KINOBLOG

Über Film und dieses & jenes

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„Luis Buñuel im Labyrinth der Schildkröten“ von Salvador Simó

Dreharbeiten im Elend: Luis Buñuel (rechts) und sein Team, das mit dem Großkünstler nicht immer einer Meinung ist.

Dreharbeiten im Elend: Luis Buñuel (rechts) und sein Team, das mit dem Großkünstler nicht immer einer Meinung ist. Foto: Good!Movies

 

Der Hass kommt aus jeder Richtung. „Faschist!“ schreien die einen, „Kommunist!“ die anderen – und ein Gotteslästerer ist er auch noch. So läuft im Film „Luis Buñuel im Labyrinth der Schildkröten“ die Pariser Premiere 1930 von „Das goldene Zeitalter“ ab, Buñuels zweitem Film. Der verstörte mit seinen surrealen Bildern ebenso wie ein Jahr zuvor des Spaniers Kinodebüt „Der andalusische Hund“ – unter anderem – man kennt es gut – mit dem Motiv der Rasiermesserklinge im Augapfel. Groß ist der Skandal um Buñuel, klein die Zahl der Geldgeber, die seine skandalträchtige Kunst unterstützen wollen. Auch nicht sein Kollege und zuvor künstlerischer Begleiter Salvador Dali, der sich blumen- und erfindungsreich herausredet: „Eine Wahrsagerin hat mir geraten, Freunden kein Geld zu leihen.“ Was tun?

In der Limousine zum Elend

Das ist der Ausgangspunkt dieses biografischen Animationsfilms von Salvador Simó, der auf einem Comic von Fermín Solís über Buñuel (1900-1983) basiert und die Geschichte seines nächsten Projekts nachzeichnet: Ein Buch macht ihn auf Las Hurdes aufmerksam, eine abgelegene Gebirgslandschaft in Spanien, mit katastrophaler Armut und viel Krankheit durch generationenlange Inzucht. Über das schwierige Leben und Überleben dort will der große Surrealist eine realistische Dokumentation drehen. Finanzieren mag das niemand. Außer einem engen Freund, dem Anarchisten und Bildhauer Ramón Acin. Doch der hat kein Geld, verspricht ihm aber, den Film namens „Las Hurdes – Land ohne Brot“ zu finanzieren, sollte er in der Lotterie gewinnen. Und da das Leben manchmal so ist wie ein schlechtes (oder auch surreales) Drehbuch, gewinnt Acin tatsächlich und finanziert den Film. Mit einem großspurigen neuen Auto, für das Buñuel schon mal ein Viertel des Budgets ausgibt, geht es bequem los in Richtung Elend.

Kein Denkmal

„Luis Buñuel im Labyrinth der Schildkröten“ – der Titel bezieht sich auf die flachen Steinhütten der Bewohner von Las Hurdes – setzt dem spanischen Künstler kein kritikloses Denkmal. Buñuel, befeuert von seiner Kunst, geht buchstäblich über Leichen, wenn auch zumindest nicht über die von Menschen: Ein lokales Ritual des Abreißens von Hühnerköpfen (lebend) stellt er gerne noch einmal nach, um es gut vor die Kamera zu bekommen; wenn Ziegen keine steilen Klippen herabstürzen wollen, hilft er nach, schließlich trägt er immer einen Revolver bei sich; und die tödliche Attacke wütender Bienen auf einen Esel provoziert er bewusst. Wie viel oder wenig dieses Tun allerdings mit dokumentarischer Arbeit zu tun hat (ganz abgesehen von der Grausamkeit), muss sich Buñuel irgendwann fragen. Sein entsetzter Freund/Produzent stellt sich diese Frage schon früher.

„Der wilde Planet“ auf Bluray

Um die Frage des Verhältnisses zwischen Dokumentarfilmer und seinen menschlichen Objekten geht es auch in diesem halbfiktionalen Film. Anfangs bereitet Buñuel seinem Team immer ein opulentes Frühstück zu, damit man zu den Dreharbeiten bei den Hungernden kein Essen mitnehmen muss, das man dann verteilen müsste. Doch mit der Zeit scheint er diese Elendswelt nicht mehr nur als faszinierende Kulisse für einen möglichst schockierenden Film zu begreifen, sondern wirklich als bedrückendes Thema. So ist „Luis Buñuel im Labyrinth der Schildkröten“ auch die Geschichte einer persönlichen Reife – zugleich aber auch eine satirische Komödie über Filmemacher, die sich mit Nobelauto und in edlem Zwirn dem großen Elend nähern.

Nostalgischer Animationsstil

Der Trickfilm, der im Dezember 2019 den Europäischen Filmpreis als Beste Animationsproduktion gewann, erzählt das alles (die Todesfälle abgesehen) mit leichter Hand, oft witzig, mit einem Animationsstil, der bewusst altmodischer und weniger fließend wirkt als glattere Hollywood-Trickfilme. In surrealen Traumsequenzen hat Buñuel wundersame Visionen und Gespräche, wird von Hühnern verfolgt (vor denen er sich wohl zeitlebens ängstigte) und sucht, ein Psychologie-Klassiker, die ihm bisher versagte Anerkennung seines Vaters. Regisseur Simó schneidet immer wieder kurze Szenen aus Bunuels „Las Hurdes“ in seinen Film hinein, ein interessanter Kontrast von Bildern und Ästhetiken.  Mit der Fertigstellung von „Las Hurdes“ (Bunuel schneidet ihn in seiner Küche) endet der Trickfilm, der noch auf das Schicksal des lotteriespielenden Produzenten verweist: Er wird im Spanischen Bürgerkrieg von den Faschisten erschossen, ebenso wie seine Frau.

Den Film gibt es auf DVD und Bluray bei Good!Movies.
Das Kino Achteinhalb zeigt ihn am Donnerstag, 1. Februar, OmU ab 19 Uhr. Vorher gibt es eine Einführung von Prof. Oleksandr Pronkevich von der Katholischen Universität Lviv, hinterher einen kleinen Umtrunk.

Der Tatort „Der Fluch des Geldes“ – eine Enttäuschung

Wieder im Einsatz: Leo Hölzer (Vladimir Burlakov, links) und Kollege/Freund/Schicksalsgenosse Adam Schürk (Daniel Sträßer). Foto: SR/Manuela Mayer

Wieder im Einsatz: Leo Hölzer (Vladimir Burlakov, links) und Kollege/Freund/Schicksalsgenosse Adam Schürk (Daniel Sträßer). Foto: SR/Manuela Meyer

„Der Fluch des Geldes“ ist der fünfte Fall des aktuellen Saarbrücker „Tatort“-Teams. Den Vorgänger „Die Kälte der Erde“ mochte ich sehr – leider ist der neue Fall, aus meiner Sicht, der bisher schwächste: Die Geschichte funktioniert nicht, die Figuren sind schwer nachvollziehbar – und die beiden Kommissarinnen haben so gut wie nichts zu tun.

Hier im Saarland gehen die Meinungen ja besonders weit auseinander, wenn es um den „Tatort“ aus Saarbrücken geht – wobei es oft zum guten Ton zu gehören scheint, ihn schlecht zu finden, Lieblingsvokabel in den sozialen Medien: „zum Fremdschämen“. Bei der Handlung wird gerne Realismus eingefordert, bei der Beschreibung des Saarlands nicht unbedingt – das soll doch bitte immer schön aussehen, wenn sich einmal im Jahr per „Tatort“ das TV-Fenster in Richtung „Reich“ öffnet.​

2020 ging nach dem Abschied von Devid Striesow als Kommissar Stellbrink (2013-2019) das neue Team an den Start. Nun ist dessen fünfte Episode fertig, gerade ist sie beim Saarbrücker Filmfestival Max Ophüls Preis gelaufen, am Sonntag in der ARD. „Der Fluch des Geldes“ nun könnte besonders stark polarisieren, denn die bewährte Team-Struktur wird aufgebrochen.​

Über weite Strecken ist das ein Solo-Fall für Leo Hölzer (Vladimir Burlakov); Kollege/Freund Adam Schürk (Daniel Sträßer) wird zur Nebenfigur und zum Beobachter, Pia Heinrich (Ines Marie Westernströer) und Esther Baumann (Brigitte Urhausen) werden zu Randfiguren. Wie man diesen Film nun findet, wird sich auch daran entscheiden, ob man die von Anfang an als Schurken identifizierten Figuren, mit denen man hier mehr Zeit verbringt als mit drei Vierteln der Ermittler, als glaubhaft empfindet – oder als enervierend und arg konstruiert von einem Drehbuch, das vor allem im letzten Drittel einige mitunter wilde Wendungen macht, so dass selbst Schürk sagt: „Erklär mal, um was es geht.“​

 

Ein Foto vom Dreh in Saarbrücken. Foto: tok

„Der Fluch des Geldes“ schließt direkt an den Vorgänger „Die Kälte der Erde“ an (die jüngeren SR-„Tatorte“ haben einen Hang zu sympathisch prätentiösen Titeln). Eben noch hatte sich Schürk mit einem Hooligan geprügelt, nun steht er mit Hölzer an einem See, zwischen ihnen eine Tasche voller Geld aus dem Bankraub von Schürks kriminellem, mittlerweile totem Vater (man sollte da den in der ersten Folge begonnenen Handlungsbogen noch etwas im Kopf haben).​

Dass Schürk das Geld hat, ist neu für Hölzer – und möglicherweise das Ende einer Freund- und Schicksalsgemeinschaft. „Leo, ich bin ein Arschloch – ich hätte es Dir sagen sollen“, sagt Schürk und meint, in seiner typischen Art der Realitätsbeugung: „Ist das nicht ein bisschen egal?“ Egal ist Hölzer das ganz und gar nicht: „Es macht keinen Sinn, Dir zu vertrauen.“ Da bleibt Schürk nur übrig, ein dramatisches „Fuck!“ über den See zu schreien, während Hölzer zu Fuß nach Hause stapft, entlang der „B17, stadteinwärts“.​

„Vier Insassen, einer fett“​

Dort nun beginnt der Fall: Hölzer wird von einem vorbeirasenden schwarzen SUV fast in die Leitplanke gerammt. Seine Beobachtung in aller Eile: „Vier Insassen, einer fett. Goldene Halskette.“ Was man als Zuschauerin oder Zuschauer weiß: Im Auto sitzen zwei Frauen und zwei Männer, die das Wetten und Spielen anscheinend zur Lebensphilosophie erhoben haben – um Geld geht es auch. Die Herausforderung bei diesem lebensgefährlichen Spiel: die Landstraße entlangrasen, während einem die Augen zugehalten werden.​

