Produzenten (und ehemaligen SR-Tontechnikers) Conny Plank kümmert, bringt die klassischen Sylvian-Alben neu heraus, eben auch „Wandermüde“. Natürlich freut sich Mathieu jetzt über die Wiederveröffentlichung. Und doch: Spricht man mit ihm über David Sylvian, spürt man eine gewisse Zurückhaltung – es lässt  sich heraushören, dass eine spätere Tournee mit Sylvian, Mathieu und Gitarrist Christian Fennesz eine Rolle spielt bei Mathieus Rückzug vom Musikmachen, vielleicht sogar der Anfang von dessen Ende war. „Das war alles in allem ein wirklich schlechtes Erlebnis“, sagt er, „ein heftiger Crash zwischen drei sehr unterschiedlichen Herangehensweisen, um ähnliche Ziele zu erreichen“. Kontakt hatten Mathieu und Sylvian seitdem nicht mehr, auch nicht im Rahmen der „Wandermüde“-Wiederveröffentlichung.​

Seit 2017 nimmt Mathieu keine eigene Musik mehr auf und hat sich ganz einer Studioarbeit für Andere verschrieben, die man erklären muss: Mastering. „Das ist der letzte kreative Schritt, bevor ein Album oder ein Stück veröffentlicht wird. Ich stelle das Reproduktionsmaster her und bin so die letzte Kontrollinstanz, bevor ein Werk in die Welt entlassen wird.“ Wie sehr Mathieu eingreift, hängt vom Ausgangsmaterial ab. „Manche Projekte muss ich komplett auf den Kopf stellen, bei anderen geht es nur noch um den Feinschliff, die letzten fünf bis zehn Prozent, bevor etwas toll klingt. Der Großteil meiner Projekte liegt zwischen diesen beiden Extremen.“​

Mathieu, Vater von drei Kindern, lebt seit zehn Jahren in Bonn, aus familiären Gründen („Bonn hatte ich eigentlich nie auf dem Zettel“); den Großteil der 1990er hatte er in Berlin als Schlagzeuger verbracht, bevor er wieder nach Saarbrücken ging. 1999 verlieh ihm die Stadt einen Förderpreis, 2001 bis 2005 lehrte er an der Hochschule für Bildende Künste (HBK).​

Das sonnige Heimstudio​

In Bonn hat sich Mathieu über Jahre ein Mastering-Studio eingerichtet, das seit 2021 fertiggestellt ist und in dem er auch wohnt. „Ein akustisch wahnsinnig guter Raum. Ich höre hier gleich, ob es an etwas mangelt, was besonders gelungen ist und in welche Richtung ich das Material drehen kann, damit es die Vision meiner Artists und Labels perfekt transportiert. Viele Leute produzieren zuhause und haben dort nicht die idealen akustischen Bedingungen, um ihre Arbeit im Detail beurteilen zu können. In meinem Raum springen mich klangliche Defizite direkt an, die ich dann ausgleichen kann.“ Das Heimstudio bringt auch zeitliche Flexibilität mit sich, die er wegen der Kommunikation mit der internationalen Kundschaft gut gebrauchen kann. „Ich habe gerade zwei unterschiedlichen Projekte mit australischen Musikern fertiggestellt, die stehen auf, wenn es für mich Zeit wird, das Licht auszuschalten.“​

 