Hölzer überlebt das, das Quartett ohnehin, aber kurze Zeit später sieht er das rauchende Wrack eines anderen Autos – er vermutet, dass der Tod der Fahrerin mit den Landstraßenrasern zusammenhängt. Als er in der Gerichtsmedizin bei der möhrenschnippelnden Dr. Wenzel (Anna Böttcher) den trauernden Witwer der Fahrerin sieht, wird der Fall für ihn persönlich. Abseits des Dienstweges ermittelt er nun alleine. Vielleicht nicht die schlechteste Idee, denn im Büro hängt der Haussegen ohnehin bedrohlich schief wegen des Zerwürfnisses zwischen ihm und Schürk, so dass Kollegin Baumann fragt: „Was ist denn mit Euch BFFs los?“ – das Band dieser „best friends forever“ scheint zerrissen.​

 

Regisseur Christian Theede beim Dreh an der IHK in Saarbrücken. Foto: tok

 

Inszeniert hat wieder Christian Theede, das Drehbuch stammt von Hendrik Hölzemann – das bewährte Duo der ersten beiden Episoden „Das fleißige Lieschen“ (2020) und „Der Herr des Waldes“ (2021) – Hölzemann hatte zudem das Buch für „Das Herz der Schlange“ (2022) geschrieben.​ „Der Fluch des Geldes“ entstand an 21 Tagen, gedreht wurde an der Congresshalle, auf dem Saarbrücker Flughafen, in der Pathologie der Winterberg-Klinik, im Ludwigsparkstadion sowie in Dudweiler und Neunkirchen, wo eine alte Fabrik eine reizvolle Kulisse bietet für einige Wetten des Quartetts.​

„Full House, geil, Bitch“​

Erzählt wird, wie Hölzer versucht, sich der Spielerbande anzudienen, die er ziemlich schnell in einem Saarbrücker Casino namens „All In“ findet, wo die Vier lautstark an einem Spieltisch Sätze rufen wie „Full House, geil, Bitch“. Mit dieser Struktur entgeht der Film zwar der „Wo waren sie gestern zwischen 20 und 21 Uhr?“-Krimiroutine; aber die Handlung um die Wetten und Psychospielchen wirkt oft gestelzt, die Figuren des Wett-Quartetts bleiben rätselhaft – ganz klar wird nicht, warum sie das tun, was sie tun.​

Interview mit Autor Andreas Pflüger

Da wird kurz angerissen, dass eine Heroinkonsumentin (Jasmina Al Zihairi) durch die oft gefährlichen Spiele „endlich etwas fühlt“; der edel gewandete Kopf des Quartetts (Omar El-Saeidi) ohrfeigt seine Freundin (Susanne Bormann), wenn sie ihn „Loser“ nennt, beteuert zugleich aber „Ich tu das alles nur für uns“; der Wohlbeleibte (Daniel Zillmann), im Film schon mal „fette Kröte“ oder „Moppelchen“ genannt, wirkt noch am normalsten – vergleichsweise. Sein Eingangssatz zu einer Wette: „Ich bin fett und habe einen kleinen Pimmel. Aber jetzt mach ich Dich fertig.“​

Schürk, das schlechte Gewissen​

Hölzer, bisher der weichere und gesetzestreuere Ermittler im Vergleich zum Kollegen Schürk, kann hier eine gewisse Härte und Entschlossenheit zeigen – von einer originellen kleinen Szene untermauert, in der ihm Schürk wie das schlechte Gewissen in einem Spiegel erscheint und ihn fragt, was dieser Alleingang denn eigentlich soll. „Nichts“, sagt Hölzer in Richtung Spiegel, „ich mache es jetzt einfach so wie Du.“​

Wenig zu tun für die Tatort-Ermittlerinnen​

Schade ist, wie wenig die Ermittlerinnen Baumann und Heinrich beziehungsweise ihre Darstellerinnen Urhausen und Westernströer zu tun haben. Nach sieben Minuten „Tatort“ sieht man sie kurz im Fußballstadion jubeln – wie wir aus der Vorgänger-Episode wissen, ist vor allem Baumann Fan eines fiktiven Saarbrücker Vereins namens „1925 TRS“. Weitere sieben Minuten später sprechen sie mit einem Mann, dem für die Irrfahrt auf der B17 der Wagen gestohlen wurde. Dann verschwinden sie für über 20 Minuten aus dem Film, tauchen kurz buchlesend am Saarbrücker Schloss (Baumann) oder am Büroschreibtisch schlafend (Heinrich) wieder auf, um dann nochmal für 20 Minuten absent zu sein.​

Und wenn im Finale die Männer ins Auto springen, um zum Saarbrücker Flughafen zu rasen, bleiben die Frauen im Büro und werden nicht mehr gesehen. Schade und kein Vergleich zum auch formal unkonventionelleren Vorgänger „Die Kälte der Erde“, in dem Autorin Melanie Waelde und Regisseurin Kerstin Polte den beiden Figuren und Schauspielerinnen mehr Raum gaben. Wie steht es nun mit Schürk und Hölzer? Am Ende, so viel darf man verraten, sind sie sich wieder näher gekommen, diese „bromance“ hat eine Zukunft, eingeläutet vom schönen Satz „Wenn’s schief läuft, bist Du da.“ Gerne in einem Fall, der wieder mehr Interaktion im ganzen Team bietet.​

In der ARD-Mediathek.

Christian Schwochow beim Ophüls-Festival: „Es war nicht so, dass ich da plötzlich viele schöne Angebote bekommen hätte“

Christian Schwochow mit Schauspielerin Luna Wedler bei den Dreharbeiten zu „Je suis Karl“. Der Film über den Versuch von Rechtsextremen, die Demokratie zu erschüttern, läuft am  Freitag, 26. Januar, 18 Uhr, im Cinestar 4. Foto: Dominik Wilzok / Pandora Film

Christian Schwochow mit Schauspielerin Luna Wedler bei den Dreharbeiten zu „Je suis Karl“. Der Film über den Versuch von Rechtsextremen, die Demokratie zu erschüttern, läuft am  Freitag, 26. Januar, 18 Uhr, im Cinestar 4.   Foto: Dominik Wilzok / Pandora Film

 

Lang, lang ist es her. Aber fragt man Christian Schwochow, bei welchen Filmen er einst beim Ophüls-Festival Publikumsgespräche moderierte, erinnert er sich ziemlich gut: „Da war ‚Muxmäuschenstill‘ dabei und hat dann den Ophüls-Preis gewonnen, ‚Katze im Sack‘ und auch ‚Der rote Elvis‘ über den Sänger Dean Reed in der DDR. Gleich fallen mir sicher noch ein paar mehr ein.“​ ​Damals, fast 20 Jahre ist das her, war Schwochow noch kein Regisseur, sondern studierte an der Filmakademie Baden-Württemberg, war Mitte 20 und schnupperte in Saarbrücken erste Festival-Luft. Jetzt ist er wieder da, nun als etablierter Filmemacher, mit Kinofilmen im Lebenslauf, Fernseharbeiten wie „Bad Banks“, internationalen Arbeiten wie „The Crown“ und zuletzt der Netflix-Produktion „München – Im Angesicht des Krieges“. Als wir miteinander telefonieren, ist Schwochow gerade am Münchener Flughafen, frisch zurück aus Los Angeles von der Verleihung der „Emmy“-Fernsehpreise. „The Crown“ war nominiert, blieb ohne Preis, gewann ein paar Tage zuvor aber einen „Golden Globe“, nicht den ersten, diesmal für Schauspielerin Elizabeth Debicki in der Rolle von Lady Diana.​

Enttäuschung mit Kurzfilm​

An die frühen Saarbrücker Festivalzeiten denkt Schwochow, 1978 auf Rügen geboren, gerne zurück, „an die Camera Zwo und dieses schöne kleine Arthouse-Kino – Kino Achteinhalb, oder?“ und „an diese große Begeisterung für Film, an Leute, die sich für das Festival eine Woche Urlaub nehmen“. Den Traum, bei Ophüls selbst mal einen Film zu zeigen, den hatte er durchaus, „aber als ich meinen zweiten Kurzfilm eingereicht habe, wurde der leider nicht genommen“. Das schmerzt Schwochow damals sehr, aber die Enttäuschung ist vergessen, als er 2008 mit seinem Abschlussfilm „Novemberkind“ im Wettbewerb steht. Vor der Uraufführung in Saarbrücken macht er zwar Urlaub in Argentinien, schaut „aber täglich am PC nach, wie viele Kinokarten schon verkauft sind“. Dann bei Ophüls spürt er die Begeisterung bei den Vorstellungen – und gewinnt den Publikumspreis. „Ich war so glücklich und wusste, dass das ein guter Start für den Film ist“.​

Christian Schwochow, fotografiert von Frank Lamm.

Christian Schwochow, fotografiert von Frank Lamm.

 

 

Seitdem ist Schwochow immer mal wieder bei Ophüls: Sein Spielfilm „Die Unsichtbare“ steht 2011 im Wettbewerb, 2018 ist er Mitglied der Spielfilmjury. Hat sich das Festival in seinen Augen über die Jahre verändert? „Nicht verändert hat sich“, sagt er, „dass es immer noch um die Filme geht, um die Künstlerinnern und Künstler dahinter – nicht um Empfänge, nicht um rote Teppiche oder Glamour“. Mittlerweile gäbe es aber mehr Angebote im Rahmenprogramm für die Nachwuchsfilmer. „Die Bedeutung des Festivals ist nach wie vor sehr groß.“ Das wissen auch die Studentinnen und Studenten an seiner alten Filmhochschule in Ludwigsburg, sagt wer, wo er seit einigen Jahren Regie lehrt.​

Keine Strategie – auch wenn es so wirkt​

Schaut man sich Schwochows Filmografie an, wirkt seine Karriere gut organisiert – nach dem „Novemberkind“-Abschlussfilm die Etablierung im Fernsehen mit der Uwe-Tellkamp-Adaption „Der Turm“; einem „Tatort“ und der Reihe „Bad Banks“, parallel zu den Kinofilmen „Westen“, „Paula“, „Deutschstunde“ und „Je suis Karl“. Hatte er da eine Strategie, einen Masterplan, der aufgegangen ist? „Nein, das täuscht“, sagt Schwochow – zwar sei „Novemberkind“ im Kino gut gelaufen, „aber es war nicht so, dass ich da plötzlich viele schöne Angebote bekommen hätte“. Erst lange drei Jahre später kann er seinen zweiten Spielfilm drehen, „Die Unsichtbare“. In der Zwischenzeit „habe ich Konzepte für Produktionsfirmen geschrieben und sehr günstig gelebt – so kam ich über die Runden“. Das sei ihm lieber gewesen, als etwas zu drehen, was ihn nicht wirklich interessiert.​

„Man muss die Dinge selbst vorantreiben“​

Immerhin: Nach der „Unsichtbaren“ (und der Durststrecke davor) kommt das Angebot für den Zweiteiler „Der Turm“, da hat Schwochow schon länger den Kinofilm „Westen“ nach dem Drehbuch seiner Mutter Heide Schwochow vorbereitet – den dreht er zügig danach, hat seitdem viel und regelmäßig gearbeitet. „Man darf nicht zuhause sitzen und auf den Anruf mit dem perfekten Drehbuch warten“, sagt Schwochow, „man muss aktiv sein und die Dinge selbst vorantreiben“.​

Erster Kontakt nach England​

Dann kann eines zum anderen führen. Zum Beispiel zu „The Crown“ (2016-2023), der weltweit erfolgreichen Serie übers britische Königshaus. Schwochows NSU-Fernsehfilm „Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“ läuft 2016 beim französischen Festival „Séries Mania“ und macht eine Agentur in England auf Schwochow aufmerksam. „Damals hat sich der britische Markt gerade für ausländische Talente geöffnet“, sagt er, „also fuhr ich mal für eine Woche nach England, hatte Termine, traf Leute“. Danach passiert länger gar nichts, bis sich Schwochows Londoner Agent meldet, es gäbe da Interesse an ihm seitens „The Crown“. Bei einem kurzen Vorstellungsgespräch trifft er den Produzenten (neudeutsch „Showrunner“) Peter Morgan, der „eher muffelig“ ist, wie Schwochow sagt. „Aber am Montag darauf hatte ich das feste Angebot, innerhalb von einer Woche war alles vertraglich geklärt.“ Schwochow steigt in der dritten Staffel ein, dreht danach zwei eigene Filme und kehrt dann nochmal zu der fünften und finalen sechsten Staffel zurück.​

„The Crown“ ist eine „Riesenmaschine“​

Wie muss man sich die „Crown“-Produktion vorstellen – doppelt so groß wie eine deutsche TV-Arbeit? „Eher fünf Mal so groß“, sagt Schwochow, mit mehr Personal, mehr Budget und mehr Drehzeit. Ist man in so einem Riesenzirkus auch als ein Regisseur von mehreren nur ein mittelgroßes Rädchen im Getriebe? „Das Ganze ist natürlich eine Riesenmaschine, eine gut geölte dazu“, sagt Schwochow, „aber am Ende bin ich es, der mit den Schauspielerinnen und Schauspielern auf dem Set steht“. Und mit einem guten Budget habe man mehr Zeit, „so dass man das Team und sich selbst nicht so durch einen Tag peitschen muss, wie es manchmal in Deutschland der Fall ist, weswegen die Leute nach zwei Monaten kaum noch können“.​

Netflix ruft an​

Während der Arbeit an „The Crown“ macht Netflix Schwochow das Angebot zum historischen Thriller „München – Im Angesicht des Krieges“ mit Jeremy Irons als britischem Premier Neville Chamberlain, der den Zweiten Weltkrieg diplomatisch zu verhindern versucht. Der Streaming-Anbieter will den Film schnell produzieren, und so ist Schwochow in einer beneidenswerten Lage: Er kann, anders als viele Kolleginnen und Kollegen, während der Pandemie arbeiten. Veteran Jeremy Irons hat den Ruf, bei der Arbeit mitunter schwierig zu sein. „Es hat mich ein bisschen Zeit gekostet, um sein Vertrauen zu gewinnen“, sagt Schwochow, „aber wir sind gut ausgekommen miteinander“. Das Drehen während der Pandemie ist nicht ganz einfach, „mit Masken und Tests, aber es war eine schöne Arbeit“.​

Demos gehen Rechts sind „gut, reichen aber nicht“​

In Saarbrücken zeigt und diskutiert Schwochow in dieser Woche drei Filme, von denen einer besonders gut in die aktuelle Lage passt: „Je suis Karl“, über das Erstarken der Rechten, gedreht 2019. „Für den Film bin ich ja nicht nur gelobt, sondern auch sehr kritisiert worden“, sagt Schwochow, „der Film sei übertrieben und überzeichnet, hieß es damals teilweise – diese Kritik habe ich nie verstanden“. Die Bedrohung durch die Rechte sei lange unterschätzt worden, „auch wenn die ziemlich deutlich sagt, was sie vorhat. Das ist für mich unerklärlich.“ Die Demonstrationen gegen Rechts im ganzen Land nach Bekanntwerden des „Remigrations“-Treffens sind für ihn „gut, aber das wird nicht reichen. Man muss sich mit den Leuten auseinandersetzen. Man muss sich den vielleicht unangenehmen Gesprächen stellen mit seinen Nachbarn oder auf der Straße oder im Bus.“ Einen Versuch, die AfD zu verbieten, sieht er skeptisch. „Ich bin nicht sicher, ob man damit etwas löst. Das könnte eher eine Art Märtyrer-Mythos schaffen.“​

„Hunderte von Leuten aus Deutschland plötzlich ohne Arbeit“​

Wie geht es für Schwochow weiter in diesem Jahr? So richtig weiß er es nicht. Die Arbeit an einer großen Serie für einen Streaming-Anbieter in Deutschland stand an, die Entwicklung war schon finanziert, doch der US-Mutterkonzern hat, wie es so unschön heißt, umstrukturiert und kein Interesse mehr an fiktionalen Programmen. „Da sind hunderte von Leuten aus Deutschland plötzlich ohne Arbeit gewesen“; eine andere Heimat für die Serie zu finden, wird nicht einfach, schätzt er. Für sie hatte Schwochow „relativ sichere Projekte“ abgesagt, die nun ohne ihn realisiert werden. „Zum ersten Mal seit einigen Jahren weiß ich nicht, was das nächste Projekt ist. Ich lese gerade verschiedene Sachen, habe mich aber noch nicht entschieden – und versuche diesen Zustand zu genießen. Erstmal bin ich ja beim Ophüls-Festival.“​


Die Termine
mit Christian Schwochow:
„Je suis Karl“, Freitag, 26. Januar, 18 Uhr, Cinestar 4.
„Paula“, Samstag, 27. Januar, 13.30 Uhr, Cinestar 1 – nach dem Film, gegen 15.45 Uhr, beginnt ein Werkstattgespräch.

Info und Karten:
www.ffmop.de

„Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ – Interview mit Regisseur Adrian Goiginger: „Ohne Voodoo würde es den Film gar nicht geben“

Die Bühne ist seine Heimat, mag sie noch so klein sein oder noch so verräuchert: Voodoo Jürgens als Musiker „Rickerl“ in einer Szene des Films, der an vielen sehr atmosphärischen Wiener Schauplät

Die Bühne ist seine Heimat, mag sie noch so klein sein oder noch so verräuchert: Voodoo Jürgens als Musiker „Rickerl“ in einer Szene des Films, der an vielen atmosphärischen Wiener Schauplätzen entstanden ist. Foto: Alessio M. Schroder / Giganten Film /Pandora Film

 

Der Film „Rickerl“ hat die 45. Ausgabe des Filmfestivals Max Ophüls Preis eröffnet. Er erzählt vom Wiener Musiker Erich „Rickerl“ Bohacek und dessen Versuch, von seiner Kunst zu leben. Aber ihm bleiben vor allem das Tingeln durch Wiener Kneipen oder Auftritte bei Begräbnissen. Die Hauptrolle spielt der Wiener Liedermacher Voodoo Jürgens. Regisseur und Autor des Films ist Adrian Goiginger, dessen erster Spielfilm „Die beste aller Welten bei der Berlinale lief.

Glückwunsch zum Film und zum Platz als Eröffnungsfilm in Saarbrücken – wie kam es dazu?​

GOIGINGER Wir sind einfach eingeladen worden – da „Rickerl“ mein vierter Spielfilm und Ophüls ein Nachwuchsfestival ist, hätte ich auch nicht mehr in den Wettbewerb gepasst. Wir freuen uns sehr – und es hilft uns auch bei unserem deutschen Kinostart am 1. Februar.​

Waren Sie vorher schon mal beim Ophüls-Festival?​

GOIGINGER Nein, aber wir wären gerne mal hier gewesen – 2016 hatten wir „Die beste aller Welten“ für den Wettbewerb eingereicht, wurden aber nicht genommen. Dann hatte der Film seine Premiere bei der Berlinale 2017. Das war auch nicht schlecht.​

Der Regisseur und Autor Adrian Goiginger (32). Sein nächstes Kinoprojekt nach „Rickerl“ ist „Vier minus drei“ nach dem Buch von Barbara Pachl-Eberhart  Foto: Giganten Film

Der Regisseur und Autor Adrian Goiginger (32). Sein nächstes Kinoprojekt nach „Rickerl“ ist „Vier minus drei“ nach dem Buch von Barbara Pachl-Eberhart.  Foto: Giganten Film

Am Anfang von „Rickerl“ ist ganz kurz Regisseur Arman T. Riahi als Friedhofsgärtner zu sehen. Er und sein Bruder Arash, auch Regisseur und Produzent,  sind mit ihren Filmen regelmäßig beim Ophüls-Festival dabei. Wie kam es zu dem Gastauftritt?​

GOIGINGER Ich hatte in seinem Film „Fuchs im Bau“, der ja auch bei Ophüls  lief, eine kleine Rolle gespielt, da hatte er mich ins kalte Wasser geschmissen – und das habe ich jetzt mit ihm gemacht. Wir sind Freunde und haben wir uns den Gag erlaubt, uns gegenseitig zu besetzen. Es sind nur winzige Rollen, denn Schauspieler sind wir beide nicht.​

Wie bekannt ist Ihr „Rickerl“-Hauptdarsteller Voodoo Jürgens, bürgerlich David Öllerer, in Österreich? Es liegt sicher an mir, aber ich hatte zuvor von ihm noch nie gehört.​

GOIGINGER In Österreich ist er sehr bekannt, dort kennt fast jeder seinen Namen, in Wien jeder – da sind seine Konzerte immer ausverkauft. In Deutschland kennt man ihn eher in den großen Städten, er hat da ein junges urbanes Publikum.​

War er der Anstoß zum Film? Oder hatten Sie erst die Idee zu „Rickerl“ und mussten dann den richtigen Darsteller suchen?​

GOIGINGER Ohne Voodoo würde es den Film gar nicht geben. Erst durch seine Musik bin ich auf die Idee des Films gekommen, der eben nur mit ihm in der Hauptrolle und mit seiner Musik funktioniert. Ich habe ihn dann ganz offiziell über das Management kontaktiert, zu einem Casting eingeladen. Insgesamt hat es vier, fünf Jahre gedauert vom ersten Treffen bis zum fertigen „Rickerl“ – was für einen Film ziemlich normal ist.​