Stephan Mathieu David Sylvian

Ein Blick in das Mastering-Studio.    Foto: Stephan Mathieu

Die Kundenliste ist lang und stilistisch weit gefächert. Unter anderem mit den Komponistinnen Laurie Spiegel und Kali Malone aus den USA, Nine-Inch-Nails-Keyboarder Alessandro Cortini, SUNN O)))-Gitarrist Stephen O’Malley und dem finnischen Elektroniker Vladislav Delay. Genregrenzen gibt es bei Mathieu nicht. „Für mich ist jeder Sound gleichwertig, von einer Staubsauger-Aufnahme von 1969 bis zeitgenössischer Kammermusik.“ Das könnte mit seiner kosmopolitischen musikalischen Früherziehung in Saarbrücken zu tun haben. Mathieus Eltern waren Hausmeister auf dem Saarbrücker Campus für das Gästehaus und das Institut für Entwicklungshilfe. „Wir sind da 1968 hingezogen, als ich ein Jahr alt war“, sagt Mathieu, „zwei Häuser, die abgeschlagen von allem anderen mitten im Wald stehen“. Die Natur war schon mal ein Faktor, „davon steckt ganz viel in mir drin, der Wald ist ja ein akustisch enorm interessanter Raum“. Dazu wuchs er mit Kindern von Gastprofessorinnen und -professoren  aus aller Welt auf, aus den USA, Korea, England, Japan – ein großer kultureller Austausch.​

Bei Depeche Mode brennt der Pulli

Die Eltern hatten großen musikalischen Einfluss: Mathieus Mutter arbeitete in jenem Plattenladen, der dann zum seligen „Saraphon“ wurde, sein Vater kaufte bereits früh elektronische Musik, vom Franzosen Jean-Michel Jarre etwa oder vom Japaner Tomita. Ebenso liefen zuhause die Beatles, Kinks, die Beach Boys. Mit zehn Jahren hatte Mathieu eine eigene Sammlung von 200 LPs.​

In der nahen Aula auf dem Campus ging er „zu endlos vielen Konzerten“, oft bereits zu den Soundchecks – Mathieus Vater kannte den Hausmeister der Aula. Pat Metheny etwa sah er 1979 und 1981, „bei der ersten Tour mit seinem Gitarrensynthesizer, auf dem er ein für einen 13-Jährigen schier endloses Solo spielte, das wie ein Trompetenkonzert klang. Ringsum lagen Leute auf dem Boden und haben gekifft, das war schon ein tiefgreifendes Erlebnis.“  Ein Saarbrücker Konzert von Depeche Mode in der Uni der Aula 1982 bleibt ihm unvergesslich, auch weil sich eine Wunderkerze durch seinen neuen, hart ersparten Fiorucci-Pulli brannte.​

Frankfurter Konzertbesuche bei den Einstürzenden Neubauten haben „meine Auffassung von Musik total verändert“ und auch erweitert – Neue Musik tat es Mathieu, der damals noch Schlagzeug spielte, ebenso an wie Jazz und Improvisiertes. Die Entdeckung des Computers als Musikinstrument ließ ihn das Schlagzeug dann vergessen, zwischen 1997 und 2017 habe er „Tag und Nacht“ mit dem Computer gearbeitet, Klänge  erschaffen, verfremdet, Musik neu zusammengefügt.​

Und das ist jetzt alles vorbei? „Ich würde nie nie sagen“, gibt Mathieu zu, „aber das Verlangen, immer wieder eigene Musik zu schaffen, habe ich nicht mehr“. Die Arbeit als Mastering Engineer sei erfüllend – und selbst eine Kunstform. „Es ist ein wenig wie Bildhauen – da wird etwas geformt, entschlackt, Klänge werden präziser. Ich liebe meine Arbeit. Im Grunde mache ich weiterhin jeden Tag Musik.“​

Kontakt zu Stephan Mathieu:
www.schwebung-mastering.com

 

 

Volker Schlöndorff im Kino Achteinhalb: „Arroganz ist Alain Delons zweiter Vorname“

Volker Schlöndorff (links) im Kino Achteinhalb. Neben ihm Patricia Oster-Stierle von der Uni Saarbrücken, die den Regisseur eingeladen hatte, und Waldemar Spallek vom Achteinhalb.         Foto: Tobias Keßler

 

Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff war zu Gast in Saarbrücken im Kino Achteinhalb – ein schöner Abend mit einem lässigen Filmemacher.