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Wie haben Sie das Drehbuch geschrieben?                      ​

GOIGINGER Wir haben uns immer wieder getroffen, er hat mir Geschichten erzählt, ich habe ihn ausgefragt über seine Texte, wir haben über Figuren gesprochen, darüber, welche Songs unbedingt in den Film müssen – und das Ganze habe ich dann als Drehbuchautor zusammengefasst.​

Voodoo ist nun kein Schauspieler – hatten Sie Angst, dass das nicht funktioniert?​

GOIGINGER Am Anfang schon, deshalb haben wir einen Probedreh gemacht und an einem Tag  einen Kurzfilm gedreht. Dann haben wir fünf, sechs Wochen geprobt. Da war mir klar, dass er das Ganze sehr ernst nimmt und dass er grundsätzlich Talent hat – technische Dinge kann man ja lernen.​

Aber er spielt nicht sich selbst?​

GOIGINGER Nein, er hat das selbst am besten gesagt – er hat die Kunstfigur Voodoo Jürgens geschaffen und jetzt die Kunstfigur Rickerl, der er seine Songs leiht. Es gibt zwar Parallelen zwischen Rickerl und Voodoo – er war selbst auch oft beim „Service für Arbeitssuchende“, hat bei einem Friedhof gearbeitet – aber der Film ist keine Biografie. Biopic ist nicht mein Genre. Uns ging es um das Lebensgefühl der Texte und das in Wien.​

Der Film hat in der deutschen Kinoversion deutsche Untertitel – auch in Österreich?​

GOIGINGER Nein, der Dialekt ist in Österreich leicht verständlich. Da gibt es schwerer verständliche – im Vorarlberg oder in Tirol etwa. In Deutschland hat der Film je nach Region Untertitel oder nicht. In Bayern sollte es ohne Untertitel gehen, aber nördlich von der Isar kann es dann schon eng werden. Ich bin selbst ja kein Wiener, sondern Salzburger – deshalb musste mein Drehbuch erstmal ins Wienerische übersetzt werden, das ich nicht beherrsche. Als Nicht-Wiener Österreicher hat man generell eine gewisse Hassliebe in Richtung Wien. Man mag die Wiener nicht so, weil sie so „großkopfert“ wirken und ein bisschen auf die Bundesländer herabschauen. Zugleich bewundert man sie auch, weil sie so einen Schmäh haben, so einen Wortwitz. Den Humor würde ich mit dem jüdischen Humor vergleichen, ein bisschen makaber, dabei elegant.​

Wie haben Sie als Nicht-Wiener die Wiener Drehorte gefunden und ausgesucht?​

GOIGINGER Mir wären nur die üblichen touristischen Drehorte eingefallen. Aber Voodoo kennt sich aus, hatte seine Ideen, und im Team waren vor allem Wienerinnen und Wiener, das hat geholfen.​

Es gab keine Studiosets oder Ähnliches?​

GOIGINGER Nein, wir waren an Originalschauplätzen, haben mit möglichst kleinem Team gearbeitet und in den Kneipen auch ein paar Stammgäste als Schauspieler engagiert – mit einer kleinen Rolle und ein paar Sätzen. Das schafft eine schöne Authentizität.​

Der Film ist digital gedreht, was ja oft eine sehr glatte Anmutung hat. „Rickerl“ sieht aber schön körnig aus, manchmal fast wie altes 16-Millimeter-Material.​

GOIGINGER Kameramann Paul Sprinz hat alles versucht, um einen möglichst analogen Look zu schaffen. Wir konnten nicht mit analogen Filmkameras drehen, das kostet mehr, auch die Beleuchtung ist aufwändiger, das hätte uns im Ablauf gestört. Auch inhaltlich wollten wir einen nostalgischen Retro-Charme schaffen. Rickerl hat kein Smartphone, und man darf noch überall  rauchen.​

Es wird auffällig viel geraucht in Ihrem Film.​

GOIGINGER In Österreich gibt es ja im Gegensatz zu Deutschland ein komplettes Rauchverbot. Das hat ganz viele Wiener hart getroffen, denn in den vielen Caféhäusern gehört das Rauchen zum Teil der Kultur. Da dachten wir, wir drehen eine Komödie, die etwas überhöht und überspitzt ist – und da darf man überall noch rauchen, im Kino, in der Straßenbahn und so weiter.​

Wie dreht man denn Rauch-Szenen in den Kneipen, wenn es Rauchverbot gibt?​

GOIGINGER Für Filmdrehs gibt es natürlich Ausnahmen. Man darf ja auch privat keine Autos in die Luft jagen.​

Ihr Film ist sehr bittersüß, bringt Witz und Melancholie zusammen. Haben Sie da ein Vorbild?​

GOIGINGER Ja, Charlie Chaplin. Bei seinem Film „The Kid“ gibt es anfangs einen Text, dass man als Publikum bei dem Film lachen kann – und vielleicht auch eine Träne vergießen.  Bei Filmen wird ja manchmal vergessen, dass es das gleichzeitig gibt. Nur Komödie oder nur trauriger Film – das mag ich nicht. Beides im Film zu haben, war eigentlich nicht so schwierig, weil wir durch den Wortwitz schon einigen Humor haben, und die Vater-Sohn-Beziehung ist sehr anrührend.​

Im Film schaut sich Rickerl Szenen aus den 60er-Jahre-Filmen „Heißes Pflaster Köln“ und Die liebestollen Dirndl von Tirol“ an – beides von der berühmt-berüchtigten Produktionsfirma Lisa Film, die uns unter anderem „Ein Schloss am Wörthersee“ und die „Supernasen“-Filme mit Thomas Gottschalk und Mike Krüger kredenzt haben. Wie kamen Sie auf die Filme?​

GOIGINGER „Heißes Pflaster Köln“, einer der Lieblingsfilme von Voodoo, wollte ich unbedingt im Film haben. Der spielt in Köln im Unterweltmilieu, das plötzlich von Gangstern aus Wien aufgemischt wird, was sehr witzig ist. Und „Liebestolle Dirndl“ läuft ja in einem Sex-Shop, in dem der Rickerl arbeitet. Da schaut sich sein Sohn die ersten Minuten von diesem Fummel- und Schmuddelfilm an. Und so war es auch bei mir: Meine Mutter hat in einem Sex-Shop gearbeitet, und ich habe als Kind von solchen Filmen die ersten fünf oder zehn Minuten sehen dürfen – in denen eben noch nichts geschehen ist.​

Ihr Film läuft jetzt bei einem Festival, das sich dem Nachwuchs widmet – was würden Sie diesem Nachwuchs raten?​

GOIGINGER Ich bin früh mit Filmen gescheitert, die ich nach irgendwelchen Bedürfnissen ausgerichtet habe. Da dachte ich mir: Dann kann ich das auch mit Filmen tun, an denen mein Herz hängt. Und ab da lief es besser. Man sollte nicht spekulieren, was vielleicht gut ankommen kann. Man ist immer am besten, wenn man 100 Prozent an das glaubt, was macht. Ich weiß, dass das kitschig klingt – aber es stimmt eben.​

 

Der Film läuft noch einmal am Freitag, 26.1., um 19.30 Uhr im Cinestar. Bundesstart am 1. Februar über Pandora Film.
Karten, Programm, Termine:
www.ffmop.de​

Interview zu Doku über Asta Nielsen: „Das war eine feministische Ansage“

Asta Nielsen auf einer historischen Starpostkarte.

Asta Nielsen auf einer historischen Starpostkarte.      Foto: Stiftung Deutsche Kinemathek

Asta Nielsen (1881-1972) war der erste große Star des Stummfilms, die Dänin spielte in vielen deutschen Produktionen unkonventionelle Figuren und lebte auch unkonventionell: Sie gestaltete ihre Karriere selbst, handelte eine frühe Gewinnbeteiligung aus, verlor zweimal ihr Vermögen und heiratete mehrfach, zuletzt im Alter von 88 Jahren. In der aktuellen Ausstellung „Der deutsche Film“ im Weltkulturerbe Völklinger Hütte hat sie einen prominenten Platz und ist nun auch das erste Thema im Rahmenprogramm. Die Filmemacherin Sabine Jainski zeigt ihre Doku „Asta Nielsen – Europas erste Filmikone“. ​

 

Wenn man Asta Nielsens Popularität auf ihrem Zenit mit der eines weiblichen Stars von heute vergleicht – wer würde ihr gleichkommen?​

JAINSKI Vielleicht Cate Blanchett? Es müsste eine Frau sein, die auf der ganzen Welt ein Superstar ist und sowohl als Komikerin wie als ernste Schauspielerin Erfolg hat, die eine Rollenbreite vom Teenager bis zur alternden Prostituierten verkörpern kann. Ich bezweifle, dass Schauspielerinnen heute überhaupt noch so viel Freiheit und Vielfalt zugestanden wird, wie sie sich Asta Nielsen damals nehmen konnte. Am ehesten gelang das vielleicht Schauspielerinnen wie Meryl Streep oder Helen Mirren über den gesamten Verlauf ihrer Karriere. Asta hat ja „nur“ im Alter zwischen 29 und 51 Jahren im Film gespielt.​

 

Die Journalistin und Filmemacherin Sabine Jainski. Foto: Elena Ternovaja

Die Journalistin und Filmemacherin Sabine Jainski.     Foto: Elena Ternovaja

Wie kamen Sie auf das Thema Asta Nielsen?​

JAINSKI Die neue Biografie von Barbara Beuys, „Asta Nielsen. Filmgenie und neue Frau“, gab den Anstoß für meinen Film, die Idee kam von der Produzentin Irene Höfer von Medea Film Factory. Ich kannte Asta Nielsen nur oberflächlich als Stummfilmstar, aber ich hatte keine Ahnung, was für eine faszinierende Persönlichkeit sich hinter dem Namen verbarg. Sie hat als alleinerziehende Mutter aus einem Arbeiterhaushalt um 1900 selbstständig eine Schauspielkarriere verfolgt. Besonders spannend fand ich, welche kreative Freiheit sie im frühen Film genoss – sie gestaltete ihre Rollen selbst, bis hin zu Maske und Kostüm, und beteiligte sich auch an Regie und Schnitt. Die Filme realisierte sie gemeinsam mit ihrem Partner, Drehbuchautor und Regisseur Urban Gad, und sie suchte sich unglaublich vielfältige Rollen aus: als alleinerziehende Mutter, arme Putzfrau, verliebter Teenager, aber auch als Bergwerksbesitzerin oder als Suffragette. Das war auch eine feministische Ansage: Frauen wollen eigene Karrieren, sie wollen nicht an Heim und Herd gekettet sein, sie wollen selbst über ihr Leben bestimmen, und sie wollen das Wahlrecht.​

In Ihrem Film heißt es, dass Nielsen keine klassisch-konventionelle Schönheit war – was hat das männliche Kinopublikum an ihr fasziniert?​

JAINSKI Ihre schlanke Figur wäre heute sehr gefragt, aber in den 1910er Jahren orientierte sich das weibliche Schönheitsideal eher an der Rubens-Figur. Zudem war sie dunkelhaarig und nicht blond, was auch manchen Dänen nicht gefiel. Erst in den 1920er Jahren wurden die androgynen „Neuen Frauen“ mit Bubikopf modern, die sie so erfolgreich verkörperte. Die Filmkritikerin Nanna Rasmussen sagt in meinem Film, dass sie ein Symbol gefährlicher, faszinierender Erotik war – sie wirkte geheimnisvoll und verführerisch.​

Alte Kinoanzeigen

Und das weibliche Kinopublikum?​

JAINSKI Das frühe Kino war auch ein Freiraum für das weibliche Publikum, wie die Biografin Barbara Beuys in meinem Film erklärt. Die Frauen konnten sich in Asta Nielsens Figuren wiederfinden, weil sie den Alltag ihrer Zeit auf die Leinwand brachte. Asta spielte berufstätige Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten und zeigte, wie schwer der berufliche Aufstieg war, oder welche Folgen eine unerwünschte Schwangerschaft für Frauen hatte. Sie zeigte, in welchen Abhängigkeitsverhältnissen sich die Frauen befanden. Und wenn sie Männer spielte, war sie durchaus auch für Frauen eine große Verführerin.​

Sie hat unter der Marke „Die Asta“ Dinge vermarktet – war sie eine Pionierin des Merchandise? Und eine Gewinnbeteiligung an Filmen auszuhandeln, war damals auch unerhört, oder?​

JAINSKI Es war eher so, dass andere Geschäftsleute ihre Popularität ausnutzten und Dinge unter ihrem Namen herausbrachten. Sie hat versucht, das zu begrenzen und zu kontrollieren. Vor Gericht ist sie damit allerdings gescheitert. Das Merchandise entstand eher gegen ihren Willen, aber es war wohl zum ersten Mal derart umfassend – es gab unter anderem Schnittchen, Seife, Parfum und Operngläser. Die Gewinnbeteiligung von einem Drittel der Filmeinnahmen war dagegen wirklich ihr großer Coup. Das war 1911, sie hatte ja gerade erst mit ihrem dänischen Filmdebüt einen Riesenerfolg gelandet, und nun sollte sie die große Chance auf eine langjährige Serie in Deutschland bekommen – und da hat sie gleich alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen. Sie hat sehr früh begriffen, dass sich mit Filmen Geld verdienen lässt und dass sie sich selbst als Filmstar vermarkten muss.​

Ein Blick in die Völklinger Ausstellung „Der deutsche Film". Es läuft ein Filmausschnitt aus „Engelein" von 1914, daneben hängt das Plakat zum Film mit Asta Nielsen. Foto: Hans-Georg Merkel / Weltkulturerbe Völklinger Hütte

Ein Blick in die Völklinger Ausstellung „Der deutsche Film“. Es läuft ein Filmausschnitt aus „Engelein“ von 1914, daneben hängt das Plakat zum Film mit Asta Nielsen. Foto: Hans-Georg Merkel / Weltkulturerbe Völklinger Hütte

Nielsen spielte einen weiblichen „Hamlet“, der sagt: „Ich bin kein Mann, muss aber auch keine Frau sein“. Wie wurde das damals verstanden und aufgenommen? Das klingt sehr aktuell.​

JAINSKI Soweit ich weiß, hatte die französische Theaterschauspielerin Sarah Bernhardt als erste Frau den „Hamlet“ gespielt, das war sicher ein Vorbild für Asta Nielsen. Asta hatte auch schon in den 1910er Jahren mehrere komische Hosenrollen gespielt. In „Das Liebes-ABC“ sieht sie fast aus wie Charlie Chaplin. Ihr „Hamlet“ war 1922 ein weltweiter Hit, weil sie in dieser Rolle als Komikerin und als tragische Heldin brillieren konnte. Sie gab der Figur Hamlet damit eine ganz andere Motivation, nicht nur den Vater, sondern auch die eigene unterdrückte Existenz als Frau zu rächen. Sie spielt eine Figur, die zwischen den Geschlechtern steht und die feste Rollenzuschreibung von Mann und Frau infrage stellt. Das ist genau das, was wir heute diskutieren. Ich war immer wieder unglaublich verblüfft, dass Asta Nielsen bereits vor über 100 Jahren genau dieselben Fragen gestellt hat, an denen wir heute immer noch knabbern. Offenbar sind wir gesellschaftlich doch noch nicht so viel weiter als in den 1920er Jahren.​

Das nostalgische Kinomagazin „35 Millimeter“

Nielsens Filmkarriere endete in den 1930ern – warum? War es der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm, der manche Karrieren abrupt beendete?​

JAINSKI Der Tonfilm war kein Problem, sie hatte ja jahrelang auf Deutsch Theater gespielt. Das hört man auch in ihrem ersten und leider einzigen Tonfilm, „Unmögliche Liebe“. Kurz nach der Premiere dieses Films kam Adolf Hitler an die Macht und er wollte Nielsen für seine Sache gewinnen. Sie hat durchaus geschwankt, aber sich dann letztlich doch entschieden, nicht mit den Nationalsozialisten zusammenzuarbeiten. Sie hat dann keine Filme mehr gedreht, sondern weiter am Theater gearbeitet.​

Ihr Film endet mit der letzten Ehe von Asta Nielsen, spart ihren Tod 1972 aber aus – warum?​

JAINSKI Ich fand es unglaublich faszinierend, wie oft Asta Nielsen privat wie beruflich immer wieder von vorne angefangen hat. Sie hat zwei Weltkriege überlebt, dreimal ihr Vermögen verloren, zwei Produktionsfirmen gingen den Bach hinunter, sie hatte drei gescheiterte Ehen hinter sich, war ab den 1950er Jahren in Dänemark sehr einsam. Und dann fängt sie im hohen Alter noch eine neue Beziehung zu dem Kunsthändler Christian Theede an – und heiratet ihn mit 88 Jahren! Was für ein Vorbild! Er hat sie dann bis zu ihrem Tod begleitet.​

Termin: Donnerstag, 18. Januar, 18.30 Uhr. Nach der Filmvorstellung gibt es ein Gespräch mit Sabine Jainski, Kurator und Weltkulturerbe-Vorstand Ralf Beil und dem Publikum. Der Eintritt ist frei. Infos: Weltkulturerbe Völklinger Hütte.

Die Doku ist in der Mediathek von Arte zu sehen.

Kontakt zu Sabine Jainski: www.jaunski.de

Dux-Kino 68 – Das erste Heimkino aus der Kindheit

Bevor Jahre später der klobige Super-8-Projektor von Bauer ins Haus kam, war dies die erste Berührung mit Heimkino: das selige Dux-Kino 68 von der Firma Markes & Co. aus Lüdenscheid.  Der Filmbetrieb funktionierte per Kurbel, man konnte die Bilder an die Pseudo-Leinwand im Verpackungsdeckel strahlen – oder einfach vorne reinschauen. Dazu gab es (sehr kurze) Filme wie „Bugs Bunny und die Marsmenschen“ oder auch „Tweety in Nöten“.  Im alten Kinderzimmer liegt noch fast alles, nur das Herzstück ist verschwunden – der alte, batteriebetriebene Mini-Projektor.

Das erste Kino der Kindheit

 

Der Projektor Dux-Kino 68

Neulich beim Aufräumen gefunden.

 

Verpackung des Spielzeugs Dux-Kino 68

Vorne reinschauen – fertig ist das „Tageslicht-Kino“

Dux-Kino 68

Die Leinwand im Deckel.

 

Dux-Kino 68

Zwei Filme, die die Zeit überlebt haben.

„Die 2050er – Everything will change“ – Interview mit Regisseur Marten Persiel

Der Filmemacher Marten Persiel. Foto: Christopher Flaering / Flare Film

Filmemacher Marten Persiel. Foto: Christopher Flaering / Flare Film

Im Jahr 2054 ist die Welt am Ende. Drei junge Menschen wollen erkunden, wie es so weit kommen konnte ; der Schlüssel dazu liegt in der Vergangenheit – unserer Gegenwart.
Vor zwei Jahren hat „Everything will change“ das 43. Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken eröffnet, jetzt läuft der Spielfilm unter dem Titel „Die 2050er – Everything will change“ bei Arte.  Ein Gespräch mit Regisseur Marten Persiel über seinen Film, Artensterben und den Hass auf Klima-Aktivisten.

 

 Im Hintergrund ist viel Vogelgezwitscher zu hören – wo sind Sie denn gerade?​

PERSIEL Ich bin in Lissabon, im botanischen Garten. Ich wohne hier in der Nähe auf dem Land. Bei der Recherchezeit für den Film habe ich in einer kleinen Hütte gelebt und das Artensterben, um das es im Film geht, miterlebt: Wenn man einen Naturort immer wieder über Jahre besucht, merkt man, wie sich vieles verändert, wie plötzlich keine Frösche mehr am Teich sind, wie keine Schmetterlinge dort herumfliegen, wo früher tausende waren. Das ist schockierend – und war auch ein Motor für den Film.​

Ihr Film verbindet eine fiktive Handlung mit  Dokumentarmaterial – wie würden Sie den Film selbst einordnen?​ Spielfilm? Doku?