„War and Peas“ stellen in Saarbrücken aus: „Silly Empire“

Jonathan Kunz Elizabeth Pich "War and Peas" Tobias Keßler

Jonathan Kunz und Elizabeth Pich – „War and Peas“.   Fotos: tok

Aus Saarbrücken kommt ein international erfolgreiches Comic-Projekt: Unter dem Titel „War and Peas“ texten und zeichnen Elizabeth Pich und Jonathan Kunz kurze Geschichten über Leben und Tod, Liebe und Einsamkeit. Knapp 100 Arbeiten sind jetzt im Saarbrücker KuBa zu sehen.

So ein skeptischer Säugling. Eben noch weilte er im warmen Mutterbauch – jetzt ist er in der Welt und fragt sich, ob er die beste Zeit seines Lebens schon hinter sich hat. Ins Grübeln kommt auch der schnurrbärtige Bob. Auf die Frage, was er gerade so tue, antwortet er: „Triviale Aktivitäten, um mich von der Bedeutungslosigkeit meiner Existenz abzulenken.“ Und die göttliche Macht, die aus dem blauen Himmel herab spricht, weiß auch nicht wirklich weiter. Nach einem Lebensplan befragt, empfiehlt Gott einfach ein gutes Speise-Eis.

So sind eben das Leben und dessen diskutabler Sinn bei „War and Peas“. Unter diesem Titel zeichnen und texten Elizabeth Pich und Jonathan Kunz seit 2011 ihre Comic-Geschichten, so gut wie immer als kompakte Vier-Bild-Konstruktion. An der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK) haben sich die beiden kennengelernt und veröffentlichen jeden Sonntag eine neue „War and Peas“-Geschichte auf ihrer Internetseite, stets in Englisch – der Internationalität des Comic-Marktes halber (zudem lebte Pich in den USA, bis sie 14 war).

Der Erfolg ihrer Kunst ist groß – 282 000 Abonnenten bei Facebook, bei Instagram eine Million, seit Silvester. Das erste Buch ist auf dem deutschen Markt erschienen („Von Hexen und Menschen“), außerdem in den USA, in Frankreich und in spanischer Übersetzung. Jetzt zeigen Pich und Kunz, die beide in Saarbrücken leben, im KuBa Kulturzentrum eine Auswahl ihrer Werke. Mit um die 90 jeweils einzeln gerahmten Comicgeschichten, dazu zwei Skizzenbüchern zum Blättern und auch mit dem, womit sie ihre im Netz kostenlos anschaubare Kunst mitfinanzieren: Merchandise. Kaputzenpullis etwa mit „War and Peas“-Motiven, Mützen, Aufkleber und ein T-Shirt mit einem Slogan, der bestens passt in ihre immer etwas unsichere, unwägbare Welt: „100 % not sure“. Das Merchandise bei der Ausstellung zu zeigen, sei wichtig, sagt Jonathan Kunz, sei das doch ein wichtiger Aspekt des Lebensunterhalts, wenn man kostenlose Web-Comics veröffentlicht. Gerahmte und signierte Drucke wie in der Ausstellung könne man auch über die Internetseite des Duos kaufen, „so gesehen ist die Ausstellung wie ein Showroom, wir zeigen, was wir verkaufen“.

 

 

Die Kunst von „War and Peas“ ist reizvoll trügerisch. Der Zeichenstil mag betont reduziert und unschuldig wirken, doch der Inhalt ist nie harmlos, sondern hintersinnig und meist melancholisch getönt: Um Einsamkeit geht es oft, um Gefühle, die aneinander vorbei strömen, um schwierige Kommunikation, um den Tod – das alles unterfüttert mit schwarzem Humor und unerwarteten Pointen. Eine ebenso witzige wie berührende Mischung, in dem es eines nicht gibt, auch wenn manche Leserinnen und Leser das entdeckt haben wollen: Sarkasmus. „Nein“, sagt Pich, „den gibt es nie bei uns. Wir lachen nicht von oben über unsere Figuren oder kommentieren sarkastisch, wir fühlen immer mit unseren Figuren mit.“ Ob nun mit einem liebeskranken Roboter oder einer frustrierten Wolke, die sich, nach der Beleidigung durch einen Menschen, aus Rache bevorzugt über Hochzeitsfesten ausregnet.