PERSIEL Am liebsten gar nicht. Diese Unterscheidung sehe ich eher als Hilfe für den Zuschauer, für  Filmemacher finde ich sie weniger gut. Das ist wie bei einem Album von Jimi Hendrix, wo man nicht genau weiß, ob man es unter „Rock“ einordnen soll oder unter „Soul“. Auch bei meinem ersten Langfilm „This ain’t California“ gab es diese Frage, ob nun Spielfilm oder Doku – aber eigentlich stellt sie sich mir als Filmemacher nicht.​

Wie lange haben Sie sich schon mit dem Thema Artensterben beschäftigt?​

PERSIEL Seit meiner Kindheit. Mein Vater Heinz-Werner Persiel ist ein Naturschutz-Urgestein aus Niedersachen. Da bin ich sehr früh mit dem Thema in Berührung gekommen. Naturliebe ist tief in mir verwurzelt und bringt mich um den Schlaf – als Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde, habe ich heiße Tränen geweint, weil ich wusste, wer sein Naturschutzbeauftragter ist. Wir haben mit dem Klimawandel und Covid andere Probleme, so dass das Artensterben ignoriert wird, was mir unglaublich viel Sorgen macht. Deswegen habe ich mich in den Film so reingekniet, sechs Jahre an ihm geschrieben.​

Interview mit Steffen Greiner zu Verschwörungstheorien

Welche Rolle bei der Produktion hatte Wim Wenders? „Everything will change“ hat ja das Wenders-Stipendium der Medienstiftung NRW erhalten.​

PERSIEL Das Stipendium unterstützt neue Formen des Erzählens, da passen wir gut hinein mit dem erzählerischen Kniff, dass es sozusagen ein Dokumentarfilm aus der Zukunft über uns ist. Dieser Blick auf uns selbst, als wäre unsere Gegenwart „die gute alte Zeit“, hat ihm gut gefallen. Er hat auch zugesagt, im Film aufzutreten. Dass er ganz früh hinter dem Projekt stand, hat uns sehr geholfen, andere Künstler und die wichtigsten Wissenschaftler ins Boot zu bekommen.​

Wie tief haben Sie in den Archiven geforscht für die spektakulären Naturbilder, die ebenso den Schrecken der versehrten Natur zeigen wie ihre atemberaubende Schönheit?​

PERSIEL Da gebührt der größte Dank unserer Cutterin Maxine Goedicke, die Haupt-Cutterin von Wim Wenders – sie hat auch meinen ersten Langfilm „This ain’t California“ geschnitten und dafür den deutschen Kamerapreis gewonnen. Sie hat ein großes Talent für eine emotionale Montage. Am Anfang des Films zeigen wir viele Tiere, die in gewisser Weise aussehen wie Menschen – das ist in der ernsten Wissenschaft sehr verpönt, da soll man Tiere ja nicht anthropomorphisch darstellen. Wir tun das aber mit Absicht, weil wir keine wissenschaftliche Betrachtung im Sinn haben, sondern eine emotionale.​

Doku „Die Geschichte der Kriegsberichterstattung“ von Marcel Ophüls

Der Film ist in mehreren Ländern entstanden, Sie mussten für ihn also einige Male ins Flugzeug steigen. Mit einem schlechten Gefühl, wo Flüge doch Klimawandel und Artensterben beschleunigen?​

PERSIEL Ja klar, das ist ein extremes Problem. Wir haben getan, was man tun kann – wir haben entsprechend der C02-Produktion Geld an Klima-Initiativen gezahlt, wollten aber weitergehen als das und haben noch 3500 Bäume pflanzen lassen. Es bleibt eine paradoxe Situation. Aber diese These „Man kann ja eh nix machen“ stimmt nicht. Man kann viel vermeiden, man kann viel tun, und das haben wir auch bei der Produktion gemacht –  sie sollte möglichst grün sein.​

Die Doku „Speer goes to Hollywood“

Würde man selbst mehr gegen Artensterben und Klimawandel tun, wenn man unsterblich wäre? So aber kann man, je nach Alter, denken, dass das Ganze einen ja eh nicht mehr so richtig trifft.​

PERSIEL Das ist ein finsterer Gedanke, aber ich glaube auch, dass es so ist. Man merkt ja seit drei, vier Jahren, dass die Lage ernst ist. Aber viele Leute meines Alters, ich bin jetzt über 40, tun nichts, weil sie glauben, bis zum Ende mit einigermaßen trockenen Ohren durchzukommen. Aber bei den jungen Leuten ist das eine ganz andere Stimmung – die werden mit dem Ganzen klarkommen müssen.​

Wie erklären Sie sich da den teilweisen Hass auf Klima-Aktivisten?​

PERSIEL Die kann ich mir gar nicht erklären. Vielleicht ist es einfach Dummheit. Vielleicht passt dazu auch, wenn Leute mit Lust Insektengift auslegen und Tiere töten. Möglicherweise ist da etwas ganz Archaisches versteckt, ein Absetzen vom Rest der Schöpfung durch diese „Ich darf alles zerstören“-Attitüde.​

Und Klimawandel-Leugner, die wissenschaftliche Studien ignorieren?​

PERSIEL Ich glaube, dass es die gar nicht mehr gibt – vielleicht schreiben Leute solche Thesen noch in irgendwelche Blogs, um zu provozieren, aber sie wissen es selbst mittlerweile besser. Beim Artensterben liegt der Fall anders: Es ist viel weniger bekannt als es sein sollte.​

 

Verdorrt und feuerrot: Die Welt des Jahres 2054. Foto: Flare Film

Die Welt des Jahres 2054. Foto: Flare Film

Ihr Film zeigt die verwüstete Welt der Zukunft, indem die Natur feuerrot strahlt – war das ein komplizierter Filmtrick?​

PERSIEL Kompliziert war es, aber keine Computertrick, sondern die Arbeit einer Infrarotkamera, wie sie seit den 50ern schon eingesetzt wird  – dieses Prinzip wurde häufig von der US-Armee im Vietnamkrieg eingesetzt, um in Bildern aus der Luft das reale Grün des Dschungels zu unterscheiden von grün getarnten Wegen. Die Kamera kann Chlorophyll-Grün von grüner Farbe unterscheiden. Wir haben einen neuen Filter eingesetzt, der die Kamera alle Farben normal wiedergeben lässt, nur das grüne Chlorophyll wird zu Rot.​

In Ihrem Film, ohne dessen Ende vorweg zu nehmen, gibt es trotz allem Optimismus. Wie optimistisch sind sie, was die Realität angeht?​

PERSIEL Das Paradies der Vergangenheit ist verloren. Wir können das Artensterben und den Klimawandel nicht mehr aufhalten, die Situation nicht mehr zurückdrehen. Die Welt wird sich sehr verändern, Ökosysteme werden auseinanderfallen – aber die Natur hat die Kraft, sich zu fangen. Vielleicht gibt es eine Natur der Zukunft nach 200 schlimmen Jahren, mit vielleicht nur noch einem Viertel der Menschen. Es wird geschätzt, dass es vor der industriellen Zeit neun Millionen Tierarten gab. Die haben wir jetzt schon stark dezimiert – und das wird weitergehen, selbst wenn wir jetzt versuchen würden, umzukehren. Wir verlieren die Arten tausendfach schneller als wir dürften. Wir werden sie so oder so um mindestens die Hälfte dezimieren. Ich bin Pessimist, was das Paradies angeht, das es mal gab – das ist für immer verloren. Ich bin aber Optimist im Sinne der Heilkraft der Natur, dass es irgendwann mal wieder schön sein wird auf der Welt – aber so vielfältig wird sie nie wieder sein.​

Ihr Film packt emotional – soll er auch zum Aktivismus bewegen?​

PERSIEL Ja, aber diesen Aspekt habe ich gar nicht so gesehen, als ich mit der Arbeit begonnen hatte. Der Film sollte erstmal berühren und ein Kinoerlebnis sein. Aber das alleine ist eben nicht genug, deshalb will der Film den Zuschauer auch dazu bringen, etwas zu tun. Ich kann jedem nur empfehlen, nicht zuhause rumzusitzen, sondern in den Wald zu gehen und dort etwas zu erfühlen, was schwer zu beschreiben ist. Man ist draußen, die Tierinstinkte werden wach, man spürt den Ort und die Kraft, die man für diesen Kampf braucht. Das geht beim Rumsitzen zuhause nicht. Man muss raus in die Natur.​

Zu sehen in der Mediathek von Arte und am 10. Januar, 22.55 Uhr

 

Interview zu James Bond: „Die Filme dieser Zeit sind schamlos sexistisch“

"Höhepunkte am laufenden Band, Mädchen, die wie Siamkatzen schnurren" - eine Anzeige zum 1973er Bond "Der Mann mit dem Goldenen Colt". Foto: Archiv SZ

„Höhepunkte am laufenden Band, Mädchen, die wie Siamkatzen schnurren“ – eine Anzeige zum 1974er Bond „Der Mann mit dem Goldenen Colt“. Foto: Archiv SZ

 

Schurken, die in Vulkanen wohnen, Frauennamen wie „Pussy Galore“ und James Bond, der immer wieder die Welt rettet. Der Kulturwissenschaftler Wieland Schwanebeck hat ein sehr vergnügliches Buch über die Welt von 007 geschrieben. Ich habe mit ihm gesprochen – unter anderem über das alte Thema: Wie sexistisch sind die Bond-Filme, wie rassistisch die alten Romane?

Das British Film Institute BFI versieht jetzt auch Bond-Filme in einer John-Barry-Reihe mit einem Warnhinweis, dass man sich auf Stereotypen einstellen soll und auf einen Zeitgeist von gestern. Wie sinnvoll ist das?  

SCHWANEBECK Ich finde diese Hinweisangebote ganz sympathisch und ziehe sie in jedem Fall der Zensur oder nachträglichen Retuschierung vor. Eine kurze Einblendung vor Filmbeginn tut niemandem weh, sie ersetzt aber natürlich keine gründliche Auseinandersetzung mit den Filmen – mit den ganzen ethnischen Stereotypen und dieser ganzen Playboy-Fantasiewelt, die eigentlich schon damals niemand mit der Realität verwechselt haben dürfte. Die alten Filme sollten ansonsten intakt bleiben dürfen, als Zeitdokumente oder eben auch, um die Weiterentwicklung von heute messen zu können. Damals gab es in den Filmen Frauen, die zum Beispiel Pussy Galore heißen, als wären sie Offerten zum Geschlechtsverkehr, und besonders schurkischen Schurken. Das würde niemand mit der Realität verwechseln. Die neueren Filme bedienen solche Stereotypen nicht mehr, es gibt etwa kein „Yellowfacing“ mehr wie im ersten Kino-Bond „Dr. No“, wo ein kanadischer weißer Schauspieler zu einem asiatischen Bösewicht umgeschminkt wird. Und Bond schießt auch nicht mehr dutzendweise gesichtslose chinesische Handlanger über den Haufen.

Ich habe vor einiger Zeit meinen liebsten Roger-Moore-Bond, „Der Spion, der mich liebte“ von 1977, mit dem Unterwasserauto und einem Handlanger mit Stahlgebiss, meiner Tochter gezeigt – damals ihr erster Bond. Und mir war es ziemlich peinlich, weil ich diesen Altherren-Sexismus gar nicht in Erinnerung hatte. Mit elf, als ich den Film zum ersten Mal sah, fand ich das alles ziemlich witzig – und eigentlich auch ganz normal.

SCHWANEBECK Die Filme dieser Zeit sind schamlos sexistisch, das zieht sich mindestens durch die 1960er und 1970er. In „Goldfinger“ verabschiedet Bond seine Gespielin mit einem Klaps auf den Hintern, weil jetzt „Männergespräche“ anstehen – dass uns das heute so fremdschammäßig peinlich vorkommt und wir beim Schauen mit den Augen rollen, zeigt aber, dass sich die Kultur gewandelt hat. Auch Jugendliche wissen, wie sie das einsortieren müssen: als Opa-Humor von gestern, so wie einen Witz von Fips Asmussen. Den Schauwert dieser Filme kann man ja trotzdem genießen. Und eigentlich zwinkern uns diese Filme, gerade die mit Roger Moore, immer zu, um uns klarzumachen, dass sie gar kein Abbild der Realität sein wollen. In der Bond-Forschung gibt es auch feministische Lesarten, die die Filme als überzogenes Zerrbild unserer sexistischen Gesellschaft sehen – so dass man eigentlich mit Bond lachen muss, nicht über ihn.

 

Kulturwissenschaftler Wieland Schwanebeck.

Kulturwissenschaftler Wieland Schwanebeck.

 

Haben die Macher der frühen Filme das beabsichtigt? Sozusagen Bond als Sexismus-Satire?

SCHWANEBECK Das glaube ich nicht. Bücher, Filme und Musik haben ja oft eine unbewusste Ebene. Schauen Sie sich „Diamantenfieber“ mit Sean Connery von 1971 an – ein Film, in dem Bond durch enge Röhren kriecht, es viel Toiletten-Humor gibt und er es mit schwulen Killern zu tun bekommt. Da schreibt sich schon eine Art Anal- und Homophobie in den Film ein. Ob die jetzt vom Drehbuch kommt, von der Romanvorlage, von der Regie oder von Connery, der ein relativ reaktionäres Mannsbild gewesen sein soll, ist schwer zu sagen. Die späteren Filme sind da cleverer und intellektueller, da muss Bond ja auch mal zum Psychologen oder wird von seiner Vorgesetzten als sexistischer Dinosaurier bezeichnet.

Was fasziniert Sie als Kulturwissenschaftler generell am Thema Bond?

SCHWANEBECK An Bond kann man zum Beispiel das Verhältnis zur britischen Monarchie behandeln oder fragen, wie sich die britische Gesellschaft sieht. Die Filme lassen sich gut als Statement zum Zeitgeist lesen.

Zum Beispiel?

SCHWANEBECK Besonders deutlich ist das bei Roger Moore. Er verkörpert ja mit seinen Safari-Anzügen die Leichtigkeit des verspäteten Kolonialherren, der eine große Playboy-Party feiert. Aber als er Mitte der 1980er abtritt, kommt gerade das böse Erwachen mit Aids – und entsprechend muss sich sein Nachfolger Timothy Dalton verhalten. Er ist relativ monogam und versucht ein bisschen Seriosität herzustellen – so gesehen hat sich da bei Bond etwas verändert, so wie die Welt auch.

 

Wie groß sind die Unterschiede zwischen dem literarischen Bond von Ian Fleming und dem Kino-Bond?

SCHWANEBECK Autor Fleming war ein ganz großer Freund der amerikanischen Krimischule, seine Vorbilder kamen nicht aus dem verknöcherten Dunstkreis britischer klassischer Abenteuerliteratur. Deswegen sind die Männer bei Fleming meist versoffen, abgebrüht und zynisch. Er bietet auch „femmes fatales“ auf, die ein falsches Spiel spielen, weswegen Bond am Ende von „Casino Royale“, als seine Freundin stirbt, ja auch „Die Schlampe ist tot“ sagt – sehr prägend für das Frauenbild des literarischen Bond. In Flemings Büchern finden sich Antisemitismus, dazu Vorurteile etwa über Asiaten, denen man meist nicht trauen kann – nicht direkt aus der Erzählersicht, sondern gebrochen durch Bonds Perspektive. Bond steckt voller Vorurteile, für ihn sind alle Frauen, Juden, Schwarzen, Asiaten auf ihre Weise gleich. Das ist in den Filmen abgemildert, auch schon in den frühen, denn in den 1960ern, als die ersten Kino-Bonds entstanden, ging alles etwas spielerischer zu, in Richtung einer etwas offeneren Gesellschaft und auch einer „Playboy“-Kultur.

Ist der literarische Bond ohnehin nicht eine eher langweilige Figur? Ein etwas spießiger Snob mit Vorliebe für edle Marken-Waren, die Fleming höchst liebevoll immer und immer wieder herunterbetet?

SCHWANEBECK Spießer trifft es ganz gut, Flemings Bond ist ein ziemlich reaktionärer Knochen, vor allem der häusliche Bond, den man in den Filmen ja selten sieht: Er braucht seine Rituale, seine morgendlichen Rühreier, seinen Kaffee und seine vertraute Zigarettenmarke.

Ihr Buch enthält sich der üblichen, meist nutzlosen Listen, etwa wer der beste Bond-Darsteller oder was sein schönstes Auto ist – aber einen Film bezeichnen Sie als den mitreißendsten, auch meinen Lieblings-Bond: „Im Geheimdienst ihrer Majestät“. Was macht den Film so besonders?

SCHWANEBECK Inhaltlich unterscheidet er sich sehr stark von den anderen – er ist eher melodramatisch, zwischendurch gibt es eine ganze Stunde ohne Actionsequenz, der Film baut eine Beziehung auf, Bond heiratet am Ende. Das ist alles sehr untypisch. Auch gestalterisch ist der Film eine Klasse für sich. Regisseur Steven Soderbergh meinte einmal, das sei der einzige Bond, von dem man sich jede Kamera-Einstellung gerahmt übers Bett hängen möchte. Da ist was dran. Das geht auch über diesen Postkarten-Exotismus hinaus, den man sonst so bei Bond findet. Vielleicht ist es Zufall, aber es ist auch die werkgetreuste Verfilmung eines Fleming-Romans. Und die Vorlage ist ein später Fleming – Bond gewinnt in den letzten Romanen deutlich an charakterlichem Profil.​

 

Eine alte Anzeige zu "Im Geheimdienst ihrer Majestät". Foto: Archiv SZ

Eine alte Anzeige zu „Im Geheimdienst ihrer Majestät“. Foto: Archiv SZ

 

Hätten Sie sich gewünscht, dass Lazenby als Darsteller länger drangeblieben wäre?​

SCHWANEBECK Ach, dieses „was wäre wenn“ finde ich meistens müßig – es hätte der Serie vielleicht nicht geschadet, weil es dann, als Connery in „Diamantenfieber“ unerwartet zurückkam, viele Kontinuitätssprünge gab. Aber hätte seine Präsenz die Filme wesentlich verändert? Ich weiß es nicht. Die Filme entstanden bis zum Ende des Kalten Krieges relativ beständig im Zwei-Jahres-Takt und wurden meist auch unabhängig von der Besetzung entworfen und geplant.​

Lazenby hat einen Film gedreht, Timothy Dalton 1987 und 1989 auch nur zwei, der zweite war ein relativer Flop. Warum hat es mit ihm nicht funktioniert?​

SCHWANEBECK Für das damalige Publikum kann ich nicht sprechen, aber es wird oft ins Feld geführt, dass Dalton kein großer Frauenmagnet gewesen sein soll. „Lizenz zum Töten“ ist einer der am wenigsten erfolgreichen Bond-Filme, er musste 1989 aber auch antreten gegen Blockbuster wie„Batman“, „Zurück in die Zukunft 2“, „Indiana Jones 3“ – übrigens mit Sean Connery. Der Film ist gut gemacht und nimmt mit seiner Härte und Nüchternheit ja einiges von dem vorweg, was später bei Daniel Craig Erfolg hatte.​

Wie konservativ ist der klassische Bond-Fan? Auffällig ist in vielen Foren und Facebook-Gruppen: Sobald jemand erwähnt, Bond könnte doch mal von einer Frau gespielt werden oder von einem Nicht-Weißen, ist die Empörung riesengroß.

SCHWANEBECK Ich mache keine empirische Rezeptionsforschung, aber die Forschung stellt sich die Bond-Fans meines Erachtens etwas zu konservativ vor. Wenn nur Bond-Puristen die Kinokarten für Bond gelöst hätten, dann wären die Filme nicht derart erfolgreich. Da gehen auch Leute ins Kino wie meine Eltern, denen egal ist, wer Bond spielt, welche Hautfarbe der Darsteller hat oder welche Haarfarbe – selbst da gab es übrigens bei konservativen Bond-Fans einst Diskussionen und Proteste, weil manchen die blonden Haare von Daniel Craig nicht gefallen haben.

Die Bond-Filme waren lange aus der Hochkultur ausgeschlossen, auch seitens der Filmkritik – die war in den 60ern bis 80ern eher etwas hämisch und naserümpfend. Mittlerweile ist das anders – was ist da passiert?

SCHWANEBECK Die linksliberale Filmkritik der 60er und 70er hat Bond als faschistische Figur abgetan – nicht ganz zu Unrecht. Ernst genommen wurde Bond dann später, als er sich auch der realen Welt mit ihren realen Problemen zugewandt hat, als der Plot mehr bot als „Schurke entführt Atomsprengkopf und erpresst die Welt um zig Millionen Dollar“. Bond ermittelt im Drogenmilieu, Bond mischt sich in den Kampf um Ressourcen ein.

 

Die Figur Bond gilt ja gerne als Trost für Briten, die dem Empire und der bestimmenden Rolle Englands in der Welt nachtrauern – der Brite Bond rettet stellvertretend für das Empire die ganze Welt. Haben die jüngsten Bond-Filme irgendwo Stellung zum Brexit bezogen?

SCHWANEBECK Explizit nicht – aber das Motiv des Rückzugs, des Rückzugsgefechts, fällt schon auf. Auch die Tatsache, dass die jüngsten Filme England und London als Handlungsort entdeckt haben. „Spectre“ formuliert sehr deutlich ein Misstrauen in politische Entscheidungen und Entscheidungsträger im eigenen Land. Das hätte es in den alten Bonds nie gegeben – da hat Bond seine Pflicht erfüllt, weil er überzeugt war, für eine gute Sache zu kämpfen. Im eigenen Stall gibt es keine Korruption, der Auftrag ist eindeutig legitim – das hat sich in den letzten beiden Filmen verschoben.

Daniel Craig ist mittlerweile abgetreten. Wer könnte oder sollte ihm nachfolgen?