 

Gehängt ist die Ausstellung nicht chronologisch oder thematisch, wobei es doch kleine Schwerpunkte gibt mit jenen Figuren, die sich über die Jahre als feste Charaktere etabliert haben: allen voran die libidinös lebenslustige Zauberin  „Slutty Witch“, wie sie in der englischsprachigen Ausstellung heißt (und „Schlampenhexe“ in der deutschen Buchfassung). Sie kann man begleiten, wenn sie zum Befremden ihrer Katze den Abend mit einem Vibrator verbringt oder ihrem Regal voller Totenköpfe ein weiteres Exemplar hinzufügt: diesmal unglücklicherweise den eines Psychologen, der mit klapperndem Gebiss kundtut, mit dieser Totenkopfsammlung fülle die Hexe bloß eine Leerstelle in ihrer lieblosen Existenz. Da ist er wieder – der Sinn beziehungsweise der Un-Sinn menschlichen Lebens. Und die Einsamkeit. „Die ist ein grundlegendes Thema bei uns“, sagt Elizabeth Pich, „sie ist eine Volkskrankheit“ – nicht zuletzt durch das Internet und die sozialen Medien, in denen Gefühle so schwer zu deuten seien. „Aber wenn man Web-Comics macht, kann man das Internet ja nicht ganz verteufeln.“

 

Humor und Melancholie sind in den Comics nicht zu trennen: Wenn etwa der leibhaftige Sensenmann, eine der festen Figuren, seine Runden dreht und bei einer älteren Dame auf dem Sofa hängenbleibt, bei Keksen und Kakao. Da wird dem Gevatter Tod wohl kurz die brutale Dimension seines Berufs bewusst – aber mitnehmen wird er die Dame doch. In einem anderen Comic muss eine Heuschrecke, ein junger Gottesanbeter namens Timmy, damit leben lernen, dass seine Mutter den Vater artgerecht  kurz nach Timmys Zeugung gefressen hat. Und was passiert, wenn er mal heiratet?

„Silly Empire“, albernes Reich nennt sich die Ausstellung. Wieso? „Weil wir uns eine Art Kosmos erschaffen haben“, erklärt Pich, „unsere Figuren leben in derselben Welt“ – und in gewisser Weise die beiden Künstler auch: Es wird humoristisch autobiografisch, wenn ein Autorenduo auf Empfehlung seines Publikums hin zur Therapie geht. Lustig seien die Comics ja schon, gibt die Therapeutin zu, aber den beiden könne man nicht mehr helfen; und ein anderer Therapeut stellt fest, dass sie mit ihren anatomisch unkorrekten Zeichnungen ihren Hochschul-Professor zum Weinen brächten. Aprops Hochschule: Kunz selbst hat einige Jahre an der HBK den Masterschwerpunkt Comic/Graphic Novel betreut, bis es keine Einigung mehr über eine langfristige Weiterbeschäftigung gab, da die HBK in einer „Planungsphase“ bezüglich des Masterschwerpunkts sei, wie sie mitteilte; demnächst wird Kunz die Hochschule verlassen.

Kunz und Pich planen derweil ein zweites Buch, das mit der Welt von „War and Peas“ nichts zu tun haben wird. Ein poetisches Werk in Reinform soll es werden, in nostalgischer Optik und angelehnt an ihre Arbeit „A Job is a Job“, die man auf der „War and Peas“-Seite lesen kann. Doch erst einmal gibt es die Ausstellung im KuBa, die laut Kunz so etwas ist „wie ein Gang durch unsere Gehirne“.

warandpeas.com

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