SCHWANEBECK Einen Tipp möchte ich ungern geben. Aber ich würde mich sehr freuen, wenn die Produzenten mal in eine andere Richtung gehen würden. Mir fallen da schon ein paar Leute ein, die durchaus interessant wären, aber mein Herz habe ich an niemanden verschenkt. Idris Elba hätte ich mir sehr gut vorstellen können, aber er ist fast schon 50 und damit womöglich zu alt – ein sehr guter und charismatischer Schauspieler. David Oyelowo wäre ebenfalls interessant, auch ein schwarzer Schauspieler. Dan Stevens aus „Downton Abbey“ wäre die klassische Wahl eines sehr gutaussehenden, sehr viel Englishness verströmenden Darstellers.

Und Tom Hardy, der immer mal wieder genannt wird?

SCHWANEBECK Da bin ich skeptisch. Er verströmt vielleicht zu viel von der wortkargen Härte, die wir schon von Daniel Craig kennen, aber er ist ein guter Freund von Regisseur Christopher Nolan – vielleicht kriegt man Nolan dann mal dazu, einen Bond-Film zu machen.

Ist Nolan nicht ein bisschen zu künstlerisch beziehungsweise manchmal etwas zu prätentiös für Bond? Die Reihe funktioniert ja gerade mit sogenannten „guten Regie-Handwerkern“ wie Martin Campbell etwa, der „GoldenEye“ und „Casino Royale“ gedreht hat, besonders gut. Nolans Filme wollen immer besonders clever wirken, cleverer, als sie manchmal sind.

SCHWANEBECK Den Eindruck würde ich teilen, und Nolan hat ja eigentlich seine Bond-Filme schon gedreht: „Inception“ und „Tenet“. Aber dennoch – warum nicht? Schön wäre, wenn nicht dasselbe Personal zehn, 15 Jahre Bond gestaltet, sondern dass sich da alle drei, vier Jahre jemand ausprobieren darf. Warum nicht mal ein Film von Nolan? Oder von Lynne Ramsay, einer tollen Regisseurin? Oder Phoebe Waller-Bridge, einer Autorin, die bei „Keine Zeit zu sterben“ den Dialog aufpoliert hat und bei der Serie „Killing Eve“ gezeigt hat, dass sie eine Bond-Geschichte auf sehr smarte und witzige Weise schreiben könnte. Warum nicht alle drei Jahre die Schlüssel fürs teure Familienauto mal jemand anderem geben? Dann wäre auch mehr Raum für verschiedene Perspektiven – mal ein witziger, mal ein sehr ernster, mal ein nostalgisch-verspielter, mal ein ultra-futuristischer. Die Marke würde es aushalten.

Wieland Schwanebeck: James Bond.
100 Seiten.
Reclam, 100 S., 10 Euro.

„Lola“ von Andrew Legge – England im NS-Gleichschritt

Die Schwestern und ihre Maschine: Thomasina Hanbury (Emma Appleton, links) und Martha (Stefanie Martini) vor dem Apparat Lola, mit dem man in die Zukunft schauen kann. ​ Foto: Neue Visionen

Die Schwestern und ihre Maschine: Thomasina Hanbury (Emma Appleton, links) und Martha (Stefanie Martini) vor dem Apparat Lola, mit dem man in die Zukunft schauen kann. ​ Foto: Neue Visionen

Es ist ein alter Traum, ein ewiges „Was wäre wenn“: Könnte man doch in die Zukunft schauen. Erfahren, was Schicksal (oder Zufall, je nach persönlicher Philosophie) für einen in petto hat. Wissen, wie sich die Weltgeschichte entwickelt. Die Hanbury-Schwestern Thomasina (Emma Appleton) und Martha (Stefanie Martini)  müssen nicht mehr mutmaßen – in ihrem leicht verlotterten britischen Landhaus haben sie eine Maschine namens Lola zusammengeschraubt; die mag aussehen wie ein transparenter Teller plus Schreibmaschinentastatur, hat es aber in sich. Lola  zeigt den Schwestern Fernseh- und Radio-Schnipsel aus der Zukunft, Wochenschauen, Videoclips. Die Gegenwart der Schwestern ist das Jahr 1938 – entsprechend überrascht sind sie, als Lola ihnen eine Momentaufnahme aus dem Jahr 1973 zeigt: einen schmalen Engländer mit ungewöhnlicher Frisur, der etwas von einem „Major Tom“ singt. Sie erblicken David Bowie, hören „Space Oddity“ und wissen: „Wir sehen in die Zukunft“. Nur: Was fängt man an mit dieser Gewissheit? Und mit dieser Maschine?​

Die Luftschlacht um England​

Der irisch-englische Film „Lola“ ist ein Geheimtipp, eine kleine, schwarzweiß schimmernde Kinoperle. Der Dubliner Regisseur Andrew Legge, der hier seinen ersten Spielfilm vorlegt, interessiert sich offenbar für das Phänomen Zeit. In seinem 2009er Kurzfilm „The Chronoscope“ entwickelt eine Wissenschaftlerin einen Apparat, mit dem man in die Vergangenheit blicken kann;  in „Lola“ öffnet die Maschine den Schwestern einen Blick in die Zukunft, was finanziell ein Segen ist – da sie wissen, welches Tier beim Pferderennen die Nüstern vorne hat, können sie ihren Lebensunterhalt mit Wett-Gewinnen bestreiten. Doch als Deutschland ab 1940 mit Bombenangriffen versucht, England in die Knie zu zwingen, wird Lola auch historisch wichtig: Die Schwestern schauen sich Wochenschauen über die Attacken aus der Zukunft an, wissen, wo die Bomben einschlagen werden und informieren das Militär, sodass die Menschen dort rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. Die Schwestern werden schnell zu einer Sensation, sind dem Militär aber ein Dorn im Auge, da sie unerkannt bleiben und sich bloß per Funkspruch melden. Die Uniformträger versuchen, die Schwestern zu finden.​

Collage von „fake news“​

Die Geschichte von „Lola“ ist wendungsreich, die Machart wunderbar eigenwillig: Wie das Militär die Schwestern findet, die Maschine in ihre Kriegstaktik einbindet, wie das Schwesternverhältnis rissig wird, als sich ein Soldat besonders für Martha interessiert, wie die eigene Verantwortung wächst – das erzählt Legge in Form einer großen, grobkörnigen Collage aus Spielszenen, oft mit Wackelkamera eingefangen, aus realen und aus fingierten Zeitungsseiten und Wochenschauen, die mal unbearbeitet, mal sehr geschickt verfälscht sind – filmische fake news. Etwa wenn Großbritannien feiert, dass Hitlerdeutschland seine Angriffe einstellt, weil die Royal Air Force, wie bei Fuchs und Hase, immer schon da ist, wo die Luftwaffe hinfliegt. Aus der Zukunft entlehnen die Schwestern den Song „You really got me“ von den Kinks aus dem Jahr 1964 – in ihrer angeswingten Version wird das Stück zur britischen Hymne auf den (scheinbaren) Sieg gegen Nazi-Deutschland.​

 

Szene aus dem Film "Lola" mit Martha (Stefanie Martini) und dem britische Offizier Holloway (Rory Fleck Byrne). Foto: Neue Visionen

Martha (Stefanie Martini) und der britische Offizier Holloway (Rory Fleck Byrne). Foto: Neue Visionen

Doch das Verändern der Gegenwart hat seine Tücken. Als sich die Schwestern wieder mal Bowie in den 1970ern anschauen wollen, sehen sie auf dem Lola-Bildschirm nur einen Mann namens Reginald Watson, der ein Loblied auf Füße und Stiefel anstimmt, die im Gleichschritt marschieren – eine Art Synthie-Fascho-Pop, auf absurde Weise witzig wie gleichermaßen erschreckend (geschrieben und gespielt von Neil Hannon von der britischen Band The Divine Comedy). Und da Lolas Aufzeichnungen aus der Zukunft nicht ganz zuverlässig sind, kommt es dazu, worüber etwa Len Deighton im Roman „SS-GB“ oder die TV-Serie „The man in the high castle“ spekuliert haben – NS-Deutschland erobert England. Davon erzählt Regisseur Legge, dem schmalen Budget zum Trotz, meisterlich, mit beängstigenden Bildern – unter anderem mit Wochenschau-Aufnahmen, die deutsche Kriegsschiffe auf der Themse zeigen, die das Parlamentsgebäude beschießen. Und „der Führer“ schwebt per Flugzeug auch noch ein. Das alles ist packend und trickreich inszeniert.​

Die ungleichen Schwestern​

Was „Lola“ nicht ganz so gut gelingt, ist die Charakterzeichnung der Schwestern – die hat einen ziemlich groben Strich. Da ist die eher liebliche, moralisch stabile Mars, wie ein gutes Gewissen; und da ist Thom, die eine gewisse Bitterkeit mit sich herumträgt, bei militärischer Taktik wenig zimperlich ist (ein US-Passagierschiff als Köder für deutsche U-Boote) und schließlich der Macht erliegt, die sie durch ihre Erfindung erlangt – in NS-England. Aber diese Schwäche nimmt „Lola“, diesem eigenwilligen „Was wäre wenn“, nichts von der filmischen Frische.​

In Saarbrücken gerade in der Camera Zwo zu sehen.

„Stingray“ von Gerry Anderson – Puppenkiste unter Wasser

 

Gerry Anderson? Hierzulande ist der Produzent (1929-2012) vor allem reiferen Nostalgikern ein Begriff – in England ist er so etwas wie eine Legende, zumal sein Sohn Jamie sein Andenken pflegt und vermarktet. „Mondbasis Alpha 1“ (1975-1977) ist wohl seine bei uns bekannteste Serie; in England hatte er auch mit vielem anderen Erfolg. Gut, dass die saarländische Firma Pidax einige Komplettboxen veröffentlicht: zum Beispiel „Thunderbirds“ (1965/66), „Captain Scarlet“ (1967/68), „Ufo“ (1970/71) – und nun auch die Marionettenserie „Stingray“

Bizarres unter Wasser

Die 39 Folgen auf fünf DVDs spielen 2065 und überwiegend unter Wasser, wo sich bizarre Wesen und  Schurken tummeln, nicht zuletzt der Despot Titan, dem die Landbewohner ein Dorn im Auge sind. Wie gut, dass es das schnittige U-Boot Stingray gibt, deren Kapitän Troy Tempest allen Widersachern zeigt, wo in der Tiefsee der Hammer hängt – humorig und kindgerecht. „Stingray“ ist Andersons erste in Farbe produzierte Serie, die hier konsequent genutzt wird: knallbunt sind die extrem liebevollen Bauten – da schaut man gerne genau hin, gerade auch wenn die maritime Serie manchmal etwas dahin plätschert. Wie oft bei Anderson hat Modell- und Pyrotechnik-Zauberer Derek Meddings die exzellenten Effekte gestaltet. Kein Wunder, dass später James Bond und Superman  bei ihm anklopften.

Erschienen bei Pidax.

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